Über deutsche Dichtungen 2.
532 Seiten. Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften,
Frankfurt, New York usw. 2004,
Schillerjahr! Endlich redet jeder über den vergessenen großen Dichter. Aber wie? Schiller als "Event": es wird viel über Schiller hinweg geredet, und nur sehr selten kommt die Diskussion wirklich bei Schiller an. Das ist nicht Friedrich Schillers Schuld, seinem Dichterfreund Wolfgang Goethe erging es 1999 im Goethejahr nicht anders. Und wie damals ist auch heute zu befürchten, daß am Ende des Schillerjahrs wenig Bleibendes entstanden sein wird.
In dieser Situation kann uns das Goethe-Buch von Wolfgang Wittkowski lehren, wie wir uns mit Goethe, Schiller, den Klassikern, ja großen Denkern der Vergangenheit und auch unseren Mitmenschen von heute fruchtbar auseinandersetzen sollten. Das 532 Seiten starke Buch enthält viele Details, Thesen, Gegenthesen und Einzelbetrachtungen, es wird jedoch vor allem von der Frage getragen: Wie können und sollen wir uns mit den Klassikern auseinandersetzen, und wie kann die heutige Germanistik in einen Zustand gebracht werden, der es ihr erlaubt, dieses überhaupt noch zu leisten?
Deshalb erinnert Wittkowski daran, daß Goethe an Wielands Grab "Enthusiasmus", "Erstaunen und Bewunderung" als den Schlüssel nannte, ohne die ein "Zugang in das innere Heiligtum von Menschen und Kunst nicht möglich sei". Zur Verdeutlichung zitiert er Goethes Brief vom 14.6.1796 an Friedrich Schiller: "Wenn man von Schriften, wie von Handlungen, nicht mit einer liebevollen Teilnahme, nicht mit einem gewissen parteiischen Enthusiasmus spricht, so bleibt so wenig daran, daß es der Rede gar nicht wert ist. Lust, Freude, Teilnahme an den Dingen ist das einzige Reelle, und was wieder Realität hervorbringt, alles andere ist eitel und vereitelt nur."
Aber "Enthusiasmus, Erstaunen, Liebe allein genügen nicht", warnt Wittkowski: "Der Betrachter muß offen und bereit sein zu ganz neuer, urständiger Erfahrung, zum Gegenteil von Besserwisserei." Denn: "Entweder wird man das Werk dogmatisch dem mitgebrachten System unterwerfen - politisch, theologisch, soziologisch, psychologisch usw. - und fragt oder prüft, ob und wieweit die jeweiligen Kategorien und Postulate denn erfüllt seien. Oder man versucht umgekehrt dem Wertsystem des Werkes auf die Spur zu kommen und fragt: Welches sind denn hier die einschlägigen Kategorien, Postulate? Worauf kommt es an? Man kann und muß das Urteil einkreisen, indem man es an allen verfügbaren Korrektiven austariert. Richtigkeit ist niemals garantiert, das Gewicht der Argumente zählt. Und abwägen muß jeder selbst."