S C H I L L E R J A H R

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F R I E D R I C H   S C H I L L E R

Die Schillerfeste 2001:
Mainz-Wiesbaden: Richtschnur in unruhigen Zeiten

"Das Ideal und das Leben" lautete das Thema der diesjährigen Schiller-Feste in Mainz und Wiesbaden - ein Gegensatz, den man in Zeiten wie den gegenwärtigen besonders deutlich spürt. Nicht nur, daß die Weltwirtschaftskrise immer mehr Menschen mit Arbeitslosigkeit bedroht, zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte sind deutsche Soldaten wieder an Kriegseinsätzen im Ausland beteiligt. Die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, warnte in ihrer Begrüßungsrede im Wiesbadener Kurhaus eindringlich vor einem Krieg der Kulturen, der in einen neuen Religionskrieg auszuarten drohe, und erinnerte das Publikum an die ausgedehnten Verheerungen und die Entvölkerung, die Religionskriege wie der Dreißigjährige Krieg in Europa angerichtet hätten.

Unsere Vorstellungen von der Welt und die tägliche Wirklichkeit klaffen immer weiter auseinander. Was tut man in einer solchen Zeit? "Gibt man resigniert seine Ideale auf und wird zum Zyniker, verzehrt man sich in Weltschmerz und düsterem Pessimismus", wie Gabriele Liebig, die Autorin des Programms, in ihrer Eröffnungsrede in Mainz das Publikum fragte, oder "faßt man sich ein Herz und hilft selbst dabei mit, daß unerträgliche Verhältnisse geändert, fatale Fehlentscheidungen unter Umständen verhindert werden?" Schiller hat sich mit dieser Frage immer wieder beschäftigt und rät uns eindeutig zum Letzteren. Um uns zu zeigen, wie wir die Hilflosigkeit und Angst, die uns angesichts einer neuen, herausfordernden Situation überfallen, überwinden können, entwickelte er die Idee des Erhabenen, die das Thema des diesjährigen Schiller-Festes bildete.

Schillers Schrift Über das Erhabene zog sich als roter Faden durch den ganzen Abend. Die Gedichte, die zwischen längere Auszüge aus diesem Aufsatz gestreut waren, machten die jeweilige Idee anschaulich, und Xenien und Votivtafeln umrissen sie in kleinen, manchmal erheiternden Sentenzen. Zwei Szenen aus Wallenstein verdeutlichten am Schluß des Programms noch einmal die Idee des Erhabenen im Dialog, in der lebendigen Auseinandersetzung. Obwohl mitten in diesem verheerenden Krieg aufgewachsen, hat sich der junge Max Piccolomini doch leuchtende Bilder vom Frieden ausgemalt und ficht für diese Vision im Heer Wallensteins. Sowohl in der Auseinandersetzung mit seinem Vater Octavio Piccolomini, dem er vorwirft, das Vertrauen Wallensteins mißbraucht zu haben, als auch mit dem Generalissimo selbst, zeigt sich Maxens erhabener Charakter. Der Mangel an solchen Charakteren wie Max ist die eigentliche Tragödie - nicht nur in Schillers Wallenstein.

Das Programm verlangte sowohl den Vortragenden als auch dem Publikum einiges ab. Die Zuhörer folgten konzentriert und nachdenklich den Ausführungen Schillers, die von den Dichterpflänzchen dargebracht wurden, darunter Gedichte wie Das Ideal und das Leben oder Der Spaziergang, die man eigentlich nie zu hören bekommt. Sehr viele Menschen suchen eine Richtschnur in diesen unruhigen Zeiten, und Schiller ist da immer ein guter Begleiter. Viele Zuhörer drückten aus, daß seine Idee des Erhabenen genau das sei, was heute dringend gebraucht würde. Eine Psychologin unterstrich dies sogar für die Therapie. Ihre Patienten empfänden die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit besonders quälend, und das Erhabene könnte ihnen die Brücke schlagen, könnte ihnen helfen, ihre persönliche Situation zu verändern, meinte sie.

Einige erklärten hinterher, daß sie erst bei den Szenen aus Wallenstein die kritischen Worte in der Begrüßungsrede richtig verstanden hätten. Frau Zepp-LaRouche hatte den Generälen, die öffentlich gegen die Entsendung deutscher Truppen nach Afghanistan opponierten, in ihrer Rede bescheinigt, nach dem Prinzip des Erhabenen zu handeln; nun sah man, daß Schillers Max genau das gleiche tat. Er versuchte, Wallenstein zu bewegen, eine fatale Fehlentscheidung, die dann auch tatsächlich zu des Generals Sturz und Tod führen sollte, zu korrigieren, obwohl die politischen Entscheidungen bereits gefällt, die Würfel schon gefallen waren. Maxens Weg "muß grad sein" - wie der unsere, wenn wir als Mensch bestehen wollen. Wir dürfen uns nicht in Verhältnisse, die wir als falsch erkannt haben, fügen, weil wir damit unser Menschsein wegwerfen.

Für das Wiesbadener Fest hatte Werner Hartmann die musikalischen Zwischenspiele komponiert: vier Variationen für Geige und Klavier in D-Dur nach einem Thema von Beethoven aus der Serenade op. 8, dargeboten von Martin Buck, Geige, und dem Komponisten selbst am Klavier. In Mainz spielten Michael Gründler (Piano), Caroline Hartmann (Violine) und Jean-Sebastian Trembley (Cello) Teile aus dem Klaviertrio in c-moll op. 1, Nr. 3 von Beethoven. Insgesamt "eine (Geburtstags-) Party der etwas anderen Art", wie die Mainzer Rhein-Zeitung in einem Artikel über das Schiller-Fest im Mainzer Schloß meinte und der Aufführung bescheinigte, daß Schiller und die "Tradition der Schiller-Feiern auch heute noch modern" seien.

Rosa Tennenbaum