S C H I L L E R J A H R

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F R I E D R I C H   S C H I L L E R

Die Schillerfeste 2004:
Hamburg-Hannover: 200 Jahre Wilhelm Tell

Düsseldorf: Ein Freiluftfest für Friedrich Schiller

Mainz-Wiesbaden: Eine Widerstandsbewegung auf der Ebene des Erhabenen
Mainz-Wiesbaden: "Eine Widerstandsbewegung auf der Ebene des Erhabenen schaffen"

Das Schillerfest 2004 in Mainz und Wiesbaden war einem doppelten Jubiläum gewidmet: Vor 200 Jahren wurde Schillers Drama Wilhelm Tell uraufgeführt, vor 20 Jahren das Schiller-Institut gegründet.

Dies war die Botschaft der Eröffnungsrede der Vorsitzenden des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche bei den diesjährigen Schillerfesten in Mainz und Wiesbaden. Insgesamt waren rund 150 Gäste der Einladung ins Kurfürstliche Schloß in Mainz und ins Wiesbadener Kurhaus gefolgt, um mit einem gut zweistündigen Programm den 245. Geburtstag Friedrich Schillers zu feiern. Wie auch in den vergangenen Jahren gestalteten die "Dichterpflänzchen" das Programm. Diesmal war es dem Wilhelm Tell gewidmet.

Frau Zepp-LaRouche stellte die Feier in den Kontext der gegenwärtigen Weltlage: Die Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten Bush, die verheerende Lage im Irak und der Kollaps der produktiven Wirtschaft machen natürlich vielen Menschen Angst. Das Problem ist, Furcht um die eigene Existenz macht die Menschen klein und passiv. Aber man könne diese Furcht überwinden, wenn man seine Identität in der Entwicklung der ganzen Menschheit suche, sagte Helga Zepp-LaRouche.

Gerade deshalb sei Schiller heute so wichtig, und insbesondere die erhebende Wirkung seines Tell ein gutes Mittel gegen diese Furcht. Kein anderer Dichter habe es so verstanden wie Schiller, die Menschen auf die Ebene des Erhabenen zu erheben. Er habe sich ganz der Aufgabe gewidmet, aus kleinen Menschen größere Menschen zu machen.

Der Tell sei ein Stück über den Widerstand - und deshalb immer wieder verboten worden: Nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 ebenso wie unter den Nazis, die befürchteten, daß das Stück als Aufforderung zum Tyrannenmord verstanden würde. Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg sei es bekämpft worden. Die Umerziehung habe u.a. darauf abgezielt, gerade die klassische Kultur Deutschlands zu beseitigen. Und Vordenker der Frankfurter Schule wie Adorno, die an der Umerziehung beteiligt waren, hätten Schiller sogar als Faschisten verleumdet. Gleichzeitig habe der von der CIA gesteuerte Kongreß für kulturelle Freiheit massiv die gegen die klassische Kunst gerichtete Moderne propagiert. Diese Ablehnung der Klassik habe sich auf die Achtundsechziger übertragen.

Es gebe seit Jahren keine Schiller-Aufführungen mehr in Deutschland, die diesen Namen verdienten, vielmehr versuchten die Vertreter des Regietheaters, Schillers Werke ihrem Denken anzupassen. Auch die "Eventliteratur" zum 200. Todestag Schillers im kommenden Jahr werde Schiller nicht gerecht. Deshalb sei es gerade für die junge Generation notwendig, Schiller im Original zu lesen. Schließlich lud Frau Zepp-LaRouche die Festgäste ein: "Wenn Ihnen dieses Programm über Wilhelm Tell gefällt, dann bedenken Sie, daß das Schiller-Institut selbst eine Art Widerstandsbewegung ist, und machen Sie bei uns mit!"

Es folgte eine speziell für diese Schillerfeiern geschriebene Komposition von Werner Hartmann - fünf Variationen für Klavier und Viola nach einem Thema von Josef Haydn - , präsentiert vom Komponisten selbst am Klavier und Martin Buck an der Viola. Die einzelnen Variationen wurden später an geeigneten Stellen des Programms wiederholt.

Nach einer kurzen Einführung in die Entstehungsgeschichte des Tell führte die Sopranistin Lotta-Stina Thronell dann in den eigentlichen Stoff des Tell ein, indem sie das von Robert Schumann vertonte Lied "Ihr Matten lebt wohl" vortrug. Diesem Naturidyll wurde dann das grausame Verhalten der kaiserlichen Landvögte in den Schweizer Urkantonen gegenübergestellt. Von allen Vögten ist Geßler der schlimmste Vogt. Er sieht seine Aufgabe darin, die freien Schweizer Bauern dem Willen der Habsburger zu unterwerfen:

    "Doch es soll anders werden, ich gelob es,
    Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
    Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
    Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen verkündigen."

Gegen diese Überheblichkeit und Ungerechtigkeit erheben sich die Schweizer, und dazu versammeln sie sich auf dem Rütli, wo ihr Anführer Stauffacher erklärt:

    Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
    Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
    Wenn unerträglich wird die Last, greift er
    Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
    Und holt herunter seine ew'gen Rechte,
    Die droben hangen unveräußerlich
    Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.
    Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
    Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht,
    Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
    Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben.

    Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen
    Gegen Gewalt - wir stehn vor unser Land,
    Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!

Da die von Schiller vorgesehenen Zwischenrufe in diesem Falle aus dem Publikum kamen, fühlten sich die Besucher selbst im Kreise der Rütli-Verschwörer. Hier bezieht sich Schiller unverkennbar auf die nicht einmal 30 Jahre zurückliegende amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die nun rezitiert wurde. Darin wird ebenfalls aus den "unveräußerlichen Menschenrechten" das Recht der Kolonien abgeleitet, sich von einem Königshaus loszusagen, das durch seine Mißbräuche und Übergriffe "die Absicht erkennen läßt, sie absolutem Despotismus zu unterwerfen". Einige Zuschauer kommentierten später, die Erklärung höre sich an, als stamme sie "aus einem Drama von Schiller".

Dann wurde das Publikum in Schillers Zeit versetzt: Wenige Monate zuvor hatte Napoleon mit dem Reichsdeputationshauptschluß die alte Reichsordnung umgestürzt, noch im Jahr der Uraufführung des Tell krönte sich dieser ehemalige General der Republik selbst zum König. Schiller erkannte, daß auch Preußen und Österreich gegen Napoleon nicht ankommen würden, und daß gegen den Despoten nur eine Volkserhebung helfen konnte: "Ich arbeite an einem Wilhelm Tell, womit ich den Leuten den Kopf wieder warm zu machen gedenke. Sie sind auf solche Volksstücke ganz verteufelt erpicht, und jetzt besonders ist von der schweizerischen Freiheit desto mehr die Rede, weil sie aus der Welt verschwunden ist." Tatsächlich inspirierte Schillers Tell einige Jahre später die Bewegung der Befreiungskriege, in denen die Freiwilligen vor der Schlacht den Rütlischwur rezitierten:

    Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüßt
    Von allen Völkern, die tief unter uns
    Schwer atmend wohnen in dem Qualm der Städte,
    Laßt uns den Eid des neuen Bundes schwören:
    - Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
    In keiner Not uns trennen und Gefahr.
    - Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

    Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
    - Wir wollen trauen auf den höchsten Gott,
    Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Übrigens ist der Spruch "Wir sind ein Volk!" bei den Montagsdemonstrationen vor 15 Jahren ein Zitat aus der Rütli-Szene. Gerade diese inspirierende Wirkung führte dazu, daß der Tell immer wieder verboten und zensiert wurde - schon zu Schillers Zeit, aber auch später, etwa nach der Besetzung des Rheinlands 1923 und ab 1941 unter den Nazis. Wichtig für die Wirkung des Stücks sind nicht zuletzt Frauenfiguren wie Gertrud Stauffacher, die ihren Ehemann dazu ermutigt, Widerstand zu leisten: "Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!"

Der zweite Teil des Programms begann wiederum mit einer Tell-Vertonung Robert Schumanns: "Mit dem Pfeil dem Bogen", wiederum vorgetragen von Lotta Thronell-Hartmann. Das Lied verweist auf die Hauptfigur des Stücks, den Tell. Er ist schnell entschlossen und gradlinig wie sein Pfeil. Aber auch der Till, der Narr, ist ihm verwandt: Tell ist rasch entschlossen, aber nicht immer klug - jedenfalls nicht in dem Sinne, daß er die Wahrheit verschweigen würde, wo andere dies täten.

Als Geßler ihn zwingt, auf den Kopf seines Kindes zu schießen, muß er seinen Irrtum erkennen - glaubte er doch: "Die Schlange sticht nicht ungereizt, sie werden endlich doch von selbst ermüden, wenn sie die Lande ruhig bleiben sehen."

Nach dieser Einführung folgte dann der berühmte Tell-Monolog, in dem Tell noch ein letztes Mal mit seinem Gewissen ringt und sich überzeugt, daß er nur durch die Tötung Geßlers seine Frau und seine Kinder vor der Rache des Despoten schützen kann. Dies widerlegt einen weit verbreiteten Irrtum: Das Wichtige am Tell ist nicht der Tyrannenmord, denn Tell "ist kein Terrorist und auch kein Räuber Moor, der aus wütender Verzweiflung und verlorener Ehre tötet. Tell handelt schlicht aus Notwehr." Um dies zu unterstreichen, folgte dann die - bei den meisten Aufführungen gestrichene - Parricida-Szene, in der Schiller dem Tell Johann von Schwaben gegenüberstellt, der seinen Onkel, den Kaiser Albrecht, umgebracht hat, weil dieser ihm sein Erbe vorenthielt. Tell entgegnet ihm:

    Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen
    Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?
    Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
    Des Herdes Heiligtum beschützt? das Schrecklichste,
    Das Letzte von den Deinen abgewehrt?
    Zum Himmel heb' ich meine reinen Hände,
    Verfluche dich und deine Tat - Gerächt
    Hab ich die heilige Natur, die du
    geschändet - Nichts teil' ich mit dir - Gemordet
    Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.

Wenige Jahre zuvor hatte Schiller noch in seinem Lied von der Glocke, aus dem eine längere Passage vorgetragen wurde, eindringlich vor der Anarchie gewarnt, die auszubrechen droht, "wenn sich die Völker selbst befrein". Nun zeichnet er das erhebende Bild einer erfolgreichen Volkserhebung. Ein Widerspruch? Das Paradox löst sich, wenn die Volkserhebung von besonnenen Männern wie Stauffacher angeführt wird:

    Sprecht nicht von Rache. Nicht Geschehnes rächen,
    Gedrohtem Übel wollen wir begegnen...
    Bezähme jeder die gerechte Wut,
    Und spare für das Ganze seine Rache,
    Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,
    Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.

Was aber, wenn es nicht einzelne sind, die den Menschen ihre Rechte nehmen und ihnen Unerträgliches aufbürden, sondern der Zeitgeist diese Mißbräuche herbeiführt? "Dann muß offensichtlich dieser Zeitgeist verändert werden", und als Beispiel für einen solchen Wandel wurde die Figur des Ulrich von Rudenz präsentiert, der zunächst, ganz nach Art des Hofes, die Bauern und Knechte verachtet, aber von seiner Geliebten Berta eines Besseren belehrt wird und schließlich nicht nur in der Apfelschuß-Szene Geßler entgegentritt, sondern sogar die Führung des Aufstandes übernimmt. Der Schlußszene des Tell, in der Berta die Schweizer fragt "Wollt ihr als eure Bürgerin mich schützen?", und Rudenz alle seine Knechte frei erklärt, folgte zum Abschluß Schillers "Ode an die Freude", zunächst vorgetragen von den Dichterpflänzchen, dann als Lied, worein zahlreiche Gäste einstimmten.

(Den Text der Rede und des Programms finden Sie auf der Internetseite www.schiller-institut.de.)

Alexander Hartmann