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Aischylos, der erste Tragiker (525 v.Chr.-456 v.Chr.)  —  Die Schlacht von Salamis

Aischylos ist der erste der drei großen griechischen Tragiker und der eigentliche "Erfinder" der Tragödie. Er wurde 525 v.Chr. in Eleusis als Sohn des adligen Grundbesitzers Euphorion geboren und starb 456 in Gela auf Sizilien. Aischylos erlebte nicht nur den Aufstieg Athens zur politischen und kulturellen Großmacht, er wirkte dabei entscheidend mit: Als Soldat kämpfte er in Marathon und Salamis, den Schlachten, die die Hegemonie des persischen Weltreichs beendeten, und er verwandelte das Theater vom einfachen, ländlichen Schauspiel in die Schule von Athen.

Aischylos, der schon zu Lebzeiten als Dichter hochberühmt und geehrt war, schätzte seine Teilnahme an den Perserkriegen höher ein als seine Verdienste als Dichter, wie die Inschrift auf seinem Grabstein, die er selbst verfaßte, bezeugt:

Über Jahrtausende huldigten die Völker den Göttern mit Gottesdiensten und anderen Festlichkeiten, bei denen historische oder kosmische Ereignisse aus der Mythologie aufgeführt wurden. Das hymnische Anrufen des Gottes, Singen und Tanzen gehörten dazu, und auch die Masken, die die Aufführenden trugen, sind in vielen Regionen der Welt bezeugt. Aber nur in Griechenland wandelten sich die kultischen Handlungen in dramatische Spiele.

Diese Wandlung setzte unter Peisistratos, der 35 Jahre lang Athen als Alleinherrscher regierte, ein. Er stiftete im Jahr 534 ein über mehrere Tage dauerndes Fest - die großen Dionysien - und weihte es dem Gott Dionysos, dem er einen Tempel und eine Orchestra erbaute. Dionysos war ein niederer, unbedeutender Gott, der als Gott des Weines und der Fruchtbarkeit hauptsächlich von den Bauern und den niederen Schichten angebetet wurde. Dieses Staatsfest zu Ehren des Dionysos war ein Schachzug gegen den Adel, der den Olympischen Göttern huldigte, und es gelang Peisistratos damit, seine Stellung im Volk zu festigen.

Bei diesem Fest ließ Peisistratos zum ersten Mal durch Thespis eine Tragödie aufführen. Der Theaterdichter Thespis hatte bei dem Bühnenspiel eine bedeutende Neuerung eingeführt: Er stellte dem Chor einen Einzel-Schauspieler gegenüber, den Hipokrités, was Ausdeuter oder Antwortender hieß. Bisher war das Geschehen auf der Bühne ein Gesang zwischen dem Chor und einzelnen Choreuten, nun sprach ein Schauspieler längere Passagen zwischen den Gesängen - aus einem Oratorium wurde ein musikalisches Schauspiel.

Gut dreißig Jahre später betrat Aischylos die Bühne: 499 führte er seine erste Tragödie auf, 484 gewann er zum ersten Mal den dramatischen Wettbewerb. In den folgenden dreißig Jahren bis zu seinem Tode errang er noch zwölfmal den ersten Preis. Nach seinem Tode trug sein Sohn Euphorion mit den nachgelassenen Tragödien seines Vaters viermal den ersten Preis davon. Von über 90 Tragödien, die der Dichter verfaßte, sind uns nur sieben vollständig erhalten geblieben.

Aischylos' Erscheinen auf der Bühne markiert einen Phasenwechsel des Theaters. Seine Tragödien reflektieren einen gewaltigen Geist, der tief um die philosophischen Grundfragen der menschlichen Existenz ringt. Seine Stücke sind von dramatischer Urgewalt, seine dramatische Technik ist vollkommen, seine Sprachkunst, von der Aristophanes sagte, er baue "aus erhabenen Worten Türme", gewaltig. Auch die technischen Änderungen sind revolutionär: Aischylos führte den zweiten Schauspieler ein und machte so dramatisches Spiel erst möglich, er dehnte die gesprochenen Passagen aus und drängte den Chor zurück. Er ist der Vater der Tragödie.

"Die Perser"

Das älteste uns erhaltene tragische Stück sind "Die Perser" des Aischylos. Es wurde 472 v.Chr. aufgeführt, und unser Dichter erhielt den ersten Preis. Gewöhnlich behandelten die Tragödien Stoffe aus der Mythologie, hier aber griff er ein zeitgeschichtliches Ereignis auf, bei dem er selbst teilgenommen hatte - die Vernichtung der persischen Streitmacht in der Seeschlacht von Salamis im Jahre 480 v.Chr. durch die zahlenmäßg weit unterlegenen Griechen.

Das Stück ist merkwürdig: Es geschieht nichts, es gibt keine Handlung, und doch ist es höchst dramatisch und fesselnd, und es ist zutiefst menschlich. Aischylos zeigt den Athenern die Kehrseite des Sieges, indem er ihn aus der Sicht der geschlagenen Perser darstellt.

Schon nach den ersten Versen sind wir mitten im Stück: Der Chor, der aus persischen Greisen, die den Staatsrat bilden, besteht, wartet angstvoll auf die Rückkehr des großen Heeres, das König Xerxes gegen Griechenland führte, um "auf Hellas Nacken zu werfen das Joch". "Die Jugend des Reichs, ... Asias Kraft zog fort". Die bange Ahnung wird noch gesteigert, als Atossa, die Mutter des Königs und Witwe des Dareios, dem Chor ihren bösen Traum erzählt:

    "Mir war's, als sähe ich zwei schöngewandige
    Jungfraun, die eine reichgeschmückt im Perserkleid,
    Die andre nach der Dorer Art vor meinem Blick,
    An Gestalt bei weitem aller Weiber herrlichste,
    Fehllos an Schönheit, beide Schwestern eines Stamms;
    Als ihre Heimat hatte vordem diese sich
    Hellas erloset, jene das Barbarenland.
    Die beiden glaubt' ich nun zu sehn, wie Hader sie
    Anhuben miteinander; doch mein Sohn gewahrt's,
    Er hemmt sie, er beruhigt sie, schirrt beide sich
    Vor seinen Wagen, legt auf ihren Nacken dann
    Sein Joch. Die eine hebt sich stolz in diesem Schmuck,
    Und gern dem Zügel folgt der Mund, dem lenkenden;
    Die andre bäumt sich, bricht mit beiden Händen jach
    Des Königswagens Pracht in Trümmer, zügellos
    Schleift sie gewaltsam ihn davon, zerbricht das Joch;
    Es stürzt mein Sohn ..."
    (V. 181-200)2

Nun stürzt der Bote herein, die bange Vorahnung wird zur Gewißheit: "Dahingesunken ist die Blüte Persiens ... umkam der Barbaren ganzes Heer." In gedrängten Versen, unterbrochen vom Klagegesang des Chores, malt er das ganze Ausmaß des Verlustes, ehe er im einzelnen die Schlacht bei Salamis schildert und erzählt, wie die Soldaten, die dieses Gemetzel überlebten, auf dem langen Heimweg durch Hunger und Frost elendiglich umkamen. Dieser Augenzeugenbericht ist weltberühmt geworden.

Atossa und der Chor beschwören mit Opferhandlungen und Klagegesängen den Geist des Königs Dareios herauf. Ihn, der das persische Großreich gründete, wollen sie um Rettung befragen. Dareios erscheint; er tadelt die Torheit seines Sohnes, solch einen Krieg anzuzetteln und rät den Lebenden dringend, nie wieder gegen Griechenland zu ziehen. Die wehmütigen Erinnerungen des Chores an die glückliche Zeit unter Dareios' Herrschaft steht im krassen Gegensatz zu dem jammervollen Auftritt des Xerxes, der sich mit dem Chor zu einem großen, leidenschaftlichen Klagegesang vereinigt.

    "Die Geschwader, die Meister mit Bogen und Pfeil,
          Die Blüte des Volks,
    Viel Tausende, Reihen bei Reihn, -
          Alle tot und hin!
    Ach Weh! Ach Weh! Solch machtvoll Heer!
    Und das asische Land, oh König, es liegt
          Trostlos, trostlos
    Auf den Knien in dem Staub!"
    (V. 923-930)2

Ate, die Personifikation der Verblendung und schuldhaften Verfehlung, die "erst den Mann kost" und dann ins Garn lockt, um ihn darin umkommen zu lassen, verführte Xerxes, die Schranken des Rechts zu übertreten und Griechenland anzugreifen. Nicht die Götter sandten Vernichtung über Persien, Xerxes selbst bereitete seinem Volk durch Machtgier und Mißachtung des Völkerrechts den Untergang. Das Unheil, das die Götter senden, erwächst aus der vorangegangenen Schuld des Menschen, und das Leid, das so erwächst, soll den Menschen zur Einsicht führen und ihn die ewige Gültigkeit der göttlichen Satzung, oder moderner ausgedrückt, des Naturrechts, erkennen lassen.

Aischylos hat nicht nur bei Salamis mitgekämpft, er durchlitt die existentielle Gefahr, die seinem Land durch die heranrückenden Perser drohte, er erlebte die Not, den Kampf, den Sieg und den Jubel der Befreiung. Der Bericht des Boten ist sein Augenzeugenbericht dieser welthistorischen Wende in der Menschheitsgeschichte. Doch wir erleben keinen Triumph des Siegers, kein kränkendes Wort gegenüber den Feinden3, keine Herabsetzung der Geschlagenen, er nennt keinen einzigen der griechischen Helden, aber zahlreiche der persischen. Der tiefe Fall der Perser reflektiert das Ausmaß ihres Verstoßes gegen die gültige Weltordnung, der durch den Sieg der Griechen gerächt wurde.

Rosa Tennenbaum


    Anmerkungen
    1. Die Meder sind ein persischer Volksstamm.
    2. Zitiert nach der Übersetzung von Johann Gustav Droysen.
    3. Das Wort Barbar bezeichnete bei den Griechen Ausländer oder Fremder, es hatte nicht die negative Wertung, mit der wir heute diesen Begriff verwenden.



Die Schlacht von Salamis

Aus "Die Perser" von Aischylos (V. 355 - 432)

Ein Bote berichtet der Mutter des Xerxes über die verlorene Seeschlacht und zu welcher List die Griechen griffen, so daß gerade die zahlenmäßige Überlegenheit der persischen Flotte ihr zum Verhängnis wurde.

    Denn ein hellenischer Mann vom Athenaiervolk
    Kam hin und sagte deinem Sohne Xerxes an:
    Sobald die volle Finsternis der Nacht genaht,
    Nicht bleiben würden die Hellenen, würden schnell
    An ihre Ruder springen, andre andren Wegs
    In geheimer Flucht zu retten ihres Lebens Heil.
    Kaum daß er dies vernommen, ahnend nicht die List
    Des fremden Mannes, noch den Neid der Ewigen,
    Gebeut er seinen Admiralen allzumal:
    Sobald der glüh'nden Sonne zündend Abendlicht
    Hinab sich taucht und Dunkel herrscht in Äthers Raum,
    Sollt' sich der Schiffe Linie zu drei Treffen reihn
    Und jeden Ausweg hüten, jede Flucht zur See;
    (...)
    Und jedes Schiff fährt, wo es hinbeordert ist,
    Die ganze Nacht durch ordnen, durch die Bucht verteilt,
    Der Schiffe Führer des Geschwaders ganze Macht.
    (...)
    Als drauf der Tag mit seines Wagens Lichtgespann
    Die ganze Meerbucht sonnenhell beleuchtete,
    Zuerst da schallte von den Hellenen freudiger
    Gesang herüber, und den Kriegsruf jauchzt zurück
    Des fels'gen Eilands tausendstimmiger Widerhall.
    Furcht überschlich jetzt uns Barbaren allzumal,
    Die wir getäuscht uns sahen; denn nicht wie zum Fliehen
    Erklang der Griechen feierlicher Schlachtruf jetzt;
    Sie sangen, sich in den Kampf zu stürzen frohen Muts;
    Trompeten flammten schmetternd drein mit ihrem Ruf,
    Und rings mit rauschenden Ruders gleichem Wechselschlag
    Ward nach des Bootsmanns Ruf die sprühende Flut geteilt,
    Und plötzlich waren alle nah vor unserm Blick.
    Des Geschwaders Linie führte festgeschlossen an
    Der rechte Flügel; nach ihm kam der ganze Zug
    Heraufgefahren; hören konnte man zugleich
    Vielfaches Rufen: "Kinder der Hellenen, auf!
    Befreiet unser Vaterland! Befreit Weib
    Und Kind! Befreit der heimischen Götter Heiligtum,
    Der Väter Gräber! Jetzt um alles kämpfen wir!"
    Und auch von uns her brauste laut ein persisches
    Geschrei entgegen; nicht zu säumen galt es jetzt.
    Da schlug mit Krachen Schiff in Schiff den bohrenden
    Erzschnabel; anfing ein hellenisch Schiff den Sturm,
    Riß einem Tyrier allen Schmuck vom Steuerbord;
    Auf andre trieben andre wieder ihren Kiel.
    Erst hielt des Perserheeres Strom noch gegen an;
    Doch als die Unzahl unserer Segel in des Meers
    Engfahrt sich trieb, war keiner keinem mehr zu Schutz,
    Und wechselseitig mit der eisernen Schnäbel Stoß
    Durchbohrten sie sich, zerbrachen sie ihr Ruderzeug.
    Der Griechen Schiffe drängten wohlberechnet nun
    Ringsher umzingelnd gegen uns, jäh stürzten um
    Der Schiffe Bäuche, nicht zu sehn mehr war die See,
    Mit Wrack und Scheiter und mit Leichen überdeckt,
    Bedeckt mit Leichen Klippen und Gestad' umher.
    In wilder Flucht fortrudernd eilte jedes Schiff,
    Soviel noch übrig waren vom Barbarenheer.
    Doch wie beim Thunfischjagen oder Treibefang
    Von ziehenden Fischen, schlugen, stießen, warfen sie
    Mit Ruderwrack, Schiffstrümmern uns; dazu erfüllt
    Die weite See Wehklage rings und Angstgeschrei,
    Bis dahin sie nahm der dunkle Blick der Nacht. -
    Und doch, das Unmaß unsres Leides, spräch' ich auch
    Zehn ganze Tage, dennoch nicht erschöpft' ich es;
    Denn wiss' es wohl, daß nimmer noch an einem Tag
    Von Menschen so zahllose Zahl dem Tod verfiel.


Übersetzung: Johann Gustav Droysen
Quelle: Dichtung der Antike, Bd. 3, Aischylos' Tragödien, Standard-Verlag, Hamburg 1957

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