S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Alkaios von Mytilene - Zeitgenosse Sapphos
Der griechische Lyriker Alkaios - etwa 630 bis nach 580 v.Chr. - entstammte einem adligen Geschlecht aus Mytilene auf Lesbos. Aus seiner Poesie geht viel über sein Leben hervor.

Das Staatschiff

Begreifen kann ich nicht der Winde Stand:
Bald wälzt von hier sich eine Woge an,
Bald dorther. Wir jedoch: inmitten
Treiben wir hin mit dem schwarzen Schiffe

Und müh'n mit großem Sturm uns mächtig ab;
Denn überm Mastschuh steht das Bilgewasser schon,
Das Segeltuch ist ganz zerfetzt bereits,
Und die Risse sind riesig darinnen;

Es geben nach die Brassen [...]
[ . . . ]
[ . . . ]
[... ((die festgefloch->));
tenen Schoten, die halten beide noch

Im bastnen Tauwerk: nur das ist es, was mich schützt,
Nicht mehr; die Fracht ist schon ((hinausgerollt.))

[Es folgen noch mindestens 5 Verse]

Vorwurf

Wie es heißt, ist, Helena! Leid aus schlimmem Geschehen
über Priamos und seine Söhne gekommen
Deinetwegen - gar bittres! - , und Zeus hat mit Feuer vernichtet
Ilios die heil'ge.

Nicht von solcher Art war, die der herrliche Aiakide,
als er alle Glücksel'gen zur Hochzeit geladen,
heim sich führte aus Nereus' Palast: die
Jungfrau voll Zartheit,

heim in Cheirons Haus! Und er löste der reinen
Jungfrau Gürtel, und heftige Liebe erblühte
zwischen Peleus und ihr, der Besten der Nereïden.
- Über ein Jahr dann

brachte sie einen Knaben zur Welt, der Halbgötter stärksten,
reich begabt, einen Lenker goldfarbener Rosse,
und die gingen zugrunde um Helenas willen, die Phryger
- und ihre Stadtburg!

Beim Weine

Trinken wir! Wozu auf die Lampen noch warten? 'nen Fingerbreit ist's ja nur Tag noch!
Heb' herunter die Kelche, die großen, mein Bursch, die verzierten!
hat den Wein doch der Sohn von Semele und Zeus als Sorgenvertreiber
einst den Menschen gegeben. Misch "eins zu zwei" und schenk ein
dann voll bis zum Rand - und ein Kelch stehe beim anderen,
Stoß an Stoß [....]

und

Wein, lieber Junge, ist Wahrheit auch ...

Der griechische Lyriker Alkaios von Mytilene - er lebte von etwa 630 bis nach 580 v.Chr. - entstammte einem adligen Geschlecht aus Mytilene auf Lesbos. Aus seiner Poesie geht viel über sein Leben hervor: Nach einem Anschlag auf den Tyrannen Myrsilos wurde er verbannt, kam unter Pittakos zurück, wurde einige Jahre später angeklagt und erneut in die Verbannung geschickt. Nach einer Amnestie unter Pittakos' Nachfolger kehrte er endgültig heim nach Mytilene. Er wird im antiken Kanon der neun Lyriker aufgeführt. Horaz beschäftigte sich sehr mit Alkaios' Werk, eiferte seinem Vorbild nach und bezeichnete sich selbst als "römischen Alcaeus".

Alkaios stand in der Tradition des adligen Poeten und Sängers, der Schwert und Lyra gleichermaßen zu führen verstand, wie z.B. Archilochos ("Griechische Ausgrabungen"  Woche 11). An den mytilenischen Machtkämpfen um 600 v.Chr. nahm Alkaios als Angehöriger einer alteingesessenen Familie jahrelang regen Anteil. Seine Dichtungen sind Lieder, die das alles unmittelbar in Kunst umsetzen. Sie wurden nicht für die Öffentlichkeit geschaffen, sondern eher im eigenen selbstintonierten Vortrag in der Gesinnungs- und Kampfgemeinschaft, oft beim "Symposion", vorgetragen.

Zusammen mit Sappho - sie lebte von 630/625 bis mindestens 580/575 v.Chr - wirkte Alkaios im öffentlichen Leben der Stadt, er auf dem traditionell männlichen Gebiet der Politik, sie auf dem traditionell weiblichen der Erziehung. Beide entstammten Adelskreisen, die von den Machtkämpfen innerhalb der Stadt gleichermaßen betroffen waren, und beide hatten durch ihre künstlerische Tätigkeit eine Sonderstellung inne. Daß sie sich persönlich nicht begegnet wären, ist bei der Größe des Stadtstaates Mytilene unwahrscheinlich. Daß zwischen beiden, wie oftmals gemutmaßt wird, eine engere und nähere Beziehung bestanden hätte, ist allerdings wenig glaubhaft; denn sie lebten in zu unterschiedlichen Welten.

Alkaios' Wirkungsabsicht war wohl nicht der Kunstgenuß an sich, vielmehr wollte er mit seinen Liedern die Gruppenziele bekräftigen und den Zusammenhalt vertiefen. Dazu zeigt er die mit seinem Kreise verbundenen Erlebnisse und zugrundeliegenden Werte in hoher künstlerischer Qualität auf. Unter diesem Aspekt ist Alkaios' Dichtung mit Sapphos Liedkunst zu vergleichen ("Griechische Ausgrabungen"  Woche 12 und Woche 13). Beider Dichtungen dienten der Stärkung des Identitätsbewußtseins der Kreismitglieder und grenzten die Gruppe auch geistig gegen andere Gruppen ab.

Alkaios ist einer ersten Dichter, die die Allegorie des Staates als "Schiff" eindringlich umsetzen. Das oben zitierte Gedicht hat Alkaios sicher im Kreise seiner Freunde vorgetragen, ein Lied für den politischen Kampf, das uns heute einen Einblick in die dramatischen politischen Auseinandersetzungen auf Lesbos in seiner Zeit vermittelt.

In anderen Liedern greift er Melanchros, einen der ersten mytilenischen Tyrannen an, der eine Generation vorher lebte und von Myrsilos abgelöst wurde, unter dessen Tyrannenschaft Alkaios zum ersten Male verbannt wurde. Während der Jahre der auf Myrsilos' Tod folgenden Alleinherrschaft des Pittakos dichtete Alkaios wohl seine Lieder vom "Staatsschiff". Als Pittakos seine Tyrannis endgültig gefestigt hatte, erfolgte die zweite Verbannung: Die Mitglieder der oppositionellen Adelspartei mußten die Insel verlassen, Sappho kam nach Sizilien, Alkaios nach Ägypten, Antimenidas nach Babylonien, doch alle kehrten später wieder aus der Verbannung zurück.

In den folgenden Jahrhunderten war Alkaios den Gebildeten im Mittelmeerraum wohlbekannt. Der Römer Horaz (65-8 v.Chr.), der die zehn Bücher der alexandrinischen Ausgabe von Alkaios' Werk wohl noch vollständig kannte, bezeugt vier große Themenbereiche: 1. Bürgerkriegslieder, 2. Wein- und Trinklieder, 3. mythologische Lieder ("Hymnen"), 4. Liebeslieder.

Alkaios' Lieder sind teilweise angelegt wie die homerischen, aber mit neuem Metrum, der "alkäischen Strophe". Theokrit (310-250) nahm ihn zum Vorbild für seine Erziehungsschriften. Im klassischen Athen waren besonders Alkaios' Sinnlieder beliebt, in hellenistischer Zeit beschäftigten sich eher die Gelehrten mit Alkaios, und die Alexandriner gliederten nach stofflichen Gesichtspunkten seine Gedichte, von denen nur etwa 400 Fragmente erhalten sind.

tim/hmd


Die Übersetzung stammen von Joachim Latacz und sind dem Buch Die griechische Literatur in Text und Darstellung - Archaische Epoche (hrsg. von Joachim Latacz, Philipp Reclam jun. Verlag., Stuttgart 1998) entnommen. Wir danken Prof. Latacz für seine freundliche Genehmigung zum Abdruck.

Zur Übersicht der Ausgrabungen