S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Aristophanes, das geniale Lästermaul  —  Aristophanes: Die Ritter

Aristophanes ist der Vertreter der alten attischen Komödie, die mit dem neuzeitlichen Lustspiel wenig gemein hat. Die altattische Komödie ist eine einmalige Erscheinung in der Weltliteratur, es gibt nichts Vergleichbares. Wie bei der Tragödie, gibt es bei der Komödie drei große Vertreter: Kratinos, Eupolis und Aristophanes, doch es blieben uns nur Werke des Aristophanes erhalten.

Über Aristophanes selbst wissen wir fast nichts; er ist etwa 445 v.Chr. geboren und 385 v.Chr. gestorben. Er schrieb etwa 40 Stücke, von denen elf vollständig erhalten sind; sechs erste und vier zweite Siege bei den Theaterwettkämpfen sind überliefert. Er genoß hohes Ansehen; so durfte er z.B. seine "Literaturkomödie" Die Frösche, die 405 den ersten Preis bei den Lenäen errang, ein Jahr später noch einmal aufführen, eine ungewöhnliche Ehre, denn bei den Festspielen des antiken Griechenland gab es eigentlich nur Premieren.

Die Komödie wollte natürlich das Volk zum Lachen bringen, aber dahinter verbirgt sich ein tiefer Ernst. Wie Aristophanes seine Aufgabe als Dichter sah, sagt er uns in den Fröschen:

Die Komödie stand also in ihrem Erziehungsanspruch der Tragödie nicht nach. Aristophanes bezog in allen großen Fragen seiner Zeit entschieden Position, besonders in der Politik. Schonungslos geißelte er die Korruption in Athen, zerrte die führenden Staatsmänner auf die Bühne und gab sie dem Hohn des Publikums preis. Gleich in seinem zweiten Werk, den Babyloniern, das 426 aufgeführt wurde, warf er Kleon, dem mächtigsten Mann Athens, den Fehdehandschuh hin.

Kleon war als Nachfolger des Perikles der führende Politiker und Heerführer Athens während des Peloponnesischen Krieges. Von Beruf war er Gerber, und mit seinem großen Redetalent hetzte er das Volk gegen seine innen- und außenpolitischen Gegner auf. Er verfolgte eine aggressive Politik gegenüber Sparta und war der entschiedene Gegner des Nikias, dessen Friedensbemühungen erst nach Kleons Tod (422) Früchte tragen konnten. Der Geschichtsschreiber Thukydides nennt ihn einen skrupellosen Demagogen.

In den Babyloniern läßt Aristophanes die Städte des Attischen Seebundes als Chor auftreten; sie müssen als Sklaven Dienst an der Handmühle für den Militärführer Kleon tun. Im Publikum saßen die Gesandten eben dieser Städte, die, wie jedes Jahr, zu den großen Dionysien gekommen waren, um ihren Tribut zu zahlen, der wie gewöhnlich im Dionysostheater am ersten Tag der Theaterfestspiele ausgestellt worden war! Deutlicher konnte man den Imperialismus Athens nicht bloßstellen. Aristophanes erhielt für dieses Jugendwerk den ersten Preis und von Kleon eine Anklage wegen Verleumdung der Polis. Zwei Jahre später, nachdem unser Dichter zum offenen Zweikampf mit Kleon in den Rittern angetreten war, wollte Kleon ihm das Bürgerrecht aberkennen lassen.

Die Ritter

Kleon tritt hier als Paphlagonier auf; aus Paphlagonien in Kleinasien kamen viele Sklaven, und das griechische Verb paphlazein bedeutete schwatzen. Das Volk wird durch Demos dargestellt, "ein brummiger, alter Kauz, ein bißchen taub" und ärmlich gekleidet, wie er in dem Stück charakterisiert wird, der alle Macht an den Paphlagonier abgetreten hat. Die beiden Sklaven Demosthenes und Nikias (im wirklichen Leben große Feldherren) beklagen sich über ihren Herrn und sinnen auf Abhilfe. In einem Orakelspruch finden sie prophezeit, daß Kleon nur durch einen noch größeren Schurken gestürzt werden könne. Sofort machen sie sich auf die Suche und finden einen Blutwursthändler, der sich zu Staatsgeschäften eignet, weil er "gemein, frech und pöbelhaft" ist. Dieser weiß nicht, wie ihm geschieht, und gibt zu bedenken:

    Wursthändler: Schon recht! Allein ich habe nichts gelernt;
    Ein bißchen Lesen, ja, doch schlecht genug!

    Sklave: Das bißchen könnt' am End' dir schaden.
    Regieren ist kein Ding für Leute von
    Charakter und Erziehung! Niederträchtig,
    Unwissend muß man sein! Drum folge du
    Dem Ruf, den dir der Götter Spruch verkündet?

    Wursthändler: Gut, mich meint das Orakel! - Aber wie,
    Das wundert mich, soll ich das Volk regieren?

    Sklave: Spottleicht! Du machst es grade wie bisher.
    Du hackst und rührst den Plunder durcheinander,
    Hofierst dem Volk und streichst ihm süße Wörtchen
    Wie ein Ragout ums Maul; du hast ja, was
    Ein Demagog' nur immer braucht: die schönste
    Brüllstimme, bist ein Lump von Haus aus, Krämer,
    Kurzum, ein ganzer Staatsmann!

Die Ritter, die den Chor bilden, helfen dem Wursthändler aus purem Haß auf den Paphlagonier an die Macht, wohlwissend, daß der Neue "tausendmal schlechter und verruchter" ist. Nach einem klassischen Streitgespräch der Kontrahenten, dem Agon, entscheidet die Ratsversammlung für den Wursthändler, weil er noch gemeiner ist und besser brüllen kann. Nun rufen beide nach dem alten Demos; alt, kränklich, hungrig und verarmt, so stellt uns Aristophanes das attische Volk nach sieben Kriegsjahren vor. Die beiden Rivalen überbieten sich, den Alten durch Versprechungen und fürstliche Bewirtung für sich zu gewinnen (siehe Kasten). Wieder siegt der Wursthändler, weil er dem Paphlagonier den fetten Hasenbraten stiehlt und dem hungrigen Demos vorsetzt.

Wie sehr Aristophanes den Krieg, den Athen gegen Sparta führte, ablehnte, wird in allen Stücken deutlich. Er war kein Pazifist, den Krieg gegen die Perser lobte er als gerecht und gut, doch dies war ein ungerechter und unnötiger Krieg, bei dem es nur um die Ausdehnung von Macht und Herrschaft ging.

Aristophanes fand eindringliche Symbole, um seine Anliegen klar zu machen; im Frieden (aufgeführt 421) werfen der Dämon Krieg und sein Geselle Schlagetot die griechischen Städte in einen Mörser, um sie zu zerstampfen. Doch Krieg hat seine Mörserkeule (Kleon) verloren, und während er weggeht, um sich eine neue zu schnitzen, kann der Held des Stückes, Tyrgaios, die Göttin Frieden, die der Krieg in einen tiefen Abgrund gestoßen hat, mit Hilfe der Spartaner und Megarer (Athens Feinden im Krieg) heraufziehen. In Lysistrate (aufgeführt 411) schließlich zwingen die Frauen ihre Männer durch Liebesentzug zum Friedensschluß.

Auch die Sophisten geißelt Aristophanes in jedem Stück. In den Rittern kanzelt er sie folgendermaßen ab:

    Die Bürschchen mein' ich, die in Baderstuben
    Beisammensitzen und Lappalien schwatzen:
    "Der Phaiax kann's, er hat 'ne gute Schule,
    Er spricht präzis, energisch, sentenziös,
    Sarkastisch, logisch, rhythmisch, tropisch, drastisch,
    Hinreißend, beißend, wetternd, ködernd, rädernd!"

Daß er ausgerechnet Sokrates in den Wolken als Obersophisten darstellt, irritiert immer noch, wo doch gerade Sokrates die inhaltsleeren Worthülsen der Sophisten wie kein anderer entlarvte. Das wird auch Aristophanes gewußt haben. In der Komödie wird Sokrates aus der Sicht des blöden Strepsidiades dargestellt; dessen Bild dürften sicher viele einfache Leute geteilt haben. Für sie gehörte Sokrates ebenso zu den Grüblern und Wortklaubern wie die Sophisten. Die eigentliche Lachnummer in dem Stück ist aber nicht Sokrates, sondern der dumme Strepsidiades, der dem Denker die beiden Vergehen anlastet, die später im Prozeß gegen ihn die Hauptanklagepunkte darstellen werden: Atheismus und schlechte Beeinflussung der Jugend. Platon sagt in seiner Apologie, daß dies die Standardvorwürfe gegen seinen Lehrer gewesen seien. So betrachtet, wären die Wolken sogar als visionäre Warnung, daß nur die Allerdümmsten einen Sokrates umbringen können, zu lesen. Jedenfalls hat Platon dieses Stück nicht übelgenommen. In seinem Symposion läßt er Aristophanes auftreten, der den hübschen Mythos von den Kugelmenschen erzählt und in schönster Eintracht neben Sokrates sitzt.

Neben dem Agon gehört die Parabase zum Merkmal der alten Komödie. Die Parabase unterbricht die dramatische Handlung; der Chor tritt in die Mitte der Bühne, die Choreuten nehmen ihre Masken ab, sie treten also aus der Handlung heraus. Nun spricht der Dichter direkt zu seinem Publikum über seine Absichten, seine Klagen, und nicht selten verteidigt er sich gegen Angriffe. In den Rittern (Vers 507 ff.) gibt er einen Überblick über die Entwicklung der Komödie. Ein treffliches Beispiel ist die Parabase aus dem frühen Werk Die Acharner, das er noch von einem anderen Dichter namens Kallistratos 425 aufführen ließ:

    Wohlan, beiseit' das Gewand, an die Festanapästen zu gehen.
    Seit unser Poet vor euch sich gezeigt an der Spitze trygödischer Chöre,
    Hat er nie an das Publikum noch sich gewandt, zu verkünden, wie trefflich er dichtet;
    Doch verunglimpft jüngst von der Feinde Geschrei bei den hastig erhitzten Athenern,
    Daß er unsere Stadt mit Gespött heimsucht und das Volk hohnverselnd beleidigt,
    Muß förmlich er jetzt antworten darauf zu den wieder gewitzten Athenern.
    Denn es meint in der Tat mein Dichter um euch vielfältigen Dank zu verdienen,
    Der ein Ende gemacht, daß der Fremden Geschwätz nicht mehr euch gröblich berückte,
    Noch von Schmeichlern ihr ferner euch aufblähen ließt und wie Gaffenschlaraffen umhersaßt.
    Denn sonst, wenn daher von den Städten geschickt, euch suchten Gesandte zu täuschen,
    "Ihr Violenbekränzten" begrüßten sie euch dann gleich; und wie einer das sagte,
    So saßt ihr von wegen der Kränze sogleich auf mit gehobenem Podex.
    Und wenn einer da gar euch schmeichelnden Worts von "Athen dem glänzenden" vorsprach,
    So gewann mit dem Glanz er sich alle sogleich, mit dem Lob euch feiernd des Herings.
    Das tat mein Dichter und ist euch darum wohl wert vielfältigen Dankes;
    Und er ließ euch sehn in den Städten umher, wie es dort mit der Demokratie steht.
    Wenn demnach jetzt von den Städten hierher die Tribut-Einzahlenden kommen,
    So sind sie, ihr wißt's, voll Verlangen, zu schaun den Edelsten aller Poeten,
    Der es wagte, zu euch, dem athenischen Volk, zu sprechen von dem, was gerecht ist.
    Er spricht dann auch, zu belehren euch so, daß stets glückselig ihr sein sollt,
    Nicht schmeichelnd dem Volk, nicht lockend mit Lohn, nicht selbstisch beklügelnd, betrügelnd.
    Schalkkünstelnd auch nicht, lobdünstelnd auch nicht, nein, stets das ihm Nützlichste lehrend.

         Dann, Kleon, komm nur zum Ringen heran,
         Und versuch' dich in Ränken, so viel du nur kannst;
         Als Kampfes Genoß wird Tugend und Recht
         Zur Seite mir stehn; nie soll man mich zeih'n,
         Daß ich unserer Stadt so diente wie du
         Hundsfott und verfluchter Halunke!"

Mit der Kapitulation Athens im Jahre 404 und dem Untergang der Polis als politische Einheit endet auch die alte Komödie. Die neue Komödie wendet sich menschlichen und sozialen Problemen zu.

Rosa Tennenbaum


Aristophanes: Die Ritter

Der Paphlagonier und der Wursthändler suchen sich gegenseitig in Gemeinheiten zu übertrumpfen, denn der Elendeste soll ja Herrscher werden. Davon ist auch der Chor der Ritter überzeugt. Sie argumentieren ganz nach Art der Sophisten.

Paphlagonier Gut, ich weiß nun, wer den Handel mir zusammengeschustert hat!

Wursthändler Ja, wenn du nichts weißt von Schustern, weiß ich auch vom Wursten nichts!
Hast du Leder nicht von krankem Vieh den Bauern oft verkauft,
Zugeschnitten aufs Bescheißen, daß es aussah derb und dick?
Eh' sie's einen Tag getragen, war der Schuh zwei Hände breit!

Sklave Ja, bei Zeus, mir selber hat er also mitgespielt und mich
Zum Gespött bei meinen Freunden und der Nachbarschaft gemacht:
Eh' ich Pergasai erreichte, plampte mir der Schuh am Fuß!

Chor Hast du nicht immer durch
Unverschämtheit geglänzt,
Jene Haupteigenschaft,
Die beim Redner alles gilt, -
Aber gefunden, gottlob, ist ein anderer Mann,
Tausendmal schlechter als du und verruchter,
Dir an Frechheit, Buberei
Und an Koboldhaftigkeit!

an den Wursthändler gewandt
Du gleichst an Stand und Bildung ganz den Herrn, die jetzt regieren:
So zeige jetzt, daß Bildung und Charakter taugt den Teufel!

Wursthändler So hört denn, welches Geistes Kind hier dieser edle Bürger!

Paphlagonier Willst du das Wort mir lassen?

Wursthändler Nie!

Paphlagonier Mit welchem Recht erfrechst du dich, mir hier zu widersprechen?

Wursthändler Warum? Weil ich ein Redner bin und richtig weiß zu pfeffern!

Paphlagonier Seht doch, ein Redner! Fiele dir ein Handel unters Messer,
Du packtest ihn und hacktest schön zu Quark ihn durcheinander!
Weißt du, wie dir's gegangen ist? Wie Tausenden! Weil einmal
Dir ein Prozeßchen nicht mißlang mit einem fremden Lumpen,
Mit Rezitieren nachts, im Gehn so Vor-dich-hin-plädieren,
Prob'halten, Wasser trinken, Schrei'n, der Nachbarschaft zum Ärger?
Jetzt glaubst du gleich, du bist ein Held im Reden: O du Dummkopf!

Demos soll entscheiden, von wem er regiert werden will. Beide übertreffen sich, ihm zu schmeicheln und sich gegenseitig zu beschuldigen. Der andauernde Krieg hat Demos zermürbt und bestechlich gemacht.

Paphlagonier Nein, sag' ich, wie ich hat nie sich ein Mann für den Demos gestellt vor die Risse,
Nie hat ihn ein Bürger geliebt, so wie ich, den Kopf will ich wetten zur Stunde!

Wursthändler Du liebst ihn, und siehst's ohn Erbarmen mit an, wie in Tonnen, Baracken und Winkeln,
Wachttürmen und Geiernestern er schon acht Jahr sich mußte verkriechen?
Du sperrst ihn ein, wie im Bienenkorb, und wiesest den Friedensvermittler,
Archeptolemos, ab und jagtest hinaus zu den Toren der Stadt die Gesandten
Und gabst ihnen noch einen Tritt vor den Arsch, zum Dank für den friedlichen Vorschlag!

Paphlagonier Über Hellas wollt' ich ihn machen zum Herrn?

Wursthändler Zum regierenden Herrn in Arkadien, so, willst du ihn befördern? Du Prahler!
Nein, Raub und Bestechung, das suchst du allein in den Städten des Bundes; der Demos,
Der sieht vor dem Staub und Getümmel des Kriegs nicht mehr, wie du bübisch hantierest;
Aus Hunger und Not, um den täglichen Sold, vergafft er in dich sich, der Arme!
Doch zieht er einst wieder aufs Land und wohnt bei den Seinen im Frieden und frischt sich
An Weizengraupen den Mut wieder auf, und trinkt er im Most sich vernünftig,
Dann wird er erkennen, welch köstliches Gut mit dem Solddienst du ihm verdorben.


Übersetzt von Ludwig Seegers. Aus: Dichtung der Antike, Band XII, Aristophanes Komödien I., Hamburg, 1958.


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