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L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Euripides: Wider die Sophisten  —  Auszüge aus Medea

Euripides griff in seinen Tragödien schonungslos den Wertewandel an, der im Athen Mitte des 5. Jh. begann. Besonders die Sophisten, die weltanschauliche Massenbewegung seiner Zeit, die für die Sinnentleerung, den zunehmenden Pragmatismus und die immer rücksichtslosere Machtpolitik verantwortlich waren, nahm er aufs Korn. Klügner nannten die Griechen sie - Klugschwätzer, Wortverdreher, Maulhelden; Euripides bezeichnet sie als "Zungenkünstler".

Ein schönes Beispiel für den grassierenden Sophismus stellte er in der Person des Iason in seinem Werk Medea auf die Bühne. Medea, die Königstochter aus Kolchis, hatte Iason geholfen, das sagenhafte Goldene Vlies zu entwenden. Aus Liebe folgte sie ihm in seine Heimat, schnitt sich selbst jede Möglichkeit auf Heimkehr ab und ist nun ganz auf den geliebten Mann angewiesen. Auf der Flucht finden die beiden in Korinth Zuflucht, wo das Paar zwei Kinder bekommt und glücklich lebt, bis Iason die Gelegenheit zum sozialen Aufstieg nutzt, die sich ihm in der Heirat der korinthischen Königstocher eröffnet. Er verläßt Medea und seine beiden Söhne, die alle drei von König Kreon, Iasons neuem Schwiegervater, des Landes verwiesen werden.

Iason kommt zu Medea, die ihm, dem "Jammerlappen", ihre ganze Verachtung ins Gesicht schreit und die Opfer aufzählt, die sie für ihn gebracht hat. Iason versucht zu beweisen, daß sie ihm mehr zu verdanken habe, als er ihr, weil er sie aus der Unkultur des Barbarenlandes in die Zivilisation Griechenlands geholt habe. Seine Heirat mit der Königstochter müßte sie als klugen Schritt loben, weil ihre Kinder dadurch in die oberste Schicht des Landes aufsteigen könnten. Ja, er will mit der Königstochter für ihre Söhne Geschwister zeugen und alle zusammen erziehen! Nur aus Fürsorge für sie und die Kinder habe er seinen Treueschwur gebrochen und sie verlassen! Großzügig bietet er ihr seine Hilfe an: Geld und Empfehlungsschreiben will er ihr geben, damit sie in der Verbannung leichter Unterschlupf finde (siehe Textauszug).

Dieser Dialog ist ein Meisterstück der sophistischen Wortverdrehung: aus Heuchelei wird Klugheit, seinen Eidbruch verdreht Iason in Fürsorge, seinen Verrat in einen Akt der Selbstaufopferung für seine Familie! Dankbar müßte Medea ihm sein, statt ihm Vorwürfe zu machen.

Medea wurde bei den Großen Dionysien des Jahres 431 v.Chr. aufgeführt, nur wenige Monate, bevor der Peloponnesische Krieg begann. Euripides brandmarkte darin, daß Begriffe wie Wahrheit, Redlichkeit, Treue von den Sophisten zu leeren Worthülsen gemacht wurden, die gegebenenfalls für das genaue Gegenteil herhalten mußten. Für die Sophisten, die "Zungenkünstler", zählte nur das Machbare, Nützliche, auch in der Politik. Was interessierten geschlossene Verträge, wenn sich die Gelegenheit bot, aus Verbündeten Unterworfene zu machen? Euripides war anderer Meinung, er zeigte seinen Zeitgenossen eindringlich, wohin (politischer) Eidbruch und Verrat führen mußten: in Zerstörung und Selbstzerstörung.


Auszüge aus Medea

    Iason:
    Hier zeigt sich wieder, was ich oft erfahren,
    Daß zügelloser Zorn verderblich ist.
    Du könntest friedlich dieses Land bewohnen,
    Hätt'st du geduldig dich der Macht gebeugt;
    Leichtfert'ger Reden halb wirst du verbannt.
    Mir macht es nichts: sag' es, so oft du willst,
    Daß nicht ein gutes Haar an Iason ist.
    Für Läst'rung gegen Kreons Haus sei froh,
    Wenn dich nicht härt're Strafe trifft als Bann.
    Ich war ja stets bemüht, des Königs Zorn
    Zu sänftigen, damit du bleiben dürftest.
    Du kamst nicht zur Vernunft, du schmähtest weiter
    Das Königshaus: drum mußt du fort. -
    Trotzdem will ich die meinen nicht verlassen.
    Fürsorge für dein Wohl trieb mich zu dir,
    Daß mit den Kindern du nicht mittellos
    Fliehn mußt und darbst. Verbannung bringt uns manche
    Bedrängnis. Wenn auch DU mich jetzt verabscheust,
    Kann ICH nichts andres wollen als dein Wohl.

    Medea:
    O du Erbärmlicher - ich finde leider
    Kein stärk'res Wort für dein unmännlich Wesen -
    Du wagst, Verhaßter, vor mich hinzutreten?
    Das ist nicht Kühnheit, ist nicht Mannesmut,
    Nach solcher Tat mir ins Gesicht zu sehn,
    Das ist der Menschheit häßlichste Verzerrung:
    Schamlosigkeit...

    Iason:
    Mir scheint, hier hilft kein kunstlos schlichtes Wort,
    Nein, wie ein wohlgeschulter Steuermann,
    Muß ich die höchste Segelkraft entfalten,
    Um deiner scharfen Zunge zu entfliehn. -
    Du türmst zu hoch, was du für mich getan.
    Kypris hat meiner Fahrt Erfolg verliehn,
    Kein andrer als sie, nicht Gott noch Mensch.
    Du bist ja klug, jedoch - man sagt's nicht gern -
    Des Eros unentrinnbares Geschoß
    Zwang dich dazu, das Leben mir zu retten.
    Indes - ich will es genau nicht nehmen -
    Daß du mir Gutes tatst, das laß' ich gelten.
    Doch hast durch meine Rettung du weit größ'res
    Empfangen als gegeben. Hör' mich an:
    Statt im Barbarenlande wohnst du jetzt
    In Griechenland und lernst das Recht verehren
    Und das Gesetz, das keiner Macht sich beugt.
    Die Griechen merkten, daß du weise bist.
    Du wardst berühmt. Wenn du am Rand der Erde
    Noch wohntest, ja wer fragte da nach dir?
    Ich aber wünsche mir nicht gold'ne Schätze,
    Nicht Orpheus im Gesang zu übertreffen,
    Wenn Ruhm nicht meinem Leben Glanz verleiht...
    Du schiltst, daß ich die Königstochter freite.
    Ich will dir zeigen, daß ich klug gehandelt,
    Nur aus Vernunft, als dein und deiner Kinder
    Getreuer Freund. - Nein, unterbrich mich nicht. -
    Nachdem aus Jolkos ich hierher geflüchtet
    Mitschleppend Not und Sorgen ohne Zahl -
    Was hätt' ich da wohl bess'res finden können
    Durch Gunst des Glücks, als mich in der Verbannung
    Mit eines Königs Tochter zu vermählen;
    Nicht, weil ich überdrüssig deiner Liebe,
    - Wie du wohl glaubst in deiner Eifersucht -
    Sehnsucht nach einer neuen Braut empfand;
    Auch nicht um meiner Kinder Zahl zu steigern;
    Genug sind uns're mir, sie sind mir teuer;
    Vielmehr zunächst, um uns ein bess'res Leben,
    Von Mangel frei, zu sichern. Wußt' ich doch:
    Niemand will Freund des armen Mannes sein.
    Dann um die Kinder meinem Stand gemäß
    Erzieh'n zu können. Deinen Kindern wollt' ich
    Geschwister zeugen und dann alle gleich,
    Als echte Sprossen des Geschlechts, stellen
    Und glücklich sein. DU brauchst nicht weit're Kinder,
    Mir frommt es, durch die Kinder zweiter Ehe
    Die früheren zu heben. Hab' ich Unrecht? ...

    Medea:
    In vielem denk' ich anders als die Menge.
    Mir scheint der Ungerechte, der zu reden
    Versteht, die schwerste Strafe zu verdienen.
    Weil er sein Unrecht zu bemänteln hofft
    Mit Zungenkünsten, wagt er Schurkenstreiche;
    Doch - seine Weisheit hält nicht lange vor;
    So deine! Spiele nicht beschön'gend
    Den Ehrenmann...

    Iason:
    So glaub' mir doch, daß nicht des Weibes wegen
    Ich meine jetz'ge Fürstenehe schloß,
    Vielmehr, wie schon gesagt, um dich zu retten
    Und unsern Söhnen Brüder zu erzeugen
    Von Fürstenrang als Stützen meines Hauses...
    Genug! Ich mag nicht weiter mit dir streiten.
    Willst für die Kinder du, für deine Flucht
    Aus meinen Händen Unterstützung nehmen,
    So sprich! Freigebig will ich dich bedenken.
    Empfehlungsbriefe will ich gern dir geben
    An meine Freunde, daß sie dich betreu'n.
    Dies abzulehnen, wäre Torheit, Weib.
    Dein Vorteil ist's, wenn du den Groll begräbst.
    (V. 445 - 616)


Übersetzung: Hans von Arnim.
Quelle: Dichtung der Antike. Band V Euripides Tragödien I. Standard-Verlag Hamburg 1958.


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