Medea wurde bei den Großen Dionysien des Jahres 431 v.Chr. aufgeführt, nur wenige Monate, bevor der Peloponnesische Krieg begann. Euripides brandmarkte darin, daß Begriffe wie Wahrheit, Redlichkeit, Treue von den Sophisten zu leeren Worthülsen gemacht wurden, die gegebenenfalls für das genaue Gegenteil herhalten mußten. Für die Sophisten, die "Zungenkünstler", zählte nur das Machbare, Nützliche, auch in der Politik. Was interessierten geschlossene Verträge, wenn sich die Gelegenheit bot, aus Verbündeten Unterworfene zu machen? Euripides war anderer Meinung, er zeigte seinen Zeitgenossen eindringlich, wohin (politischer) Eidbruch und Verrat führen mußten: in Zerstörung und Selbstzerstörung.
Auszüge aus Medea
Iason:
Hier zeigt sich wieder, was ich oft erfahren,
Daß zügelloser Zorn verderblich ist.
Du könntest friedlich dieses Land bewohnen,
Hätt'st du geduldig dich der Macht gebeugt;
Leichtfert'ger Reden halb wirst du verbannt.
Mir macht es nichts: sag' es, so oft du willst,
Daß nicht ein gutes Haar an Iason ist.
Für Läst'rung gegen Kreons Haus sei froh,
Wenn dich nicht härt're Strafe trifft als Bann.
Ich war ja stets bemüht, des Königs Zorn
Zu sänftigen, damit du bleiben dürftest.
Du kamst nicht zur Vernunft, du schmähtest weiter
Das Königshaus: drum mußt du fort. -
Trotzdem will ich die meinen nicht verlassen.
Fürsorge für dein Wohl trieb mich zu dir,
Daß mit den Kindern du nicht mittellos
Fliehn mußt und darbst. Verbannung bringt uns manche
Bedrängnis. Wenn auch DU mich jetzt verabscheust,
Kann ICH nichts andres wollen als dein Wohl.
Medea:
O du Erbärmlicher - ich finde leider
Kein stärk'res Wort für dein unmännlich Wesen -
Du wagst, Verhaßter, vor mich hinzutreten?
Das ist nicht Kühnheit, ist nicht Mannesmut,
Nach solcher Tat mir ins Gesicht zu sehn,
Das ist der Menschheit häßlichste Verzerrung:
Schamlosigkeit...
Iason:
Mir scheint, hier hilft kein kunstlos schlichtes Wort,
Nein, wie ein wohlgeschulter Steuermann,
Muß ich die höchste Segelkraft entfalten,
Um deiner scharfen Zunge zu entfliehn. -
Du türmst zu hoch, was du für mich getan.
Kypris hat meiner Fahrt Erfolg verliehn,
Kein andrer als sie, nicht Gott noch Mensch.
Du bist ja klug, jedoch - man sagt's nicht gern -
Des Eros unentrinnbares Geschoß
Zwang dich dazu, das Leben mir zu retten.
Indes - ich will es genau nicht nehmen -
Daß du mir Gutes tatst, das laß' ich gelten.
Doch hast durch meine Rettung du weit größ'res
Empfangen als gegeben. Hör' mich an:
Statt im Barbarenlande wohnst du jetzt
In Griechenland und lernst das Recht verehren
Und das Gesetz, das keiner Macht sich beugt.
Die Griechen merkten, daß du weise bist.
Du wardst berühmt. Wenn du am Rand der Erde
Noch wohntest, ja wer fragte da nach dir?
Ich aber wünsche mir nicht gold'ne Schätze,
Nicht Orpheus im Gesang zu übertreffen,
Wenn Ruhm nicht meinem Leben Glanz verleiht...
Du schiltst, daß ich die Königstochter freite.
Ich will dir zeigen, daß ich klug gehandelt,
Nur aus Vernunft, als dein und deiner Kinder
Getreuer Freund. - Nein, unterbrich mich nicht. -
Nachdem aus Jolkos ich hierher geflüchtet
Mitschleppend Not und Sorgen ohne Zahl -
Was hätt' ich da wohl bess'res finden können
Durch Gunst des Glücks, als mich in der Verbannung
Mit eines Königs Tochter zu vermählen;
Nicht, weil ich überdrüssig deiner Liebe,
- Wie du wohl glaubst in deiner Eifersucht -
Sehnsucht nach einer neuen Braut empfand;
Auch nicht um meiner Kinder Zahl zu steigern;
Genug sind uns're mir, sie sind mir teuer;
Vielmehr zunächst, um uns ein bess'res Leben,
Von Mangel frei, zu sichern. Wußt' ich doch:
Niemand will Freund des armen Mannes sein.
Dann um die Kinder meinem Stand gemäß
Erzieh'n zu können. Deinen Kindern wollt' ich
Geschwister zeugen und dann alle gleich,
Als echte Sprossen des Geschlechts, stellen
Und glücklich sein. DU brauchst nicht weit're Kinder,
Mir frommt es, durch die Kinder zweiter Ehe
Die früheren zu heben. Hab' ich Unrecht? ...
Medea:
In vielem denk' ich anders als die Menge.
Mir scheint der Ungerechte, der zu reden
Versteht, die schwerste Strafe zu verdienen.
Weil er sein Unrecht zu bemänteln hofft
Mit Zungenkünsten, wagt er Schurkenstreiche;
Doch - seine Weisheit hält nicht lange vor;
So deine! Spiele nicht beschön'gend
Den Ehrenmann...
Iason:
So glaub' mir doch, daß nicht des Weibes wegen
Ich meine jetz'ge Fürstenehe schloß,
Vielmehr, wie schon gesagt, um dich zu retten
Und unsern Söhnen Brüder zu erzeugen
Von Fürstenrang als Stützen meines Hauses...
Genug! Ich mag nicht weiter mit dir streiten.
Willst für die Kinder du, für deine Flucht
Aus meinen Händen Unterstützung nehmen,
So sprich! Freigebig will ich dich bedenken.
Empfehlungsbriefe will ich gern dir geben
An meine Freunde, daß sie dich betreu'n.
Dies abzulehnen, wäre Torheit, Weib.
Dein Vorteil ist's, wenn du den Groll begräbst.
(V. 445 - 616)
Übersetzung: Hans von Arnim.
Quelle: Dichtung der Antike. Band V Euripides Tragödien I. Standard-Verlag Hamburg 1958.
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