S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Homer: Odyssee, aus dem 6. Gesang
Odysseus kann sich nach dem Schiffbruch seines Floßes mit letzter Kraft schwimmend ans Ufer der Insel Scheria retten, wo König Alkinoos über das Volk der Phäaken regiert. Dort versteckt liegt er im Erschöpfungsschlafe, als der Königstochter Nausikaa die um Odysseus' Heimkehr besorgte Pallas Athene im Traume erscheint. Die Göttin legt ihr nahe, am nächsten Tag an der Flußmündung Wäsche zu waschen.

... "Liebes Kind, was bist du mir doch ein lässiges Mädchen!
Deine kostbaren Kleider, wie alles im Wuste herumliegt!
Und die Hochzeit steht dir bevor! Da muß doch was Schönes
Sein für dich selber, und die, so dich zum Bräutigam führen!
Denn durch schöne Kleider erlangt man ein gutes Gerüchte
Bei den Leuten; auch freun sich dessen Vater und Mutter.
Laß uns denn eilen und waschen, sobald der Morgen sich rötet!..."

Also redete Zeus' blauäugichte Tochter, und kehrte
Wieder zum hohen Olympos, der Götter ewigem Wohnsitz...

Und der goldene Morgen erschien, und weckte die Jungfrau
Mit den schönen Gewanden. Sie wunderte sich des Traumes.
Schnell durcheilte sie jetzo die Wohnungen, daß sie den Eltern,
Vater und Mutter, ihn sagte; und fand sie beide zu Hause.
Diese saß an dem Herd, umringt von dienenden Weibern,
Drehend die zierliche Spindel mit purpurner Wolle; und jener
Kam an der Pfort' ihr entgegen: er ging zu der glänzenden Fürsten
Ratsversammlung, wohin die edlen Phäaken ihn riefen.
Und Nausikaa trat zum lieben Vater, und sagte:
"Lieber Papa, laß mir doch einen Wagen bespannen,
Hoch, mit hurtigen Rädern; damit ich die kostbare Kleidung,
Die mir im Schmutze liegt, an den Strom hinfahre zum Waschen.
Denn dir selber geziemt es, mit reinen Gewanden bekleidet
In der Ratsversammlung der hohen Phäaken zu sitzen.
Und es wohnen im Haus auch fünf erwachsene Söhne,
Zwei von ihnen vermählt, und drei noch blühende Knaben;
Diese wollen beständig mit reiner Wäsche sich schmücken,
Wenn sie zum Reigen gehn; und es kommt doch alles auf mich an."
Also sprach sie, und schämte sich, von der lieblichen Hochzeit
Vor dem Vater zu reden; doch merkt' er alles, und sagte:
"Weder die Mäuler1, mein Kind, sei'n dir geweigert, noch sonst was.
Geh, es sollen die Knechte dir einen Wagen bespannen,
Hoch, mit hurtigen Rädern, und einem geflochtenen Korbe."
Also sprach er, und rief; und schnell gehorchten die Knechte,
Rüsteten außer der Halle den Wagen mit rollenden Rädern,
Führten die Mäuler hinzu, und spanneten sie an die Deichsel.
Und Nausikaa trug die köstlichen feinen Gewande
Aus der Kammer, und legte sie auf den zierlichen Wagen.
Aber die Mutter legt' ihr allerlei süßes Gebacknes
Und Gemüs' in ein Körbchen, und gab ihr des edelsten Weines
Im geißledernen Schlauch; (und die Jungfrau stieg auf den Wagen;)
Gab ihr auch geschmeidiges Öl in goldener Flasche,
Daß sie sich nach dem Bade mit ihren Gehilfinnen salbte.
Und Nausikaa nahm die Geißel und purpurnen Zügel;
Treibend schwang sie die Geißel: und hurtig mit lautem Gepolter
Trabten die Mäuler dahin, und zogen die Wäsch' und die Jungfrau,
Nicht sie allein, sie wurde von ihren Mägden begleitet.
Als sie nun das Gestade des herrlichen Stromes erreichten,
Wo sich in rinnende Spülen die nimmerversiegende Fülle
Schöner Gewässer ergoß, die schmutzigsten Flecken zu säubern;
Spannten die Jungfraun schnell von des Wagens Deichsel die Mäuler,
Ließen sie an dem Gestade des silberwirbelnden Stromes
Weiden im süßen Klee, und nahmen vom Wagen die Kleidung,
Trugen sie Stück für Stück in der Gruben dunkles Gewässer,
Stampften sie drein mit den Füßen, und eiferten untereinander.
Als sie ihr Zeug nun gewaschen und alle Flecken gereinigt,
Breiteten sie's in Reihen am warmen Ufer des Meeres,
Wo die Woge den Strand mit glatten Kieseln bespület.
Und nachdem sie gebadet und sich mit Öle gesalbet,
Setzten sie sich zum Mahl am grünen Gestade des Stromes,
Harrend, bis ihre Gewand' am Strahle der Sonne getrocknet.
Als sich Nausikaa jetzt und die Dirnen mit Speise gesättigt,
Spieleten sie mit dem Ball, und nahmen die Schleier vom Haupte ...

Und Nausikaa warf den Ball auf eine der Dirnen;
Dieser verfehlte die Dirn', und fiel in die wirbelnde Tiefe;
Und laut kreischten sie auf. Da erwachte der edle Odysseus,
Sitzend dacht' er umher im zweifelnden Herzen, und sagte:
"Weh mir! zu welchem Volke bin ich nun wieder gekommen?
Sind's unmenschliche Räuber und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
Eben umtönte mich ein Weibergekreisch, wie der Nymphen,
Welche die steilen Häupter der Felsengebirge bewohnen,
Und die Quellen der Flüsse und grasbewachsenen Täler!
Bin ich hier etwa nahe bei redenden Menschenkindern?
Auf! Ich selber will hin, und zusehn, was es bedeute!"...

Furchtbar erschien er den Mädchen, vom Schlamm des Meeres besudelt;
Hiehin und dorthin entflohn sie, und bargen sich hinter die Hügel.
Nur Nausikaa blieb. Ihr hatte Pallas Athene
Mut in die Seele gehaucht, und die Furcht den Gliedern entnommen.
Und sie stand, und erwartete ihn. Da zweifelt' Odysseus:
Ob er flehend umfaßte die Kniee der reizenden Jungfrau,
Oder, so wie er war, von ferne mit schmeichelnden Worten
Bäte, daß sie die Stadt ihm zeigt', und Kleider ihm schenkte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste ...

Ihm antwortete drauf die lilienarmige Jungfrau:
"Keinem geringen Manne noch törichten gleichst du, o Fremdling.
Aber der Gott des Olympos erteilet selber den Menschen,
Vornehm oder geringe, nach seinem Gefallen ihr Schicksal.
Dieser beschied dir dein Los, und dir geziemt es zu dulden.
Jetzt, da du unserer Stadt und unsern Gefilden dich nahest,
Soll es weder an Kleidung, noch etwas anderm, dir mangeln,
Was unglücklichen Fremden, die Hilfe suchen, gebühret.
Zeigen will ich die Stadt, und des Volkes Namen dir sagen:
Wir Phäaken bewohnen die Stadt und diese Gefilde.
Aber ich selber bin des hohen Alkinoos' Tochter,
Dem des phäakischen Volkes Gewalt und Stärke vertraut ist"...


1. Maultiere

Übersetzung: Johann Heinrich Voß (1793)
Quelle: Homer, Ilias. Odyssee, Dünndruckausgabe, dtv, München 1979

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