S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Homer: Odyssee, aus dem 8. und 9. Gesang: Das Gastmahl der Phäaken
Odysseus wird von den Phäaken großzügig beschenkt und mit einem Gastmahl verabschiedet. Dort tritt ein blinder Sänger auf, der vom Troianischen Krieg singt und Odysseus zu Tränen rührt. Geschildert wird die Kultur des Gastmahles und die "Macht des Gesanges" - die Odysseus am Ende bewegt, seine ganze Geschichte zu erzählen.

Und schon forderte ihn die Wärterin auf, um zu baden,
Nun in die Wanne zu steigen; ein sehr willkommener Anblick
War ihm das warme Bad; denn keine Pflege genoß er,
Seit er das Haus verließ der schöngelockten Kalypso;
Dort war ihm ständige Pflege geworden wie einem Gotte.
Als ihn die Mägde gebadet und eingerieben mit Salböl,
Warfen sie ihm den Leibrock um und den Mantel, den schönen,
Er aber stieg aus der Wanne und ging zu den zechenden Männern ...

Und der Herold nahte und führte den freundlichen Sänger,
Den vom Volke geehrten Demodokos; unter die Gäste
Ließ er mitten ihn sitzen, gelehnt an die ragende Säule.
Und zu dem Herold sprach der erfindungsreiche Odysseus,
Grad ein Stück von dem Kamm des Ebers mit blinkenden Hauern
Schneidend, das strotzte von Fett - es blieb noch ein größeres über:
"Herold, bringe dies Fleisch dem Demodokos, daß er es esse,
Ich aber mich ihm freundlich erweise, so sehr ich betrübt bin;
Denn den Sängern werden bei allen Menschen der Erde
Achtung und Ehrfurcht zuteil; denn es hat die Muse sie selber
Sangesweisen gelehrt, weil das Volk der Sänger ihr lieb ist."
Sprach's; und der Herold legte das Stück in die Hände des Sängers,
Und der Heros Demodokos nahm es, im Herzen sich freuend.
Die erhoben die Hände zum Mahl, das ihnen bereitstand.
Aber nachdem sie sich dann am Trinken erquickt und am Essen,
Sprach den Demodokos an der erfindungsreiche Odysseus:
"Weit vor den Sterblichen allen, Demodokos, muß ich dich preisen.
Dich hat die Muse gelehrt, Zeus' Tochter, oder Apollon;
Denn gar schön nach der Ordnung besingst du das Los der Achäer,
Was sie taten und litten und wie die Achäer sich mühten,
So wie selber Erlebtes oder von Zeugen Gehörtes.
Doch auf, schreite nun fort, und singe des hölzernen Pferdes
Schaffung, welches Epeios schuf mit Hilfe Athenes,
Das mit List auf die Burg einst brachte der hehre Odysseus,
Angefüllt mit Männern, die Ilion dann übermannten.
Wenn du mir das berichten kannst, so wie es sich zutrug,
Will ich es dann auch bald bei allen Menschen verkünden,
Daß dir gnädig ein Gott den gottbegeisterten Sang lieh."
Sprach's; der ließ den Gesang ertönen, vom Gotte getrieben,
Dort beginnend, wo die in den Schiffen, den gutüberdeckten,
Abgefahren, nachdem sie den Brand in die Hütten geworfen,
Die Argeier; doch die um den hochberühmten Odysseus
Schon auf dem Markte der Troer saßen verborgen im Pferde;
Denn das hatten die Troer selbst auf die Feste gezogen ...

Und er sang, wie die Stadt der Achäer Söhne zerstörten,
Als sie, das hohle Versteck verlassend, dem Pferde entströmten,
Sang, wie sie hier und dort die steile Feste verheerten,
Und wie Odysseus dann, dem Ares gleich, zu den Häusern
Schritt des Déïphobos mit dem göttlichen Herrn Menelaos,
Und wie dann den schlimmsten Kampf er auf sich genommen
Und gesiegt mit Hilfe der hochgemuten Athene.
Dieses sang der berühmte Sänger; aber Odysseus
Schmolz, und Tränen netzten ihm unter den Wimpern die Wangen.
Wie eine Frau sich weinend hinwirft über den Gatten,
Welcher vor seiner Stadt und den Männern des Volkes gefallen,
Um den Verhängnistag von der Stadt und den Kindern zu wehren;
Sie aber sieht den Sterbenden noch sich regen und stürzt sich
Über ihn hin und heult hell auf; die aber von hinten
Schlagen sie mit den Speeren auf Rücken und Schultern und schleppen
Sie in die Knechtschaft fort, um Mühe und Jammer zu tragen;
Und die Wangen fallen ihr ein vor erbärmlichem Kummer;
So erbarmungswürdig vergoß die Tränen Odysseus
Unter den Brauen; den anderen allen entging, daß er weinte...

Nur König Alkinoos merkt es, und nachdem der Sänger geendet und Odysseus sich wieder gefaßt hat,
wendet er sich fragend an den Gast:

"Aber nun sage mir du und berichte die lautere Wahrheit,
Wo du verschlagen wurdest, zu welchen Orten der Menschen
Du hinkamst, zu den Menschen und dichtbesiedelten Städten;
Welche von ihnen sich feindlich zeigten und wild oder rechtlos,
Welche den Fremden freund und gottesfürchtig gewesen.
Sage, warum du weinst und trauerst drinnen im Herzen,
Wenn du vom Los der Danaer hörst und von Ilions Schicksal.
Das ist der Götter Werk; sie haben den Menschen Verderben
Zugesponnen, daß es den Künftigen werde zum Liede.
Oder kam vor Ilion dir ein edler Verwandter
Um, ein Schwager oder ein Schwiegervater; die sind uns
Ja die nächsten nach unserem eigenen Blut und Geschlechte.
Oder vielleicht ein edler Gefährte, welcher dein Freund war;
Denn nicht weniger als der eigene leibliche Bruder
Gilt der Mann, der als Freund und Gefährte besonnenen Sinns ist."

Neunter Gesang

Ihm erwiderte drauf der erfindungsreiche Odysseus:
"Herrscher Alkinoos, ausgezeichnet vor allen im Volke,
Ja, es ist wahrlich schön, einem solchen Sänger zu lauschen,
So wie dieser ist, an Stimme den Göttern vergleichbar.
Denn es ist, wie ich meine, lieblicher keine Erfüllung,
Als wenn heitere Freude herrscht in der ganzen Gemeinde
Und durch die Häuser hin die Schmausenden lauschen dem Sänger,
Sitzend in Reihen, von Brot und Fleisch die Tische daneben
Überquellen, und Wein, aus dem Mischgefäße ihn schöpfend,
Dann der Mundschenk bringt und in die Becher ihn einfüllt.
Das scheint mir das Schönste zu sein, wenn ich es bedenke.
Dir nun kam in den Sinn, nach meinem traurigen Stöhnen
Mich zu befragen, auf daß ich nur mehr noch klage und seufze.
Und was soll ich zuerst und was zuletzt dir erzählen,
Denn mir gaben viel Leiden die Götter, die Himmelsbewohner.
Nun will zuerst meinen Namen ich nennen, damit ihr ihn wisset!
Und ich selber hernach, dem Todestage entronnen,
Euch ein Gastfreund sei, auch wenn ich fern von hier wohne.
Ich bin Odysseus, Laertes' Sohn...


Übersetzung: Roland Hampe
Quelle: Homer, Odyssee, Stuttgart 1979
(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Reclam-Verlags)

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