Also sprach er. Der Fürstin erzitterten Herz und Kniee,
Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus verkündet:
Weinend lief sie hinzu, und fiel mit offenen Armen
Ihrem Gemahl um den Hals, und küßte sein Antlitz, und sagte:
"Sei mir nicht bös, Odysseus! Du warst ja immer ein guter
Und verständiger Mann! Die Götter gaben uns Elend;
Denn zu groß war das Glück, daß wir beisammen in Eintracht
Unserer Jugend genössen, und sanft dem Alter uns nahten!
Aber du mußt mir jetzo nicht darum zürnen noch gram sein,
Daß ich, Geliebter, dich nicht beim ersten Blicke bewillkommt!
Siehe, mein armes Herz war immer in Sorgen, es möchte
Irgend ein Sterblicher kommen, und mich mit täuschenden Worten
Hintergehn; es gibt ja so viele schlaue Betrüger!
Nimmer hätte der Fremdling die schöne argeiische Fürstin
Helena, Tochter von Zeus, zur heimlichen Liebe verleitet;
Hätte sie vorbedacht, daß die kriegrischen Söhne Achaias
Würden mit Feuer und Schwert sie zurück aus Ilion fodern.
Aber gereizt von der Göttin, erlag sie der schnöden Verführung,
Und erwog nicht vorher in ihrem Herzen das nahe
Schreckengericht, das auch uns so vielen Jammer gebracht hat!
Jetzo, da du, Geliebter, mir so umständlich die Zeichen
Unserer Kammer nennst, die doch kein Sterblicher sahe,
Sondern nur du und ich, und die einzige Kammerbediente
Aktoris, welche mein Vater mir mitgab, als ich hieher zog,
Die uns beiden die Pforte bewahrt des festen Gemaches:
Jetzo besiegst du mein Herz, und alle Zweifel verschwinden."
Also sprach sie. Da schwoll ihm sein Herz von inniger Wehmut:
Weinend hielt er sein treues geliebtes Weib in den Armen.
So erfreulich das Land den schwimmenden Männern erscheinet,
Deren rüstiges Schiff der Erdumgürter Poseidon
Mitten im Meere durch Sturm und geschwollene Fluten zerschmettert;
Wenige nur entflohn dem dunkelwogenden Abgrund,
Schwimmen ans Land, ringsum vom Schlamme des Meeres besudelt,
Und nun steigen sie freudig, dem Tod' entronnen, ans Ufer:
So erfreulich war ihr der Anblick ihres Gemahles;
Und fest hielt sie den Hals mit weißen Armen umschlungen.
Und sie hätten vielleicht bis zur Morgenröte gejammert;
Aber ein andres beschloß die heilige Pallas Athene.
Denn sie hemmte die Nacht am Ende des Laufes, und weilte
An des Oceans Fluten die goldenthronende Eos:
Und noch spannte sie nicht die schnellen leuchtenden Rosse
Lampos und Phäton an, das Licht den Menschen zu bringen.
Aber zu seiner Gemahlin begann der weise Odysseus:
"Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kämpfe
Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit,
Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden!
Also verkündigte mir des großen Teiresias' Seele,
Jenes Tages, da ich in Aïs' Wohnung hinabstieg,
Forschend nach der Gefährten und meiner eigenen Heimkehr.
Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen: damit uns
Beide jetzo die Ruhe des süßen Schlafes erquicke."
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
"Jetzo wird dein Lager bereit sein, wann du es wünschest:
Da dir endlich die Götter verstatteten, wiederzukehren
In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde.
Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber,
Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk' ich, doch einmal
Hören; so ist es ja wohl nicht schlimmer, ihn gleich zu erfahren."
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
"Armes Weib, warum verlangst du, daß ich dir dieses
Sage? Ich will es dir denn verkünden, und nichts dir verhehlen.
Freilich wird sich darob dein Herz nicht freuen; ich selber
Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher,
Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglättetes Ruder,
Immerfort, bis ich komme zu Menschen, welche das Meer nicht
Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen,
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich hat er sie mir bezeichnet, daß ich nicht irre.
Wenn ein Wanderer einst, der mir in der Fremde begegnet,
Sagt, ich trag' eine Schaufel auf meiner rüstigen Schulter;
Dann soll ich dort in die Erde das schöngeglättete Ruder
Stecken, und Opfer bringen dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber;
Drauf zur Heimat kehren, und opfern heilige Gaben
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
Kommen der Tod, und mich, von hohem behaglichem Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Dies hat mir der Seher verkündet."
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
"Nun wenn dir von den Göttern ein frohes Alter bestimmt ist;
Können wir hoffen, du wirst dein Leiden glücklich vollenden..."
Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet,
Wachten noch lang', ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.
Erst erzählte das göttliche Weib, wie viel sie im Hause
Von dem verwüstenden Schwarme der bösen Freier erduldet,
Wie sie um ihretwillen die fetten Rinder und Schafe
Scharenweise geschlachtet, und frech im Weine geschwelget.
Dann erzählte der Held, wie vielen Jammer er andern
Menschen gebracht, und wie viel er selber vom Schicksal erduldet.
Und die Königin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer
Sank auf die Augenlider, bevor er alles erzählet.
Übersetzung: Johann Heinrich Voß
Quelle: Homer, Ilias. Odyssee, Dünndruckausgabe, dtv, 1979
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