S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
"Im Kopf ist es schon, nur noch nicht geschrieben"  —  Auszüge aus Menanders Dyskolos

Mit der politischen Größe Athens ging auch die politische Komödie unter, die eng mit dem attischen Polisgeist verbunden war.

Mit dem Namen Menander verbindet sich in der Literatur die Neue Komödie (die sogenannte Nea). Sie stellt den Einzelmenschen im unpolitischen Alltagsleben dar. Dabei kommt hier die bürgerliche Gesellschaft Athens auf die Bühne.

In der sogenannten Mittleren Komödie zwischen Aristophanes und Menander haben sich typische immer wiederkehrende Figuren entwickelt: der harte Vater - der gutmütige Vater; der leichtsinnige, lebenslustige junge Mann aus vornehmem Hause; das schöne, unschuldige Mädchen - die verführerische Hetäre; der schlaue, freche Sklave - der treue Sklave; der kriecherische Parasit; der großsprecherische ehemalige Soldat und andere. Darüber erheben sich Charaktertypen wie der Menschenfeind, der Geizhals, der Verschwender, der Abergläubische. Diese Typen werden in Rom von den dortigen Komödienschreibern nachgebildet und leben durch die Vermittlung dieser Dichter bei Shakespeare, Molière und im gesamten abendländischen Lustspiel weiter.

Lange Zeit kannte man die Nea nur aus einigen vereinzelten Fragmenten und durch Rückschlüsse über die lateinischen Komödiendichter, insbesondere Terenz und Plautus. Erst mehrere Papyrusfunde im 20. Jh. ließen einen tieferen Einblick in das Schaffen Menanders - des Hauptrepräsentanten der Gattung der Neuen Komödie (Nea) - zu, der schon in der Antike sehr bald nach seinem Tode die unangefochtene Stellung eines "Klassikers" einnahm und vermittelt über die römische Komödie zum Urvater des neuzeitlichen europäischen Lustspiels wurde.

Leben und Werk

Menander (342-291 v.Chr.) war Bürger Athens, lebte und wirkte in dieser Stadt. Seine dramatische Produktion - über hundert Komödien und etwa zehn Stücke durch mehr oder weniger umfangreiche Textpassagen ihm zugeordnet - erstreckt sich auf die drei Jahrzehnte von 320 bis 290, jener Phase der Athener Geschichte, als die Stadt immer wieder versuchte, die Herrschaftsansprüche der Diadochen abzuwehren. Kennzeichnend für die Nea ist die längst erfolgte Entpolitisierung der Komödie, so daß die politischen Ereignisse dieser Zeit in Menanders Werk so gut wie keine Erwähnung finden.

Nun hat gerade Menander versucht, dem beschriebenen Einerlei in der Komödie entgegenzuwirken. Er stellt weder Helden noch abgründige Bösewichter dar, sondern die Durchschnittsmenschen mit ihren Licht- und Schattenseiten. Seine Stücke sind also eher ein Spiegel des Lebens und ihre Qualität besteht vor allem darin, daß sie sich von den vorgegebenen Schemata der Gattung emanzipieren. Zwar können auch seine Personen ihre Herkunft aus dem Typenkatalog nicht verleugnen, aber der Dichter gibt ihnen mit psychologischem Scharfblick die Konturen eines individuellen Charakters. Inwieweit sich in seiner Kunstdarstellung lebensnaher Charaktere seine Freundschaft mit dem Peripatetiker Theophrast (372-287) und dessen allerdings eher das rein Typische erfassende Studien ausgewirkt haben, sei dahingestellt. Jedenfalls vermied er in seinen Charakteren den monotonen Schematismus ebenso wie in den Handlungen und ihren Kombinationen.

Allerdings spielt auch bei Menander im Zuge der vielerlei unerwarteten, als solche höchst unglaubwürdigen, Umschwünge des Bühnengeschehens die äußerliche Instanz des Zufalls (Tyche) eine wesentliche Rolle. Die treibenden Kräfte der Handlung kommen aus dem Inneren der Charaktere. Darin liegt bei seinen Komödien ein beträchtliches Maß an Wirklichkeitsnähe, indem er die Einsicht des Hauptakteurs in das eigene Fehlverhalten aufzeigt. Die endgültige Lösung des Knotens, den die Handlungsfäden bilden, findet im fünften Akt statt.

Die genannten Kennzeichen der menandrischen Komödie lassen es verständlich erscheinen, daß der Dichter bereits in der Antike begeisterte Bewunderer fand. Um so bemerkenswerter ist sein keineswegs überwältigender Erfolg beim zeitgenössischen Publikum, das seinen Konkurrenten - vor allem Diphilos (geb. um 350 in Sinope, gest. nach 289 in Smyrna) und Philemon (geb. 365/361 in Syrakus, gest. 263 in Alexandrien) - oft den Vorzug gab. Aber Plautus (250-184) und Terenz (195-159) adaptierten die menandrischen Komödien für das römische Publikum, Shakespeare (1564-1616) und Molière (1622-1673) bedienten sich freigiebig Menanders Topoi. Schiller und Goethe war er trotz der schlechten Handschriftenlage bekannt. Und selbst Mozart benutzte Menanders Motto: "Das Stück habe ich schon im Kopf - es muß nur noch komponiert werden."

Mit Bodmers Fund und denen im heißen Wüstensand Ägyptens während der 50er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hat man heute den Dyskolos vollständig. Das Schiedsgericht, die Samierin, den Schutzschild und die Sikyoner/Sikyonerin konnte man aufgrund dieser Funde soweit rekonstruieren, daß uns heute von ihnen bühnentaugliche Fassungen zur Verfügung stehen.

Dyskolos

Schauplatz der Komödie Dyskolos1 ist der attische Demos Phyle, wo sich an der Grenze zu Böotien der Bauer Knemon angesiedelt hat: auf der einen Seite mit Hof und Brunnen sein Haus, in dem er mit seiner Tochter und der alten Amme Simiche wohnt, auf der anderen Seite der Bühne sein Stiefsohn Gorgias mit seiner Mutter Myrrhine und dem Sklaven Daos, dazwischen liegt ein bekanntes Pan-Heiligtum, die Nymphengrotte.

Im Prolog (V.1-49) macht Pan das Publikum mit der Ausgangslage vertraut, der sich anbahnenden Liebesbeziehung zwischen Sostratos, dem Sohn des Kallipides, und der hier namenlos bleibenden Tochter Knemons, die dank Pans Eingreifen - allein der Gott hat entschieden - durch Heirat eines reichen Jünglings aus ihrer Armut befreit werden soll, sowie Knemons Unverträglichkeit gegenüber den Nachbarn und seiner Familie.

Im ersten Akt zeigt sich Knemons Charakter, er wirft mit Erdklumpen und Obst nach Pyrrhias, dem Sklaven des verliebten Jünglings Sostratos, und wünscht sich, Perseus zu sein (V. 153-159). Im zweiten Akt stimmt Gorgias seinem Sklaven Daos zu, daß der Alte seine Wesensart nie ändern wird (V. 247-256).

Gorgias' und Sostratos' Absichten sind ehrenhaft, der eine will das Mädchen für sich gewinnen, der andere stellt als fürsorglicher Bruder das Wohl der Stiefschwester noch über das eigene. Gorgias' Sklave Daos gibt dem reichen Sostratos den Tip, wie ein Bauersknecht auf Knemons Land zu schuften, um vielleicht doch vom Alten beachtet und anerkannt zu werden. Sostratos legt seinen feinen Mantel ab und läßt sich von Daos die Hacke geben (das beliebte Komödienmotiv der verkehrten Welt bzw. der vertauschten Rollen), und indem er auf die Privilegien seiner Herkunft verzichtet, macht er sichtbar, wieviel ihm an seiner Liebe gelegen ist.

Sostratos kommt erschöpft von der Feldarbeit zurück. Seine Annäherung ist gescheitert, weil Knemon im Hause blieb. Derweil merkt der Koch Sikon im Panheiligtum, daß ihm ein Topf fehlt, den er sich beim Bauern Knemon ausleihen will. Wie zu erwarten, wird er rüde davongejagt. Sostratos erfährt vom bevorstehenden Opferschmaus, zu dem seine Mutter eingetroffen ist und sein Vater erwartet wird. Spontan beschließt er, seine neugewonnenen Helfer Gorgias und Daos als Gäste dazuzuholen.

Kurz darauf kommt Knemons Magd Simiche händeringend aus dem Haus. Sie wollte den Krug aus dem Brunnen ziehen und ließ dafür an einem Strick eine Hacke hinunter, aber der morsche Strick riß und nun liegt auch die Hacke im Brunnen - und gerade jetzt verlangt ihr Herr nach dieser, um den Hof auszumisten. Und schließlich fällt auch noch Knemon in den Brunnen beim Versuch, die Geräte herauszuholen. Als Helfer ruft Gorgias Sostratos hinzu, und sie begleiten die Magd in den Innenhof, um den alten Knemon aus seiner mißlichen Lage zu befreien.

Knemon ist nun im Angesicht des Todes zu der Erkenntnis gelangt, daß er zu seinem Schaden jeden Kontakt zu den Mitmenschen abgewehrt hat. Zwar wird er seine eigene Lebensweise prinzipiell beibehalten und das Dyskolische seines Charakters nicht ablegen, doch will er seine rigorosen Ansichten fortan nicht mehr auch für die Seinigen verbindlich vorschreiben.

Hartmut Damrau


Anmerkung

1. Im Altgriechischen bedeutet dyskolos als Adjektiv rauh, als Substantiv bezeichnet es jemanden, dem man es nicht recht machen kann. Die meistens gewählte Übersetzung "Menschenfeind", im Altgriechischen misanthropos, ist zu hart. Rauhbein oder Griesgram wäre passender. Ich belasse es beim Dyskolos, mit dem Menander an den Lenäen 316 den ersten Platz errang.


Aus Menanders Dyskolos

    PAN Die Landschaft hier, verehrte Damen, Herrn,
    nehmt an, sei Phyle; steinig Land, ein Teil
    von Attika. Die Grotte hier, aus der
    ich trete, ist der Nymphen Heiligtum,
    ein Wallfahrtsort. Zu meiner Rechten wohnt
    der Bauer Knemon. Ist ein Mensch, und auch
    kein Mensch, ein hartgesottener Menschenfeind,
    Verächter jeglicher Geselligkeit -
    Sagt' ich Geselligkeit? Kein freundlich Wort,
    ja keinen Gruß hat dieses Ungetüm
    noch je erübrigt für die Nachbarschaft.
    Mit knapper Not, daß er an mich, den Gott,
    an Pan, so im Vorübergehn gedenkt -
    obgleich es ihn gereut;
    das weiß ich wohl.

    Allein trotzdem, trotz seiner spröden Art
    Fand er ein Weib, verwitwet eben und
    Mit einem Knäblein. Aber nun begann
    Der rechte Streit, bei Tag, bei Nacht. Und bald
    Ward ihm ein Töchterchen geschenkt. Gemach,
    Noch schlimmer kam's. Die Frau, geplagt, vergrämt,
    Entflieht zu ihrem Sohn, der in der Näh
    Dahier ein kleines Gütchen pflegt. Jetzt nährt
    Er schlecht und recht sich selbst, die Mutter und
    Den treuen Diener, noch von Vaters Zeit.
    Ein Bürschchen zwar, doch reif schon wie ein Mann:
    Des Lebens Umgang weckt frühreifen Sinn.
    Der Alte lebt allein, mit seiner Dirn
    Und einer alten Magd, schleppt Holz, bestellt
    Mit Müh den Acker. Haßt die ganze Welt,
    So weit sie reicht von hier bis Cholargos.
    Das Mädchen wuchs, wie nur am Feld die Frucht
    Gedeiht, so makellos. Es ehrt mit Fleiß
    Die Nymphen, mich, den Gott, so daß wir gern
    Ein bißchen uns um sie bemühn. Da ist
    Ein Jüngling, eines Bauern Sohn, mit Geld,
    Mit Bildung und Geschmack. Der kam zur jagd.
    Zufällig, in Gesellschaft eines Freunds
    Verirrt er sich in diese Gegend; ich
    Verhelfe ihm sogleich, sich in die Maid
    Bis über beide Ohren zu verschaun.
    Das wäre alles. Doch das einzelne
    Seht selbst, sofern ihr wollt. So wollt, mit Gunst!
    Schon glaub den Liebenden mit seinem Freund
    Ich dort zu sehn. Sie reden von dem Fall.
    Verse 1-49

    DAOS: Mein gnäd'ger Herr, den Alten, Gorgias,
    Den fürcht ich. Denn sobald er an der Tür
    Mich faßt, häng ich am nächsten Pflock.
    GORGIAS Gewiß
    Man kommt nicht leicht heran an diesen Hahn.
    Und weder weiß ich, wie zum Bessern man
    Ihn zwingt, noch wie man gütlich ihn bekehrt.
    Denk ich an Zwang, steht das Gesetz im Weg,
    Das sich dem Vater an die Seite stellt,
    Ein gütlich Wort verträgt sein Wesen nicht.
    Verse 247-256

    GORGIAS Gemach.
    Es gibt noch eine Steigerung von bös.
    Der Mann hat einen Grundbesitz, vielleicht
    Im ganzen bloß zwölfhundert Drachmen wert.
    Den baut er selbst, verträgt nicht Menschenhilf. Kein
    Bursch im Haus, vom Dorf kein Arbeitsknecht,
    Kein Nachbar. Alles schuftet er allein.
    Am liebsten will er nichts von Menschen sehn.
    Das Mädchen nur geht fleißig ihm zur Hand.
    Ihm reicht's. Mit ihr allein verträgt er sich.
    Mit jedem andern hätt's die liebe Not.
    Und niemand wird das Mädchen, sagt er, frein,
    Der nicht ganz selber er und nur wie er.
    Verse 326-337

    KNEMON Schlimm steht's, ich weiß.. Jetzt rufe, Gorgias,
    Mir auch die Mutter.
    Simiche holt Knemons Frau aus dem Haus des Gorgias.
    Ach, es ist schon so:
    Das Unglück nur versteht, uns zu erziehn,
    Ich glaub's. Mein Töchterchen, versuch vielleicht
    Mich aufzurichten, nimm mich bei der Hand.

    SOSTRATOS Der Glückliche!

    KNEMON Was stehst dabei du, Tropf?
    Jetzt, ihr meine Lieben, fühl ich, daß der Tod mir nahe ist.
    Störrisch war ich, niemals freundlich, als ein Unmensch galt ich euch.
    Aber selbst in diesem Herzen war der Sinn des Vaters wach.
    Immer wünschte ich, Myrrhine und mein lieber Gorgias,
    Daß ich einst in eurer Mitte aus dem Leben scheiden darf.
    Sei willkommen, Todesstunde, nichts ist lieber mir als du,
    Nicht am Leben will ich bleiben, und es könnte niemand mich
    Jetzt von euch mehr überreden. Gebt mir nach ein letztes Mal.
    Eins vielleicht war meine Irrung, daß ich glaubte, stark zu sein,
    Ohne jedes Menschen Hilfe dieses Leben durchzustehn.
    Aber jetzt, wo ich erkenne, daß des Lebens Ende schnell,
    Nicht voraus erkennbar eintritt, seh ich die Verblendung ein.
    Was mich so gewaltig plagte, Hephaistos, das war, zu sehn,
    Wie die Menschen jeder leben, wie sie rechnen, wie Gewinn
    Sich zu sichern jeder trachtet. Und es schien unmöglich mir,
    Daß der eine da dem andern irgendwie noch wohlgesinnt.
    Das stand also mir im Wege. Aber jetzt hat Gorgias
    Eine Lehre mitgegeben durch ein wahrhaft edles Werk.
    Einem Menschen, der nicht zuließ, daß er sich der Türe nah,
    Der ihm niemals eine Hilfe, nicht die kleinste dargebracht,
    Ihn nicht grüßte, niemals ansprach, hat er gern die Hand gereicht.

    GORGIAS Was wir bisher taten, Vater, mag mit Recht auf sich beruhn.
    Unbequem sind dir Besuche? Gut, dann eben komm ich nicht.
    Weder wir bedurften deiner, noch war ich von Nutzen dir.

    KNEMON Höre, was ich will, mein Junge: Wenn ich sterb in dieser Stund -
    Und es scheint so, denn ich fühle, daß es schlecht um mich bestellt,
    Aber auch im andern Falle sollst fortan mein Sohn du sein.
    Alles Gut soll dir gehören. Um das Mädchen nimm dich an.
    Eine Frau bedarf des Beistands eines Mannes allezeit.
    Suche einen treuen Gatten. Denn selbst wenn ich überleb,
    bin ich nicht dazu imstande. Keiner ist sympathisch mir.
    Aber mich laßt weiterleben, wie ich selbst für gut befind.
    Alles sonst bleibt deine Sache: Gottes Hilfe gibt Verstand.
    Und mit Gott auch gehst geziemend du dem Mädchen an die Hand.
    Gib die Hälfte des Besitzes ihr als Mitgift, und den Rest,
    Den verwalte für die Mutter und für mich. Jetzt will ich Ruh' - ,
    Liebe Tochter. Mehr zu reden, als die Lage je verlangt,
    Ziemt, ich glaube, nicht dem Manne. Eins noch wisse, liebes Kind -
    Denn für Leben und Charakter ist genug ein kurzes Wort:
    War die Menschheit guten Willens, gäb es die Gerichte nicht,
    Kein Gefängnis, keine Kriege. Jeder gäb zufrieden sich.
    Doch vielleicht gefällt's so besser; dann lebt fort in dieser Art!
    Ich, der unbequeme Alte, will euch nicht im Wege sein.
    Mir ist alles recht. Man muß nur für das Mädchen einen Mann,
    Einen, der dir paßt, jetzt suchen. Das ist alles, lieber Sohn,
    Was ich dachte, nimm's nicht übel, bei den Göttern.
    Verse 691-750


Diese deutsche Bühnenbearbeitung von Otto Vicenzi stammt aus:
Die Fischer Bibliothek der hundert Bücher. Band 72, Frankfurt, 1963


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