S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Sappho (7. Jahrhundert v. Chr.)
Sappho leitete eine Erziehungsgemeinschaft für junge Mädchen auf der griechischen Insel Lesbos. Ihre Lebenszeit kann nur ungefähr bestimmt werden; sie lag zwischen 630 und etwa 580/570 v. Chr. Sappho unterschied sich von anderen Leiterinnen solcher Erziehungsgemeinschaften durch ihre Dichtung. Ihre Lieder waren für den Gesangsvortrag zur Lyra (daher "Lyrik") bestimmt.

Abschiedstrost

[...]
nein, tot sein - wirklich! - möchte ich:
Die unter Tränen, laut weinend mich zurückließ,

hat vieles und auch dies zu mir gesagt:
"O wie Schlimmes erleiden wir,
Sappho! Wahrlich so ungern verlaß ich dich!"

Ihr hab' ich dies erwidert drauf:
"Getrost und wohlbehalten geh - und meiner
erinnre dich! Weißt ja doch, wie wir umhegten dich.

Wenn aber nicht, dann will dich ich
erinnern [...] und (?)
[...] und Schönes erlebten wir:

Viele Kränze ja aus Veilchen
Und Rosen und aus [...] zugleich
und [auch aus?...] hast du bei mir dir umgelegt

und viele Blumengewinde ja,
geflochtene, um den zarten Hals,
aus Blüten [von ...] gemacht,

und mit [...] Creme
aus Brenthon [... den Körper]
hast du dir eingecremt und aus Basileion auch,

und auf weichem Bett [gelagert?]
nach zarten [,Kind, ...]
hast du gestillt das Sehnen [, nach ...]

und weder ein [... noch] irgendein
heiliges [Fest?...]
gab es ja, dem wir je ferne geblieben sind -

kein Hain [..., kein] Tanzplatz
[...] Klang
[...]


Was ist das Schönste?

Manche sagen: von Reitern ein Heer, und manche: von Fußsoldaten,
manche: von Schiffen - das sei auf der schwarzen Erde
das Schönste - ich aber: stets das, was
einer sehr gern hat!

Ganz einfach läßt sich das verständlich machen
für jeden: Sie, die weithin überragte
an Schönheit alle Menschen: Helena - den Mann,
den allerbesten,

verlassend ging sie fort nach Troia auf dem Schiffe,
und weder ihres Kindes noch der lieben Eltern
hat sie mit einem Wort gedacht - nein: es verführt' sie -
nicht wider Willen -

Kypris; leicht zu biegen ist der Menschen Herz ja,
[...] und behende
[...] hat jetzt an Anaktoria mich erinnert - an
sie, die nicht da ist:

von der möcht' ich viel lieber ihren Gang voll Anmut,
das helle Glänzen ihrer Wangen sehen
als diese Lyder-Kriegskarossen - und in voller Rüstung
Kämpfer zu Fuße.

 

An die Göttin der Liebe

Buntthronig unsterbliche Aphrodite,
Kind des Zeus du, listenflechtendes! ich bitte dich:
drück mir nicht in Überdruß und Qualen nieder,
Herrin, den Mut!

Sondern: Komm hierher! wenn du einmal auch zu andrer Zeit schon
diese meine Stimme hörend aus der Ferne
ihr dein Ohr geschenkt hast und des Vaters Haus verlassend
gekommen bist - nachdem den goldenen

Wagen du unters Joch geschirrt hast und schön dich zogen
hurtige Sperlingsvögel hoch über der schwarzen Erde,
eifrig die Flügel schlagend, herab vom Himmel, hindurch
durch des Luftraums Mitte:

flugs waren sie da - und du, o Selige:
lächelnd mit göttlichem Antlitz
hast du gefragt, was ich denn jetzt wohl wieder für ein Leid nur hätte, und wonach,
ich jetzt denn wieder riefe

und was ich denn am sehnlichsten bekommen möchte,
in meinem liebestollen Sinn? - "Wen soll ich jetzt denn wieder überreden,
daß du ihn führen kannst in deine Liebe? Wer macht dich,
meine Sappho, krank?

Denn wenn sie flieht - bald wird sie suchen!
und wenn Geschenke sie nicht annimmt - geben wird sie!
und wenn sie nicht liebt - rasch wird sie lieben -
auch wenn sie nicht will!"

Komm zu mir auch jetzt! und von dem schlimmen
Kummer mach' mich frei! und alles das, was meine Sinne,
daß es geschehe glühend wünschen, laß geschehen! Und du selber:
Mitstreiterin sei mir!


Übersetzung: Joachim Latacz (Nachdruck von ihm genehmigt)
Quelle: Die griechische Literatur in Text und Darstellung, Bd. I,
Archaische Periode, griechisch-deutsch,
hrsg. v. Joachim Latacz, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998.

Zur Übersicht der Ausgrabungen