Was ist das Schönste?
Manche sagen: von Reitern ein Heer, und manche: von Fußsoldaten,
manche: von Schiffen - das sei auf der schwarzen Erde
das Schönste - ich aber: stets das, was
einer sehr gern hat!
Ganz einfach läßt sich das verständlich machen
für jeden: Sie, die weithin überragte
an Schönheit alle Menschen: Helena - den Mann,
den allerbesten,
verlassend ging sie fort nach Troia auf dem Schiffe,
und weder ihres Kindes noch der lieben Eltern
hat sie mit einem Wort gedacht - nein: es verführt' sie -
nicht wider Willen -
Kypris; leicht zu biegen ist der Menschen Herz ja,
[...] und behende
[...] hat jetzt an Anaktoria mich erinnert - an
sie, die nicht da ist:
von der möcht' ich viel lieber ihren Gang voll Anmut,
das helle Glänzen ihrer Wangen sehen
als diese Lyder-Kriegskarossen - und in voller Rüstung
Kämpfer zu Fuße.
An die Göttin der Liebe
Buntthronig unsterbliche Aphrodite,
Kind des Zeus du, listenflechtendes! ich bitte dich:
drück mir nicht in Überdruß und Qualen nieder,
Herrin, den Mut!
Sondern: Komm hierher! wenn du einmal auch zu andrer Zeit schon
diese meine Stimme hörend aus der Ferne
ihr dein Ohr geschenkt hast und des Vaters Haus verlassend
gekommen bist - nachdem den goldenen
Wagen du unters Joch geschirrt hast und schön dich zogen
hurtige Sperlingsvögel hoch über der schwarzen Erde,
eifrig die Flügel schlagend, herab vom Himmel, hindurch
durch des Luftraums Mitte:
flugs waren sie da - und du, o Selige:
lächelnd mit göttlichem Antlitz
hast du gefragt, was ich denn jetzt wohl wieder für ein Leid nur hätte, und wonach,
ich jetzt denn wieder riefe
und was ich denn am sehnlichsten bekommen möchte,
in meinem liebestollen Sinn? - "Wen soll ich jetzt denn wieder überreden,
daß du ihn führen kannst in deine Liebe? Wer macht dich,
meine Sappho, krank?
Denn wenn sie flieht - bald wird sie suchen!
und wenn Geschenke sie nicht annimmt - geben wird sie!
und wenn sie nicht liebt - rasch wird sie lieben -
auch wenn sie nicht will!"
Komm zu mir auch jetzt! und von dem schlimmen
Kummer mach' mich frei! und alles das, was meine Sinne,
daß es geschehe glühend wünschen, laß geschehen! Und du selber:
Mitstreiterin sei mir!
Übersetzung: Joachim Latacz (Nachdruck von ihm genehmigt)
Quelle: Die griechische Literatur in Text und Darstellung, Bd. I,
Archaische Periode, griechisch-deutsch,
hrsg. v. Joachim Latacz, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998.
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