S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Solon, der Gerechte  —  Fragmente
Nicht zufällig beginnen wir die zweite Folge unserer Solon-Sammlung mit seinem Gedicht Von den Tyrannen. Dabei ist der Hinweis angebracht, daß die Erstausgabe des Büchleins, aus dem diese Übersetzungen Eberhard Preimes stammen, 1939 erschienen war. Der Diktatur Adolf Hitlers stellte der Autor seinen Helden Solon entgegen.

Das Büchlein muß zu Anfang des Zweiten Weltkriegs erschienen sein, denn das Vorwort ist datiert mit August 1939. Darin schreibt Dr. Eberhard Preime: "Es ist etwas Wunderbares zu wissen, daß einmal ein wahrhaft gerechter Mensch gelebt hat. Wie es etwas Wunderbares ist zu wissen, daß ein mittelalterlicher Meister jene Christusgestalt am Naumburger Lettner gemeißelt, daß Rembrandt die Judenbraut und den Verlorenen Sohn gemalt, daß Bach die h-moll-Messe, Beethoven die letzten Quartette geschrieben und Goethe die Marienbader Elegie gedichtet hat. Man verstehe das nicht falsch: Nicht daß wir Solons Gedichte, von denen überdies die Jahrtausende nur spärliche Reste uns bewahrt haben, diesen größten Kunstleistungen des Abendlandes an die Seite stellen, nein, ihn selber, den Menschen Solon vergleichen wir mit ihnen, denn der gerechte Mensch ist ein Kunstwerk, das kostbarste und schwierigste vielleicht, dessen ein Sterblicher fähig ist."

Große universalhistorische Veränderungen seien nur möglich, wenn zwei Dinge zusammenkämen: eine weltbewegende ethische Idee und eine soziale Leistung, die "mächtig genug ist, die niedergedrückten Massen um eine große Stufe emporzuheben", zitiert Preime den Historiker Fr. Lange aus dem 19. Jahrhundert. Nur ein großes Ideal könne den Sieg über den "zersplitternden Egoismus" und "die ertötende Kälte der Herzen" erringen.

Das habe Solon geschafft: "Der Begriff des Sozialen war in materieller Gewinngier der Einzelnen, der des Staates im Machtrausch der nach der Tyrannis lüsternen Aristokraten versunken. Ohne die durch Solon Athen geschenkte Staatsidee - denn Ideen treten in der Weltgeschichte immer nur in Persönlichkeiten, niemals namenlos hervor - ist die einzigartige Geschichte dieses wunderbaren geistig-politisch-künstlerischen Organismus nicht zu denken. Und wenn auch Athen eine höchst bewegliche Verfassungsgeschichte aufweist, so hat es doch bis ans Ende niemals vergessen, daß der Geist Solons als schützender Genius über seiner viel umkämpften und stets kostbarer errungenen Dauer walte. Gerade das 5. Jahrhundert... hat es bezeugt: es errichtete dem Solon auf Salamis ein Standbild. Aber zuletzt fand der Geist Solons in Platons unsterblichem Werk seine höchste Verklärung."

Als ein "Baumeister am Dome des Ewigen" stehe Solon vor uns, "noch immer so klar als Gestalt und so fruchtbar als wirkende Macht, als wandle er neben uns". Seine Gesetzgebung folgte der Gerechtigkeit und berief die Menschen "zu wahrhaft menschlicher Freiheit ..., der Freiheit des Dienens am Gemeinsamen". Andrea Andromidas hat Solons Verfassungsreform in Neue Solidarität Nr. 17/2006 umrissen. Preime schreibt: "Und als endlich auch Athen, wo die aus überlebtem Aristokratengeist geborene Drakonische Zwangsgesetzgebung von 624 die Probleme der veränderten modernen Welt nicht hatte lösen können, der Gefahr der Tyrannis unaufhaltsam zuzusteuern schien, als Volk und Adel bis zur Wut verfeindet waren, ward ihm im Jahre 594 der Auftrag, ein neues Gesetzgebungswerk durchzuführen. Als Archon, mit aller Vollmacht ausgestattet, ging er ans Werk. Solon entledigte sich der Aufgabe, ohne einen Augenblick an eignen Gewinn zu denken; ja man hatte sogar erwartet und geraten, daß er sich zum Tyrannen aufschwinge." Dies wies er aber entschieden zurück. Stattdessen ließ Solon am Ende seines einzigen Amtsjahres das neu vereinte Volk auf seine Gesetze schwören und trat selber von der politischen Bühne ab.

Preimes Vorwort schließt mit den Worten: "Er war einer der wahrhaft großen Männer der Weltgeschichte, deren Vermächtnis unsterblich ist."

Eberhard Preime ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Eine nach seinen eigenen Notizen verbesserte Auflage des zweisprachigen Büchleins Solon. Dichtungen. Sämtliche Fragmente erschien 1945 im Münchener Ernst Heimeran Verlag.

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Solon Fragmente   (635-559 v.Chr.)

    Von den Tyrannen
    Schneesturm und Hagel bricht aus der Wolke jählings hernieder,
    rollenden Donner gebiert rasch der zückende Blitz.
    Oft schon rissen gewaltige Männer den Staat in den Abgrund,
    Knechtschaft bringt der Tyrann leicht dem törichten Volk.
    Läßt man zu sehr ihn erstarken, ist's hinterher schwer ihn zu halten;
    klug ist, wer sich zuvor alles bedenkt, was er tut.

    Politische Rechenschaft
    Ein einz'ges nur von dem, weshalb ich einst das Volk
    versammelt, hätt' ich liegen lassen, eh's erfüllt?
    Des zeuge du am Richterthron der Zeit für mich,
    erhab'ne Mutter aller Götter im Olymp,
    du weißt es ja, o dunkle Erde, der ich viel
    der Steine, Male der Verschuldung, ausgrub einst;
    die du geknechtet warst, du atmest wieder frei.
    Aus Sklaverei, in die sie Willkür oder Recht
    gezwungen, führt' ich viele nach Athen zurück
    ins gottgeschenkte Vaterland; und andre auch,
    die vor dem Schuldzwang fliehend in der Fremde rings
    umirrten, schon der att'schen Sprache Klang entwöhnt;
    auch denen, die daheim der Knechtschaft hartes Joch
    ertrugen, zitternd vor der Willkür mächt'ger Herrn,
    gab Freiheit ich zurück. Kraft des Gesetzes schuf
    das alles ich, verbindend Macht mit strengem Recht.
    Ich hab's vollendet, wie ich damals euch versprach.
    Gesetze schrieb ich euch, gerechte, welche klar
    bestimmen, was dem Guten, was dem Bösen frommt.
    Doch hätt' ein andrer Mann, ein Lump, der Frevel sinnt
    und giert nach Gut, statt meiner euch geführt, der hätt'
    das Volk im Zaum nicht halten können. Wär ich so
    verfahr'n, wie meine Gegner wünschten, oder hätt'
    gar ihren Feinden ich erfüllt ihr Rachgelüst,
    mit manchem Menschenleben hätt's die Stadt bezahlt.
    Nach allen Seiten mußt' ich wehren, schützen, droh'n,
    und wie ein Wolf, den Hunde hetzen, wandt ich mich.

    Schwere Aufgabe
    Mußt nur was wahrhaft Großes wollen,
    so werden wenige Dank dir zollen.

    Die Zeit als Richterin
    Meinen "Wahnsinn" wird bald die Zeit den Bürgern enträtseln,
    wenn erst ihr wahres Gesicht einmal die Dinge enthüll'n.

    An Phokos
    "Solon ist gewiß kein weiser, jedenfalls kein kluger Mann;
    denn als Gott ihm Schätze darbot, wies er selber sie zurück.
    Als der Fang ins Netz kam, da vergaß er ihn ans Land zu ziehn,
    staunend stand er, ganz und gar verlassen von Vernunft und Mut.
    Ja, wenn mir nur einmal solche Schätze fielen in den Schoß,
    wär ich auch für einen Tag nur über mein Athen Tyrann,
    willig ließ ich mich hinterdrein prügeln, gäb' mein Haus gern dran."

         Wäre, daß mein Vaterland
    stets ich schonte und auch der Tyrannenherrschaft süße Macht
    von mir wies, entehrend oder schimpflich gar für meinen Ruhm,
    reuen tut's mich nicht; ich meine, vielmehr, überwind' dadurch
    alle Menschen ich.

    Aber all das Raubgesindel wiegte sich, von Gier berauscht,
    kühn in Hoffnung, Reichtum zu erschachern; wähnte auch, obwohl
    milde meine Rede geht, so sei doch streng und hart mein Sinn.
    Albern war und töricht, was sie damals meinten, aber jetzt
    werfen scheele Blicke sie und zürnen mir wie einem Feind;
    freilich grundlos. Denn mit Gottes Hilfe, was ich einst versprach,
    das vollbracht ich; andres tat ich auch nicht sinnlos, 's ist ja nicht
    meines Amt's, Gewalt zu brauchen wie Tyrannen, unrecht wär's,
    gleich zu teilen zwischen Herrn und Knecht der Heimat fettes Land.


Übersetzung: Eberhard Preime, 1939
Quelle: Solon, Dichtungen, Sämtliche Fragmente,
im Versmaß des Urtextes ins Deutsche übertragen
von Eberhard Preime, Ernst Heimeran Verlag, München 1945.

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