S C H I L L E R

L E B T

F R I E D R I C H   S C H I L L E R
Solon (635-559 v.Chr.)

Elegie an die Musen

Mnemosynes und Zeus', des Olympiers, strahlende Kinder,
die ihr Pieris bewohnt, höret, o Musen, mein Flehn!
Möchten die seligen Götter mich segnen und möchten die Menschen
alle nur Gutes von mir denken und sagen allzeit;
süß auch sei den Freunden mein Leben, und bitter den Feinden,
ehrwürdig jenen und lieb, diesen zu schauen ein Schreck.
Ja, ich möchte wohl Reichtum haben, doch will ich nicht unrecht
jemals besitzen ein Gut; wirkt doch notwendig der Fluch.
Reichtum, den Götter verleihen, der bleibt bei dem Manne und wankt nicht,
den aber menschliche Gier umbuhlt, der folgt ihr nicht willig,
auch nicht entsteht er der allwaltenden Ordnung gemäß,
sondern im Zwange des Frevels; und es raubt im Nu ihn die Rache;
kleiner Ursach' entspringt oft sie, gleich wie ein Brand,
winzig mag sie im Anfang erscheinen, doch endet sie schrecklich;
Wohlstand aus Freveln gebor'n, nie ist er Sterblichen treu.
Zeus aber wacht überm Ausgang alles Geschehens und richtet.
So wie im Frühling ein Sturm plötzlich die Wolken zerstreut,
wann er, vom Grund her die endlos wogende Meerflut erschütternd,
dann auf dem trächtigen Feld furchtbar die Saaten verheert
und zu des Himmels Höhen, der Wohnung Unsterblicher, heimzieht,
weithin ergießend ins Land silbern erschimmernden Glanz;
- über den fruchtbaren Äckern lacht wieder die frühere Sonne
freundlich herab und nichts ist mehr von Wolken zu sehn: -
So vollendet Zeus die Vergeltung! Ganz anders als Menschen,
die ein Geringes erzürnt; nie straft im Jähzorn der Gott.
Lange bleibt ihm auch keiner verborgen, wenn er im Herzen
heimliche Freveltat sinnt; immer entlarvt ihn die Zeit.
Jener empfängt seine Strafe sofort, ein anderer später;
bist auch du selber entwischt, schläft doch nicht Gottes Gericht,
einmal kommt's und es büßt, auch schuldlos, Kind oder Enkel
künftig die Freveltat schwer, welche die Väter verübt.
Gute und Schlechte, sie denken all' ihren Zweck zu vollenden,
all' zu erreichen ihr Ziel; freilich, so lang sie nicht hemmt
irgendein mißlich Geschick, doch dann, dann jammern sie kläglich;
vorher ergibt sich ja leicht gaukelnder Hoffnung das Herz.
Wenn einer schwer mit Krankheit geplagt ist und bitterlich leidet,
hofft doch sein gläubiges Herz, daß ihm gesunde der Leib.
Manch armseliger Wicht dünkt gleichwohl groß sich und stattlich,
tapfer gar noch und schön, krumm und schief wie er ist.
Mancher entbehrt des Vermögens und Armut drückt ihn zu Boden,
er aber hofft doch stets, künftig würde er reich.
Jeder hastet nach andrem. Dieser durchstreift auf Schiffen
Meere, denn Schätze begehrt heimzuschleppen sein Herz;
ihn aber verschlagen die tückischen Winde im fischreichen Wasser,
was aber gilt's ihm? Er setzt wagend sein Leben aufs Spiel.
Wieder ein andrer geht hinterm krummen Pflug und durchfurchet
mühvoll das baumreiche Land, hegt es jahraus und jahrein;
jenen, den Schüler Hephaists, des kunstreichen, und der Athena
nähret, das wohl er versteht, kärglich das Werk seiner Hand;
diesen segnen mit himmlischen Gaben olympische Musen,
daß er den innersten Grund seliger Weisheit erfaßt;
einen begabt auch Apollon, der Fernhintreffer, als Seher;
Unglück, das drohend dem Mann fernher heraufzieht, das schaut
frühe sein Blick, wenn ein Gott ihn erleuchtet; allein keines Vogels
Flug und kein Opfer wird je hemmen des Schicksals Vollzug.
Andre sind Ärzte und kennen zwar Paions vielfache Heilkunst,
dennoch haben auch sie über den Ausgang nicht Macht;
denn oft wächst aus mäßigem Schmerz gar furchtbare Krankheit,
und die könnte kein Arzt heilen mit labendem Kraut;
doch dem bitterlich Leidenden gab die Gesundheit er wieder,
auflegend leicht seine Hand, wußte wohl selber nicht wie.
Siehe, Gutes und Böses beschert das Schicksal den Menschen,
keiner auf Erden entflieht dem, was der Himmel verhängt.
Alles Wirken ist voller Gefahren; ein Menschlein weiß niemals,
wenn mit dem Werk es beginnt, ob's bis zum Ende ihm glückt;
dieser fängt unter glücklichen Zeichen an, doch gerät er,
weil er's nicht sorglich bedacht, später in qualvolle Pein;
jenem, der glücklos begann, dem räumt ein Gott aus dem Wege
Fährnisse fort und er nimmt ihm seine Torheit hinweg.
Ohne Grenzen ist aber die Gier bei den Menschen nach Schätzen!
Sei einer reich wie er will, lebend in Fülle und Glanz,
morgen begehrt er das Doppelte; sättigt denn je sich die Habsucht?
Nur die Götter allein schenken dir bleibendes Gut!
Doch auch Verhängnis kommt uns von ihnen, und überall wandert's
rings auf der Erde umher, sendet zur Strafe es Zeus.

Zufriedenheit
Glücklich, wer liebe Kinder besitzt und stampfende Rosse,
Hunde zu fröhlicher Jagd und aus der Fern' einen Gast.

Menschenlos
Glücklich wandelt kein Sterblicher jemals die irdischen Pfade,
ach, auf ein duldend Geschlecht schauet die Sonne herab.

Abschied
Gramvoll, wünscht'ich, wär euch mein Tod! Denn ich möchte von Freundes
Tränen herzlich beweint scheiden zum Hades hinab.

Erkenntnis
Das ist das schwerste: zu wissen verborgenes Maß der Erkenntnis!
aber in ihm ruht allein jeder entscheidende Sinn.

Nimmermüde
Trag' ich auch silbernes Haar, lern' ich doch immer noch gern.


Übersetzung: Eberhard Preime, 1939
Quelle: Solon, Dichtungen, Sämtliche Fragmente,
im Versmaß des Urtextes ins Deutsche übertragen
von Eberhard Preime, Ernst Heimeran Verlag, München 1945.

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