Die Internationalisierung des Yuan - Perspektiven und Realität
Von Jean-François Di Meglio
Jean-François Di Meglio ist Präsident des ASIA Centre,
Paris.
Eine Frage, die das Publikum noch vor wenigen Jahren, selbst wenn es mit
der chinesischen Wirtschaft vertraut war, meist mit tiefem Schweigen
beantwortete, war diese: „Was leiht sich China in großen Mengen vom Ausland?“
Da China die größte Exportnation der Welt ist und eine wesentliche Rolle im
Welthandel spielt, lautete die beste Antwort gewöhnlich „Rohstoffe“ (die es
aber nicht leiht, sondern kauft) oder „Emissionsrechte“. Aber die richtige
Antwort wußte kaum jemand: „China leiht sich im Ausland seine
Zahlungsmittel.“
1. Die Prämissen des chinesischen Währungskonzepts
Tatsächlich hat China in seiner entschlossenen Modernisierungskampagne der
letzten 30 Jahre „über alles nachgedacht“, aber es hat sich nicht
notwendigerweise „um alles gekümmert“. Lange Zeit hat China es vernachlässigt,
den schwierigsten Teil seines volkswirtschaftlichen Prozesses
zurückzugewinnen, nämlich seine Währungsunabhängigkeit. Aber Mangel an
Unabhängigkeit bedeutet nicht Mangel an Autonomie. Aus Gründen, die ich hier
darlegen will, hat sich China im Währungsbereich faktisch wie ein „autonomer
Satellit“ verhalten, während es sich nachdrücklich vom Rest der Welt absetzte,
indem es sein Finanzsystem gegen die Schocks aus der Außenwelt isolierte. Aber
die Ära, in der diese Haltung ihren Zweck erfüllen kann, kommt nun an ihr
Ende.
Das Trauma der chinesischen Geschichte ist in seiner eigenen Darstellung -
„narrative“, wie man im Amerikanischen sagt - recht einfach: „China war
eine wichtige Weltmacht und verlor diese Position wegen der Inkompetenz seines
politischen Systems und wegen der Mißbräuche, denen es durch Ausländer
ausgesetzt war.“
Ursprung dieses Traumas war eine schlechte Währungspolitik, und das hat das
Bewußtsein der Bevölkerung und ihrer Politiker sehr stark geprägt. Tatsächlich
war das letzte Regime, das auf dem Kontinent entmachtet wurde, das von
Tschiang Kai-schek, der aus wirtschaftlichen und monetären Gründen - eine
galoppierende Inflation und fieberhafte Abwertungen der Währung - zum Rückzug
gezwungen war.
Man muß auch anmerken, daß die jüngste Veränderung in den langen Perioden
der chinesischen Geschichte (der Geschichte des chinesischen Einflusses in der
Welt) durch das monometallische Geldsystem verursacht wurde, das im 19.
Jahrhundert eingeführt worden war. Indem es sein Währungssystem ausschließlich
auf Silber stützte, wurde China - wie viele andere Länder, die die gleiche
Entscheidung trafen - vom Wertverlust gegenüber dem Gold hart getroffen, aus
Gründen, die im wesentlichen außerhalb der chinesischen Volkswirtschaft
lagen.
Das andere Trauma, das sich tief in den chinesischen Geist eingeprägt hat,
auch wenn es nur teilweise übertragbar ist, ist schließlich die „offizielle“
Interpretation des Plaza-Abkommens von 1985 und die zunehmende internationale
Verwendung des Yen.
In den Augen der chinesischen Analysten wurde Japan, das sich der
internationalen Verwendung des Yen mit aller Kraft widersetzt und an seiner
Souveränität festgehalten hatte, teilweise seiner Währung beraubt und einem
von den Vereinigten Staaten beherrschten System unterworfen; es zwang Japan,
seinen Kapitalmarkt zu öffnen und im Außenhandel einschließlich der
Investitionen seine Währung zu verwenden, und dies führte zu einer
„scheinbaren“ (oder realen) Überbewertung der japanischen Währung, was eine
erstaunliche Aufwertung des Yen bewirkte, dessen Wert gegenüber dem Dollar in
weniger als einem Jahr auf das Doppelte anstieg.
Die chinesische Lesart dieser Ereignisse sieht in der japanischen Rezession
eine Folge dieses Phänomens. Für China müssen heute die mit großer Mühe in den
letzten 30 Jahren erworbenen Fortschritte gegenüber dem Weltsystem verteidigt
werden, indem man sich jeglichen ausländischen Angriffen widersetzt.
Trotzdem entwickelt sich die chinesische Abhängigkeit vom Dollar in den
letzten Jahren genau in die entgegengesetzte Richtung dieser Furcht. Um die
Abhängigkeit vom Dollar zu beenden, muß ein ausgereiftes Finanzsystem
aufgebaut werden, mit einem unbehinderten Markt und einer Wirtschaft, die
gegenüber dem Bankensystem nicht anfällig ist. China hat bisher noch keine
angemessenen Finanzinstrumente entwickelt. Es hat lediglich seine Aktienmärkte
im „liberalen“ Stil modernisiert und unmittelbare Finanzierungssysteme
(Zinsmärkte) organisiert, indem es eine Ertragskurve entwickelte, indem es
Anleihemärkte eröffnete, etc. Aber es ist noch ein weiter Weg.
Das Ausmaß der notwendigen Anstrengungen, um die Wirtschaft, die Preise,
die internationalen Handelsbörsen zu reformieren, sowie - auch das muß gesagt
werden - die Bequemlichkeit der Nutzung des Dollars als einer liquiden und
anerkannten Währung, all das schob die Idee einer Reform des globalen
Finanzsystems auf lange Zeit hinaus.
Es wäre jedoch falsch anzunehmen, diese Verzögerung bedeute, daß China, das
stets auf lange Sicht handelt, eine stark und tief verwurzelte Idee aufgegeben
hätte, nämlich daß man das System verändern muß.
Die Finanzkrise 2008-09 hat das Bewußtsein gestärkt, daß etwas getan werden
muß, um das System zu ändern. In den ersten Wellen der Krise 2007-08 und bei
den ersten G-20-Treffen war China überzeugt, es sei an der Zeit, in
ausländische Finanzsysteme zu investieren, etwa durch Übernahme eines Anteils
an der Royal Bank of Scotland, was sich für China als ein Desaster erwies.
Die Lehre, die China hieraus gezogen hat, ist die, daß es dabei riskierte,
gegen seinen Willen in ein Spiel hineingezogen zu werden, das es immer tiefer
in ein krankes System verstricken würde. Der Wendepunkt war der 15. September
2008, als Fannie Mae und Freddie Mac nach dem Zusammenbruch von Lehman
Brothers zahlungsunfähig wurden. Offiziell bot China seine Unterstützung und
verpflichtete sich, ein maßgeblicher Investor zu bleiben, aber in der Praxis
begann es, seine Werte abzuziehen. Diese Veränderung wird nun umgesetzt durch
den Abbau seiner in Dollar ausgewiesenen Besitzwerte - eine Diversifizierung
gerade in einem Moment, wo die günstigste Abwicklung durch „günstigen“ Kauf
von Währungen möglich ist, weil ihr Kurs gegenüber den Dollar niedrig ist -;
und die chinesische Zentralbank hat ihre Devisenbestände nicht weiter
aufgestockt. All dies geschah schließlich 2014.
2. Die jüngere Geschichte der Währungspolitik
Chinas Währungspolitik blieb zwischen 1992 und 2005 in gewisser Hinsicht
unverändert, insbesondere was den Wechselkurs angeht, der bis Juli 2005, als
der Spielraum für die täglichen Fluktuationen erstmals erweitert wurde, auf
8,18 Renminbi gegenüber dem Dollar beschränkt war. Diese Entscheidung erlaubte
den Beginn einer Aufwertung der chinesischen Währung gegenüber dem
Dollar.
Diese Entscheidung setzte einen langsamen Prozeß in Gang, dessen
Konsequenzen man bereits spüren kann, auch wenn die Ziele selbst nach zehn
Jahren noch nicht erreicht sind. Aber das zeigt, daß diese Konsequenzen das
Resultat wohlüberlegter Entscheidungen sind. Nach einer Periode der
„vorsichtigen“ Stabilisierung der Zinsen während „der Krise“ (oder besser
gesagt: deren aktiver Phase) nahm China im Sommer 2010 eine weitere Maßnahme
vor: Es öffnete über das „Fenster“ Hongkong teilweise seine Kapitalkonten -
eine Art Zwilling seiner einheimischen Währung. Auf diese Weise schuf China
einen „Schatten-Zinsmarkt“.
Es muß sich noch zeigen, ob diese Erfahrung eine „liberale Täuschung“ war,
eine Erfahrung, die man fallen lassen wird, wenn sich die Resultate als
unbefriedigend erweisen, oder ein Element einer vielseitigen Palette. In jedem
Fall war es die „liberalste“ Fassade aller chinesischen Entwicklungen.
Zwei weitere politische Orientierungen wurden aktiviert:
- Die erste beruht zum Teil auf der Entscheidung vom Sommer 2010, den
Handel mit Yuan auf dem Hongkonger Markt teilweise zu liberalisieren, und das
war die Ausweitung der Verwendung des Yuan auf internationale Handelsabkommen
(bilaterale und internationale, für chinesische Exporte wie auch Importe,
Rohstoffe ausgenommen). Heute wird der Yuan, der von zahlreichen
Swap-Vereinbarungen mit mehr als 20 Ländern, darunter große Mächte,
profitiert, bei etwa 5% des Welthandels verwendet und steht damit an fünfter
Stelle - zugegebenermaßen weit hinter dem US-Dollar (der etwa 40% des
Welthandels darstellt) und sogar noch hinter dem Euro (10%).
- Zweitens der Versuch, Länder, die nahestehend, freundlich gesinnt und
ähnlich sind, wie beispielsweise die BRICS, zusammenzuführen zu einem System
gegenseitiger Unterstützung und letztendlich Teilung der Risiken durch die
Gründung einer „BRICS-Bank“, die 2011 beim Durban-Gipfel ins Auge gefaßt
wurde. Das soll erlauben, „unter Freunden“ die Turbulenzen zu reduzieren, der
Krise zuvorzukommen und sie zu vermeiden, u.a. durch die Schaffung eines
parallelen Währungssystems.
Beide Versuche hatten eine begrenzte Wirkung, ohne daß dies Chinas Theorie
und Handeln in Frage gestellt hätte.
3. Die Debatte mit der westlichen Welt
Die wichtigste Debatte in den westlichen Weltkonzernen neben dem
Schattentheater um die „Parität“ (in Wirklichkeit ein Scheinthema, dessen
Beschränktheit sogar amerikanische Finanzakteure eingestehen) ist, in welchem
Ausmaß China zu Engagement und Verantwortung bereit ist. Chinas Position ist
vernehmlich, auch wenn sie faktisch nicht ausgesprochen wird: Die Entwicklung
der Wirtschaft hat Vorrang. Keine „globale“ Verantwortung darf dieser
Bedingung im Wege stehen. China hat auf die weltweiten Konsequenzen seiner
Position hingewiesen: Eine Abschwächung Chinas würde zum Niedergang der
Weltwirtschaft führen, die mit seinem Aufstieg zur Macht rechnet.
Meilenweit entfernt von der Scheindebatte um die Wechselkurse und die
Aufnahme der chinesischen Währung in die Sonderziehungsrechte des IWF (SDR,
derzeit ein Warenkorb von Dollar, Pfund, Euro und Yen) ist die eigentliche
Frage für China vielmehr, wie es das globale (IWF-) Finanzsystem in seinem
„Istzustand“ bewertet, einschließlich einer möglichen Neupositionierung Chinas
als Hauptakteur oder vielleicht auch als „Sparringpartner“ in einem G-2-Format
mit den Vereinigten Staaten.
Die Antwort wird bewußt unklar gehalten, indem man mit der Perspektive
einer Revision des SDR-Währungskorbs 2015 auf Garantien besteht und sich auf
den bisherigen Standpunkt des IWF beruft, daß die chinesische Währung
tatsächlich nicht unterbewertet ist.
Eine chinesische Sorge bei tiefergehenden Diskussionen betrifft auch das
Inland und ist ein Echo der laufenden Debatte im Westen: Ist die chinesische
Finanz- und Währungsreform „glaubwürdig“, „lebensfähig“ und erlaubt sie die
Schaffung gegenseitigen Vertrauens im wirtschaftlichen Sinne dieses
Begriffs?
Betrachtet man die potentielle Kapitalflucht, die sich kaum im Nachhinein
durch die Bildung noch größerer, exportverbundener Devisenreserven
kompensieren läßt, ist die Antwort natürlich negativ. Vor allem muß China
seinen eigenen Einwohnern neues Vertrauen geben. Seine wirtschaftliche Macht
allein reicht nicht aus, weil es schon oft in der chinesischen Geschichte Raub
und Ausplünderung gab, so daß die „Neureichen“ von heute (eine Klasse, der die
Führer angehören oder die sie bestens kennen) nicht ohne Furcht sind. So droht
erneut eine Plünderung, weil die Schulden des Landes aufgrund einer
zeitweiligen Stagnation des Wachstums nicht mehr kompensiert werden. Es kommt
zu Insolvenzen, das Bankensystem muß geschützt werden, und all dies kann nicht
in einem völlig offenen Markt geschehen, wie er vom Westen gewünscht wird.
4. Chinesische „Kreativität“ und ihre Folgen
Chinas Kreativität hat sich besonders 2014 bei der Bewältigung
verschiedener Widersprüche und Einschränkungen gezeigt:
- Erstens geht es darum, die Finanzblasen, die durch Schwarzgeld sowie
mangels anderer Investitionsalternativen angezogenen Kapitals auf dem
Immobilienmarkt entstanden sind, unter Kontrolle zu bringen.
- Zweitens soll die Geldmenge durch eine vorsichtige Geldpolitik so
gesteuert werden, daß eine „harte Landung“ vermieden wird.
Aus dieser Sicht wurde die teilweise Öffnung der Kapitalkonten, die immer
öfter angekündigt wird, durch die Erfindung ausgeklügelter Mechanismen - wie
etwa dem „D-Zug“ [die Verbindung der Aktienmärkte Shanghai-Shenzhen mit
Hongkong] - beschleunigt, was schnellere Investitionen auf den Aktienmärkten
von Shanghai und Shenzhen ermöglicht.
Aber dabei geht es nicht so sehr darum, den internationalen Standards für
offene Kapitalkonten zu entsprechen, wie man beim amerikanischen MSCI-Index
behauptet, sondern darum, eine Alternative zu den austrocknenden Investitionen
von Banken der chinesischen Volkswirtschaft (mehr als 200% des BIP, neben den
öffentlichen Schulden) zu schaffen. „Ausgewichenes“ Kapital wieder ins Land zu
holen, indem man die Risiken eines möglichen Zusammenbruchs des chinesischen
Bankensystems durch wirtschaftliche Abschwächung deutlich machte, ist das
wahre Motiv dieser Öffnung.
5. Verlagerungen der internationalen Geopolitik und mögliche Folgen für
Chinas Machtaufstieg
China ist zweifellos nicht sehr transparent und will das besonders in so
sensitiven Bereichen wie Währungsfragen auch bleiben. Aber zum jetzigen
Zeitpunkt hält sich China wahrscheinlich beide Optionen offen: entweder eine
zunehmende Integration in das Post-Bretton-Woods-System mit dessen Risiken,
die seit langem identifiziert und in der Krise 2008 ausgetestet wurden, oder
eine Kooperation mit einem Glacis anderer Länder, die von China abhängen,
entgegenkommend sind oder die gleiche Ambition haben, ein neues regionales und
intraregionales, jedenfalls internationales, aber nicht globales System zu
schaffen.
Dieses System könnte sich aus der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank entwickeln, in deren Mittelpunkt China steht.
Oder um die Gasabkommen, die mit China abgeschlossen wurden, letztendlich als
erste Schritte zur Abkopplung der Rohstoffmärkte von den Dollarmärkten.
Hat es soviel Ehrgeiz, wichtig genug zu sein, um eines Tages seine Regeln
zu diktieren - annähernd feste Wechselkurse zwischen den Währungen, eine
Indexierung an bestimmte Werte oder Bindung an etwas anderes als den Dollar -,
oder ist es bloß gedacht als Schutz gegenüber einem parallelen System, dem
China nicht traut, aber dessen Mechanik es nutzt (insbesondere für
Investitionen in Europa)? Dies bleibt eine offene Frage, und die Debatte
könnte Elemente einer Antwort bringen.
Doch nachdem das gesagt ist, muß man auf die große Begeisterung für
Infrastruktur hinweisen, die die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank
(AIIB) in Europa ausgelöst hat. China ist interessiert am Technologietransfer
in Bezug auf die Finanzierung dieser Projekte, in Bezug auf die
Infrastrukturen und „regreßlose Kreditfazilitäten“ (d.h., daß die Kredite
durch die Projekte selbst zurückgezahlt werden).
Die AIIB bietet dem Westen einen Hebel, um Zugang zu den relativ
verschlossenen chinesischen und asiatischen Märkten zu erhalten. Aber nichts
schließt aus, daß die neugeschaffene AIIB in Zukunft auch in Europa tätig
wird, wo wegen der Defizite möglicherweise ein großer Mangel an öffentlichem
Kapital für Infrastruktur herrscht. Und wenn diese Investitionen die
chinesische, nichtkonvertible Währung aus ihrer relativen Isolation
herausführen, dann sollte das internationale Währungssystem sich darüber
freuen, daß ein bisher vom Dollar beherrschtes System stärker diversifiziert
wird.