Die NSA sammelt alles - macht sie dicht!
Wayne Madsen ist Enthüllungsjournalist, Autor und Kommentator.
Er diente als Offizier in der US-Marine und arbeitete kurze Zeit für die NSA.
Er ist heute Forschungsleiter am Electronic Privacy Information Center (EPIC)
und ist seit langem ein Vorreiter der Aufdeckung und Bekämpfung des
Überwachungsstaats.
Es ist eine Art glücklicher Zufall. Ich bin gestern abend hier in New York
angekommen, auf der Rückreise, nachdem ich die vergangene Woche in den
Archiven der Präsidenten Dwight Eisenhower und Harry S Truman mit Forschungen
über die Frühzeit unseres nationalen Sicherheitsstaats verbracht hatte.
Im Mittleren Westen erlebt man zur Zeit eine Menge Erdbeben, und einige
davon werden auf das Fracking zurückgeführt. Ich glaube aber, ein paar davon
kommen daher, daß diese beiden Herrschaften, die Präsidenten Truman und
Eisenhower, sich ständig im Grabe umdrehen, weil sie sehen, was aus den
Instrumenten geworden ist, die Truman für den Kalten Krieg geschaffen hat und
auf denen Eisenhower natürlich ausgebaut hat. Die CIA wurde 1947 eingerichtet,
die NSA 1952.
Edward Snowdens Enthüllungen haben natürlich viele Menschen schockiert,
aber für viele von uns, die schon seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre
die Geschichte der NSA verfolgen, war das keine Überraschung. Als ich Mitte
der 80er Jahre bei der NSA arbeitete, hörte ich zum ersten Mal einen Begriff,
den einige NSA-Techniker, die in der Datenüberwachung arbeiteten, verwendeten:
Sie sprachen von der „totalen Hörbarkeit“ (engl. total hearability).
Ich kannte das Wort „Hörbarkeit“ nicht und mußte es im Wörterbuch
nachschlagen: Es stand nicht drin! Es gab ein solches Wort nicht!
Das war zu einer Zeit, als die NSA noch in der analogen Welt arbeitete und
alle möglichen Formen der Kommunikation über Telefon, Fernmeßtechnik etc.
abhörte, einen großen Teil des Radiofrequenz-Spektrums, aber nicht über
Glasfaserkabel, mit denen die Daten heute übertragen werden.
Das also war ihre Absicht - „totale Hörbarkeit“. Sie wollten alles
mithören.
Dann kamen die 90er Jahre, das Ende der Administration Bush senior, die
Clinton-Administration. Und die NSA hatte ein neues Programm, bei dem sie
sagten: Wir wissen, daß die Leute ihre Informationen verschlüsseln, aber die
NSA braucht Zugang dazu. So ließen sie sich etwas einfallen, was sie Key
Escrow, Schlüssel-Hinterlegung, nannten. Das lief unter verschiedenen
Bezeichnungen, „Clipper Chip“, „Capstone Chip“ - eine, die mir besonders
gefiel, war „Tessera“.
Die Tessera war eine Erkennungsmarke, die die römischen Sklaven trugen, um
sie gegenüber den römischen Behörden als Sklaven auszuweisen. Ich weiß nicht,
wer bei der NSA für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, wenn die sich so
etwas einfallen lassen, aber uns Datenschützern hat es nicht besonders
gefallen.
Eines der wohl lustigsten Programme, das durch die Snowden-Enthüllungen
bekannt wurde - die NSA sagt, sie entwirft diese Namen für ihre verschiedenen
Systeme nach einer Art Musterbuch -, über das mußte ich lachen, es hieß:
„Egoistische Giraffe“. Das erinnerte mich an einige der langen, schlaksigen
Leute, mit denen ich bei der NSA zusammenarbeitete. Das Programm, mit dem sie
den mexikanischen Präsidenten ausspähten, nannte sich „Weiße Tamale“ - und wir
sollen glauben, daß sie auf diese Bezeichnung nur rein zufällig kommen?
Der Clipper Chip löste wahrscheinlich den ersten öffentlichen Feuersturm
gegen die NSA aus, als sie der Allgemeinheit dieses neue Geschenk der
Schlüssel-Hinterlegung machte.
Das alles sehende Auge
Dann kam natürlich der 11. September [2001]. Aber schon vor dem 11.
September wußten wir, daß die NSA, schon seit dem Moment, als die Regierung
Bush durch diese betrügerische Wahl im Jahr 2000 an die Macht kam, Druck auf
die Telefongesellschaften - die Telcos - ausübte, ihnen Zugang zu ihren
Datenvermittlungsstellen zu geben: AT&T, Verizon. Eine von ihnen, Qwest,
weigerte sich, und ihr Vorstandschef wanderte wegen aufgebauschter Vorwürfe
über Insidergeschäfte ins Gefängnis. Er wurde verurteilt und verbrachte einige
Zeit in Haft. Er wäre sicherlich der erste, der Ihnen bestätigt, daß das ein
politischer Prozeß war, weil er nicht mit der NSA mitspielen wollte.
Dann sahen wir, wie etwas entwickelt wurde, was sie als „Total Information
Awareness“ (TIA), die „Totale Informationskenntnis“ bezeichneten. Das machten
sie in DARPA, der Defense Advanced Research Projects Agency [Amt des
Verteidigungsministeriums für fortgeschrittene Forschungsprojekte]. Und wen
machten sie zum Leiter dieses Programms? Einen Kerl namens John Poindexter -
Admiral Poindexter, einer der Täter in einer der größten Staatsverschwörungen
seit Watergate, dem Iran-Contra-Skandal. Den machten sie dort zum Chef. Und
die Leute in der Regierung sagten: „Man wirft uns alle möglichen
Verschwörungen vor, aber es ist nicht wahr.“ Warum haben sie dann einen der
Verschwörer der Iran-Contra-Affäre geholt, um die Totale
Informationserkenntnis zu leiten? Sie kritisieren „Verschwörungstheorien“,
aber das Logo dieses Programms war eine Pyramide mit einem alles sehenden
Auge, das auf die Erde herunterschaute! Und solche Leute beschweren sich über
„Verschwörungstheoretiker“!
Als die Untersuchungskommission zum 11. September gebildet wurde, traten
zum erstenmal Whistleblower an mich heran. Ich hatte ja selbst bei der NSA
gearbeitet. Die Vorstellung, daß es dort Whistleblower gab, war unerhört! Es
hatte in den 80er Jahren Spione gegeben, da gab es den Fall Raymond Pelton und
den Walker-Spionagering - aber daß sich Whistleblower meldeten, nicht um
Geheimnisse zu verraten, sondern um Mißbräuche aufzudecken, das war für mich
ein Schock. Und ich sagte mir, bei der NSA muß wirklich vieles falsch laufen,
wenn so etwas geschieht.
Wie ist man mit diesen Leute umgegangen? Sie sprachen über Abhöraktionen
ohne gerichtliche Anordnung - Stellar Wind. Sie haben einige von ihnen im
Fernsehen gesehen, schon vor Snowdens Enthüllungen: Russ Tice, da war auch Tom
Drake. Im Justizministerium gab es Thomas Tamm, einen Staatsanwalt. Sie alle
wurden zu Verhören vorgeladen; einige von ihnen wurde vor einer Jury
angeklagt, das FBI wollte sie ins Gefängnis bringen. Wir haben erlebt, wie
diese Regierung, die Regierung Obama, acht oder neun Leute nach dem
Spionagegesetz von 1917 angeklagt hat! Obama hat mehr Strafverfahren geführt
als alle seine Vorgänger zusammen, um Whistleblower zum Schweigen zu
bringen!
Und dann hörten wir den Startschuß für die „totale Hörbarkeit“: „Sammelt
einfach alles.“ Die Aufgabe der NSA lautet: „Sammelt alles!“
Die Snowden-Enthüllungen
Dann kamen Snowdens Enthüllungen. Das wichtigste bei den
Snowden-Enthüllungen - wir wußten, daß sie das taten, wir wußten, daß sie
Journalisten überwachten. Ich selbst habe über ein Programm namens „Erste
Früchte“ (First Fruits) geschrieben, das nicht nur erfaßte, was Journalisten
über die NSA schrieben, sondern auch, mit wem sie am Telefon sprachen. Sie
haben sich in unsere Kommunikation eingeklinkt und das in ihrer Datenbasis
erfaßt.
Was Snowden uns gezeigt hat, ist, wiesie das gemacht haben. Wir
wußten, daß sie es taten, aber er lieferte uns die technische Dokumentation,
die uns zeigte, wie sie die Überwachung durchführten - und zwar
flächendeckend. Es gibt jetzt die sog. SIGADs - Signal Intelligence Acticity
Descriptors (Datenerfassungs-Aktivitätsbeschreiber), ihre Nomenklatur wurde
früher für die NSA-Stationen wie z.B. Menwith Hill [in Großbritannien] oder
Masawa in Japan verwendet. Jetzt haben wir SIGADs für die AT&T- und
Verizon-Vermittlungsstellen hier im eigenen Land! Auch für Yahoo, für Google,
für PayPal. Und diese Gruppe, die Pierre Omidyar gegründet hat, PayPal, gibt
100 Millionen Dollar an [Glenn] Greenwald und andere Journalisten, damit die
über die NSA schreiben. Ich glaube, der wahre Grund dafür ist, daß er nicht
wollte, daß herauskommt, daß PayPal einer der Hauptbeteiligten bei der
NSA-Überwachung ist. Wie hält man das unter dem Teppich? Man kauft sich mit
100 Millionen Dollar ein paar Journalisten - das könnte funktionieren. Mich
ärgert es ein bißchen, daß ich selbst noch kein solches Angebot bekommen
habe!
Wir haben durch Snowden auch von den dritten Parteien bei der
NSA-Überwachung gehört. Die zweiten Parteien sind die englischsprachigen
Länder Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien und die Vereinigten
Staaten. Angela Merkel zeigte sich vollkommen überrascht, als sie erfuhr, daß
ihr Mobiltelefon von der NSA abgehört wurde. Aber hat sie mal beim
Bundesnachrichtendienst nachgefragt, um etwas darüber zu erfahren? „Ja, wir
arbeiten mit der NSA in diesem Programm zusammen, und wir hören alle Ihre
Gespräche mit!“ Ich habe sie mit dem Polizeiinspektor in dem Film
Casablanca verglichen, Inspektor Reynaud, der sagt: „Ich bin
schockiert, daß in diesem Etablissement Glückspiel stattfindet!“, und dann
seinen Gewinn einstreicht.
Okay, die NSA sammelt alles. Wenn Sie Onlinespiele spielen, wenn Sie
Pornoseiten besuchen - die sind immer dabei und nutzen diese Informationen. Es
ist flächendeckend. Es gibt in der Welt der NSA keine Privatsphäre.
Wir wissen von Operationen, wo gezielt Viren und Malware verbreitet werden
(tailored access). Eine Menge Spam kommt von der NSA, sie sind daran
beteiligt. Und was das Ausspähen führender Staatschefs angeht, das steht sogar
in ihrem Statut, das machen sie schon seit Jahren. Die Staatschefs sind
wahrscheinlich wütend, weil sie geglaubt hatten, sie seien dagegen immun, weil
sie ja Staatschefs sind. „Wir sind die G-20, wie kann die NSA uns abhören?“
Wer zur Zielscheibe für die NSA wird, für den gibt es keinen sicheren
Hafen.
Was kann man tun?
Nun, zum Schluß - denn ich will, daß wir noch Zeit für Fragen haben -
möchte ich noch sagen: Was kann man tun? Viele Leute sagen: Es gab doch ein
paar interne Berichte an Obama [über mögliche Änderungen bei der NSA],
modifizieren wir das, was die NSA tut, schränken wir sie ein. Setzen wir die
Beschränkungen des Gesetzes über die Überwachung ausländischer Geheimdienste
(FISA) wieder in Kraft.
Mein Eindruck ist aber: Die NSA ist als Spionagebehörde völlig außer
Kontrolle geraten. Schafft sie ab, versucht nicht, sie zu bessern. Macht sie
dicht! Als der Schah gestürzt wurde, haben sie [seinen Geheimdienst] SAVAK
nicht ausgebessert, sie haben ihn abgeschafft. Als die Apartheid in Südafrika
fiel, haben sie das Büro für Staatssicherheit (BOSS) nicht ausgebessert, sie
haben es abgeschafft. Sie haben den KGB abgeschafft, sie haben die Stasi
abgeschafft. Sie haben die Securitate in Rumänien abgeschafft. Sie haben das
Staatliche Forschungsbüro abgeschafft, nachdem sie Idi Amin gestürzt hatten.
Sie haben die Tonton Macoute in Haiti abgeschafft, als sie Baby Doc abgesetzt
hatten. Schaffen wir also auch die NSA ab.
Man kann die Einrichtungen gut nutzen. Sie haben einen wunderbaren Campus.
Wir haben in unserem Land zuwenig Ingenieure und Wissenschaftler - man könnte
daraus ein wunderbares Ausbildungszentrum für Ingenieure, für die Ausbildung
von Technikern machen, und alle arbeitslosen NSA-Leute können dort weiter
beschäftigt werden. Sie können alle die Leute, die diese Ausbildung brauchen,
in Mathematik und Ingenieurwesen unterrichten. Oder es könnte auch einfach der
Columbia-Campus der Universität von Maryland sein.
Jedenfalls war es sehr interessant, die Papiere von Eisenhower und Truman
zu lesen. Ich muß sagen, wenn die heute noch da wären, dann würden sie mir
zustimmen, bei dem, was mit der NSA passiert und was daraus geworden ist: Das
läßt sich nicht reparieren, das kann man nur beenden!
Vielen Dank.
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