Ein Vorgeschmack auf die Renaissance
Stephan Ossenkopp berichtet von einem „Dialog der Kulturen“,
den das Schiller-Institut am 10. Dezember im Berliner Literaturhaus
veranstaltete.
Am 10. Dezember wurde das Berliner Literaturhaus zu einem Ort, an dem die
Ideen für eine längst überfällige klassische Renaissance lebendig wurden. Das
Schiller-Institut hatte zum „Dialog der Kulturen“ eingeladen, um „ein neues
Paradigma als Ausweg aus der Krise“ zu präsentieren.
Das schöne Kaminzimmer des Literaturhauses in der Berliner Fasanenstraße
war mit 60 Gästen und 30 Mitwirkenden vollständig ausgebucht, als die ersten
Töne aus Ludwig van Beethovens Kantate „Meeresstille und glückliche Fahrt“
erklangen. Die ungeheure Spannung, die sich aus dem Kontrast zwischen dem
ruhigen und dem aufbrausenden Teil des Stücks ergibt, war die perfekte
Einstimmung auf das gesamte vierstündige Programm, das dem Publikum zwei
völlig gegensätzliche Paradigmen vor Augen führte, die derzeit im Wettstreit
um die Zukunft liegen.
Dazu nahmen drei Redner aus ihren jeweiligen Perspektiven Stellung: Helga
Zepp-LaRouche, die Gründerin und Präsidentin des internationalen
Schiller-Instituts, Harley Schlanger, Vorstandsmitglied im Schiller-Institut
in den Vereinigten Staaten von Amerika, und Jochen Heibertshausen,
Kontrabassist und Dirigent. So machten sowohl die Musik als auch die Vorträge
dem Publikum deutlich, daß der weitaus größte Teil der Menschheit längst eine
„Neue Welt“ aufbaut, die sich an einer gemeinsamen, positiven Zukunftsvision
im Interesse aller Nationen und Völker ausrichtet. Nur in Deutschland herrscht
noch eine gewisse „Flaute“, und keiner will so recht glauben, daß längst eine
alles umwälzende Bewegung in die Welt getreten ist.
Das direkt im Anschluß an Beethovens Komposition mit Chor und
Kammerorchester vorgetragene Werk „American Cantata“ folgte derselben Idee.
Wie der Schöpfer des Werks, Benjamin Lylloff, in seiner Einleitung vortrug,
geht es darin primär um die unveräußerlichen Rechte und Freiheiten des
Menschen in Geist und Gesellschaft. Lylloff verband Teile aus Dvoraks
Symphonie „Aus der Neuen Welt“ und des Spirituals „Going Home“ mit dem Text
von Abraham Lincolns Gettysburg-Rede und Benjamin Franklins Siegelspruch
„Rebellion to tyrants is obedience to God“ (Rebellion gegen Tyrannen ist
Gehorsam gegenüber Gott).
Das neue Paradigma kommt
Helga Zepp-LaRouche wählte als Auftakt zu ihrem Vortrag noch ein weiteres
Bild: Würde man die Nationen der Erde mit einem Chor gleichsetzen, dann singe
Deutschland gerade in einem völlig falschen Takt. Anstatt das Muster der
ungeheuren Veränderungen weltweit als chancenreich und positiv zu sehen, sähen
die Deutschen überall nur Bedrohliches. Von Trump in Amerika bis Duterte in
den Philippinen, von Putin in Rußland bis Xi in China sehe die deutsche
Öffentlichkeit nichts als „Rüpel und Schurken“.
Dabei sehe die reale Welt vollkommen anders aus. Das System der
Globalisierung gehe derzeit in Rekordzeit krachend unter, da es mit der Würde
des Menschen überhaupt nicht vereinbar sei. Die Armut sei selbst in Europa
unerträglich geworden, der Lebensstandard und die Lebenserwartung der
amerikanischen Arbeiter- und Mittelschicht falle stetig ab, und die auf Lügen
aufgebauten Regimewechsel-Interventionen in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien
etc. sorgten für endloses Chaos und Flüchtlingsströme. Die Ideologie, die
dieses System hervorgebracht habe, kollidiere nun mit der Realität, sagte Frau
LaRouche, nämlich, daß die Menschen sich in einem Zustand der Revolte
befänden, die so lange anhalten werde, bis die begangenen Ungerechtigkeiten
vollständig beseitigt seien.
Das neue Paradigma läßt gerade, fuhr Frau Zepp-LaRouche in ihrem Vortrag
fort, unter dem geflügelten Wort der „Neuen Seidenstraße“ eine internationale
Win-Win-Zusammenarbeit bei Infrastruktur, Grundlagenforschung und Wissenschaft
entstehen. Der neue Faktor in dieser beispiellosen Dynamik sei nun Donald
Trump, der für seine kommende Amtszeit als US-Präsident ein umfangreiches
Infrastruktur-Aufbauprogramm für die Vereinigten Staaten, das Ende der
Regimewechselpolitik und ein gutes Verhältnis zu Rußland und China angekündigt
habe. Zepp-LaRouche verwies in diesem Zusammenhang auf Äußerungen der
stellvertretenden chinesischen Außenministerin Fu Ying, die Trumps
Infrastrukturplan als mögliches Verbindungsglied zur Neuen Seidenstraße
bezeichnet hatte. Die USA hätten die Chance zu einer umfassenden
Kurskorrektur, um sich nun an den vier Wirtschaftsprinzipien, die ihr Ehemann
Lyndon LaRouche als Leitfaden aufgestellte hatte, zu orientieren.
In ihrem Vortrag wolle sie auf das vierte Prinzip, nämlich die menschliche
Kreativität als Quelle allen Wohlstandes, besonderen Wert legen. China habe
dies im Rahmen seiner Seidenstraßen-Initiative längst erkannt und deswegen
sein Budget für die Kernfusion und die bemannte Raumfahrt enorm aufgestockt,
um die Grundlagen für die neue Ära einer Helium-3-basierten Realwirtschaft zu
legen, in der Energie- und Rohstoffsicherheit gewährleistet seien.
Die zukünftige Rolle des Menschen im Universum sei aber von niemandem so
umfassend ausgestaltet worden wie von dem deutschen Raumfahrt- und
Technikpionier Krafft Arnold Ehricke, aus dessen Schriften vom
„extraterrestrischen Imperativ“ Frau Zepp-LaRouche zitierte. Das Potential des
Menschen und des Kosmos, in dem er lebt, sei grenzenlos, und deswegen
grenzenlos vervollkommnungsfähig. Das Ideal, das sich das Schiller-Institut
für die Zukunft vorstelle, sei, daß alle Kinder eine universelle Bildung im
Sinne von Wilhelm von Humboldt genießen können, um die von Friedrich Schiller
so bezeichnete „schöne Seele“ zu entwickeln, für die Pflicht und Neigung, wie
beim Genie, in eins fallen würden. Ihre Antwort auf die vielen Fragen des
Publikums zum Vortrag war die Herausforderung, sich wie Moses Mendelssohn
möglichst viele Wissensgebiete anzueignen, um sich so die höhere Ebene der
Vernunft, auf der die konstruktive Zusammenarbeit aller Nationen möglich ist,
zu erschließen. Sie bat das Publikum, diese Alternative des neuen Paradigmas
bekannter zu machen und selbst zu Veranstaltern und Multiplikatoren zu
werden.
Was bedeutet die Wahl Trumps wirklich?
Mit Harley Schlanger kam jemand zu Wort, der seit rund vier Jahrzehnten auf
der Seite der Ideen Lyndon LaRouches in der US-amerikanischen und
internationalen Politik tätig ist. Er kennt wesentliche Elemente, die die Wahl
Donald Trumps am 8. November überhaupt möglich gemacht haben. Wir hätten es
mit dem Phänomen des Erwachens breiter Schichten des amerikanischen
Bevölkerung zu tun. Man wisse zumindest sehr genau, was man nicht mehr wolle:
Kriege, Bankenrettung, Arbeitslosigkeit und ein unbezahlbares Bildungs- und
Gesundheitssystem. Wut und Frust auf 16 Jahre Bush und Obama hätten sich bei
dieser Wahl entladen. Auch wenn noch nicht ganz klar sei, was Trump ab dem 20.
Januar, wenn er ins Amt eingeführt wird, tun werde, habe er bei den
Dankensreden an seine Wähler immerhin neben dem Infrastrukturprogramm auch die
Rückkehr zum Glass-Steagall-Trennbankensystem und die Wiederbelebung von
Wissenschaft und Raumfahrt in den USA angekündigt.
Diese wachere Art zu denken habe viel mit dem historischen Einfluß von
herausragenden kreativen Persönlichkeiten wie Percy Shelley, Abraham Lincoln
und Alexander Hamilton zu tun. Shelley hatte den Dichter als wahren
Gesetzgeber bezeichnet, weil nur der Dichter verstünde, nach welchen Ideen das
Volk in einer Krise hungrig seien. Wir lebten in einer Phase des fundamentalen
Umbruchs, machte Harley Schlanger deutlich, in der die Menschen neue
fundamentale Vorstellungen anzunehmen in der Lage wären. Unsere Aufgabe sei
es, diese Gelegenheit zu nutzen, um LaRouches Prinzipien in den USA zu
verankern. Die Deutschen hätten keinen Grund mehr, in ihrem Pessimismus zu
verharren, denn, auch wenn sie es noch nicht glauben könnten, sei das alte
System, zu welchem auch das „Merkel-Regime“ gehöre, besiegbar.
Furtwängler als Chance
„Für mich war er Beethoven“, zitierte der Kontrabassist Jochen
Heibertshausen eine der berühmtesten Opernsängerinnen, Maria Callas, die dies
über den Dirigenten Wilhelm Furtwängler gesagt hatte, dessen Aufführungen sie
im Italien der Nachkriegszeit erlebte. Für Heibertshausen ist Furtwängler
einfach der beste Musiker des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen, da für
Furtwängler die Wahrhaftigkeit im musikalischen Kunstwerk und seiner
Aufführung der leitende Gedanke gewesen sei - ein Begriff, der aus der
heutigen Kultur verbannt worden ist. Ein Kunstwerk sei nur lebendig, wenn es
organisch sei, wenn der Dirigent seine emotionalen Entscheidungen stets für
das Ganze fälle, und nicht seinen eigenen Gefühlsrausch nach vorne
stelle.
Furtwängler habe, so Heibertshausen, die Parameter des Klanges wie kein
zweiter in ihrer Gesamtheit beherrscht. Mit Ausschnitten aus historischen
Aufnahmen von u.a. Schuberts vierter und Beethovens erster und dritter
Symphonie führte er die „unerreichten Interpretationen“ Furtwänglers vor die
Ohren der Zuhörer. Das „Geheimnis“ Furtwänglers sei eigentlich sein Festhalten
an der Tugend und dem Streben nach dem Menschlichen, sagt Heibertshausen.
Heute herrsche eine „Kultur der Unruhe“, in der jeder dem Erfolg hinterher
jage. Das habe etwas damit zu tun, daß in der Nachkriegsordnung Deutschlands
eine Vernichtung der Geistigkeit betrieben wurde, in der auch Wilhelm
Furtwängler schwer angegriffen und in den Entnazifizierungsprozessen geradezu
gekreuzigt worden ist, während „Das Wunder Karajan“ (so hieß es 1938 in
Berlin), der sogar zweimal der NSDAP beitrat, dieser Prozedur enthoben wurde
und plötzlich eine Blitzkarriere hinlegte. Heute, so Heibertshausen, würde das
Genie von Furtwängler dringend gebraucht, weshalb er derzeit auch eine
Internetplattform mit Furtwängler-Zitaten und Hörbeispielen aufbaue.
Musikalische Grüße aus Asien
Zum musikalischen Programm des Nachmittags gehörten auch noch die von der
aus Japan stammenden Mezzosopranistin Mayumi Nakamura gesungenen Lieder
„Oyasumi“ und „Hatsu Koi“, und das von der in China geborenen Sopranistin Lini
Gong vorgetragene Schubert-Lied „Das Veilchen“, die allesamt vom Publikum mit
freudigem Applaus belohnt wurden.
In der Gesamtschau ist dieser „Dialog der Kulturen“ des Schiller-Instituts
ein lebendiges Forum um die Ideen und Aktivitäten für den Paradigmenwandel zu
einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in der die kreativen Kräfte der Menschheit
zur raschen vollen Entfaltung gelangen können. Denn, so sagte Frau
Zepp-LaRouche in ihrem Schlußwort, selbst wenn Krieg und Hunger nun überwunden
werden können, geht es um eine sich immer weiter entwickelnde Zukunftsvision,
in der wir uns darauf verständigen können, wie wir als Menschheit die
kommenden hundert, tausend, sogar zehntausend Jahre gestalten wollen.
Stephan Ossenkopp
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