Tragfähige Energieentwicklung in den Entwicklungs- und
Schwellenländern
Welche Rolle könnte die Kernenergie spielen?
Von Adeline Djeutie
Adeline Djeutie, unabhängige Beraterin und frühere Leiterin des
Programm-Managements für technische Zusammenarbeit in der Afrika-Abteilung der
Internationalen Atomenergiebehörde, hielt bei der Berliner Konferenz des
Schiller-Instituts den folgenden Vortrag, der für den Abdruck aus dem
Englischen übersetzt wurde, die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion
hinzugefügt.
Vielen Dank, guten Tag. Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut
und Frau Zepp-LaRouche für diese Einladung danken. Ich muß sagen, es ist
tatsächlich das erste Mal, daß ich die Möglichkeit habe, an einem so
interessanten Austausch teilzunehmen. Legen Sie mir das nicht zur Last, denn
ich bin eher gewohnt, an politischen und diplomatischen Treffen teilzunehmen.
Es ist deshalb sehr, sehr interessant, die Gelegenheit zu haben, andere
Darstellungen zu hören und in diesem Sinn an einer Diskussion über Entwicklung
teilzunehmen.
Ich würde sagen, der Grund, warum wir die Rolle der Kernkraft in der
Entwicklung betrachten, ist sehr einfach. Ich denke, wir sind uns hier alle
einig, daß die Welt an einen Punkt gekommen ist, wo wir das Paradigma ändern
müssen, und daß die internationale Gemeinschaft gemeinsam die neuen
Verbindungen schaffen sollte, um sicherzustellen, daß die Grundwerte, auf
denen die Vereinten Nationen begründet wurden, erhalten bleiben. Diese Werte
sind die Freiheit von Furcht, die Freiheit von Not, die Freiheit der Rede und
die Freiheit des Glaubens für alle Menschen.
Bei allem, was wir ersehen können, was auf der Welt geschieht, vor allem in
den Entwicklungsländern, könnte ich das, was hier bisher gesagt wurde, nicht
stärker betonen: Die Unsicherheit und politische Instabilität wächst, und in
den Entwicklungsländern grassiert die Not. Perspektivlosigkeit und Ablehnung
des politischen Establishments durch viele Menschen führen zu globaler
Unsicherheit, wie wir an einer beispiellosen Welle von Flüchtlingen, des
Terrorismus usw. sehen können. Tatsache ist, daß der internationale Frieden
nicht garantiert werden kann, wenn so viele Menschen im Elend gelassen werden.
Länder müssen sich entwickeln, damit sie auf eigenen Füßen stehen können, und
entweder versuchen wir, gemeinsam zu überleben, oder wir werden gemeinsam
untergehen.
Es ist daher an der Zeit, realistische Alternativen in der internationalen
Entwicklungspolitik zu untersuchen, die funktionieren. Aber es gibt keine
Entwicklung ohne Energie. Die Energie spielt, wie wir alle wissen, eine
entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.
Tatsächlich gibt es keinen Weg, die Armut zu lindern, wenn es keine dauerhafte
Energieversorgung gibt. Energie trägt zur Verbesserung der sozialen
Bedingungen bei, wie Gesundheit, Bildung, Nahrungsmittel und anständiges
Leben, und zur wirtschaftlichen Entwicklung, wozu die Entwicklung des privaten
Sektors, Investitionen, Beschäftigung, Industrialisierung, Innovationen etc.
gehören.
Aber viele Länder sind immer noch nicht in der Lage, den Energiebedarf
ihrer Länder zu decken, und damit die notwendigen Bedingungen zu schaffen, die
eine wirksame Entwicklung in Gang setzen und die Armut beseitigen werden.
Vorurteile
Ich bin mir ziemlich sicher, daß viele von Ihnen überrascht die Augenbrauen
hochgezogen haben, als Sie im Titel dieses Vortrags gelesen haben: „Kernkraft
in Entwicklungsländern“. Das würde mich nicht überraschen, denn oft werden
diese beiden Begriffe als ein Widerspruch betrachtet.
Ich will Ihnen etwas erzählen, was mich immer amüsiert hat, als ich noch
bei der IAEA gearbeitet habe. Wenn ich Gelegenheit hatte, mit Leuten zu reden
und über Entwicklungsfragen zu sprechen, dann waren sie immer ganz
enthusiastisch – bis ich Ihnen sagte: „Übrigens ich arbeite im Nuklearsektor.“
Dann reagierten sie plötzlich, als sei ich radioaktiv! (Lachen.) Aber all das
hat eine Erklärung, und ich denke, es gibt drei wesentliche Punkte, die ich
hier hervorheben möchte und die ihnen helfen werden, die Dinge etwas anders zu
sehen.
Der erste Punkt ist, daß es der internationalen Entwicklungsagenda mit der
vorgeschlagenen Energiepolitik und deren Umsetzung nicht gelungen ist, dem
Energiebedarf und den Ansprüchen einiger Länder gerecht zu werden. Es gibt
viele Initiativen, die von der internationalen Gemeinschaft in diesem Bereich
unternommen wurden – es gibt die nachhaltigen Entwicklungsziele, es gibt die
Milleniums-Entwicklungsziele, und es gibt eine Reihe von Initiativen, die den
Ländern helfen sollen, sich zu entwickeln und ihre nationale, nachhaltige
Energiepolitik umzusetzen. Aber bisher haben wir keine konkreten Beispiele, wo
eine solche Politik Erfolg hatte.
Zudem möchte ich betonen, daß die bisherige Politik die Entwicklung der
sogenannten traditionellen Energiequellen gefördert hat. Dabei gab es nur
Stückwerk an Unterstützung, die die Mitgliedsstaaten erhielten – man baute
eine kleine Anlage hier oder da in einem Dorf, aber das ist kein nachhaltiger
Weg, um die Energieprobleme dieser Länder zu lösen.
Entwicklung und Energiebedarf
Die zweite Frage, mit der wir es bei der Untersuchung anderer Optionen zu
tun haben, ist, daß der Energiebedarf mit dem Bevölkerungswachstum wächst.
Nach gegenwärtigen Schätzungen haben jetzt 1,4 Mrd. Menschen keinen Zugang zu
Energie, die meisten davon in den Entwicklungsländern. Und wir wissen, daß die
Weltbevölkerung nach der Wachstumsprognose der Vereinten Nationen von 6,7 Mrd.
2011 auf 8,7 Mrd. 2035 zunehmen wird, wodurch die Belastung wachsen und der
Energiebedarf deutlich zunehmen wird. Das sind die Fakten, die wir
berücksichtigen müssen. Wenn Länder schon heute nicht in der Lage sind, den
jetzigen Energiebedarf ihrer Bevölkerung zu decken, was wird dann geschehen,
wenn bis 2030 keine drastische Lösung gefunden wird? Das sind die wesentlichen
Zahlen, die wir im Kopf haben müssen. Und was es noch komplizierter macht,
ist, daß über 70% dieses zusätzlichen Bedarfs in Entwicklungsländern mit China
und Indien an der Spitze erwartet wird.
Seltsamerweise stellen wir in Gebieten wie Afrika, wo der Energiebedarf
ganz schrecklich ist, fest, daß der Energiemangel keineswegs Ausdruck des
bestehenden Rohstoffpotentials in vielen Ländern ist. Afrika verfügt in der
Tat über verschiedene Naturreichtümer (Öl, Gas, Sonne, Wasser, Wind, Uran
usw.). Wir wissen, daß diese Ressourcen dazu beitragen können, diesen Bedarf
zu decken, auch wenn es immer noch Probleme gibt. Aber nichts geschieht!
Als spezifisches Beispiel ist es in der Tat absurd, daß in der
Demokratischen Republik Kongo nur 9% der Bevölkerung Zugang zu elektrischem
Strom haben, während das Land über ein riesiges Wasserkraftpotential
verfügt.1 Nigeria als eines der führenden ölproduzierenden Länder
und Mitglied der OPEC kann nur 55,6% seiner Bevölkerung mit Strom versorgen.
Und es geht weiter mit Ländern wie Niger und Namibia, die viert- und
fünftgrößten Uranförderländer, aber nur 14,4% bzw. 47,3% ihrer Bevölkerung
haben Zugang zu elektrischem Strom.2 Daraus sind also einige Lehren
zu ziehen, und das sind einige Fragen, aus denen wir alle lernen sollten.
Alternative Energien
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte und der uns zu einem
Paradigmawechsel zwingt, sind die neuen Umweltabkommen, die jetzt als
zusätzliche Herausforderung bei der Entwicklung dieser Länder betrachtet
werden. Sie alle kennen die Debatten in letzter Zeit über den Klimawandel und
die jüngsten Umweltschäden, die man als Vergeltung für den menschlichen
„Fußabdruck“ in der Natur bezeichnet hat; Verheerungen und Umweltkatastrophen
wurden tatsächlich auf diese Änderungen zurückgeführt. Die dringende
Notwendigkeit, die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, und die Forderungen
nach einer „Vergrünung“ der Wirtschaft sind in aller Munde, und die Forderung
nach Vergrünung der Wirtschaft hat einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück
mehr gibt.
Aber sind auch alle Länder bereit, sich diese anstehenden Veränderungen zu
eigen zu machen, die große Konsequenzen für die nationale Politik und die
Entwicklungsbemühungen dieser Länder haben?
Man muß sehen, daß die erneuerbaren Energien, außer der Kernkraft, als
alternative, saubere Energien angepriesen werden, was eine gute Sache ist.
Aber wir erkennen auch, daß es heute zahlreiche finanzielle und investorische
Anreize zur Energieentwicklung gibt, die alle auf diese Energieformen
ausgerichtet sind, und die die Entwicklungsländer dazu auffordern, sich
vorzugsweise auf die zu konzentrieren, die wir kennen, wie die Solarenergie,
Geothermie, Windkraft usw.
Es ist aber klar, daß die vorgeschlagenen erneuerbaren Energien allein das
Energieproblem der Entwicklungsländer nicht lösen können. Wir müssen also
erneut über andere Lösungen nachdenken.
Kernkraft als Option
Kommen wir also auf die Kernkraft zurück in allen diesen Fragen, allen
diesen Herausforderungen, die ich erwähnt habe: Die Kernkraft hat in den
achtziger Jahren - bis Mitte der achtziger Jahre, würde ich sagen -
gewissermaßen glorreiche Jahre erlebt, aber heute wird sie als obsolet
dargestellt. Diese Option wird insgesamt verworfen und aus allen Diskussionen
im Energiebereich weltweit herausgehalten. Wenn man einen der Geldgeber
anspräche, mit denen wir traditionell reden, und ich mit ihm so redete wie
hier, dann wäre der Saal am Ende meiner Rede leer! Denn niemand will hören,
was ich dazu zu sagen habe.
Natürlich ist, wie Sie alle wissen, etwas geschehen, was in dieser
Situation nicht hilfreich war, nämlich der Unfall von Fukushima-Daiichi 2011.
Nach diesem Unfall erhoben sich viele Stimmen, die ein Ende der Ära der
Kernenergie forderten. Diese Stimmen wurden sogar unter nationalen Regierungen
laut. Wir verstehen, daß der Grund dafür natürlich im wesentlichen
Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dieser Technologie waren, aber ich
denke, über die Sicherheitsfragen hinaus gab es auch noch einen besonderen
Grund dafür, nämlich eine Kultur der Angst, die in diesem Zusammenhang
geschürt wird - von Regierungen, Medien, der Wissenschaftsgemeinde, und wie
sie alle erkennen, ist es weit sexyer und schicker, auf die schlimmste Seite
der Kernkraft hinzuweisen als auf ihre Vorteile.
Nehmen wir ein Beispiel: Wie viele Artikel über die Kernkraft haben Sie
gelesen, worin stand, was die Kernkraft für eine bessere Entwicklung leisten
kann? Wenn es solche Artikel gibt, dann heißt es sofort dagegen, daß die Welt
untergehen wird, weil sich dieser oder jener Reaktor aufgrund von
Sicherheitsproblemen so verhalten habe. Wir müssen das Bewußtsein der Menschen
heben, damit sie das notwendige Wissen haben, um diese Technologie realistisch
einzuschätzen. Deshalb ist diese Debatte heute wirklich wichtig und
zeitgemäß.
Ende des Nuklearzeitalters?
Ich kann zu alledem nur sagen, daß die Realität vor Ort eine ganz andere
ist, aber von den Medien werden Sie darüber nichts erfahren. Niemand wird
Ihnen erklären, daß es heute ganz konkret gar keine wirkliche alternative
Energie gibt, die die Kernkraft auf absehbare Zeit ersetzen kann, insbesondere
in den Ländern, die die Kernkraft nutzen. Außerdem ist deutlich, daß sich die
Kernenergie bisher als saubere und verläßliche Energiequelle erwiesen hat -
das ist eine Tatsache, das ist eindeutig erwiesen.
Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung von den derzeitigen Zahlen über die
Kernkraft haben. Ende 2014 wurden etwa 435 Kernreaktoren weltweit
betrieben,3 aber glauben Sie mir, diese Zahl wird sich in den
kommenden Jahrzehnten verdoppeln! Sie wissen das vermutlich nicht, weil die
Medien den Eindruck erwecken, daß das Nuklearzeitalter zu Ende gehe, aber die
Realität vor Ort zwingt die Regierungen und die Industrie, in dieser Richtung
voranzuschreiten. Ich kann Ihnen sagen: Von den 435 Reaktoren weltweit sind 99
in den USA, 58 in Frankreich, und Sie wissen, daß darüber in Frankreich heiß
diskutiert wird. 48 in Japan, 34 in Rußland, usw. Neu hinzugekommen sind China
mit 23, Südkorea mit 23, Indien mit 21.4 Das ist der jetzige Stand,
und wir erkennen, daß dies zur Entwicklung all dieser Länder beigetragen
hat.
Der Unfall in Fukushima-Daiichi hat diese Entwicklung etwas gebremst, aber
er bedeutete nicht das Ende der nuklearen Ära. Wie man aus einer Studie der
IAEA ersehen kann, wird sie wieder Fahrt aufnehmen.
Entschuldigen Sie, wenn ich hier mit einer gewissen Leidenschaft spreche;
ich will versuchen, nicht viel mehr Zeit zu beanspruchen.
Derzeit ist eine Verschiebung im Nuklearbereich im Gang, von den
traditionellen sogenannten Kernkraft-Nationen nach Ostasien, in den Nahen
Osten und nach Mitteleuropa. Wir werden also eine starke Zunahme der Zahl von
Kernkraftwerken in diesen Ländern erleben. Der Grund dafür ist, die schnell
wachsenden Volkswirtschaften dort zu unterstützen. Man hat natürlich auch
erkannt, daß die anderen erneuerbaren Energien die Treibhausgas-Emissionen
reduzieren, aber das reicht in ihrem Energiemix nicht aus. Die Kernkraft hat
sich für diese Nationen als ein gangbarer Weg erwiesen.
Kernkraft in Afrika
Was nun Länder und Regionen wie Afrika angeht: Wir verstehen, daß die
Kernkraft eine sehr fortgeschrittene Technologie ist. Und bitte verstehen Sie
mich nicht falsch - meine Botschaft hier ist nicht, einfach zu sagen, okay,
Afrika wird auf die Kernkraft setzen. Ich will nur sagen, daß die ganze
Debatte verdreht ist: Die Option Kernkraft wurde gar nicht in Betracht
gezogen! Es gibt Studien darüber, und ich bin der Meinung, daß sie wieder in
die Debatte zurückgeholt und tatsächlich als eine machbare Energieoption für
die Entwicklungsländer in Gebieten wie Afrika eingeschätzt werden muß.
Es ist bekannt, was über ein Gebiet wie Afrika gesagt wird - Afrika habe
nicht die technischen Kapazitäten, um mit Technologien wie der Kernkraft oder
den Sicherheitsfragen in Afrika umzugehen. Aufgrund meiner Erfahrungen bin ich
da anderer Ansicht. Zunächst einmal wird ein Kernkraftprogramm nicht über
Nacht umgesetzt. Für Länder oder Regionen, die ganz von vorne anfangen, wie
Afrika, wird es 15 Jahre dauern, bis ein Kernkraftwerk in Betrieb geht. Was
bedeutet das? In 15 Jahre hat man genug Zeit, um die Arbeitskräfte
auszubilden, man hat genug Zeit, die Ressourcen zu erschließen, wenn das die
Priorität eines Landes ist und wenn man das auf die internationale
Tagesordnung setzt.
Zweitens ist das Paradox, wonach Entwicklungsländer wie beispielsweise
Afrika nicht über die Ressourcen verfügen, gar nicht wahr! Ich bin sicher, die
meisten von Ihnen sind überrascht - ich bin zum Beispiel eine Afrikanerin aus
Kamerun, und ich stehe hier vor Ihnen und spreche über Fragen wie die
Kernkraft. Das bedeutet, es gibt hochqualifizierte afrikanische Arbeitskräfte
in der Diaspora, und tatsächlich sind diese afrikanischen Arbeitskräfte in
allen Technologie-Bereichen stark vertreten, und sie können tatsächlich einen
Beitrag leisten.
Über Sicherheitsfragen haben wir hier schon gesprochen. Der größte Teil der
Instabilität, die wir in diesen Ländern sehen, kommt tatsächlich von äußeren
Faktoren. Wenn also die internationale Gemeinschaft beschließt, die
Sicherheitsfragen anzupacken, dann sollte die Sicherheit gar kein Problem
sein.
Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber ich will es dabei belassen. Ich
werde aber sehr gerne Ihre Fragen beantworten. Vielen Dank! (Applaus.)
Anmerkungen
1. Africa Energy Outlook 2014, IEA.
2. http://data.worldbank.org/indicator/EG.ELC.ACCS.ZS
3. http://www-pub.iaea.org/books/IAEABooks/10903/Nuclear-Power-Reactors-in-the-World-2015-Edition
4. ebenda.
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