In Syrien und anderswo gegen die Kriegspartei und das Gesetz des
Dschungels
Den Frieden in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht wieder aufbauen
Von Michel Raimbaud
Michel Raimbaud ist ehemaliger französischer Botschafter in der
arabischen Welt, in Afrika und Lateinamerika und ehemaliger Direktor des
Französischen Amts für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen. Seine
Rede wurde aus dem Französischen übersetzt.
Das Gesetz des Dschungels
Die Welt steht heute vor einer großen Kriegsgefahr, mehr denn je. Sie
durchlebt eine globale Krise.
Man hört, wie von einem neuen Kalten Krieg gesprochen wird, der uns zurück
zu der alten Konfrontation führt zwischen der „freien Welt“ - dem Vorläufer
der „Achse des Guten“ - und einem „totalitären Block“, den George W. Bush als
die „Achse des Bösen“ bezeichnete, eine Konfrontation, die mit dem Sieg der
Vereinigten Staaten über den Kommunismus endete.
Das Verschwinden der UdSSR 1991, das Wladimir Putin als die „größte
geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, bewirkte das
Aufkommen des berühmten „unipolaren amerikanischen Moments“ unseligen
Angedenkens - ein viel kürzerer Moment, als das atlantische Empire erwartete,
das glaubte, er werde ewig andauern, aber doch viel zu lang für den Rest des
Planeten, insbesondere für die Ärmsten unter uns.
„Das mächtigste Empire, das die Welt je gesehen hat“, „mächtiger als Rom“ -
das war die unverzichtbare und einzige Hypermacht 20 Jahre lang (von
1991-2011), als sie der Berufung folgte, die Welt zu beherrschen, im Namen des
Messianismus, der das Alte wie das Neue Testament inspirierte. Dieser
angebliche „göttliche Wille“ - d.h. die Launen der neuen Herren der Welt -
nahm den Platz des Völkerrechts ein. Auf den Trümmern dieser Legalität wurde
die amerikanische imperiale Ordnung errichtet, um ein „zivilisiertes Zentrum“
herum, das sich zur „internationalen Gemeinschaft“ erklärte und versuchte, den
Planeten zu beherrschen, darunter auch einige periphere Schurkenstaaten.
Der Elizabeth-Arden-Club (in Washington, London und Paris), wie ich ihn
nenne, hat ein Vierteljahrhundert lang behauptet, er verkörpere die
„internationale Gemeinschaft“. Er ist ein politisches Direktorat, das von der
Kriegspartei inspiriert ist, deren Anhänger in den westlichen und anderen
Ländern den „Staat im Staate“ bilden. Einige sprechen vom
„militärisch-industriellen Komplex“, andere bezeichnen ihn als die
„neokonservative“ Strömung. Diese kriegerische, imperiale,
interventionistische und bigotte Partei betreibt im Namen Gottes eine Politik
der systematischen Aggression, Intervention und Zerstörung - eine kriminelle
Politik. Ihr Ziel ist es angeblich, überall auf der Welt Frieden, Demokratie
und Menschenrechte durchzusetzen, insbesondere in der arabischen und
muslimischen Welt, auch und vor allem durch Gewalt, da es der göttliche
Wille des Empires ist, gutes zu tun und das böse zu unterdrücken - das ist
übrigens der Name der Religionspolizei des wahabitischen Saudi-Regimes. Die
NATO ist der bewaffnete Arm der Kriegspartei des atlantischen Empire.
Die atlantizistischen Führer bewegen sich im Schatten, verbergen sich
hinter der falschen Flagge der Demokratie, der Gerechtigkeit, der Moral und
des Gesetzes. Sie verteufeln jedes Land, das sich ihren Ambitionen widersetzt,
und zitieren sie alle vor das Gericht der „besorgten Staaten“, um sie in
„demokratische“ Einheiten aufzuspalten - kurz, sie sind „Schurkenstaaten“.
Dieses Konzept spielt seit Jahrzehnten eine wesentliche Rolle in der
amerikanischen Strategie, und indem sie diesen Buhmann heraufbeschwörten,
haben sie das Völkerrecht systematisch verletzt und zerstört.
Dieses Recht beruht auf der Charta der Vereinten Nationen, die in Artikel
51 allein dem Sicherheitsrat das Recht zuerkennt, angemessene Maßnahmen zu
ergreifen, die er für notwendig hält, um den Frieden und die internationale
Sicherheit zu erhalten. Aber die Neocons in Washington kümmern sich nicht um
die Legalität der Vereinten Nationen.
Das einzige, was zählt, ist die Bedrohung amerikanischer Interessen, die
„direkte militärische Interventionen“ erforderlich machen. Für sie gründet das
Recht nicht auf der UN-Charta, sondern auf der amerikanischen Verfassung. Noam
Chomsky zufolge „ist die Verachtung des Primats des Rechts tief in der
amerikanischen Kultur und Praxis eingebettet“.
Die neokonservative Doktrin, „der Nullpunkt des politischen Denkens“, hat
eine einfache Grundlage: Der Kalte Krieg ist beendet, aber die Vereinigten
Staaten haben immer noch die Verantwortung, die Welt vor den „Schurkenstaaten“
zu beschützen. 1970 meinte Nixon, die Vereinigten Staaten sollten den Eindruck
erwecken, „sie seien von Verrückten mit unvorhersehbarem Verhalten regiert und
mit einem gewaltigen Zerstörungspotential bewaffnet, um die Ängste ihrer
Gegner zu wecken oder zu verstärken“ (Verrückten-Theorie). Die Geschichte der
Strategie der Vereinigten Staaten zeigt, daß diese Einschätzung keine bloße
Phantasie ist.
Im August 1990 erklärten Washington und London den Irak zu einem
Schurkenstaat, und daraus wurde eine lange Liste: Sudan, Afghanistan, Somalia,
Palästina, Jugoslawien, Iran, die Ukraine, gefolgt von anderen, darunter
Syrien (2011). Im Juni 2000 erklärte Robert McNamara, ehemaliger
US-Verteidigungsminister (1961-1968), gegenüber der International Herald
Tribune, die Vereinigten Staaten seien zu einem Schurkenstaat geworden.
Noam Chomsky sagte am Beginn des „Arabischen Frühlings“ dasselbe und bemerkte,
sein Land stelle sich über das Völkerrecht.
Die Kriegspartei
Die Welt im Jahr 2016 ist nicht mehr die des Kalten Krieges, aber sie ist
auch anders als die von 2011. Wie alle Sprichwörter über Krieg und Frieden ist
auch der lateinische Ausdruck si vis pacem, para bellum - „wenn du den
Frieden willst, bereite dich vor auf den Krieg“ - doppeldeutig, denn er
verweist auf das Konzept eines bewaffneten Friedens. Aber dies ist das Motto
der Kriegsakademie in Frankreich und der britischen Marine. Es könnte auch
sehr gut das Motto der NATO sein. Die Römer behaupteten, sie würden von den
Barbaren belästigt, und beschlossen, ihnen den Krieg zu erklären, um die
Aufmerksamkeit abzulenken und die berühmte pax romana in ihrem eigenen
Reich genießen zu können. Einige Zyniker glauben, die Botschaft laute
eigentlich: „Wenn du zuhause Frieden willst, führe Krieg gegen andere“. Das
ist die Bedeutung, die ihr die Führer und Denker der Kriegspartei gegeben
haben.
Heute steht der Kriegspartei ein Friedenslager gegenüber. Das Friedenslager
beruft sich auf die Prinzipien des Völkerrechts, daß Krisen durch
Verhandlungen beizulegen sind, und auf die Perspektive der multipolaren Welt,
im Gegensatz zur Kriegspartei, die auf den Trümmern der Legalität der
Vereinten Nationen wuchert und Chaos, das Gesetz des Dschungels, verbreitet
und bei jeder Gelegenheit versucht, ihre Ansichten mit Gewalt
durchzusetzen.
Seien es Kriege im Nahen Osten, die Gefahr eines nuklearen Konflikts, die
bevorstehende Implosion des Finanzsystems, die Flüchtlingskrise oder andere
Dramen, die den Planeten treffen: man muß niemals lange suchen und findet die
Falken bereit, alles zu tun, um die Hegemonie des atlantischen Lagers zu
erhalten, wenn nötig durch Krieg, und die Welt daran zu hindern, daß sie sich
verändert. Um die schönen Prinzipien und noblen Werte einerseits mit den
Aggressionskriegen und dem kriminellen Verhalten andererseits zu verbinden,
liefert das Handbuch der Chaostheorie eine Antwort.
Aber das Nürnberger Tribunal, das wußte, wovon es sprach, urteilte: „Einen
Angriffskrieg anzufangen..., ist nicht bloß ein internationales Verbrechen, es
ist das größte internationale Verbrechen überhaupt, das sich von anderen
Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, daß es die gesamten Übel aller
anderen in sich trägt.“
Die Debatte über die Ethik in den internationalen Beziehungen ist geladen.
Sie ist für einige eine wirkliche Debatte, für andere nur ein Deckmantel, und
der Bezug auf die Legalität hat für die beiden Lager nicht den gleichen Wert.
Diplomaten können keine Wunder vollbringen, wenn sie nur eine unhaltbare
Politik verteidigen sollen, die auf der falschen Seite der Geschichte steht.
Sie können nicht konstruktiv sein, wenn sie im Dienste destruktiver Führer
handeln, die entschlossen sind, den Krieg fortzusetzen und die Diplomatie zu
schwächen.
Die Vereinigten Staaten als Herren des Empires tragen die
Hauptverantwortung für diese Verbrechen, Zerstörung und Greueltaten, die wir
erwähnt haben. Obama prahlt, er habe im August 2013 das schlimmste verhindert,
indem er nach der Chemiewaffen-Affäre beschloß, nicht sofort
Vergeltungsschläge gegen Syrien anzuordnen. Tatsächlich scheint die
Entscheidung, die Spielregeln zu brechen, eher von dem Wunsch motiviert
gewesen zu sein, seine eigene Macht gegenüber den Stabschefs, den
Geheimdiensten und den Denkfabriken zu behaupten, die alle von Saudi-Arabien
und anderen Ländern des Nahen Ostens beeinflußt und finanziert werden und
meist für arabische oder israelfreundliche Finanziers arbeiten. Nichts würde
die Menschen im Großraum des Nahen Ostens dazu veranlassen, Paul Craig Roberts
zu widersprechen, dem früheren Unterstaatssekretär im US-Finanzministerium,
der mit seiner spitzen Feder (in Le Blog de la Résistance vom 12.
Januar 2016) schrieb: „Unter allen Ländern der Erde ist die US-Regierung die
kriminellste Organisation in der Geschichte der Menschheit.“
Trotz seines Lächelns und seiner wohlklingenden Reden hat Obama mehr
Konflikte entfacht und in Gang gehalten als George W. Bush, und er führt einen
Staat an, der für den Tod von Millionen von Kindern und Erwachsenen, die
Zerstörung von Staaten und ganzen Gesellschaften, die Zerstörung des Lebens
von Millionen verantwortlich ist, wofür man nicht einmal bis Hiroshima und
Nagasaki zurückblicken muß. Er schuf Chaos im Großraum Nahost und tut mehr als
jeder andere für die Vermehrung von Kernwaffen, insbesondere in Europa, und um
einen neuen Krieg gegen Rußland und China anzufangen. Worte des Friedens, aber
reichlich Taten des Krieges.
Die Zukunft ist nicht optimistisch.
Unterstützt von der zionistischen Lobby, den Saudis und den Golfstaaten,
durch Waffenhändler, Finanzgruppen und als favorisierte Kandidatin des
neokonservativen Lagers hat Hillary Clinton, Obamas frühere Außenministerin,
eine lange Geschichte als Kriegstreiberin und Extremistin. Sie hat eine aktive
Rolle dabei gespielt, alle die Konflikte und Kriege eines Vierteljahrhunderts
anzufachen: Jugoslawien, Kosovo, Libyen, Syrien, von der Ukraine ganz zu
schweigen, und zwischendrin auch noch Honduras. Als enthusiastische
Befürworterin von „Regimewechseln“ ist sie fanatisch antisyrisch,
antiiranisch, anti-Hisbollah, antirussisch und antichinesisch - und zudem auch
fanatisch pro-israelisch.
Paradoxerweise gibt es auf der anderen Seite des Atlantiks auch viele kluge
Köpfe, die hoffen, daß Donald Trump gewählt wird, weil dessen Isolationismus
Washington von dem Kurs der kriegsähnlichen Interventionen abbringen
könnte.
Die Vasallen des Empires in Europa, im Nahen Osten und anderswo, sind
Komplizen und mitverantwortlich für all das Leid, das angerichtet wurde. Es
ist allgemein bekannt, daß Frankreich und seine NATO-Verbündeten mit ihrer
privilegierten Beziehung zu Katar, Saudi-Arabien, der Türkei und Israel eine
Schlüsselrolle bei dem „größten aller internationalen Verbrechen“, nämlich den
Angriffskriegen gespielt haben. Das war in Syrien ebenso der Fall wie schon
zuvor in Libyen. Diese Unterstützung ist vielfältig und wird akzeptiert -
Botschaften wurden geschlossen, Sanktionen verhängt, die bewaffnete
Opposition, darunter auch Terroristen, aktiv unterstützt, im UN-Sicherheitsrat
aufgetreten, Sondereinsatzkräfte im krassen Bruch des Völkerrechts eingesetzt
(Juni 2016) und Dschihadisten, die nach Syrien aufbrachen, toleriert.
Die gegenwärtige Lage
2011 war Syrien an der Reihe. Es aufzuspalten, war schon lange ein Ziel des
Empire, von israelisch-amerikanischen Plänen und von Maßnahmen und
Erklärungen, die seit 2001 liefen - wir werden hier nicht in die Einzelheiten
gehen.
Aber Syrien ist nicht zusammengebrochen, wie es seine „Freunde“ [„Freunde
Syriens“, die Unterstützer der Rebellen] erwarteten. Es zahlt seinen Beamten
pünktlich Gehälter und Pensionen, und seine Institutionen bestehen weiter.
Unter Berücksichtigung der Umstände wurde der in seiner Verfassung
vorgeschriebene Zeitrahmen [für Wahlen etc.] eingehalten. Seine nationale
Armee, unterstützt von seinen russischen, iranischen und libanesischen
Verbündeten (Hisbollah), widerstand einer Aggression der westlichen Großmächte
im Bündnis mit den Fundamentalisten im Nahen Osten und Zehntausenden Söldnern
aus hundert Ländern.
Zwei Drittel Syriens sind nach fünf Jahren brutaler Gewalt zerstört, in
denen es als Testgelände für alle möglichen Formen des „kreativen Chaos“
mißbraucht wurde. Ein Land, das zuvor wohlhabend, selbstgenügsam und
schuldenfrei war, mit funktionierenden öffentlichen Diensten, kostenloser
Bildung und Krankenversorgung, liegt heute in Trümmern. Seine Infrastruktur -
Schulen, Krankenhäuser, Gemeindezentren, Schulen etc. - ist zerstört. Um dies
zu erreichen, behaupteten die Aggressoren, sie seien „Freunde Syriens“, die
den Terroristen der bewaffneten Opposition helfen müßten, einen Gutteil des
Landes herauszubrechen.
Die vielfachen Sanktionen hatten Folgen für das soziale Gewebe der Nation,
die von einer beispielhaften „weltlichen Toleranz“ geeint ist, aber sie
konnten sie nicht zerstören. Das Ziel dieses Politizids war und ist es, die
Bevölkerung zu demoralisieren und gleichzeitig die Illusion zu schaffen, der
Westen sei da, um sie von dem „Tyrannen, der sie massakriert, zu befreien“,
und um die Flüchtlinge und Vertriebenen zu empfangen.
Allein in einem Jahr, vom Juli 2011 bis Juli 2012, beschlossen die EU, die
Vereinigten Staaten, Kanada und Australien 17 verschiedene Sanktionen. Die
diplomatischen Sanktionen wurden ab Herbst 2011 verhängt, nachdem Rußland und
China gegen den UN-Resolutionsentwurf, der dem libyschen Vorbild folgte, ihr
Veto eingelegt hatten.
Die Verluste an Menschen sind extrem hoch; mit 300.000 bis 400.000 Toten,
davon mindestens 130.000 Soldaten der regulären Armee, mehr als einer Million
Kriegsversehrten, 14 Millionen Flüchtlingen oder Vertriebenen - das sind mehr
als zwei Drittel der syrischen Bevölkerung - ist das Gewebe der Nation
zerrissen, geschwächt durch die Ausbreitung bewaffneter Gruppen und durch die
Invasion von Söldnern, die sich dem Dschihad anschließen, und durch bestimmte
ethnische Forderungen.
Der materielle Schaden ist immens. Allen für Syrien werden die Kosten der
Zerstörung und Plünderung auf rund 300 Mrd. Dollar geschätzt. Der
Nahostexperte Bernard Cornut schrieb am 11. März 2016: „Angesichts der weithin
bekannten Tatsache, daß mehrere Länder - Frankreich, die USA, Großbritannien
und natürlich Katar, Saudi-Arabien und die Türkei - die bewaffneten
Rebellengruppen mit dem erklärten, gemeinsamen Ziel unterstützt und finanziert
haben, das Regime zu wechseln und natürlich den gewählten Präsidenten zu
stürzen, sind diese Länder und andere, die Syrien kennt, allesamt in
unterschiedlichem Maße verantwortlich für die Schäden, die eingetreten sind
und kürzlich auf 1000 Mrd. Dollar geschätzt wurden.“ Und er schloß: „Sie
werden sich mit den Klagen befassen müssen, die Syrien vor internationalen
Gerichten angestrengt hat, um seine legitimen Kriegsforderungen geltend zu
machen.“ Er schlug vor, „eine Steuer auf Öl und Gas einzuführen, die in einen
Fonds fließen könnte, um die Opfer zu entschädigen und Syrien
wiederaufzubauen“. Dieser Fonds könnte von der UNO verwaltet werden.
Die erschreckenden Zahlen im Irak - 1,5 Mio. Tote, davon 500.000 Kinder -
erinnern uns daran, daß Sanktionen Massenvernichtungswaffen sind, die von den
„Herren der Welt“ mit blankem Zynismus eingesetzt werden. Für Madeleine
Albright „war es das wert“.
Die Umwälzungen der letzten Jahre durch den „Arabischen Frühling“ forderten
(nach Schätzung des kanadischen Experten Ahmed Ben Saada) 1,5 Mio. Tote und
Verwundete, mehr als 15 Mio. Flüchtlinge und Vertriebene - wenn man die
Irakkriege mitzählt, sogar 18 oder 19 Millionen.
Für die arabischen Länder insgesamt belaufen sich die Schäden auf 833 Mrd.
Dollar, davon 300 Mrd.$ in Syrien, und davon mehr als die Hälfte auf
Infrastrukturen und auf archäologische oder historische Stätten. Zu diesen
apokalyptischen Zerstörungen, die von den ölproduzierenden Staaten mit zig
Milliarden finanziert wurden, kommen noch Hunderte von Milliarden durch
Sanktionen „eingefrorene“ - mit anderen Worten, gestohlene - Dollars hinzu,
außerdem 700 Mrd. Dollar für Libyen.
Politisch betrachtet ist Syriens Zukunft noch nicht besiegelt, und die
Realpolitik pocht an die Türen der allzu optimistischen Analysten. Die
bewaffneten Dschihadisten hatten Schwierigkeiten, sich als Unterhändler zu
verkleiden, ihre Vergangenheit würde sie eher vor den Internationalen
Strafgerichtshof führen als zu diplomatischen Aufgaben. Aber ihre westlichen
Förderer sehen in ihnen auch einige Tugenden: Ihre Schützlinge weigern sich,
aus einer schwachen Position zu verhandeln. Von Zeit zu Zeit brauchen sie eine
Waffenruhe, um sich wiederherzustellen. Wenn sie den Waffenstillstand
verletzen, so tut das nichts, denn dafür machen sie ja das „Regime“ von
Baschar Al-Assad verantwortlich. Dieser Teufelskreis verstärkt sich selbst,
denn die Politiker, Journalisten und Intellektuellen im Westen sind mit
wenigen Ausnahmen an dieser Verschwörung der Lügen beteiligt.
Die militärische Lage wiegt schwer auf der Waage der Diplomatie. Es ist
jetzt Ende Juni, und es ist deutlich, daß die NATO, trotz aller Illegalität,
einen Einsatz im Norden Syriens vorbereitet, dessen Zweck - angeblich der
Kampf gegen Daesch - entweder ein schlechter Witz oder ein neuer Krieg
ist.
Zur Lösung der Krise: den Frieden unter Wahrung des Rechts
wiederherstellen
Um den Frieden unter Wahrung des Rechts wiederherzustellen, müssen wir die
Legalität wiederherstellen und die Prinzipien der UN wiederentdecken:
Souveränität der Staaten, Nichteinmischung, Verpflichtung zu Verhandlungen zur
Lösung von Konflikten, indem wir ein neues Paradigma einführen. Die BRICS
können dieses neue Paradigma sein, das uns in eine neue Form der Beziehungen
überführen kann, die die Souveränität achten und für alle vorteilhaft
sind.
Ein Wiederaufbau entlang der Linien des klassischen Schemas - mit einem
Pool von Geldgebern aus dem Westen, wobei Syrien der Gnade der „Wohltäter“
ausgeliefert ist, die es zerstört haben - ist undenkbar. Die Vereinigten
Staaten und die NATO sind kaum geeignet, diese Krise zu lösen, da sie sie
selbst herbeigeführt haben.
Deshalb entspricht das von China gestartete Projekt der Neuen Seidenstraßen
- „Ein Gürtel und eine Straße“ - den Hoffnungen vieler Länder, inzwischen sind
es fast 70. Wir werden hier nicht die Darlegungen unserer chinesischen
Kollegin wiederholen.
Das Projekt, das einen großen Teil des Nahost-Großraums, insbesondere
Syrien und seine Nachbarn (Iran, Libanon, Irak) und seine Verbündeten (Rußland
und China) einbindet, ist eine gewaltige Sammlung von Win-Win-Kooperationen
und könnte das regionale Gleichgewicht verändern, den Handel neu ausrichten
und die Logik eines herrschenden Norden gegenüber einem beherrschten Süden
durchbrechen. Insgesamt sind es fast 900 Einzelprojekte und, wie Helga
Zepp-LaRouche bemerkte, Beiträge von fast 900 Mrd. Dollar.
Dieses Projekt kann das zerstörte Syrien auf einer neuen Grundlage
wiederaufbauen, die seine Entscheidungsfreiheit respektiert und von Drohungen
frei ist. Es zielt darauf ab, ein stabileres Umfeld zu schaffen, in dem
Wissen, daß Südwestasien entlang zweier Korridore organisiert ist, mit
wichtigen Rollen für den Iran, den Irak, Syrien, Saudi-Arabien und die Türkei,
sei es ein Eisenbahnkorridor (begonnen 2011) oder ein Straßenkorridor (von
Urumqi bis in den Nahen Osten) oder der Seekorridor zum Mittelmeer durch den
Suezkanal.
Das Schiller-Institut seinerseits hat ein Projekt entlang der gleichen
Perspektive vorgeschlagen: „Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“,
das auch auf eine Änderung der Regeln in der Weltwirtschaft setzt, während es
dem Wiederaufbau Südwestasiens eine besondere Rolle zuweist, das durch die
Kriege und Konflikte der letzten 25 Jahre verheert wurde, aber ein enormes
Entwicklungspotential und gewaltige natürliche und menschliche Ressourcen
birgt, was für die Geopolitiker die Gelüste der eurasischen Länder und der
Seeimperien erklärt.
Das Projekt ist ein Echo der Fünf-Meere-Strategie, die Präsident Baschar
Al-Assad 2004 angekündigt hatte, um ein Infrastrukturnetz zwischen dem
Mittelmeer, dem Indischen Ozean, dem Roten Meer, dem Kaspischen Meer und dem
Schwarzen Meer zu schaffen, das darauf abzielt, diese strategische
Verbindungszone zu einer Zone des Austauschs zwischen den drei Kontinenten der
alten Welt zu machen.
Offensichtlich wird ein Wiederaufbau stattfinden. Aber dazu müssen
1. die vom Westen und seinen Verbündeten unterstützten Terrorgruppen ihr
Zerstörungswerk einstellen. Dazu würde es ausreichen, die bestehende
Resolution des Sicherheitsrats umzusetzen.
2. wird es keinen Wiederaufbau geben ohne eine baldige Aufhebung der
Sanktionen, deren Ziel die Zerstörung der Bevölkerung und ihres Landes
ist.
3. liegt die Lösung nicht darin, die Flüchtlingsströme, die in der einen
oder anderen Form durch das Anfachen des Angriffskrieges und des Dschihad in
Syrien ausgelöst wurden, in Europa aufzunehmen.
4. ist der Kampf gegen Daesch, auch wenn er sicherlich eine Priorität ist,
kein Ziel an sich, denn er wird nicht alle Probleme Syriens lösen, vor allem
in seiner Zukunft als widerstehender Nationalstaat.
Es obliegt dem syrischen Volk, und allein ihm, ohne ausländische
Einmischung über sein Schicksal zu entscheiden. Es ist dieses Prinzip der
Souveränität, das der chinesische Präsident Xi Jinping vertritt, wenn er sagt,
die unipolare Ära sei beendet und die heutige Welt multipolar. Auch Wladimir
Putin hat sich in den Rahmen der internationalen Legalität gestellt und
unterstützt den syrischen Staat „und die Streitkräfte des Präsidenten
Al-Assad, die als einzige den Islamischen Staat bekämpfen“. Die Entscheidung
des russischen Präsidenten, militärisch zu intervenieren, löste im Westen
Verärgerung aus, man ist dort wütend über seine ständigen Hinweise auf ein
Völkerrecht, das der Westen ständig verletzt.
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