„Ein Gürtel, eine Straße“ im weltweiten Kontext
Von Dr. Ren Lin
Ren Lin ist Dozentin am Institut für Weltwirtschaft der
Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Sie hielt auf der Berliner
Konferenz des Schiller-Instituts den folgenden Vortrag, der aus dem Englischen
übersetzt wurde.
Ich möchte zunächst dem Schiller-Institut meinen besten Dank abstatten,
weil mich diese Konferenz nach Berlin zurückgebracht hat, denn ich kann sagen,
„Berlin ist meine zweite Heimatstadt“. Hier in der Nähe ist meine Universität,
die Freie Universität Berlin, und ich freue mich sehr, hier über „Ein Gürtel,
eine Straße“ (One Belt, One Road, OBOR) sprechen zu können. Und ich möchte
auch dem Publikum danken, daß Sie, auch wenn es hier zu heiß ist, doch
aufmerksam zuhören.
Mein Hintergrund ist, daß ich mich mit der Globalisierung befasse, mit der
wirtschaftlichen Integration, der regionalen Integration, etc., und mit OBOR,
„One Belt, One Road“. Bevor ich mit meinen Vorträgen beginne, gebe ich immer
gerne mein Forschungsergebnis an meine akademischen Freunde weiter, nämlich
daß ein gemäßigtes Niveau der Globalisierung und Regionalisierung der
wirtschaftlichen Entwicklung nützen würde. Aber als ich gestern aus dem
Flugzeug kam und hörte, daß der „Brexit“ Erfolg hatte, da versetzte mir das
einen Schock. Es schockierte mich und überraschte mich, denn ich begann mich
zu fragen, ob meine bisherige Forschung falsch war? Dies ist etwas neues.
Bedeutet es den Rückzug der Globalisierung? Bedeutet es, daß wirtschaftliche
Integration und Zusammenarbeit nicht die richtige Lösung sind für die globalen
Herausforderungen und Fragen, mit denen wir konfrontiert sind?
Aber ich will heute doch wieder für eine wirtschaftliche Integration wie
OBOR argumentieren, und ich möchte die Bedeutung der wirtschaftlichen
Kooperation zwischen den Ländern verteidigen, auch wenn wir mit dem Phänomen
des Brexit konfrontiert sind. Es ist leicht zu verstehen, warum Länder die
Integration anstreben, manchmal eine regionale Integration wie die EU,
manchmal eine Integration in einer Gruppe über Länder und Regionen hinweg, wie
OBOR, One Belt One Road. Das ist der Kampf gegen die stärkeren
Herausforderungen, die uns die Globalisierung bringt. Und sie ist immer noch
ein Teil der Globalisierung, möchte ich sagen. Es bedeutet viel, insbesondere
für jene Länder, die weniger entwickelt sind oder sich in einer schweren
wirtschaftlichen Krise befinden, gemeinsam und regional in einer Gruppe
zusammenzuarbeiten. Es schützt sie vor stärkeren Konkurrenten von außen, aber
auch vor nicht-neutralen Regeln, den unfairen Regeln und Vorschriften. Deshalb
sollte es der Fokus sein, warum die wirtschaftliche Integration und „Ein
Gürtel, eine Straße“ und die Zusammenarbeit wichtig und notwendig sind, und
wie man sie verbessern und mit der Globalisierung koordinieren kann.
Neun Herausforderungen für die Welt
Bevor ich hier weiter argumentiere, möchte ich einige
Hintergrundinformationen zu dem mitteilen, womit wir heute konfrontiert sind.
Warum brauchen wir solche Projekte zur wirtschaftlichen Integration, wie OBOR?
Und warum müssen wir gemeinsam und zusammen arbeiten?
Ich komme auf neun Herausforderungen, mit denen wir in dieser Welt
konfrontiert sind:
1. Die erste ist, daß globale Abschwächungen der Wirtschaft stattfinden. Es
ist notwendig, gemeinsam nach neuen Quellen des Wirtschaftswachstums zu suchen
– nicht nur für die aufstrebenden und die Entwicklungsländer, sondern
auch für die entwickelten. Seit etwa 50 Jahren konnte der Handel kaum etwas
zum globalen Wirtschaftswachstum beitragen, aber haben wir andere Lösungen?
Wir wissen es noch nicht.
2. Die zweite Schwierigkeit, mit der wir heute konfrontiert sind, ist, daß
die aufstrebenden und Entwicklungsländer immer noch vor dem Problem der
Entwicklung stehen und vor dem Problem, die Armut zu reduzieren. Soweit wir
wissen, sollten die Milleniums-Entwicklungsziele (2000-2015) bereits erreicht
sein, denn es ist ja bereits 2016, wir sind bereits über 2015 hinaus. Das ist
die zweite Herausforderung: Entwicklungsprobleme bei der Überwindung der
Armut.
3. Die dritte Herausforderung, würde ich sagen, ist, daß die globalen
finanziellen Risiken die regionale finanzielle und wirtschaftliche Stabilität
gefährden können. Als Gruppe zusammenzuarbeiten, könnte daher die Fähigkeit
stärken, diese äußeren Risiken und Schäden, wie sie die Globalisierung mit
sich bringt, zu verhindern.
4. Was ist die vierte Schwierigkeit, der wir uns stellen müssen? Länder wie
die aufstrebenden und Entwicklungsländer müssen immer noch herausfinden, wie
der Bau von Infrastruktur den Austausch zwischen den Ländern wirksam
unterstützen kann, und die Erneuerung der Infrastruktur ist auch in Europa
eine dringende Aufgabe. Haben wir genug Erfahrungen damit? Noch nicht.
5. Die fünfte Schwierigkeit ist, daß es manchmal zu Handelsdefiziten kommt,
und daß dies dann auch benachbarte Länder abschreckt, zusammenzuarbeiten. Das
kann zwischen China und anderen Nachbarstaaten geschehen, oder zwischen
Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU. Gibt es eine Lösung dafür? Das
ist die fünfte Schwierigkeit.
6. Die sechste ist, daß wir immer noch geopolitische Sicherheitsfragen
haben, die geregelt werden müssen, und die ansonsten dem Aufbau von Vertrauen
und Zuversicht und der normalen Kooperation zwischen den Ländern im Wege
stehen. Das ist die sechste Schwierigkeit, die viel Unsicherheit und viel
Instabilität weltweit schafft.
7. Was ist die siebte Schwierigkeit? In vielen Ländern sind
Strukturreformen dringend notwendig. Wir müssen die Verteilung der Industrien
besser koordinieren. Einige Industrien genießen aufgrund der Arbeitskosten
etc. keine Vorteile mehr. Gibt es bessere Lösungen, um unsere Industrien
wiederaufzubauen?
8. Die achte ist, daß wir viele regionale und partielle Krisen und
Instabilität haben, die heute mehrere Regionen der Welt plagen, wie die Krise
in Teilen des Nahen Ostens, wie die Flüchtlingskrise hier in Europa und der
Brexit, ein relativ neues Phänomen.
9. Last but not least ist da die Schwierigkeit, die vielen
regionalen und globalen Institutionen zu integrieren. Wir haben zahlreiche
Institutionen – manche sind bilateral, manche multilateral, manche
regional und manche global. Manchmal möchte ich sagen: Es sind zu viele! Wie
können wir alle diese Institutionen koordinieren und erreichen, daß sie
effizienter zusammenarbeiten?
Ich habe alle diese neun Schwierigkeiten, neun Herausforderungen erwähnt,
aber es gibt sogar noch mehr. Sie können einfach darüber nachdenken und noch
weitere finden. Wie gehen wir mit allen diesen Schwierigkeiten um? Wie können
wir unsere gemeinsamen Erfahrungen mitteilen und für eine globale Lösung
zusammenarbeiten, anstatt einer unilateralen Lösung?
Gegenmaßnahmen durch Kooperation
Ich möchte hier im zweiten Teil meines Vortrags mehrere generelle
Gegenmaßnahmen vorschlagen, die wir in den Rahmen bzw. den Inhalt von OBOR -
One Belt, One Road – stellen können:
1. Die erste, möchte ich sagen, ist, Entwicklungsprobleme zu lösen, indem
wir den Bau von Infrastruktur effizient finanzieren – das bedeutet
nachhaltige Fortschritte, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern.
Das ist die erste Lösung.
2. Die zweite ist, gemeinsam neue Quellen wirtschaftlicher Entwicklung zu
suchen, wie Infrastrukturinvestitionen. Aber nun ist auch das Weitergeben von
Erfahrungen stark gefragt, etwa wie man ein Infrastruktur-Investitionsprojekt
wirksam steuert. Ebenso ist es notwendig, bessere Erfahrungen beispielsweise
hier in Europa zu teilen, etc.
3. Die dritte Gegenmaßnahme ist die regionale und überregionale finanzielle
Zusammenarbeit. Sie ist sehr wichtig, und wir müssen Mechanismen zur
Krisenprävention schaffen. Auch die Weitergabe von Informationen ist stark
gefragt. Dann müssen wir herausfinden, wie die
Infrastruktur-Investitionsprojekte mit allen diesen unterstützenden Maßnahmen
wirksam gesteuert werden können.
4. Was ich auch noch erwähnen möchte, ist die Anpassung der globalen
Wertschöpfungskette: Dies ist nicht bloß ein akademischer Ausdruck, er hat
einen konkreten Inhalt. Er bedeutet, daß man die richtigen Verbindungspunkte
sucht, beispielsweise einen Teil der industriellen Kette verlagert, wegen der
Überalterung der Bevölkerung oder anderer Nachteile, weil andere Länder
demographische Vorteile haben. Das ist die vierte.
5. Als fünfte Gegenmaßnahme würde ich die gegenseitige Komplementarität
nennen. Ich erinnere mich an ein Wort des Konfuzius im Chinesischen, das auf
Deutsch bedeutet: „Wenn ich mit zwei anderen zusammen wandere, können Sie mir
als Lehrer dienen. Ich würde ihre guten Eigenschaften wählen und ihnen folgen,
und ihre schlechten Eigenschaften vermeiden.“ Das ist gegenseitige
Komplementarität. Europa beispielsweise hat mehr Vorteile in der Technologie,
wie etwa saubere Energie, und Europa hat mehr Erfahrung mit
Projektfinanzierung, mit nachhaltiger Finanzierung, wie etwa PPP
(öffentlich-private Partnerschaften) zur Durchführung von
Infrastruktur-Investitionsprojekten. Auch in anderen Bereichen, wie dem
Dienstleistungssektor, hat Europa mehr Erfahrung, und außerdem haben Sie hier
in Deutschland die „Industrie 4.0“ [ein Projekt zur Verzahnung der
industriellen Produktion mit modernster Informations- und
Kommunikationstechnik]. China und auch einige andere asiatische Länder würden
gerne darüber sprechen, wie man innovative Pläne am besten verwirklicht.
6. Weil wir darüber gesprochen haben, daß das Handelsdefizit Probleme
schafft, wäre die nächste Frage: Gibt es Maßnahmen dagegen? Ich möchte sagen,
daß wir in den Zielländern einige Sonderwirtschaftszonen (SEZ) schaffen und
die Erfahrungen mit dem Betrieb von SEZ teilen könnten. Dies wäre einer von
zahlreichen Wegen, um das Handelsdefizit zu reduzieren, weil die Produkte, die
in den SEZ hergestellt werden, nach China, nach Deutschland und in die übrige
Welt exportiert werden könnten. Das ist eine weitere Gegenmaßnahme.
7. Die nächste ist, koordinierte innere Strukturreformen durchzuführen, und
wir müssen die Ressourcen innerhalb einer Gruppe neu verteilen und die
Produktionskapazitäten nutzen.
8. Die nächste Gegenmaßnahme ist, daß wir unfaire und einseitige
Institutionen vermeiden und einen Dialog zwischen den neugeschaffenen
Plattformen wie den G-20 etc. und den bestehenden Institutionen und
Organisationen – der Weltbank, dem Weltwährungsfonds etc. –
herbeiführen müssen, und zusätzlich eine Koordinierung zwischen all diesen
Institutionen schaffen müssen, damit sie alle gemeinsam effizienter arbeiten
können.
9. Das letzte, was ich hier anführen möchte, ist die Vertrauensbildung. Die
Wirtschaft und die Sicherheitsmechanismen sind asymmetrisch. Das Fehlen eines
Sicherheitsmechanismus führt zu einem Mangel an Vertrauen und Zuversicht, was
auch den Prozeß der wirtschaftlichen Integration blockiert. Fördert
Initiativen zur Vertrauensbildung wie CICA, die Treffen der Konferenz für
Austausch und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien!
Wenn wir alle diese Gegenmaßnahmen haben, geht es anschließend vor allem um
Kooperation und Dialog. Eine Gruppenlösung und eine globale Lösung wäre sehr
willkommen, weil wir, um mit globalen Fragen, globalen Schwierigkeiten umgehen
zu können, eine globale Lösung brauchen, anstelle einer unilateralen.
Was tut China?
Nun, was hat China in den letzten Jahren geleistet? Wie Sie gesehen haben,
hat China eine Menge zum Gemeinwohl und zur globalen Regierungsführung
beigetragen. Und was sind die chinesischen Gegenmaßnahmen zur Koordinierung
der zahlreichen Organisationen und zur besseren Förderung der wirtschaftlichen
Integration und globalen Regierungsführung?
Hier ist meine persönliche Antwort: Zunächst einmal ist das entscheidende
Wort „inklusive Institutionen“, was alle Institutionen ablehnt, die andere
ausschließen. OBOR ist begleitet von der AIIB – der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank -, die 2013 von China vorgeschlagen und Anfang
2016 offiziell eröffnet wurde, mit mehr als 57 Gründungsmitgliedern aus Asien,
Europa, Afrika, Amerika und Ozeanien. Sie ist dazu bestimmt, die bestehenden
globalen finanziellen Steuerungsmechanismen weiter zu verbessern und den
finanziellen Bedarf der Länder zu berücksichtigen, beispielsweise den von
Entwicklungsländern. Das ist der erste Schlüsselbegriff: „inklusive
Institution“.
Der nächste, zweite, ist „inklusiver Integrationsplan“. 2016 trat China in
seinen 13. Fünfjahresplan ein. Der 13. Fünfjahresplan ist klar darauf
ausgelegt, sich aktiv an der globalen wirtschaftlichen Regierungsführung zu
beteiligen, die makroökonomische Koordinierung zu stärken, die finanzielle
Sicherheit zu fördern, wirtschaftliche Stabilität und Wachstum, ein
ausgewogenes multilaterales Handelssystem, sozusagen eine „Win-Win-Situation“
und inklusive Entwicklung zu fördern. Die Umsetzung der Strategie der
Freihandelszone wird beschleunigt, regionale umfassende wirtschaftliche
Partnerschaften, Vereinbarungen, Verhandlungen wie RCEP [Freihandelsabkommen
der ASEAN-Staaten], FTAAP [Freihandelsabkommen der Asiatisch-Pazifischen
Wirtschaftskooperation] etc. werden gefördert. Das ist das zweite.
Die dritte: eine inklusive globale Agenda zu erreichen. Wenn wir über
globale Fragen reden, über globale Regierungsführung, dann brauchen wir eine
globale Agenda. China dient als vorsitzendes Land des G20-Gipfels, der noch
stattfinden wird. Der siebte G20-Gipfel wird im September dieses Jahres in
Hangszhou stattfinden. Und dieser Gipfel hat als Titel die „Vier I“. Wofür
stehen diese „vier I“? Erstens, innovative (innovativ). Zweitens,
invigorated (gestärkt). Drittens: interconnected (vernetzt), und
schließlich, inclusive (inklusiv).
Und das wird und soll der Geist der ganzen OBOR-Initiative sein. Sie
vereint mehrere Bereiche: das Wachstumsmodell der Innovation, sie verstärkt
das wirtschaftliche Wachstumspotential und verbessert die globalen
finanziellen Regierungsführungen, verstärkt die Konzentration auf die
aufstrebenden und Entwicklungsländer, verstärkt die Fähigkeit, sich den
Risiken zu widersetzen, die Handel und Investitionen zum globalen
Wirtschaftswachstum mit sich bringen können, und achtet auf eine inklusive und
vernetzte Entwicklung und die Beseitigung von Armut. All diese Inhalte sind
vom Geist der Inklusivität und der Vernetzung getragen.
Mein letzter Punkt ist, daß OBOR eine Initiative ist. Warum müssen wir
erwähnen, daß es eine Initiative ist? Es ist eine Initiative, weil sie kein
abgeschlossener Plan ist, sondern ein offenes Projekt, das weitere
Unterstützung und Ideen begrüßt.
Es besteht also eine große Nachfrage nach globalen öffentlichen Beiträgen.
Nicht nur in China, sondern auch hier, in den Ländern Europas, in Amerika etc.
sind wir alle mitverantwortlich für diese globalen Herausforderungen, mit
denen wir heute konfrontiert sind. Wir brauchen eine globale Lösung, um mit
globalen Fragen und Krisen umzugehen. Kein einzelnes Land sollte andere
ausschließen.
Vielen Dank nochmals an das Schiller-Institut, und vielen Dank für diese
Konferenz. Ich möchte Sie zu weiteren Kommentaren ermutigen und begrüße alle
Vorschläge. Vielen Dank. (Applaus.)
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