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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

„Ein Gürtel, eine Straße“ im weltweiten Kontext

Von Dr. Ren Lin

Ren Lin ist Dozentin am Institut für Weltwirtschaft der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Sie hielt auf der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts den folgenden Vortrag, der aus dem Englischen übersetzt wurde.

Ich möchte zunächst dem Schiller-Institut meinen besten Dank abstatten, weil mich diese Konferenz nach Berlin zurückgebracht hat, denn ich kann sagen, „Berlin ist meine zweite Heimatstadt“. Hier in der Nähe ist meine Universität, die Freie Universität Berlin, und ich freue mich sehr, hier über „Ein Gürtel, eine Straße“ (One Belt, One Road, OBOR) sprechen zu können. Und ich möchte auch dem Publikum danken, daß Sie, auch wenn es hier zu heiß ist, doch aufmerksam zuhören.

Mein Hintergrund ist, daß ich mich mit der Globalisierung befasse, mit der wirtschaftlichen Integration, der regionalen Integration, etc., und mit OBOR, „One Belt, One Road“. Bevor ich mit meinen Vorträgen beginne, gebe ich immer gerne mein Forschungsergebnis an meine akademischen Freunde weiter, nämlich daß ein gemäßigtes Niveau der Globalisierung und Regionalisierung der wirtschaftlichen Entwicklung nützen würde. Aber als ich gestern aus dem Flugzeug kam und hörte, daß der „Brexit“ Erfolg hatte, da versetzte mir das einen Schock. Es schockierte mich und überraschte mich, denn ich begann mich zu fragen, ob meine bisherige Forschung falsch war? Dies ist etwas neues. Bedeutet es den Rückzug der Globalisierung? Bedeutet es, daß wirtschaftliche Integration und Zusammenarbeit nicht die richtige Lösung sind für die globalen Herausforderungen und Fragen, mit denen wir konfrontiert sind?

Aber ich will heute doch wieder für eine wirtschaftliche Integration wie OBOR argumentieren, und ich möchte die Bedeutung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen den Ländern verteidigen, auch wenn wir mit dem Phänomen des Brexit konfrontiert sind. Es ist leicht zu verstehen, warum Länder die Integration anstreben, manchmal eine regionale Integration wie die EU, manchmal eine Integration in einer Gruppe über Länder und Regionen hinweg, wie OBOR, One Belt One Road. Das ist der Kampf gegen die stärkeren Herausforderungen, die uns die Globalisierung bringt. Und sie ist immer noch ein Teil der Globalisierung, möchte ich sagen. Es bedeutet viel, insbesondere für jene Länder, die weniger entwickelt sind oder sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise befinden, gemeinsam und regional in einer Gruppe zusammenzuarbeiten. Es schützt sie vor stärkeren Konkurrenten von außen, aber auch vor nicht-neutralen Regeln, den unfairen Regeln und Vorschriften. Deshalb sollte es der Fokus sein, warum die wirtschaftliche Integration und „Ein Gürtel, eine Straße“ und die Zusammenarbeit wichtig und notwendig sind, und wie man sie verbessern und mit der Globalisierung koordinieren kann.

Neun Herausforderungen für die Welt

Bevor ich hier weiter argumentiere, möchte ich einige Hintergrundinformationen zu dem mitteilen, womit wir heute konfrontiert sind. Warum brauchen wir solche Projekte zur wirtschaftlichen Integration, wie OBOR? Und warum müssen wir gemeinsam und zusammen arbeiten?

Ich komme auf neun Herausforderungen, mit denen wir in dieser Welt konfrontiert sind:

    1. Die erste ist, daß globale Abschwächungen der Wirtschaft stattfinden. Es ist notwendig, gemeinsam nach neuen Quellen des Wirtschaftswachstums zu suchen – nicht nur für die aufstrebenden und die Entwicklungsländer, sondern auch für die entwickelten. Seit etwa 50 Jahren konnte der Handel kaum etwas zum globalen Wirtschaftswachstum beitragen, aber haben wir andere Lösungen? Wir wissen es noch nicht.

    2. Die zweite Schwierigkeit, mit der wir heute konfrontiert sind, ist, daß die aufstrebenden und Entwicklungsländer immer noch vor dem Problem der Entwicklung stehen und vor dem Problem, die Armut zu reduzieren. Soweit wir wissen, sollten die Milleniums-Entwicklungsziele (2000-2015) bereits erreicht sein, denn es ist ja bereits 2016, wir sind bereits über 2015 hinaus. Das ist die zweite Herausforderung: Entwicklungsprobleme bei der Überwindung der Armut.

    3. Die dritte Herausforderung, würde ich sagen, ist, daß die globalen finanziellen Risiken die regionale finanzielle und wirtschaftliche Stabilität gefährden können. Als Gruppe zusammenzuarbeiten, könnte daher die Fähigkeit stärken, diese äußeren Risiken und Schäden, wie sie die Globalisierung mit sich bringt, zu verhindern.

    4. Was ist die vierte Schwierigkeit, der wir uns stellen müssen? Länder wie die aufstrebenden und Entwicklungsländer müssen immer noch herausfinden, wie der Bau von Infrastruktur den Austausch zwischen den Ländern wirksam unterstützen kann, und die Erneuerung der Infrastruktur ist auch in Europa eine dringende Aufgabe. Haben wir genug Erfahrungen damit? Noch nicht.

    5. Die fünfte Schwierigkeit ist, daß es manchmal zu Handelsdefiziten kommt, und daß dies dann auch benachbarte Länder abschreckt, zusammenzuarbeiten. Das kann zwischen China und anderen Nachbarstaaten geschehen, oder zwischen Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU. Gibt es eine Lösung dafür? Das ist die fünfte Schwierigkeit.

    6. Die sechste ist, daß wir immer noch geopolitische Sicherheitsfragen haben, die geregelt werden müssen, und die ansonsten dem Aufbau von Vertrauen und Zuversicht und der normalen Kooperation zwischen den Ländern im Wege stehen. Das ist die sechste Schwierigkeit, die viel Unsicherheit und viel Instabilität weltweit schafft.

    7. Was ist die siebte Schwierigkeit? In vielen Ländern sind Strukturreformen dringend notwendig. Wir müssen die Verteilung der Industrien besser koordinieren. Einige Industrien genießen aufgrund der Arbeitskosten etc. keine Vorteile mehr. Gibt es bessere Lösungen, um unsere Industrien wiederaufzubauen?

    8. Die achte ist, daß wir viele regionale und partielle Krisen und Instabilität haben, die heute mehrere Regionen der Welt plagen, wie die Krise in Teilen des Nahen Ostens, wie die Flüchtlingskrise hier in Europa und der Brexit, ein relativ neues Phänomen.

    9. Last but not least ist da die Schwierigkeit, die vielen regionalen und globalen Institutionen zu integrieren. Wir haben zahlreiche Institutionen – manche sind bilateral, manche multilateral, manche regional und manche global. Manchmal möchte ich sagen: Es sind zu viele! Wie können wir alle diese Institutionen koordinieren und erreichen, daß sie effizienter zusammenarbeiten?

Ich habe alle diese neun Schwierigkeiten, neun Herausforderungen erwähnt, aber es gibt sogar noch mehr. Sie können einfach darüber nachdenken und noch weitere finden. Wie gehen wir mit allen diesen Schwierigkeiten um? Wie können wir unsere gemeinsamen Erfahrungen mitteilen und für eine globale Lösung zusammenarbeiten, anstatt einer unilateralen Lösung?

Gegenmaßnahmen durch Kooperation

Ich möchte hier im zweiten Teil meines Vortrags mehrere generelle Gegenmaßnahmen vorschlagen, die wir in den Rahmen bzw. den Inhalt von OBOR - One Belt, One Road – stellen können:

    1. Die erste, möchte ich sagen, ist, Entwicklungsprobleme zu lösen, indem wir den Bau von Infrastruktur effizient finanzieren – das bedeutet nachhaltige Fortschritte, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Das ist die erste Lösung.

    2. Die zweite ist, gemeinsam neue Quellen wirtschaftlicher Entwicklung zu suchen, wie Infrastrukturinvestitionen. Aber nun ist auch das Weitergeben von Erfahrungen stark gefragt, etwa wie man ein Infrastruktur-Investitionsprojekt wirksam steuert. Ebenso ist es notwendig, bessere Erfahrungen beispielsweise hier in Europa zu teilen, etc.

    3. Die dritte Gegenmaßnahme ist die regionale und überregionale finanzielle Zusammenarbeit. Sie ist sehr wichtig, und wir müssen Mechanismen zur Krisenprävention schaffen. Auch die Weitergabe von Informationen ist stark gefragt. Dann müssen wir herausfinden, wie die Infrastruktur-Investitionsprojekte mit allen diesen unterstützenden Maßnahmen wirksam gesteuert werden können.

    4. Was ich auch noch erwähnen möchte, ist die Anpassung der globalen Wertschöpfungskette: Dies ist nicht bloß ein akademischer Ausdruck, er hat einen konkreten Inhalt. Er bedeutet, daß man die richtigen Verbindungspunkte sucht, beispielsweise einen Teil der industriellen Kette verlagert, wegen der Überalterung der Bevölkerung oder anderer Nachteile, weil andere Länder demographische Vorteile haben. Das ist die vierte.

    5. Als fünfte Gegenmaßnahme würde ich die gegenseitige Komplementarität nennen. Ich erinnere mich an ein Wort des Konfuzius im Chinesischen, das auf Deutsch bedeutet: „Wenn ich mit zwei anderen zusammen wandere, können Sie mir als Lehrer dienen. Ich würde ihre guten Eigenschaften wählen und ihnen folgen, und ihre schlechten Eigenschaften vermeiden.“ Das ist gegenseitige Komplementarität. Europa beispielsweise hat mehr Vorteile in der Technologie, wie etwa saubere Energie, und Europa hat mehr Erfahrung mit Projektfinanzierung, mit nachhaltiger Finanzierung, wie etwa PPP (öffentlich-private Partnerschaften) zur Durchführung von Infrastruktur-Investitionsprojekten. Auch in anderen Bereichen, wie dem Dienstleistungssektor, hat Europa mehr Erfahrung, und außerdem haben Sie hier in Deutschland die „Industrie 4.0“ [ein Projekt zur Verzahnung der industriellen Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik]. China und auch einige andere asiatische Länder würden gerne darüber sprechen, wie man innovative Pläne am besten verwirklicht.

    6. Weil wir darüber gesprochen haben, daß das Handelsdefizit Probleme schafft, wäre die nächste Frage: Gibt es Maßnahmen dagegen? Ich möchte sagen, daß wir in den Zielländern einige Sonderwirtschaftszonen (SEZ) schaffen und die Erfahrungen mit dem Betrieb von SEZ teilen könnten. Dies wäre einer von zahlreichen Wegen, um das Handelsdefizit zu reduzieren, weil die Produkte, die in den SEZ hergestellt werden, nach China, nach Deutschland und in die übrige Welt exportiert werden könnten. Das ist eine weitere Gegenmaßnahme.

    7. Die nächste ist, koordinierte innere Strukturreformen durchzuführen, und wir müssen die Ressourcen innerhalb einer Gruppe neu verteilen und die Produktionskapazitäten nutzen.

    8. Die nächste Gegenmaßnahme ist, daß wir unfaire und einseitige Institutionen vermeiden und einen Dialog zwischen den neugeschaffenen Plattformen wie den G-20 etc. und den bestehenden Institutionen und Organisationen – der Weltbank, dem Weltwährungsfonds etc. – herbeiführen müssen, und zusätzlich eine Koordinierung zwischen all diesen Institutionen schaffen müssen, damit sie alle gemeinsam effizienter arbeiten können.

    9. Das letzte, was ich hier anführen möchte, ist die Vertrauensbildung. Die Wirtschaft und die Sicherheitsmechanismen sind asymmetrisch. Das Fehlen eines Sicherheitsmechanismus führt zu einem Mangel an Vertrauen und Zuversicht, was auch den Prozeß der wirtschaftlichen Integration blockiert. Fördert Initiativen zur Vertrauensbildung wie CICA, die Treffen der Konferenz für Austausch und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien!

Wenn wir alle diese Gegenmaßnahmen haben, geht es anschließend vor allem um Kooperation und Dialog. Eine Gruppenlösung und eine globale Lösung wäre sehr willkommen, weil wir, um mit globalen Fragen, globalen Schwierigkeiten umgehen zu können, eine globale Lösung brauchen, anstelle einer unilateralen.

Was tut China?

Nun, was hat China in den letzten Jahren geleistet? Wie Sie gesehen haben, hat China eine Menge zum Gemeinwohl und zur globalen Regierungsführung beigetragen. Und was sind die chinesischen Gegenmaßnahmen zur Koordinierung der zahlreichen Organisationen und zur besseren Förderung der wirtschaftlichen Integration und globalen Regierungsführung?

Hier ist meine persönliche Antwort: Zunächst einmal ist das entscheidende Wort „inklusive Institutionen“, was alle Institutionen ablehnt, die andere ausschließen. OBOR ist begleitet von der AIIB – der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank -, die 2013 von China vorgeschlagen und Anfang 2016 offiziell eröffnet wurde, mit mehr als 57 Gründungsmitgliedern aus Asien, Europa, Afrika, Amerika und Ozeanien. Sie ist dazu bestimmt, die bestehenden globalen finanziellen Steuerungsmechanismen weiter zu verbessern und den finanziellen Bedarf der Länder zu berücksichtigen, beispielsweise den von Entwicklungsländern. Das ist der erste Schlüsselbegriff: „inklusive Institution“.

Der nächste, zweite, ist „inklusiver Integrationsplan“. 2016 trat China in seinen 13. Fünfjahresplan ein. Der 13. Fünfjahresplan ist klar darauf ausgelegt, sich aktiv an der globalen wirtschaftlichen Regierungsführung zu beteiligen, die makroökonomische Koordinierung zu stärken, die finanzielle Sicherheit zu fördern, wirtschaftliche Stabilität und Wachstum, ein ausgewogenes multilaterales Handelssystem, sozusagen eine „Win-Win-Situation“ und inklusive Entwicklung zu fördern. Die Umsetzung der Strategie der Freihandelszone wird beschleunigt, regionale umfassende wirtschaftliche Partnerschaften, Vereinbarungen, Verhandlungen wie RCEP [Freihandelsabkommen der ASEAN-Staaten], FTAAP [Freihandelsabkommen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation] etc. werden gefördert. Das ist das zweite.

Die dritte: eine inklusive globale Agenda zu erreichen. Wenn wir über globale Fragen reden, über globale Regierungsführung, dann brauchen wir eine globale Agenda. China dient als vorsitzendes Land des G20-Gipfels, der noch stattfinden wird. Der siebte G20-Gipfel wird im September dieses Jahres in Hangszhou stattfinden. Und dieser Gipfel hat als Titel die „Vier I“. Wofür stehen diese „vier I“? Erstens, innovative (innovativ). Zweitens, invigorated (gestärkt). Drittens: interconnected (vernetzt), und schließlich, inclusive (inklusiv).

Und das wird und soll der Geist der ganzen OBOR-Initiative sein. Sie vereint mehrere Bereiche: das Wachstumsmodell der Innovation, sie verstärkt das wirtschaftliche Wachstumspotential und verbessert die globalen finanziellen Regierungsführungen, verstärkt die Konzentration auf die aufstrebenden und Entwicklungsländer, verstärkt die Fähigkeit, sich den Risiken zu widersetzen, die Handel und Investitionen zum globalen Wirtschaftswachstum mit sich bringen können, und achtet auf eine inklusive und vernetzte Entwicklung und die Beseitigung von Armut. All diese Inhalte sind vom Geist der Inklusivität und der Vernetzung getragen.

Mein letzter Punkt ist, daß OBOR eine Initiative ist. Warum müssen wir erwähnen, daß es eine Initiative ist? Es ist eine Initiative, weil sie kein abgeschlossener Plan ist, sondern ein offenes Projekt, das weitere Unterstützung und Ideen begrüßt.

Es besteht also eine große Nachfrage nach globalen öffentlichen Beiträgen. Nicht nur in China, sondern auch hier, in den Ländern Europas, in Amerika etc. sind wir alle mitverantwortlich für diese globalen Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind. Wir brauchen eine globale Lösung, um mit globalen Fragen und Krisen umzugehen. Kein einzelnes Land sollte andere ausschließen.

Vielen Dank nochmals an das Schiller-Institut, und vielen Dank für diese Konferenz. Ich möchte Sie zu weiteren Kommentaren ermutigen und begrüße alle Vorschläge. Vielen Dank. (Applaus.)