„Die internationale Gemeinschaft verschließt ihre Augen“
S.E. Hamid Sidig, Botschafter und außerordentlicher Gesandter
der Islamischen Republik Afghanistan in Deutschland, richtete bei der Berliner
Konferenz des Schiller-Instituts die folgenden Grußworte an die
Teilnehmer.
Sehr geehrte Frau Zepp-LaRouche, verehrte Kollegen und Freunde,
ich möchte meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, Teil dieser sehr
wichtigen Veranstaltung zu sein. In den letzten 30 Jahren hat das
Schiller-Institut eine bedeutende Rolle dabei gespielt, die internationale
Diskussion über die großen Fragen zu fördern, die die Zukunft der Welt
gestalten.
Seit der Antike war die Seidenstraße ein Symbol für eine Arterie des
Handels, die Asien und Europa miteinander verbindet und Wohlstand und
kulturellen Austausch zum Nutzen aller beteiligten Länder schafft. Unsere
heutige Konferenz hofft, an diese große antike Tradition anzuknüpfen, indem
sie Wissenschaftler und Politiker zusammenbringt, um eine Neue Seidenstraße zu
entwickeln und den Prozeß des Heilens und der Regeneration dieser sehr
wichtigen Region Zentralasien zu beginnen.
Unsere Vision ist es, ein sicheres und friedliches Leben in unserer Region
zu schaffen und damit Tausenden von Flüchtlingen zu erlauben, in ihre Heimat
zurückzukehren und ihre Gemeinden wiederaufzubauen. (Applaus.) Diese Konferenz
soll die Möglichkeiten betrachten, wie wir eine solche Zukunft gestalten
können: eine Zukunft auf der Grundlage wirtschaftlicher, sozialer, politischer
und kultureller Kooperation, die Eurasien jene Stabilität und Prosperität
bringt, die so dringend notwendig ist.
Wir sollten dabei die höchst wichtige Frage der Sicherheit und der
Beherbergung von Elementen, die die ganze Region destabilisieren, nicht
vergessen. Ich meine, diese Leute – und die Länder, die Terroristen und
Aufständischen im Namen der Religion beherbergen – sind ein Faktor der
Instabilität in dieser Region. Und das Tun solcher Länder sollte aufgedeckt
werden.
Ich glaube, daß wir Infrastruktur und Wege aufbauen sollten, um diese
Vision u.a. durch die Ankurbelung des Handels zu verwirklichen. Auf der
praktischen Ebene müssen wir neue Eisenbahnen bauen, darunter auch
Hochgeschwindigkeitsbahnen, und neue Quellen grüner und sicherer Energie ins
Auge fassen, neue Technologien und Erfindungen erforschen, insbesondere im
IT-Sektor, um unseren Erfolg zu fördern, und schließlich faire Handelsabkommen
für den Wettbewerb auf den internationalen Märkten schaffen.
Unsere Vorfahren waren mit ihren begrenzten Technologien und Standards in
der Lage, diesen wichtigen Handelsweg über mehr als 1000 Jahre aufrecht zu
erhalten. Deshalb sollten wir heute in der Lage sein, ihn nicht nur wieder
aufzubauen, sondern ihn zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Fernstraße
für das kommende Millenium zu machen.
Wenn wir uns heute eine solche, bessere Zukunft vorstellen, dann können wir
sie gemeinsam zur Realität von morgen machen.
Ich will hier keine lange Rede halten, aber abschließend möchte ich noch
eine Bemerkung machen zu einem Thema, das in letzter Zeit sehr wichtig
geworden ist: die Flüchtlinge. Ich komme aus einem Land, das seit Anfang der
1980er Jahre, nach der sowjetischen Invasion, zu einem Land geworden ist, aus
dem die junge Generation und ganze Familien weggehen. Sie gehen, obwohl alle
diese Menschen ausgebildet wurden und Afghanistan sie sehr dringend
braucht.
Nun lautet meine Frage an die internationale Gemeinschaft: Warum ist
Afghanistan, trotz all der Milliarden von Dollars an Unterstützung und
Beiträgen aus den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, von regionalen
Mächten wie China, Indien und Katar, immer noch unruhig, und warum verläßt die
junge Generation das Land? Und das sogar noch viel schlimmer als zur Zeit der
sowjetischen Invasion Afghanistans! Während der sowjetischen Invasion betrug
die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, 46.000 – innerhalb
eines ganzen Jahrzehnts. Jetzt kamen allein innerhalb von anderthalb Jahren
oder einigen Monaten mehr als 185.000 Afghanen nach Deutschland. Das kann man
nicht abstreiten. Aber was ist der Grund dafür? Warum kommt die junge
Generation?
Ich erlebe es jeden Tag – jeden Tag! –, daß Hunderte von
jungen Menschen zu uns in die Botschaft kommen, um neue Pässe zu beantragen.
Wir helfen ihnen natürlich. Und es sind einige unter ihnen, die langweilen
sich hier in Deutschland und wollen gerne zurück, und wir geben ihnen einen
Passierschein.
Aber auf die Frage, die ich jedem von ihnen stelle, gibt es immer nur eine
Antwort: Sie gehen nicht wegen der Armut aus Afghanistan weg, sie gehen nicht
aus Afghanistan weg aus Mangel an Arbeit. Sie gehen weg wegen der Sicherheit.
Eltern verkaufen ihre Häuser und ihr Eigentum, und übergeben es den Mafias,
damit sie ihre Kinder aus dem Land bringen.
Seit mehr als 40 Jahren ist Afghanistan im Krieg. Die Zeit der Sowjetunion
ist vorüber. Aber was ist jetzt? Wie kommt es, daß wir seit dem Abzug der
Sowjets aus Afghanistan nicht zu einem normalen Leben zurückgefunden haben?
Ich denke, die internationale Gemeinschaft hat ihre Augen verschlossen und
will die Realität dessen, was vor sich geht, nicht wahrnehmen. Welche Länder
beherbergen Terroristen, welche Länder schaffen Madrasas [Koranschulen, d.
Red.] für diese Terroristen? Welche Länder haben die Ausbildungslager? Und
welche Länder geben diesen Leuten Waffen und schicken sie zu uns?
Jeden Tag verlieren in Afghanistan Hunderte von jungen Menschen im
Namen der Taliban oder unter irgendeinem anderen Namen ihr Leben.
Und schließlich, wo sind diese Terroristen? Wo findet sie die
internationale Gemeinschaft? Jeder weiß es, aber niemand versucht, das Problem
in unserer Region zu lösen. Vielleicht sind all diese Probleme, die über
Afghanistan kommen, der Grund dafür, daß diese Menschen davonlaufen. Ich
hoffe, daß die internationale Gemeinschaft eines Tages eine wirkliche
Lösung findet, und einen wirklichen Grund, warum dies so ist.
Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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