Aufruf zum neuen Paradigma findet Echo bei T20-Konferenz
Vertreter des Schiller-Instituts sprachen beim „Think 20
Summit“ in Beijing zur Vorbereitung des G-20-Gipfels in China.
In ihrer Rede beim „Think 20 Summit“, einem Forum für Denkfabriken mit dem
Ziel, Ideen und Vorschläge für das Gipfeltreffen der G-20 auszuarbeiten, das
am 4.-5. September im chinesischen Hangzhou stattfinden wird, forderte die
Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, am 29.
Juli die G-20 auf, „die existentiellen Herausforderungen, vor denen unsere
Zivilisation steht, anzupacken und rechtzeitig Lösungen für sie umzusetzen“.
Sie beschrieb die vielfältigen Krisen, vor denen die Menschheit steht: das
Aufkommen von Establishment-feindlichen Parteien, den möglichen Zerfall der
EU, die Flüchtlingskrise und die Gefahr eines nuklearen Krieges. „Ein weiteres
Verweigern des bevorstehenden G-20-Gipfels, diese Lage zur Kenntnis zu
nehmen“, erklärte sie vor den versammelten Gelehrten, „und das Versäumnis, die
Chance des bevorstehenden Gipfels zu nutzen, werde nicht nur virtuelle Folgen
haben, sondern auch in der realen Geschichte und für das Leben und das Wohl
von Milliarden Menschen.“
Der „Think 20 Summit“ wurde von drei führenden chinesischen Institutionen
veranstaltet: dem Institut für Weltwirtschaft und -politik der Chinesischen
Akademie für Sozialwissenschaften (CASS), dem Shanghaier Institut für
Internationale Studien und dem Chongyang-Institut für Finanzstudien der
Renmin-Universität. Die zweitägige Konferenz hatte den Titel „Entwicklung
neuer globaler Beziehungen: neue Dynamik, neue Vitalität und neue Aussichten“,
und es nahmen rund 500 Vertreter von Denkfabriken, Politiker und
Repräsentanten internationaler Organisationen aus 25 Ländern daran teil.
Zu der Konferenz kamen nicht nur bekannte Gelehrte aus China, sondern auch
zahlreiche „Aktivisten“ verschiedener internationaler „globalistischer“
Organisationen, für die der Ausdruck „nachhaltig“ identisch ist mit dem
völligen Verzicht auf Entwicklung, darunter einige Personen, die ihre ersten
Erfahrungen schon in der Nullwachstums- und Entvölkerungsbewegung des Club of
Rome gesammelt hatten, sowie frühere Regierungsvertreter und Mitglieder
internationaler Organisationen, für die jegliche grundlegenden Änderungen in
der gegenwärtigen Finanzordnung undenkbar sind.
In den wenigen Minuten, die ihr für ihren Vortrag zur Verfügung standen,
gelang es Helga Zepp-LaRouche, den strategischen Charakter des chinesischen
Projekts der Neuen Seidenstraße, die Notwendigkeit einer Rückkehr zum
Glass-Steagall-Trennbankensystem und eines Crash-Programms zur Entwicklung der
Kernfusion darzulegen. Die verschiedenen Krisen, vor denen die Menschheit
heute steht – von der Gefahr eines neuerlichen Finanzkrachs bis zu dem
endlosen Flüchtlingsstrom aus Südwestasien und Afrika nach Europa –, könnten
nur durch konkrete Maßnahmen der G-20 in diese Richtung gelöst werden, warnte
sie.
Die Reaktion der übrigen Redner auf ihre Ausführungen war geteilt. Die
Hälfte der Vortragenden, insbesondere die Chinesen, waren begeistert, daß bei
einer ansonsten eher „zahmen“ Konferenz eine solche Perspektive von einem der
internationalen Gäste vorgetragen wurde. Einige der Referenten mußten jedoch
ihren Ärger oder gar ihre Wut darüber unterdrücken, daß die von ihnen erhoffte
„kontrollierte“ Umgebung, in der nur über „Nachhaltigkeit“ und „kleine
Anpassungen“ geredet werden sollte, gestört wurde. Nach der Vortragsrunde
kamen etliche Redner und andere Teilnehmer, um mit Frau Zepp-LaRouche zu
sprechen und der „Seidenstraßen-Lady“, wie sie in China oft genannt wird, zu
ihrer mutigen Intervention zu gratulieren.
Obwohl es bei dem Forum allgemeiner Konsens war, daß sich die Welt derzeit
am Rande einer Krise befindet und das System des Weltwährungsfonds, wie es
derzeit existiert, grundlegende Mängel hat, gab es nur sehr wenige
ausländische Vertreter, die bereit waren, sich der unmittelbaren Gefahr eines
Finanzkrachs zu stellen, oder den Mut hatten, auf die Forderung nach einer
fundamentalen Reform des Weltfinanzsystems zu hören. Und obwohl die
europäischen Teilnehmer allesamt erschüttert waren über die Gewinne
rechtsextremer Parteien in vielen europäischen Ländern, weigerten sie sich,
die Ursache dafür in dem völligen Versagen der gegenwärtigen finanziellen und
politischen Strukturen bei der Erfüllung der Bedürfnisse der Bevölkerung zu
erkennen. Die meisten ausländischen Delegierten klammerten sich an das
Bestehende, in der Hoffnung, daß die Titanic des Weltfinanzsystems irgendwie
heil an den drohenden Eisbergen vorbeikommt.
Aber es gab auch Teilnehmer, die wütend darüber waren, daß man ihnen ihre
Illusionen nehmen wollte. Das zeigte sich bei einer weiteren Vortragsrunde, in
der William Jones, Washingtoner Bürochef des Executive Intelligence
Review, als Teil der dreiköpfigen Delegation des Schiller-Instituts in
seinem Vortrag die Schaffung einer neuen Finanzarchitektur forderte. Als Jones
erklärte, die Politik des „Bail-in und Bail-out“ in Verbindung mit drastischen
Sparmaßnahmen führe zum Tod der Menschheit, warf ein Mitglied der deutschen
Delegation wütend ein: „Wir wollen Analysen, keine Propaganda“, und stürmte
demonstrativ aus dem Saal. Jones ließ sich durch den Zwischenfall nicht
stören, und nach der Vortragsrunde bedankten sich zahlreiche Teilnehmer bei
ihm für seine Ausführungen.
Die Delegation des Schiller-Instituts fand außerordentlich große
Aufmerksamkeit in den chinesischen Medien und gab Interviews in China Radio
International, CCTV und anderen Medien.
Daß das Schiller-Institut zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde, zeigt
nicht nur die große Anerkennung der chinesischen Seite für die historische
Rolle, die das Institut und Frau Zepp-LaRouche persönlich bei der Entwicklung
der Perspektive der Neuen Seidenstraße gespielt haben, sondern auch, daß sie
die Bedeutung der Intervention einer solche internationalen Denkfabrik wie dem
Schiller-Institut in eine Debatte erkannt haben, in der die meisten
internationalen Organisationen vollkommen andere Anschauungen in Bezug auf die
Ausrichtung des G-20-Gipfels haben als die von China vertretenen.
Chinas Perspektive wurde zum Abschluß des Think 20 Summits von Professor
Zhang Yuyan, dem Moderator der zweitägigen Veranstaltung, wunderbar
zusammengefaßt. Prof. Zhang verwies auf das konfuzianische Ideal der Harmonie
der Welt als Vorbild für das, was China beim bevorstehenden G-20-Gipfel
erreichen wolle, daß man nämlich Konfuzius zufolge, wenn man für das eigene
Wohl sorgen wolle, für das Wohl der anderen sorgen müsse, und daß das Ziel des
bevorstehenden G-20-Gipfels darin bestehen müsse, die Welt zu verbessern.
Während sich hierin Chinas Streben nach der Schaffung eines „Neuen
Paradigmas“ in den internationalen Beziehungen zeigt, wollen die Vereinigten
Staaten und Europa immer noch an dem alten Paradigma der Geopolitik
festhalten, das von Konflikten und Kriegen gekennzeichnet ist.
Auch wenn die Themen „Innovation“ und „Infrastrukturinvestitionen“ von
China in den Mittelpunkt des Hangzhou-Gipfels gestellt wurden und alle
Beteiligten Lippenbekenntnisse zu diesen Fragen abgaben, verhindert die
radikal-ökologische und kernkraftfeindliche Haltung der meisten
internationalen Organisationen, insbesondere aus den Vereinigten Staaten und
Europa, bisher einen Konsens, der es erlauben würde, diese Themen tatsächlich
umzusetzen. Die Spaltung zwischen den entwickelten Nationen und den
Entwicklungsländern, zu denen sich China zählt, muß immer noch überwunden
werden. Es ist zu hoffen, daß das sich entfaltende Finanzdebakel in Europa und
den Vereinigten Staaten als ein Katalysator wirkt, um diese Länder aus ihrem
selbst herbeigeführten Schlaf aufzurütteln, und der Hangzhou-Gipfel der G-20
zu dem historischen Wendepunkt auf dem Weg zu einem neuen Paradigma in den
internationalen Beziehungen wird, den China daraus machen will.
WJ
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