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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die Neue Seidenstraße und Koreas Wiedervereinigung

Von Jai Poong Ryu

Jai Poong Ryu von der One Korea Foundation hielt bei der New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 7. April den folgenden Vortrag.

Ich betrachte es persönlich und allgemein als eine große Ehre, daß ich eingeladen wurde, hier bei dieser sehr wichtigen Konferenz des Schiller-Instituts zu sprechen, die genau zur rechten Zeit stattfindet.

Helga LaRouche sprach davon, daß wir geopolitisches Denken und Polarität überwinden müssen, und diese Bemerkung paßt sehr gut in diese Zeit, denn es war geopolitisches Denken von Mächten, die sich der Kontrolle der Koreaner entzogen, was vor 71 Jahren unser Land geteilt hat. Es war die geopolitische Entscheidung, daß die kaiserliche japanische Armee nördlich des 38. Breitengrades von den Sowjets entwaffnet wurde, die gerade in die Halbinsel einmarschiert waren, und südlich dieses Breitengrades von den Amerikanern, die etwas später kamen.

Und wir sind mehr als 70 Jahre geteilt geblieben, das geopolitische Denken der Welt hält die Halbinsel weiterhin geteilt, und es ist jetzt an der Zeit, die Aufmerksamkeit darauf zu richten.

[Ex-] Justizminister Ramsey Clark hat über viele globale Fragen gesprochen, über die Umwelt, die Armut, die Ungleichheit der Einkommen usw., aber zu allen diesen Problemen gehört auch dieses, über das kaum jemand spricht oder nachdenkt. Es gibt schon so viele Probleme, aber daß sich niemand damit befaßt, macht es wirklich deprimierend. Und ich bewundere die Arbeit des Schiller-Instituts und hoffe, einen Eindruck von Korea zu vermitteln, damit Sie den einen Zusammenhang finden zwischen dem, was Sie anstreben, also der Weltlandbrücke, und der möglichen Bedeutung davon für die Wiedervereinigung Koreas und deren Folgen.

Seit meiner Pensionierung vor vier Jahren widme ich alle meine Zeit und Energie der koreanischen Wiedervereinigung. Dieses Ziel der Wiedervereinigung Koreas ist jedoch anders als das meiste, was ich vorher getan habe. Es geht für mich bei diesem Streben nicht um das konkrete Ziel an sich, sondern eher um die Richtung. Denn ich werde im Oktober 75 Jahre alt, und wenn mein Bestreben wäre, daß das Land sich noch zu meinen Lebzeiten oder in den nächsten fünf Jahren wiedervereinigt, dann wäre es zu deprimierend, die Realität zu sehen. Die Anzeichen sind zu entmutigend und frustrierend, da könnte ich gleich aufgeben, bevor ich überhaupt anfange. Ich muß es also so angehen, daß es eine Richtung gibt, in die wir gehen wollen, und ich werde mein Teil tun, soweit ich kann, und es dabei belassen, und alles andere mag folgen. In diesem Geist tue ich das, was ich tue.

Pro und contra Wiedervereinigung

Denn sobald im In- oder Ausland die Wiedervereinigung Koreas zur Sprache kommt, gibt es einen enorme Bandbreite von Meinungen.

Auf der einen Seite gibt es Leute, die eine Wiedervereinigung nicht für wünschenswert halten. Tatsächlich hat der Status Quo einigen Nutzen - so scheinen jedenfalls alle Mächte in der Umgebung zu denken.

China intervenierte im Koreakrieg aus geopolitischen Überlegungen, damit es nicht US-amerikanischen Truppen auf der anderen Seite des Yalu-Flusses gegenüberstehen mußte. Und das gilt bis zum heutigen Tage.

Japan findet, daß Südkorea als aufstrebende industrielle Macht schon stark und konkurrenzfähig genug ist; ein wiedervereinigtes Korea wäre da keine positive Nachricht.

Auch die Vereinigten Staaten halten eine Wiedervereinigung nicht für besonders wünschenswert. Und es gibt auch die finstere Interpretation, daß es in den Vereinigten Staaten eine verborgene Hand gibt, die Korea gerne geteilt halten will, damit die Koreaner weiter Waffen, Gewehre und Panzer kaufen, weil Leute daran Geld verdienen. Ich weiß es nicht; ich habe das nicht näher untersucht. Tatsächlich gibt es, trotz all der Experten, die sich damit befassen, nur sehr wenige Daten, Zahlen oder Tabellen darüber. Und so gehen die Gerüchte weiter, seien sie nun wahr oder nicht.

Und es gibt Leute, die zweifeln vor allem, wenn sie die Lage in Korea mit Deutschland vergleichen. Korea ist ja seit 70 Jahren geteilt, aber erst seit der deutschen Wiedervereinigung wurde die Idee der Wiedervereinigung für das koreanische Volk etwas realer. Aber wenn man Ost- und Westdeutschland mit Nord- und Südkorea vergleicht, dann sind die Vorzeichen noch enttäuschender: Westdeutschland war viel reicher als Südkorea und viel größer als Ostdeutschland, dreimal so groß. Nord- und Südkorea sind, was die Landfläche angeht, etwa gleich groß, und die Bevölkerung von Südkorea ist doppelt so groß wie die von Nordkorea. Und Westdeutschland war viel reicher.

Vor der (deutschen) Wiedervereinigung haben sich die Menschen Briefe geschickt, sie haben telefoniert, sie schickten einander Weihnachtskarten, haben einander besucht. Anders in Korea. Die geteilten Familien - das waren bis zu zehn Millionen Menschen, und etwa ein Viertel dieser Zahl an Familien - bleiben geteilt. Und als versucht wurde, ihnen ein dreitägiges Treffen zu ermöglichen, brauchte man drei Jahre Vorbereitung, es ist schrecklich.

Wenn man also die Lage in Korea mit Deutschland vergleicht, dann liegt die Idee nahe, daß wir es uns nicht leisten können. Die westdeutsche Wirtschaft litt darunter, und noch heute gibt es in Deutschland Leute, die man „Ossis“ und „Wessis“ nennt, und es gibt Vorurteile, und man tendiert dazu, die Wiedervereinigung für alles verantwortlich zu machen, was falsch lief. Korea will das nicht wiederholen, und wir können es uns definitiv nicht leisten.

Auf der anderen Seite gibt es nicht nur international, sondern auch im Inland Menschen, die glauben, daß eine Wiedervereinigung nicht wünschenswert ist, weil der Status Quo gar nicht so schlecht ist. Südkorea war eine verarmte Nation! Als ich Korea 1965 verließ, lag das Pro-Kopf-Einkommen bei 100 Dollar pro Kopf, vielleicht auf dem Niveau von Uganda und Ruanda in Afrika heute. Heute ist Südkorea, je nach dem Maßstab, die zehnt- bis vierzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt, bei einer Landfläche, die halb so groß ist wie der US-Staat Utah. Das ist eine bemerkenswerte Leistung. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, seit 1945, ist Südkorea das einzige Land, das aus äußerster Armut eine wirkliche Industrialisierung und Demokratisierung erreicht hat. Das ist ein stolzes Erbe.

Wir können also ganz gut leben, es gibt keine Bettler mehr, es hungert niemand mehr. Wir haben keinen Haushalt, der zu 70% von amerikanischer Auslandshilfe abhängt. Wir geben selbst Auslandshilfe, wir helfen, viele Teile der unterentwickelten Welt zu erforschen... Wir können also leben. Aber die Südkoreaner fürchten, wenn Korea plötzlich vereinigt würde, dann müßten sie die Grundversorgung von 25 Millionen Menschen garantieren, und das können wir uns nicht leisten.

Es gibt also Leute, die glauben, daß wir es uns nicht leisten können und daß der Status Quo nicht so schlecht ist.

Auf der anderen Seite gibt es Leute, die an eine „Wiedervereinigung um jeden Preis“ glauben, egal was, sogar, wenn dazu Blut vergossen werden muß. Die Wiedervereinigung sei ein Muß. Korea sei schon immer ein geeintes Land gewesen - ein Volk, ein Land -, und es müsse wieder zusammengebracht werden.

Weg vom Inseldasein

Ich gehöre weder zu dem einen noch zu dem anderen Lager. Ich und die One Korea Foundation, für die ich spreche, wünschen uns eine ganz bestimmte Art der Wiedervereinigung. Wenn Korea irgendwie mit militärischen Mittel geeint würde oder durch einen plötzlichen Sturz der herrschenden Dynastie der Familie Kim, dann wäre das Chaos so groß, daß keine Kraft, keine Person oder Führung, egal von welchem Kaliber, es irgendwie beherrschen könnte. Ohne große Vorbereitungen und schmerzhafte, schrittweise und solide Bemühungen von Seiten Südkoreas, die international eng unterstützt und koordiniert werden müssen - woran China und die USA, Japan und Rußland, wohl die vier stärksten Mächte der Welt, beteiligt sein müssen -, ohne das wäre eine Wiedervereinigung Koreas nicht möglich.

Was für eine Wiedervereinigung wollen wir? Die Vereinigung Koreas muß durch das koreanische Volk geschehen. Wir werden kein anderes Land bitten, es für uns zu tun. Auch wenn wir durch andere geteilt wurden, werden wir uns selbst vereinigen. Aber wir können es nicht alleine, definitiv nicht! Vor allem, wenn alle anderen aktiv dagegen sind. Selbst in dem sehr anschaulichen Vortrag von Professor Li wurde ein Land nicht erwähnt. Bangladesch, Pakistan, Kasachstan, Xinjiang und Tibet wurden erwähnt, aber Korea mit keinem Wort. China nennt sich das Reich der Mitte, aber jetzt, im Konzept der Seidenstraße, betrachtet es sich als den Fernen Osten, es ist nicht mehr in der Mitte. Wenn es in der Mitte sein will, dann sollte es Korea einschließen.

Koreaner befassen sich mit der Wiedervereinigung, Zeitungskommentatoren und Hochschulprofessoren reden darüber, was die Wiedervereinigung Korea bringen würde. Korea ist eine Halbinsel. Aber Südkorea ist wie eine Insel! Auf drei Seiten ist Meer und dann gibt es noch die Entmilitarisierte Zone. Wir leben seit 70 Jahren auf einer Insel! Deshalb ist es einer der Träume für Koreas Wiedervereinigung, daß die Erst- und Zweitsemester der Hochschulen ihre Rucksack nehmen und sich in eine transkontinentale eurasische Eisenbahn setzen und bis nach Madrid oder Venedig fahren können. Darüber sind sie ganz begeistert. Das ist ein Teil des Traums, der die Frage der Wiedervereinigung in den Köpfen der jungen Menschen in Korea am Leben erhält.

Und Michael Billington war so freundlich, eine Erklärung unserer Vereinigung für Sie vorzubereiten - haben Sie sie vorliegen? Ich wäre sehr geehrt, wenn Sie sich die Zeit nehmen würden, sie zu lesen. Es ist vielleicht kein großartiges literarisches Dokument, aber ich habe sieben Monate dafür gebraucht, sie zu schreiben, zu revidieren und jedes Wort zu prüfen - jedes Wort! Ich muß viele Stunden damit verbracht haben. Haben Sie also Mitleid mit mir und lesen Sie es sorgfältig durch.1 (Applaus)

Der richtige Übergang

Nun, die Art von Wiedervereinigung, die wir wollen, ist wirklich nicht einfach, sie erfordert sehr spezielle Maßnahmen. Man geht im wesentlichen davon aus, daß wenn Korea vereinigt wird, Menschen auf der Suche nach einem höheren Lebensstandard nach Süden strömen werden, und Geld wird auf der Suche nach Profiten nach Norden strömen. Wieviel Menschen werden nach Süden gehen? Wieviel Geld nach Norden? Das ist eine Art mathematische Gleichung, eine Art Formel. So müssen Süd- und Nordkorea nach der Wiedervereinigung mindestens zehn Jahre lang als zwei getrennte Wirtschaftszonen verwaltet werden.

Helmut Kohl machte zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung drei Fehler, das hat man uns gesagt. Und wir haben eine Menge aus den deutschen Erfahrungen gelernt und werden diese Fehler hoffentlich nicht wiederholen. Die eine ist die Angleichung der Lohnstrukturen in Ost- und Westdeutschland, und das zweite, daß man der Deutschen Mark in beiden Ländern den gleichen Wert gab. Und dann ermöglichte Helmut Kohl den Westdeutschen, die Eigentum in Ostdeutschland verloren hatten, dieses zurückzufordern. Man sagte, daß in den zehn Jahren nach der Wiedervereinigung 230.000 Klagen in deutschen Gerichten angestrengt wurden. Korea darf diese Fehler also nicht wiederholen, wir müssen da also sehr vorsichtig sein.

Und das zweite ist, und das ist eine sehr schwierige Aufgabe: Wir müssen die internationale Gemeinschaft überzeugen, daß es für die zehnjährige Periode nach der Wiedervereinigung eine Zwei-Korea-Politik geben sollte. Infrastrukturaufbau in Nordkorea, Bau von Kraftwerken, Straßen, Eisenbahnen, Neuausrüstung der Häfen usw. - das Kapital dafür muß aus Südkorea kommen. Sonst wird es sehr, sehr schwierig. Die koreanische Wirtschaft ist nicht so groß wie die deutsche, wir werden alle gefordert sein, das aufrecht zu halten, sonst werde ich vielleicht bereuen, daß ich hier über die Wiedervereinigung gesprochen habe, wenn ich bedenke, was wir damit angerichtet haben.

Die One Korea Foundation hat derzeit nur sehr begrenzte Ziele. Im vergangenen Jahr hatten wir in Erinnerung an unseren 7. Jahrestag ein großes Bankett im Fraktionssaal des US-Senats, und wir hatten eine große Kundgebung am Lincoln Memorial. Wir wollen aus Lincolns Vermächtnis Anleihen machen: „Groll gegen niemanden und Nächstenliebe für alle“, wie er in seiner zweiten Amtseinführungsrede sagte. Das ist der Geist, in dem wir unser Land wiedervereinigen wollen.

Eine unserer vorrangigen Bemühungen ist es, uns an diejenigen zu wenden, die wir „AOL“ (American Opinion Leaders) nennen: amerikanische Meinungsführer. Man findet sie in der Wirtschaft, in der akademischen Welt und in den Medien. In den kommenden ein bis zwei Jahren wollen wir eine erstklassige Internetseite schaffen, damit die Meinungsführer diese Seite besuchen, wenn Fragen zur Wiedervereinigung auftauchen.

Und wir wollen das Bündnis zwischen der Republik Korea und den Vereinigten Staaten neu definieren, damit daraus mehr als Sicherheitsmaßnahmen für die USA und Korea werden. Das Bündnis der USA mit Korea beruht auf der Idee, daß die USA Südkorea im Fall einer nordkoreanischen Aggression zu Hilfe kommen - es setzt die Teilung voraus! Das ganze Bündnis beruht auf der Tatsache, daß das Land geteilt ist und auch weiterhin geteilt bleiben wird. Wir müssen, wie Helga LaRouche hervorgehoben hat, eine Formel finden, die darüber hinausgeht. Das amerikanisch-südkoreanische Bündnis muß nicht nur der Verteidigung dienen, sondern auch einem Korea, der Einigung Koreas. Dadurch wird alles in einem ganz anderen Rahmen umgestaltet.

Und ich denke, Präsident Xi Jinping hat Korea in seinen Gesprächen mit Präsidentin Park über seinen Vorschlag der Neuen Seidenstraße Südkorea definitiv miteingeschlossen. Vielleicht wird Professor Li also das nächste Mal mit seinen Studenten Korea besuchen, das östlichste Ende der Seidenstraße und der Weltlandbrücke. Meiner Ansicht nach fängt die Weltlandbrücke mit der Wiedervereinigung Koreas an. Wie ein Freund einmal sagte: „Laßt Frieden auf Erden sein, und laßt ihn hier bei uns beginnen - mit der Wiedervereinigung Koreas.“

Vielen Dank.


Anmerkung

1. Den Text dieser Erklärung finden Sie in Englisch, Koreanisch und anderen Sprachen im Internet (https://www.1dream1korea.com/declaration/)