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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Renaissancen und der Kampf um Ideen

Von Michael Billington

Bei der New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 13.-14. April sprach Michael Billington über die falschen Vorstellungen über die Philosophien im Westen und in China.

Ich will versuchen, in der kurzen verbleibenden Zeit einige der Fragen zu beantworten, für die diese Konferenz einberufen wurde und die im Gespräch zwischen Helga [Zepp-LaRouche] und Patrick Ho aufkamen – nämlich die falschen Vorstellungen über das westliche Denken in China, und die falschen Vorstellungen über den Konfuzianismus im Westen. Und speziell etwas, womit ich mich während meines „Studienurlaubs“1 gründlich befaßt habe: daß es insbesondere die Briten waren, die, als sie China quasi kolonisierten, wie in allen ihren Kolonien die Philosophien und Kulturen genau profilierten, um daraus rückwärtsgewandte Tendenzen herauszupicken – wie das Kastenwesen in Indien – und das als „das Wesen“ der Kolonie zu definieren, um sie rückständig zu halten und die koloniale Herrschaft über eine geteilte und rückständige Nation zu erhalten.

Das ist auch in China in höchstem Maße passiert. Und das ist bis heute noch sehr lebendig, das kam auch in dem hervorragenden Vortrag zum Ausdruck, der dennoch einen schwerwiegenden Fehler enthielt. Eine falsche Vorstellung, die sich bis heute hartnäckig hält, wurde nicht als solche erkannt, nämlich, die britische, liberal-imperialistische Mentalität, der Darwinismus, das „Überleben des Stärkeren“, das sei mehr oder weniger „das westliche Denken“.

Ich möchte das in aller Kürze durchgehen.

Das wichtigste, womit man beginnen muß, ist wohl, daß es sowohl im Westen als auch in China nicht nur diese wundervollen Traditionen gibt, auf die sich Helga eben so schön bezogen hat (vgl. Neue Solidarität 17/2017) und auf die sich auch Dr. Ho bezogen hat (vgl. Neue Solidarität 18/2017). Diese wundervollen Traditionen, die zur Entstehung dieser mächtigen Zivilisationen führten, mußten schon immer gegen rückwärtsgewandte Tendenzen ankämpfen.

Darüber wurde wenig gesprochen, was verständlich ist, aber ich halte es für äußerst wichtig, zu begreifen, daß dies die Arbeitsweise des Empires ist, um andere zu untergraben – so wie jetzt die Vereinigten Staaten. Wenn Sie sich beispielsweise fragen, warum die Amerikaner so naiv sein konnten, zu glauben, Rußland und China seien aggressive Nationen, Rußland sei der Aggressor in der Ukraine und in Syrien, und China sei der Aggressor im Südchinesischen Meer. Wie konnten wir diesen Unsinn glauben? Nun, der Grund ist, daß sie Amerika ganz genau profiliert haben. Und damit haben wir es heute zu tun.


Abb 1: Die Philosophen Platon und Konfuzius lebten etwa zur gleichen Zeit und hatten ähnliche Erkenntnisse.

Platon und Konfuzius (Abbildung 1) waren annähernd Zeitgenossen, und sie ähneln einander sehr in ihrer Erkenntnis, daß es der menschliche Geist ist, und seine Fähigkeit, schöpferisch zu sein und die Menschheit zu lieben, was den Menschen ausmacht. Aber im Falle Platons gab es einen Gegenspieler, Aristoteles, der überzeugt war, daß der Mensch ein Tier sei, und daß Menschen dazu geboren wären, entweder Herren oder Sklaven zu sein, und daß ihr Geist nicht besser sei als eine Rechenmaschine. Der Geist sei nicht die schöpferische Fähigkeit, die Gesetze des Universums zu meistern und neue Prinzipien zu entdecken, sondern bloß eine Rechenmaschine nach aristotelischer Logik. Und dieses aristotelische Weltbild ist es, wovon das Empire immer geleitet ist, im Gegensatz zum platonischen, das zur Entstehung des Renaissance-Denkens führte.

Und genauso ist es auch in China. Dort gab es den Konfuzianismus, und Helga hatte meiner Ansicht nach völlig recht, Patrick Ho auf den Taoismus anzusprechen. Konfuzius glaubte in gewissem Sinne an den Tao als das Prinzip des Universums. Aber der Taoismus, wie er von Laozi (Laotse) und Zhuangzi (Zhuangtse) entwickelt wurde, war eine Haltung, die Kreativität ablehnte, die den Menschen anhielt, Technik abzulehnen, um mit der Natur zu leben und mit der Natur eins zu werden, anstatt die Natur zu ändern, wie es das Wesen der Kreativität ist.

Die Jesuitenmissionare in China

Dieser taoistische Einfluß war verbunden mit einem noch übleren Einfluß, dem sog. „Legalismus“, der im Grunde besagt, der Mensch sei ein Tier, das sich nur durch äußerst strenge Regierung, strenge Gesetze und strenge Strafen im Zaum halten lasse – die tierischen Instinkte des Menschen müßten mit Gewalt unterdrückt werden. Diese Ideologie herrschte im sog. Ersten Reich in China und war unter der Han-Dynastie und der Tang-Dynastie ein ständig wiederkehrendes Problem. Dagegen gab es eine Renaissance in China in der Song-Dynastie des 12. Jahrhunderts unter Zhu Xi. Zhu Xi war einer der großen Geister Chinas, ähnlich wie Cusa und später Leibniz [in Europa], er bewirkte praktisch eine Wiedergeburt der ursprünglichen Ideen des Konfuzianismus.

Dieses Ringen ging also ständig weiter, und dazu möchte ich jetzt noch einiges sagen.

Das Imperium des Westens – ich denke, ich muß das für etwas, was später noch kommt, vorausschicken – war durchgängig ein einziges Imperium, vom Römischen Reich über das venezianische Reich bis zum anglo-holländischen Empire. Es hat seinen Sitz mehrfach verlagert, aber es blieb immer das gleiche Reich, gegründet auf der aristotelischen, bestialischen Weltsicht.


Abb 2: Zu den wichtigsten Vermittlern zwischen Europa und China gehörte der jesuitische Missionar Matteo Ricci, der als Berater am kaiserlichen Hof in China wirkte.

Abb. 3: Die Erkenntnisse Riccis und seiner Kollegen wurden in Europa durch Leibniz weiterverbreitet, u.a. durch dessen Buch „Novissima Sinica“.

Abb. 4: Der chinesische Kaiser Kang Xi (1654-1722) förderte den kulturellen Austausch zwischen China und Europa [rechts].

Als die Jesuiten zum erstenmal nach China kamen, haben der Jesuit Matteo Ricci (Abbildung 2), von dem Patrick [Ho] eben schon gesprochen hat, und seine Genossen die Buddhisten in ihren gelben Gewändern gesehen und dachten zuerst, diese wären die religiösen Führer, und sie identifizierten sich mit ihnen und arbeiteten mit ihnen zusammen. Sie hielten auch die Zusammenarbeit mit ihnen aufrecht, obwohl sie bald feststellten, daß die wahren religiösen Führer, die wirklichen Philosophen Chinas, die konfuzianischen Gelehrten waren, die keine religiösen Gewänder trugen.

Das war sehr wichtig, denn im damaligen China waren die konfuzianischen Gelehrten die politische Führung. Man stieg durch das Leistungssystem, von dem Professor Wang gesprochen hat, in die Staatsführung auf. Dazu mußte man Prüfungen bestehen. Das waren keine Prüfungen im Rechnen, sondern Prüfungen in der Kultur, beispielsweise im Verständnis von Konfuzius und Menzius.

Und in Poesie. Man mußte Dichter sein, man mußte Musiker sein. Man mußte beweisen, daß man ein wirklich kultivierter Mensch war und damit die Voraussetzungen hatte, eine moralische Staatsführung zu bilden.

Sie [die Jesuiten] knüpften also sehr bald Beziehungen zu den Konfuzianern, was Patrick eben schon angesprochen hat. Darauf komme ich noch zurück.

Dies führt uns zu Leibniz (Abbildung 3), von dem heute schon die Rede war; er stand in Korrespondenz mit den Jesuiten und las die Übersetzungen von Konfuzius und Menzius, und ganz besonders von Zhu Xi aus der Song-Dynastie. Als Leibniz erkannte, daß es in China größere Städte als in ganz Europa gab, eine höher gebildete Bevölkerung und eine besser organisierte Gesellschaft als irgendwo in Europa, schloß er daraus, daß die chinesische Philosophie die fundamentalen Gesetze von Mensch und Natur gemeistert hatte, weil man nur durch die Kenntnis der Wahrheit über die Gesetze des Universums eine langfristig erfolgreiche Kultur schaffen kann. So sah es Leibniz.

Er veröffentlichte auf der Grundlage der Schriften, die er kannte – vor allem Zhu Xi, aber auch Konfuzius und Menzius – die Novissima Sinica, die Neuigkeiten aus China, und vermittelte damit den damaligen Europäern die Wahrheit über China. Über den Konfuzianismus sagte Leibniz: „Er ist reines Christentum, insofern er das natürliche Gesetz erneuert, das in unserem Herzen geschrieben steht.“ Jeder Mensch wird mit diesem Potential für die Wahrheit in seinem Herzen und in seinem Geist geboren, und das ist die platonische Vorstellung, daß alle Menschen zu schöpferischer Entwicklung und zu einer moralischen Gesellschaft fähig sind.

Der damalige Kaiser Kang Xi (Abbildung 4) – er wurde bereits erwähnt - lernte die Jesuiten sehr gut kennen. Er studierte die christliche Weltsicht. Er wurde kein Christ, weil er das nicht für notwendig hielt, wie Patrick schon dargelegt hat. Aber er war davon überzeugt, daß diese Wahrheiten über Mensch und Natur mit dem Konfuzianismus übereinstimmten, und er lud die Jesuiten ein, durch das Land zu reisen, um ihre Religion zu verbreiten. Es gab da überhaupt keine Probleme.

Das Ende der Mission

Ich möchte Patricks Darstellung, wie das dann zuende ging, widersprechen. Er sagte, die katholische Kirche sei zu dem Schluß gelangt, daß die konfuzianischen Riten dem Christentum widersprechen, und habe deshalb die Beziehungen abgebrochen. Aber so ist es nicht abgelaufen. In Wirklichkeit intervenierte das Imperium, Venedig. Die Venezianer setzten den Vatikan unter Druck, um die Päpste, die mit den Jesuiten zusammenarbeiteten, davon abzuhalten. Sie nötigten sie – so wie Trump [zum Angriff in Syrien] genötigt wurde –, gegen das Eigeninteresse des Christentums zu handeln und zu erklären, wenn die Konfuzianer ihre Vorfahren verehren, dann widerspreche dies dem Christentum, und deshalb könne man nicht gleichzeitig Christ und Konfuzianer sein.

Aber man muß bedenken, daß die Konfuzianer China regierten. Zu sagen, das Christentum sei mit dem Konfuzianismus unvereinbar, war daher gleichbedeutend damit, zu sagen, das Christentum sei gegen den Staat. Deshalb sah sich Kang Xi gezwungen, zu sagen: „Ich kann das zwar selbst nicht glauben, weil es absurd ist, aber so muß ich euch des Landes verweisen.“ Das hat er schließlich auch getan.


Abb. 5: Das Britische Empire führte zwei Kriege, um China zur Duldung der britischen Opiumexporte von Indien nach China zu zwingen (zeitgenössische Karikatur).

Abb. 6: Unter britischer Protektion brachten Yen Fu und Herbert Spencer die Ideologie des Sozialdarwinismus nach China.

Das schuf die Grundlagen dafür, daß die Briten einige Jahrhunderte später mit ihren Kanonenbooten und ihrem Opium nach China kamen (Abbildung 5). So haben sie das Land erobert: Sie haben die Städte geschleift, und sie zwangen den Chinesen das Opium auf. Sie führten einen Krieg, weil die Chinesen sie an der Einfuhr des Opiums hindern wollten. Das war der Anfang der schrecklichen Machenschaften der Briten in China.

Und damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema. Die Briten haben sich sogleich eines hochbegabten jungen Gelehrten namens Yen Fu (Abbildung 6) angenommen, der opiumsüchtig war. Sie hielten das für wichtig, sie meinten, als Opiumabhängiger habe er mehr Phantasie. Sie schickten ihn nach London, und Yen Fu wurde von den Briten gründlich ausgebildet: im Darwinismus und „Überleben des Stärkeren“, besonders Herbert Spencer (Abbildung 6), der den Darwinismus zum Sozialdarwinismus weiterentwickelte: Der Mensch ist nur ein Tier, der Mensch schafft Fortschritt nicht durch die Kreativität seines Geistes, sondern indem der Stärkere den Schwächeren besiegt: Überleben des Stärkeren.

Yen nahm diese Ideen auf und brachte sie zurück nach China, und dort schrieb er praktisch die Lehrpläne für die Schulen, die der britischen Aufsicht unterstanden. Und er lehrte: Die Briten haben uns erobert, weil sie Macht und Reichtum haben. Und woher haben sie ihren Reichtum und ihre Macht? Sie haben Macht und Reichtum gewonnen auf der Grundlage der darwinistischen Idee, die Schwachen zu vernichten. Indem sie bereit dazu waren, die Schwachen zu vernichten, um selbst stark zu sein. Wir müssen lernen, Darwinisten zu sein und stark zu sein und die Schwachen zu vernichten.

Es war ein Versuch, die Chinesen einer Gehirnwäsche zu unterziehen.

– Ich möchte hier nur einen kurzen Einschub machen und darauf hinweisen, daß Barack Obama auf genau die gleiche Weise gehirngewaschen und zu einem Killer gemacht wurde. Wie er in seinem Buch berichtet, vermutete er, daß sein Stiefvater unter Sukarno an den Massakern gegen die PKI, die Kommunistische Partei Indonesiens, beteiligt war. So fragte er ihn: „Hast du schon einmal gesehen, wie jemand getötet wurde?“ Und sein Vater sagte: „Ja, tatsächlich, das habe ich.“ Er gab nicht zu, daß er selbst Menschen umgebracht hatte, was er getan hatte, sondern er sagte: „Ja, tatsächlich.“ Und dann sagte er: „Du mußt lernen, mein Stiefsohn, daß es zwei Arten von Menschen gibt: Es gibt die Starken, und es gibt die Schwachen. Und die Starken müssen bereit dazu sein, die Schwachen zu vernichten. Was wird aus dir? Wirst du stark sein, oder wirst du schwach sein?“ Darüber berichtet Obama in seinem Buch, so kam er zu seinem „Killerinstinkt“. -

Ich zitiere, was Yen Fu über Adam Smiths The Theory of Moral Sentiments (dt.: Theorie der ethischen Gefühle, 1759) zu sagen hat:

„Es mag Leute geben, die sagen, Smiths Buch zufolge sei die menschliche Moral nichts anderes als eine Frage des Eigeninteresses und des Strebens nach Gewinn, und dadurch verlöre man das himmlische Prinzip.“ Offensichtlich bezieht er sich hier auf die Befürworter des Amerikanischen Systems, die argumentierten, daß man mit einem solchen Denken gegen das göttliche Gesetz verstößt.

„Was sie nicht verstehen“, sagt Yen Fu, „ist, daß die Wissenschaft sich mit Fragen der Wahrheit und Falschheit befaßt, und nicht damit, ob ihre Feststellungen mit Nächstenliebe und Rechtschaffenheit vereinbar sind.“ In der Wissenschaft gebe es also keine Moral, sondern nur Beobachtungen. Kein kreatives Denken, sondern nur Beobachtungen, Sinneswahrnehmungen.

Nur um zu bestätigen, daß Smith das tatsächlich meint, zitiere ich, was er in seiner Theorie der ethischen Gefühle über diese sagt:

„Die Natur leitet uns zu dem größten Teil derselben durch ursprüngliche und unmittelbare Instinkte. Hunger, Durst, die Leidenschaft, die die beiden Geschlechter vereinigt, die Liebe des Vergnügens, der Abscheu gegen den Schmerz treiben uns an, uns dieser Mittel um ihrer selbst willen zu bedienen, ohne daran zu denken, daß sie auf die wohltätigen Endzwecke abzielen, die der große Beherrscher der Natur dadurch hat hervorbringen wollen.“

Wer war Sun Yat-sen?

Wird der menschliche Geist irgendwo erwähnt? Nur der Instinkt. Die Menschen werden als Tiere betrachtet, nicht mehr und nicht weniger. Und das ist das Konzept, das Yen Fu gegen jeden verteidigt, der sein Gehirn gebrauchen will, und das ist die Überzeugung, die er den Chinesen beibringen wollte.


Abb. 7: Die drei Prinzipien des Sun Yat-sen: Volksherrschaft – Regierung des Volkes, Volksmacht – Regierung durch das Volk, Volkswohl – Regierung für das Volk.

Patrick hat uns schon den genialen Sun Yat-sen beschrieben, und wie er Lincolns Prinzip aufgreift: die Regierung „des Volkes, durch das Volk und für das Volk“ (Abbildung 7). Lassen Sie mich hinzufügen, daß Sun Yat-sen dies lernte, als er in Hawaii war, wo er von der Familie Damon ausgebildet wurde. Sie kam aus Philadelphia und war Teil der Schule Henry Careys, den Helga mehrfach erwähnt hat – die Leute, die sich für die Hamiltonische Schule einsetzten.

Sun griff nicht nur Lincoln auf, er schrieb in seinem Buch Die drei Prinzipien des Volkes auch ausdrücklich über Alexander Hamilton und über John Quincy Adams und über Lincoln. Er verstand das Amerikanische System so gut, daß er auch gegen Thomas Jefferson polemisierte. Er sagte, Hamilton habe erkannt, daß Industrie, Infrastruktur und Bildung für alle Menschen notwendig sind, während Jefferson ein fanatischer Agrarier war, der die Sklaverei für richtig hielt und der das Land als Agrarnation rückständig halten wollte. Darüber schrieb er, und das lehrte er das chinesische Volk. Und so brachte Sun Yat-sen das Amerikanische System nach China.

Noch etwas zu Sun Yat-sen. Das ereignete sich während der Bewegung des 4. Mai, die Patrick auch schon erwähnte. Im Ersten Weltkrieg polemisierte Sun Yat-sen dagegen, sich den Briten im Krieg gegen Deutschland anzuschließen. Er sagte, wenn wir uns den Briten anschließen und sie gewinnen diesen Krieg, was sie wahrscheinlich tun werden, dann glaube ich nicht, daß sie die Beute mit uns teilen werden. Nein, man wird uns behandeln wie der Bauer die Seidenraupe. Sie werden die nützliche Seide herausholen, und dann wird die Raupe als Fischfutter verfüttert. Man wird uns als Fischfutter verwenden. Und genauso kam es auch.

Die Chinesen schlossen sich den Briten an. – Damals gingen Deng Xiaoping und Zhou Enlai nach Frankreich, einige von Ihnen haben vielleicht gehört, daß Jacques Cheminade, unser Kandidat in Frankreich, darüber gesprochen hat. – Aber nach dem Krieg wurde China, das sich den Briten angeschlossen hatte, zerrissen, gespalten und unter den imperialen Mächten aufgeteilt.



Abb. 8: 1919 schlug Sun Yat-sen in seinem Buch „Die internationale Entwicklung Chinas“ vor, China durch den Bau von Eisenbahnen und Wasserstraßen zu entwickeln.

Abb. 9: Bertrand Russell und John Dewey verbreiteten in China die wissenschafts-, technik- und bildungsfeindliche Einstellung, die zu den Auswüchsen der sog. Kulturrevolution führte.

In der Bewegung des 4. Mai intervenierte Sun Yat-sen also, um eine republikanische Bewegung aufzubauen, und er polemisierte gegen den Einfluß des britischen Irrationalismus, auf den er stieß. Er sagte: „Eine von der neuen Kultur berauschte Gruppe hat begonnen, die alte Moral zurückzuweisen, und sagt, erstere mache die letztere überflüssig... Sie sagen, es gebe in einer Demokratie keine Fürsten, deshalb brauche man auch keine Loyalität mehr und könne sie verwerfen.“

Diese Ideologie identifizierte er mit John Stuart Mill, einem weiteren britischen Ideologen, und er sagte, sie mache die 400 Millionen Chinesen „wie eine Schicht losen Sand“ – manipulierbar und ungeeint.

1919 schrieb er Die internationale Entwicklung Chinas, und Sie haben gestern die Karte gesehen, die Prof. Nie Lei über die heutige Entwicklung der chinesischen Eisenbahnen gezeigt hat. Hier ist sie (Abbildung 8): Dies sind die Vorschläge, die Sun Yat-sen 1919 für die Eisenbahn- und Wasserentwicklung in China vorgelegt hat, als ein internationales Projekt. Mit dem, was Xi Jinping und die Chinesen heute tun, wird also genau das verwirklicht.

Die Briten erkannten, welche außerordentliche Gefahr Sun Yat-sens Intervention mit dem Amerikanischen System in China für sie bedeutete. Deshalb schickten sie einen ihrer führenden Agenten dorthin, Bertrand Russell (Abbildung 9), den Lyndon LaRouche als den bösartigsten Menschen des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Er wurde von der Anti-Religiösen Gesellschaft eingeladen, und er behauptete, das Christentum sei der Fluch des Westens und der Konfuzianismus sei der Grund für die Rückständigkeit Chinas. Er schrieb ein Buch mit dem Titel „Das Problem Chinas“. Es handelt durchweg vom „edlen Wilden“, es heißt dort, wir sollten die Chinesen als Taoisten glücklich im Dreck leben lassen, als glückliche Bauern ohne Wissenschaft und Technik. Hier ist ein Zitat:

    „Chinesische Beamte sind in der Regel korrupt und unduldsam, sodaß eine Kontrolle durch Ausländer notwendig ist, um eine moderne Bürokratie aufzubauen und den Weg für die Schaffung eines effizienten chinesischen Staates zu bereiten.

    Instinktives Glücklichsein oder Lebensfreude ist eines der wichtigsten Güter, die wir durch die Industrialisierung verloren haben... An Fortschritt und Effizienz beispielsweise finden die Chinese keinen Gefallen – außer denen, die unter westlichen Einfluß geraten sind. Indem wir Wert auf Fortschritt und Effizienz legen, haben wir uns Macht und Wohlstand gesichert; indem sie sie ignorierten, haben sich die Chinesen – bis wir Störungen brachten – im großen und ganzen eine friedliche Existenz und ein freudevolles Leben gesichert.“

John Dewey

Der „edle Wilde“ – haltet die Menschen rückständig, dann können wir die Herrschaft aufrechterhalten. Russell war Libertinist und homosexuell; was er am Konfuzianismus am meisten verachtete, war die Verehrung der Familie. Er sagte, die Verehrung der Familie halte das Land auf. In China bestätige sich voll und ganz Malthus’ Theorie der Überbevölkerung, es gebe dort zu viele Menschen.

Dr. Wang erwähnt – nicht in seiner Rede, aber in seinen Schriften –, daß Benjamin Franklin hoffte, daß Amerika einmal genauso bevölkerungsreich werden würde wie China. Das war sein Ziel.

Auf John Dewey (Abbildung 9) will ich jetzt nicht lange eingehen, aber er kam aus China in die Vereinigten Staaten, wo er für JP Morgan arbeitete, die Bank, die die britische Übernahme des amerikanischen Bankensystems anführte. Er war gegen Schulen. Er sagte, die Menschen sollten durch ihr Tun lernen, nicht aus Lehrbüchern. Man soll lieber draußen im Schlamm wühlen.

Ich spreche das an, weil Russell und Dewey in China sehr bekannt sind, „Russell und Dewey“, das ist dort eine sehr bekannte Kombination. Die Menschen wissen, daß sie es waren, die während der Bewegung des 4. Mai das „westliche Denken“ nach China brachten.

Tatsächlich wurden dann ihre Ideen 45 Jahre später in der Kulturrevolution in China umgesetzt. Die Schulen wurden geschlossen. Man schickte die Leute aufs Land, um mit den Bauern zu arbeiten. Wissenschaftler wurden angegriffen und umgebracht – ein Alptraum für China. Und es waren diese britischen Ideen, die das hervorbrachten. Dazu gäbe es noch viel mehr zu sagen, aber im Grunde haben sie das hervorgebracht, was dann dieser Alptraum wurde.


Abb. 10: Joseph Needham behauptete, der Konfuzianismus sei verantwortlich für die Rückständigkeit Chinas.

Noch eine letzte Figur: Joseph Needham (Abbildung 10). Ich bin mir sicher, daß außer den hier anwesenden Chinesen keiner von Ihnen schon jemals etwas von Joseph Needham gehört hat. Die Chinesen kennen ihn sehr gut. Er war einer der ganz großen britischen „Chinafreunde“. Er war vernarrt in China. Er schrieb eine 17bändige Geschichte der Wissenschaft und Zivilisation in China. Er wird oft gelobt als ein Mensch, der die Tatsache respektiert, daß die Chinesen großartige wissenschaftlichen Ideen entwickelt haben. Und einiges von dem, was er dokumentiert, ist auch wahr.

Aber was war seine Absicht dabei? ... Betrachten wir es folgendermaßen: Von ihm stammt die sogenannte „Needham-Frage“, worüber die chinesischen Gelehrten sehr, sehr lange diskutiert haben. Und die lautete: „Warum hörte Chinas Entwicklung auf, als sich die Renaissance im Westen durchsetzte?“ Was hat sie angehalten?

Lautete seine Antwort: „das venezianische Reich, die venezianischen Empiristen, die die Zusammenarbeit abwürgten“? Vielleicht die britischen Opiumkriege?

Nein, Needham zufolge war es der Konfuzianismus. Der sei schuld daran, daß Chinas Fortschritt endete. Sie hätten großartige Naturwissenschaften, aber es sei der Mystizismus gewesen, dem der Aufstieg der Wissenschaften zu verdanken war. Die Magie habe zur Wissenschaft geführt, nicht der Konfuzianismus.

Hier ist ein Zitat Needhams:

„Der Nationalismus erwies sich als weniger günstig als der Mystizismus für den Fortschritt der Wissenschaften... Wissenschaft und Magie sind in ihren frühesten Stufen nicht voneinander zu unterscheiden.“ Das ist kein Witz.

„Die rationale Theologie war wissenschaftsfeindlich; die mystische Theologie erwies sich als wissenschaftsfreundlich... Deshalb das Interesse der frühen Royal Society an dem, was wir jetzt als magische Behauptungen erkennen.“

Vielleicht haben Sie davon gehört, wie [Issac] Newtons persönliche Truhe [nach seinem Tod] geöffnet wurde, nachdem das lange niemandem erlaubt war. Als man sie öffnete, zeigte es sich, daß Newton ein fanatischer Mystiker war, er glaube an Magie. Was erklärt, warum Leibniz beweisen konnte, daß Newton als Wissenschaftler ein Schwindler war.

Needham mußte also irgendwie erklären, wie diese großartige Periode wissenschaftlicher Entwicklung in China während der Renaissance der Song-Dynastie – das war die Renaissance des Konfuzianismus unter Zhu Xi – zustande kam. Needham machte es sich recht einfach: Er sagte praktisch, daß Zhu Xi sich zwar selbst als Konfuzianer bezeichnete, aber eigentlich Taoist gewesen sei. Auch Leibniz, der Zhu Xi liebte, sei Taoist gewesen. Ich möchte hier aus Zeitgründen nicht auf Einzelheiten eingehen, aber das ist eine faszinierende Geschichte.

Damit kann ich wohl zum Schluß kommen. Es gibt jetzt die Renaissance des Konfuzianismus und die Konfuzius-Institute in aller Welt. Ich denke, es gibt immer noch ein Problem in China; die Chinesen halten Joseph Needham immer noch für einen großen Helden.

Übrigens, zu Needham: Während der Kulturrevolution ging er nach China, und dann schrieb er darüber und hielt Reden in aller Welt und erklärte, dies sei die größte Revolution in der gesamten chinesischen Geschichte! Als sie zurück in die Steinzeit gingen! Und es gäbe noch mehr über Needham zu sagen.

Aber die Traditionen von Russell und Dewey, die Tradition von Yen Fu, die Tradition von Needham sind in China immer noch sehr stark. Das ist es, wogegen Xi Jinping arbeitet. Das ist es, was er ausräumen mußte und immer noch ausräumen muß. Dies sind fundamentale Fragen, die dort ausgefochten werden, und zum Glück gewinnen die Humanisten. Wir müssen uns mit dieser Tradition in China verbinden, so wie wir uns mit unseren besten Traditionen im Westen verbinden müssen, um eine solche Renaissance, wie wir sie herbeiführen müssen, zu schaffen. Dazu muß das Übel des britischen Systems wirklich zerschlagen werden. Wir müssen das tun. Sonst werden wir nicht überleben.

Wir müssen also erkennen, daß der ungeheuer inspirierende Vortrag, den Helga heute morgen gehalten hat, die Grundlage ist, auf der wir diese Mission als Menschheit erfüllen können, aber wir müssen auch erkennen, daß wir dieses britische System zerschlagen müssen, wenn wir wollen, daß das funktioniert.

Vielen Dank.