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Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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Der Finanzkapitalismus und die Zukunft

Von Daisuke Kotegawa

Daisuke Kotegawa ist ein ehemaliger Spitzenbeamter des japanischen Finanzministeriums und früherer Vertreter Japans im IWF. Der folgende Beitrag erschien ursprünglich auf der Internetseite des Dialogue of Civilizations Research Institute; er beruht auf einem Vortrag des Autors beim Rhodes-Forum vom 6.-7. Oktober 2017.

Donald Trumps Wahlsieg läßt sich als der Höhepunkt einer Serie von Ereignissen betrachten, zu denen auch die Präsidentschaftswahl auf den Philippinen im Mai 2016 und Großbritanniens Brexit-Referendum vom Juni 2016 gehörten. Diese Ereignisse sind Revolten gegen die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen, ein Trend, der sich fortsetzt, wie man auch am Resultat der Parlamentswahl in Großbritannien sehen kann.

Diese Ereignisse symbolisieren auch eine Notwendigkeit für die globale Wirtschaft: die Notwendigkeit eines Wechsels vom Finanzkapitalismus zu einer produzierenden Gesellschaft. Der Grund dafür ist sehr einfach: Der Finanzsektor vergrößert die Kluft zwischen reich und arm, während der produzierende Sektor sie schließt.

Der problematische Wechsel vom Produktions- zum Finanzkapitalismus begann, als die asiatischen Länder, Japan eingeschlossen, Ende der 1990er Jahre von den Spekulanten angegriffen wurden. Das bremste das Wachstum, das vor allem aus dem Produktionsausstoß gekommen war, gefördert von Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen, die billige Arbeitskräfte suchten. Politische Stabilität war, neben der Bereitstellung der wirtschaftlichen Infrastruktur, die Voraussetzung für solche Investitionen. Die Krise der asiatischen Länder, die der Motor des Wirtschaftswachstums gewesen waren, hatte eine Verlangsamung der globalen Wirtschaft zur Folge.

Die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes in den Vereinigten Staaten 1999 löste hochriskante Finanzgeschäfte von Investmentbanken aus, da sie Einlagen, die sie mit ihren Geschäftsbankabteilungen einsammelten, dafür benutzen konnten. Banken konzentrierten sich immer mehr auf hochriskante Finanzinstrumente, wie minderwertige Kredite, besicherte Schuldverschreibungen (CDOs), strukturierte Anlageinstrumente (SIVs) und Derivate.

Die falsche Wirtschaftspolitik, die führende internationale Finanzorganisationen wie der Weltwährungsfonds (IWF) diktierten, stellte Privatisierungen und finanzielle Austerität in den Mittelpunkt, was das Tempo des Infrastrukturausbaus bremste. In den Fällen Rußlands und Argentiniens ruinierten sie die einheimische Wirtschaft.

Politische Stabilität ist für das Wirtschaftswachstum von Schwellenländern wesentlich. Ein klarer Kontrast zwischen Wirtschaftswachstum unter Bedingungen politischer Stabilität und Instabilität sieht man in dem Unterschied der russischen Wirtschaft vor Putin und danach. Auch der Kontrast zwischen China und Rußland nach 1989 ist ein gutes Beispiel.

Die Dominanz der Vereinigten Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion leistete dem Aufstieg der Neokonservativen in den Vereinigten Staaten Vorschub, ermutigt durch die Blair-Doktrin, die „Regimewechsel“ in Schwellenländern propagierte und Worte wie „Menschenrechte“ und „Demokratie“ als Slogans verwendete, wobei oft Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als Werkzeug eingesetzt wurden, um für die Sache zu werben. Interventionen in die Innenpolitik anderer Länder riefen im Nahen Osten und Nordafrika und in mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion Chaos hervor.

China hat keine solche Intervention erlitten, es begrüßte den Bau ausländischer Fabriken und Infrastrukturaufbau durch niedrigverzinste Kredite Japans in den 1990er Jahren. Die politische Stabilität im Inland half der von Deng Xiaoping eingeführten Politik, Chinas Wirtschaft zu liberalisieren.

Die westlichen Volkswirtschaften, insbesondere ihre „Realwirtschaft“, haben sich vom Schock des Lehman-Kollapses und der Finanzkrise 2008 nicht erholt. Indem man die Banken rettete, ohne Schuldige zu bestrafen, entstand ein moralisches Risiko, das treffend in dem Satz zusammengefaßt ist: „Gewinne privatisieren, Verluste nationalisieren und Risiken sozialisieren.“ Trotz der Krise handeln die Investmentbanken weiter mit hochriskanten Finanzprodukten. Sie griffen 2010 kleine europäische Regierungen an, als wegen der 2009 beschlossenen Konjunkturprogramme Haushaltsdefizite gemeldet wurden. In der Folge setzten viele EU-Länder auf staatliche Austerität, wo sie staatliche Anreize gebraucht hätten.

Im heutigen Umfeld, wo das Vertrauen in das Finanzsystem gering bleibt und private Unternehmen zögern, Geld zu borgen und zu investieren, kann die „Quantitative Erleichterung“ der Zentralbanken die Realwirtschaft nicht ankurbeln. Die Quantitative Erleichterung schafft überschüssige Liquidität, die die Investmentbanken benutzt haben, um kleine europäische Volkswirtschaften anzugreifen. Die einzigen Sektoren, für die die Liquiditätsschwemme gut war, waren Energie, IT und Derivate. Die von den Investmentbanken eingeführte enorme Fremdfinanzierung hat eine Weltwirtschaft hervorgebracht, die noch anfälliger ist als unmittelbar vor dem Lehman-Kollaps.

Die verzweifelte Lage der Deutschen Bank, die vor dem Krach zum Auffangbecken für globale Derivattransaktionen wurde, ist dafür das beste Beispiel. Die einzige Option für ihre „weiche Landung“ wäre die Nationalisierung, sonst könnte die Ansteckungswirkung eine Wirtschaftskrise von beispiellosem Ausmaß in Gang setzen, die mit der Großen Depression vergleichbar wäre. In diesem Zusammenhang ist die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes dringend notwendig, um die Investmentbanken daran zu hindern, große Risiken einzugehen und die Weltwirtschaft zu zerstören.

In einer Situation der durch Finanzkrisen verursachten wirtschaftlichen Stagnation muß die US-Regierung die Führung dabei übernehmen, die Volkswirtschaft anzukurbeln, weil die Haushalte und der Unternehmenssektor ihre Besitzwerte reduzieren müssen, indem sie den Banken Schulden bezahlen. Staatliche Konjunkturmaßnahmen, darunter der Bau wirtschaftlicher Infrastruktur, sind wesentlich, um die realwirtschaftliche Nachfrage anzuregen.

Der Trump-Effekt

Trumps Aufstieg wird wahrscheinlich die reale Nachfrage in der Weltwirtschaft in folgender Weise stärken:

  • staatliche Konjunkturprogramme in den Vereinigten Staaten;

  • die Möglichkeit, daß Europa dem Beispiel folgt und die unzweckmäßige Politik der Fiskalausterität aufgibt;

  • das Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Rußland;

  • Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten und Rußlands, was Frieden im Nahen Osten fördert.

Vorschläge für globale wirtschaftliche Entwicklung

Kurz gesagt, was wirtschaftlich notwendig ist, ist eine Rückwendung zur Produktion und eine Rückkehr der Geschäftsbanken. Die Lücke zwischen dem aktuellen Lebensstandard und dem idealen Lebensstandard existiert zwar in größerem Maße in den Schwellenländern, während sie in den entwickelten Volkswirtschaften relativ klein oder nicht existent ist, aber die Zielsetzung einer Erhöhung des idealen Lebensstandards in den entwickelten Volkswirtschaften könnte wesentlich sein, um die globale Nachfrage anzukurbeln.

Das 20. Jahrhundert sah viele Neuerungen, die die Welt veränderten. Das 21. Jahrhundert hat bisher keine Produkte hervorgebracht, die mit Erfindungen wie dem Flugzeug vergleichbar wären. Solche Innovationen hätten eine bedeutende Wirkung auf die globale Wirtschaft.

Das chinesische Modell

China kann ein Modell wirtschaftlichen Wachstums für andere Schwellenländer sein, die sich in einem frühen Wachstumsstadium befinden, wo die Vorteile billiger Arbeitskräfte genutzt werden können. Infrastrukturaufbau und politische Stabilität können Anreiz für ausländische Unternehmen sein, Fabriken zu bauen, um diese billigen Arbeitskräfte zu nutzen.

Ob solche ausländischen Investitionen auf den einheimischen Markt der Schwellenländer oder auf die Exportmärkte zielen, hängt von der Größe des Binnenmarktes ab. Japanische Unternehmen haben in Thailand investiert, um von dort zu exportieren, während ihre Investitionen in Indonesien vor allem auf den dortigen Binnenmarkt ausgerichtet sind.

China fing als eine exportorientierte Volkswirtschaft an und hat viel von ausländischen Investoren gelernt. Nun geht es, dank seines gewaltigen Binnenmarkts, zur Produktion für den inländischen Verbrauch über. Das ist in anderen Ländern in dieser Form vielleicht nicht möglich, man braucht also Strategien, die ihren jeweiligen relativen Stärken und Schwächen angemessen sind.

Auch wenn China kurzfristig keine wirtschaftlichen Risiken drohen, kann dies langfristig anders werden. Aus wirtschaftlicher Sicht wird es die größte Herausforderung sein, ob es ineffiziente staatliche Unternehmen reformieren kann. Zu den weiteren Herausforderungen gehört ein demokratischer Übergang in der Innenpolitik. Bis 2025 erwartet man folgende Entwicklung:

  • Chinas Gewinnmarge aus seinen Investitionen, die jedes Jahr weiter absinkt, wird das japanische Niveau erreicht haben;

  • Chinas junge Erwerbsbevölkerung hat anfangen zu schrumpfen;

  • Im Rahmen der Ein-Kind-Politik Geborene sind in die Führung der Gesellschaft aufgestiegen;

  • Führungspolitiker, die die Kulturrevolution noch miterlebt haben, werden von der politischen Bühne abgetreten sein.

Ungleichheit

Mehrere fiskalische Maßnahmen können die Ungleichheiten reduzieren. Eine progressive Einkommenssteuer und die Existenz einer Erbschaftssteuer sind gute Beispiele dafür. Der Hauptgrund, warum Japan als eines der „sozialistischsten“ Länder gilt, ist, daß es einen progressiven Einkommenssteuersatz und eine hohe Erbschaftssteuer hat. Viele Länder in Europa und Südamerika würden von ähnlichen Strukturreformen profitieren.

Ein regionales Sicherheitsnetz im internationalen Finanzwesen wäre eine Maßnahme zum Schutz der Entwicklungsländer vor äußeren Risiken, um einen Wiederholung der Asienkrise der späten 90er Jahre zu verhindern. So war beispielsweise die Schaffung des Chiang-Mai-Netzwerks von Devisen-Swap-Abkommen zwischen den asiatischen Ländern eine Folge der schweren Erfahrungen der asiatischen Volkswirtschaften Ende der 90er Jahre.

Eine erschwingliche Bildung für alle ist die Grundlage einer gleichberechtigten Gesellschaft. Die Regierungen sollten sicherstellen, daß alle Kinder Zugang zur Primärbildung haben und daß bei der höheren Bildung Chancengleichheit herrscht.