Chinas Revolution des Verkehrswesens
Prof. Nie Lei, Dekanin der Fakultät für Verkehr und Transport an der
Jiaotong-Universität in Beijing.
Professor Nie gab einen fachkundigen Überblick über Chinas hochentwickeltes
Verkehrsnetz. Ihre Fakultät bezeichnet sich selbst auf ihrer Internetseite
stolz als „Geburtsstätte der modernen chinesischen Verkehrsausbildung“. Sie
besteht aus sieben Abteilungen mit 29 Forschungsinstituten und 39
spezialisierten Labors.
Im Anschluß an Jason Ross’ Eingangsvortrag beschrieb sie Chinas Revolution
in der Verkehrstechnik und das entstehende nationale Verkehrsnetz. Doch zuvor
ging sie für ihre Hörer kurz auf den Kontext dieser Entwicklung ein.
Chinas schnelles Wirtschaftswachstum habe schon in den späten 1970er Jahren
mit der „Politik der Öffnung“ begonnen, erläuterte Prof. Nie. Ende der 90er
Jahre sei dann klar geworden, daß der steigende Bedarf im Güter- und
Personenverkehr sich nicht allein durch den Ausbau des Straßen- und
Luftverkehrs decken ließ. Lastwagen mit Rohöl, Kohle, Stahl und Holz
verstopften die ohnehin überfüllten Straßen und Autobahnen, die Bahnhöfe waren
dichtgedrängt voller Menschen, und in den Städten gab es keine U-Bahnen, die
der Verstopfung des urbanen Verkehrs hätten abhelfen können.
Vor diesem Hintergrund habe die Regierung 1998 beschlossen, „ein
umfassendes modernes Verkehrsnetz zu schaffen, das die verschiedenen
Transportmodi auf koordinierte Weise nutzt“. Infolgedessen verfügt China heute
nicht nur über das größte Autobahnnetz der Welt (130.000 km), auch das Netz
der Hochgeschwindigkeitsbahnen – ebenfalls das größte der Welt – wuchs bis
Ende 2016 auf etwa 22.000 km an. Der Flugverkehr für Passagiere und Fracht ist
der zweitgrößte der Welt, die erstklassigen Häfen für den Binnen- und
Überseeverkehr wurden enorm ausgebaut. Erdöl und Erdgas werden nun durch
Pipelines geleitet, und inzwischen haben 25 Städte U-Bahn-Netze (auch hier
liegt China weltweit vorn), in weiteren 31 sind sie in Planung oder im Bau.
Und China baut dieses integrierte Netz weiter aus, wobei die Planungen bis
2030 oder sogar darüber hinaus reichen. (Man konnte den amerikanischen Hörern
ansehen, daß sie im Geiste Chinas bahnbrechende Verbesserungen mit dem
„Schlagloch-Niveau“ des verfallenden amerikanischen Verkehrsnetzes
verglichen.)
Nie hob hervor, daß beim Aufbau des „umfassenden“ Verkehrssystems ganz auf
modernste Forschung, Entwicklung, Planung und Bautechnik gesetzt wird. Dies
gelte insbesondere für das Netz der Hochgeschwindigkeitsbahnen (HSR), das
„sehr kompliziert ist“. China hat HSR-Strecken unter extremsten
Klimabedingungen gebaut, sie führen durch unterschiedlichste Klimate und
Topologien. Spezielle HSR-Techniken ermöglichen es, daß die Züge das ganze
Jahr über unter verschiedensten Extrembedingungen fahren. So muß die HSR
Lanzhou-Xinjiang die Xinjiang-Wüste durchqueren, wo oft Winde mit 60 km/h
wehen, und die HSR Harbin-Dalian fährt bei Temperaturen zwischen -40 und +40
°C. Diese Züge fahren mit 200-350 km/h. China mußte auch das Know-how für den
Bau von 9000 km an Brücken mit bis zu sechs Gleisen entwickeln, auf denen die
Züge mit zu 300 km/h fahren. Es wurde deutlich, daß Chinas Wissenschaftler,
Ingenieure und Techniker bei der Bautechnik, der Antriebstechnik für die
elektrischen Triebwagen und bei den Sicherheits- und Überwachungstechniken für
die Schnellbahnen Neuland betreten haben. Die Fahrpreise liegen bei einem
Drittel oder Viertel der Fahrpreise in Japan und Europa. Das Potential dieser
kreativen Durchbrüche begeisterte Laien wie Fachleute im amerikanischen
Publikum.
Schiller Institute
Botschaftsrat Faiyaz Murshid Kazi
Das Potential für Bangladesch
Faiyaz Murshid Kazi, Botschaftsrat der Ständigen UN-Mission von
Bangladesch, New York.
Herr Kazi machte mit der Sicht eines Landes vertraut, das stolz darauf ist,
eine immer wichtigere Rolle in der asiatisch-pazifischen Region einzunehmen.
Die ganze Region übe eine wachsende „Gravitationsanziehung“ auf die
Weltwirtschaft aus, und für Bangladesch komme eine vorteilhafte
geostrategische Lage hinzu – „eingezwängt“ von den drei wirtschaftlichen
Kraftzentren Indien, China und ASEAN. Bangladeschs Zukunft liege in seiner
Vernetzung als „Eckstein der regionalen wirtschaftlichen Kooperation und
Integration“.
Deshalb betrachte das Land die Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) als
eine „großartige und begeisternde Initiative“, berichtete der Botschaftsrat.
Die BRI „soll Zentralasien, Südasien, Südostasien und Afrika miteinander
verbinden, sie hebt die regionale Kooperation auf eine neue Ebene“, sie
schaffe gegenseitiges Vertrauen und biete gemeinsamen Nutzen.
Kazi stellte den Wirtschaftskorridor Bangladesch-China-Indien-Myanmar
(BCIM) vor, ein Projekt, das Chinas südlichen Provinzen Zugang zum Meer
verschaffe und gleichzeitig Verbindungen für Energie, Verkehr und Menschen
zwischen den Nationen der Region herstelle. Eine große Hürde dabei sei jedoch
die Angleichung der Infrastrukturstandards unter den Nationen, denn
Bangladesch und Myanmar hätten noch „einen weiten Weg vor sich“, um Chinas
heutige, hochentwickelte Standards zu erreichen. Der BCIM-Wirtschaftskorridor
könne auch Anschluß zum Ost-West-Entwicklungskorridor in Südasien herstellen,
der jetzt mit Unterstützung der Asiatischen Entwicklungsbank realisiert wird.
Kazi sprach noch weitere Initiativen an, etwa Bangladeschs Zusammenarbeit
mit Japan, das nun den „Industriellen Wachstumsgürtel des Golfs von Bengalen“
aufbaut, mit der Insel Matarbi als Mittelpunkt, wo eine große Industriestadt
und ein darin integrierter Umschlagsplatz für den Handel entstehen. Eine
weitere regionale Initiative sei der Korridor Bangladesch-Bhutan-Indien-Nepal
(BBIN), und es gebe weitere Projekte, „um die seit der Kolonialzeit
unterbrochenen Verbindungen wiederherzustellen“.
Im Gegensatz zu den „grünen“ Perspektiven des Westens betonte Kazi gleich
zu Beginn, daß Bangladesch seine wachsende Bevölkerung – mehr als 160
Millionen Einwohner auf einer Fläche, die ungefähr der Süddeutschlands
entspricht – als eine „demographische Dividende“ betrachte, die potentielle
Märkte darstelle und produktive Potentiale entwickle. In den letzten 45 Jahren
konnte in Bangladesch der Anteil der Armen in der Bevölkerung von 80% auf 22%
verringert werden. Um die verbliebene Armut zu beseitigen, müsse man „unsere
Wirtschaft in die Entwicklung der regionalen Volkswirtschaften um uns herum
einbinden“.
Schiller Institute
Richard Trifan
Die Nachhaltigkeit von Gürtel und Straße
Richard Trifan, Vizepräsident für Staatliche Beziehungen und Handel beim
Eurasia Center, Washington.
Dr. Trifan ist Experte für Eisenbahnlogistik und ein wichtiger Fürsprecher
des eurasischen Handels mit Amerika und der Europäischen Union. Er sprach über
die „globale Nachhaltigkeit“ der Gürtel- und Straßen-Initiative, in ihrer
Gesamtheit betrachtet: „die Infrastruktur an sich, die Informationsströme und
die grenzüberschreitende Bewegung von Waren, Dienstleistungen und Menschen“.
Der Aufbau der Neuen Seidenstraße sei vom Aufwand her mit den Bemühungen der
Menschheit zur Eroberung des Weltraums vergleichbar, und er müsse unbedingt
„mit Blick auf die Zukunft“ geschehen, angesichts der enormen erforderlichen
Investitionen habe die „Nachhaltigkeit“ des Projektes überragende Bedeutung.
Der vielleicht wichtigste Punkt in Trifans Ausführungen war, daß jede einzelne
an der Neuen Seidenstraße beteiligte Nation Mitverantwortung dafür trägt, das
Funktionieren des Gesamtsystems sicherzustellen. Für diese Nachhaltigkeit sei
eine „Folgeplanung“ erforderlich, und dies sei ein Prozeß der Ausbildung
mehrerer aufeinanderfolgender Generationen.
Zwar seien Unternehmen und Nationen durchaus in der Lage, heute die
geforderten komplexen Infrastruktursysteme aufzubauen, und die Arbeitskräfte
für diese Baumaßnahmen könnten zumindest teilweise importiert werden. Aber er
halte es für sehr wahrscheinlich, daß die Verantwortung für den Unterhalt
dieser Systeme wie Eisenbahnen, Energie- oder Kommunikationssysteme „sich im
Lauf der Zeit so entwickeln wird, daß sie den jeweiligen Nationen
zufällt“.
Dies müsse man als einen „gewaltigen Antrieb“ für das Bildungswesen aller
beteiligten Nationen verstehen, und alle Staaten müßten zusammenarbeiten, um
sicherzustellen, daß in jeder der schon mehr als 40 beteiligten Nationen dafür
ausreichende Mittel vorhanden sind. Damit die BRI eine „Lebensdauer von
mindestens 50 bis 100 Jahren“ erreichen kann, müsse ein entsprechendes
Bildungsniveau an den Universitäten, Technischen Hochschulen, Höheren Schulden
und Berufsschulen geboten werden.
Parallel dazu müsse man eine Art „Schablone“ für den Unterhalt des gesamten
Systems entwickeln, für regelmäßige Inspektionen, Erhaltungsmaßnahmen und bei
Bedarf rechtzeitigen Austausch, je nach der Haltbarkeit der jeweiligen
Komponenten – eine „Verfallsplanung“, wie Trifan es nannte. Dazu gehörten z.B.
bei den Bahnen die Gleise, Signalanlagen aller Art, Informationssysteme (auch
Satelliten) und Grenzanlagen, sowie vergleichbare Planungen für andere
Bereiche, wie die Energieversorgung mit Pipelines und Stromnetzen. Um eine
„gemeinsame Sprache“ entlang der Infrastruktursysteme zu finden,
Lieferantengarantien sicherzustellen etc., brauche man einen zentralisierten
und kollaborativen Prozeß der Entscheidungsfindung.
Aber das ganze sei kein geschlossenes, statisches System. Man müsse mit
Veränderungen rechnen. Ein Beispiel dafür sei die Antriebsart. Anfänglich
nutze man bei den Eisenbahnen Elektrifizierung, aber auch noch Dieselantrieb.
In der Zukunft werde der Magnetantrieb ins Spiel kommen, und das müßte
„integriert und synchronisiert“ werden. Hier sei es besonders wichtig – wie
Jason Ross in seinem Eingangsvortrag dargelegt hatte –, in dem vollen
Bewußtsein vorzugehen, daß der Aufbau der wirtschaftlichen Plattform der Neuen
Seidenstraße und Weltlandbrücke für die Menschheit darauf beruht und bewußt
darauf abzielt, die schöpferischen Fähigkeiten der Menschen an „Gürtel und
Straße“ zu vergrößern.
Ein Teilnehmer der Konferenz mit langjähriger Erfahrung im Bankensektor
kommentierte begeistert: „Sicher, wir werden nicht bloß Händchen halten und
Kumbaja singen!“
Schiller Institute
Dr. Liu Qiang
Neue Vorschläge für die regionale Kooperation
Dr. Liu Qiang, Direktor der Energiewirtschaftsabteilung des Instituts für
Quantitative und Technische Ökonomie der Chinesischen Akademie für
Sozialwissenschaften, Beijing.
Dr. Liu erzählte eingangs, er stamme aus einem kleinen Dorf und habe erst
eine Eisenbahn gesehen, als seine Familie in eine nahegelegene Stadt umzog.
Nun, 30 Jahre später, könne er sogar nach New York City kommen – und das sogar
recht häufig. Damit wolle er andeuten, daß die Gürtel- und Straßen-Initiative
(BRI) das „natürliche Resultat der chinesischen Wirtschaftsentwicklung“ sei.
„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hat sich ein großes Land von
einem armen in ein reiches Land verwandelt“, sagte Dr. Liu, „und das hat große
Auswirkungen auf das ganze Weltsystem.“ Seiner Meinung nach müsse man die BRI
vor diesem Hintergrund betrachten. China habe jetzt „ausreichende Kapazitäten,
um im Ausland zu investieren und unsere Erfahrungen und unsere Lehren an die
übrige Welt weiterzugeben“. Das werde neue Märkte für China schaffen, das
große industrielle und produktive Kapazitäten aufgebaut habe. China könne dann
höhere Qualitäten für den Export herstellen. Man könne „eine gemeinsame
Entwicklung für fast die Hälfte der Weltbevölkerung haben“ und dadurch für
stabilere Wirtschaftsentwicklung auf der ganzen Welt sorgen.
Dr. Liu stellte dann sechs Vorschläge vor, an deren Entwurf er im
Zusammenhang mit den sechs Entwicklungskorridoren der BRI beteiligt war. Er
begann mit seinem Vorschlag eines Stromnetzes für Nordostasien. China habe
jetzt große überschüssige Kraftwerkskapazitäten, und er schlug vor, diese
Überschüsse in Nationen wie Korea und Japan zu exportieren, das sei eine
„Win-Win“-Lösung für die Engpässe nach der Fukushima-Katastrophe.
(Hier wäre einzuwenden, daß ein solcher Stromverbund zwar sicherlich eine
sinnvolle Sache wäre, aber mit einer pragmatischen Entscheidung aus
Kostenüberlegungen, die Kernkraft durch Erdgas zu ersetzen, würde man auf
Dauer auf die „inkommensurablen“ – so Jason Ross’ Ausdruck – qualitativen
Vorteile des Übergangs zu einer kernkraftgestützten Plattform für die BRI
verzichten; die notwendigen Energiedichten der Kraftquellen würden nicht
erreicht. Gerade der Austausch über solche Überlegungen war eines der
Hauptanliegen der Konferenz.)
Liu erklärte weiter, China arbeite jetzt daran, das weitverbreitete Problem
der „schmutzigen Energie“ (Kohle etc.) zu lösen, das bekanntlich für den Smog
in großen Teilen Chinas, insbesondere in den Monaten November und Dezember,
verantwortlich ist. „Wir haben einen großen Plan, sie durch Erdgas zu
ersetzen, das durch Pipelines aus Rußland und Zentralasien geliefert wird, und
durch Flüssiggas, das per Schiff aus Australien und Katar – und sogar aus den
Vereinigten Staaten – geliefert würde.“ China könne so schon bald ein großer
Umschlagsplatz für Erdgas werden, so die Perspektive seiner Abteilung in der
Akademie für Sozialwissenschaften.
Er beschrieb dann weitere große Vorhaben, die der BRI noch mehr Breite und
Tiefe verleihen. So schlug er einen Nordasiatischen Erdgasmarkt vor, sowie
einen Stromverbund für Zentralasien, der die bestehenden Elektrizitätsnetze
Zentralasiens miteinander verbindet und die Nutzung der überschüssigen
Kraftwerkskapazitäten ermöglicht, „um einen großen Markt im Mittleren Osten zu
schaffen“. Wenn man auch Pakistan und Afghanistan in diesen Verbund aufnehme,
könne dies „von großem Nutzen für den Frieden auf der Welt sein“.
Als Berater der Pakistanischen Eisenbahnen schlug er den Bau der ersten
Bahnverbindung von Pakistan nach Merw in Turkmenistan vor – einst ein
bedeutendes Zentrum an der alten Seidenstraße –, sowie den Bau einer Eisenbahn
vom pakistanischen Hafen Gwadar direkt nach Westen, „um die großen Märkte im
Iran zu erreichen“. Er und seine Kollegen haben auch einen Stromverbund für
Indochina ins Spiel gebracht, der Laos, Vietnam, Kambodscha und Thailand
umfassen soll und sich mit anderen Korridoren, wie etwa dem
Entwicklungskorridor entlang des Mekong, überschneiden würde. Derzeit laufen
Gespräche über den Bau von Schnellbahnen, die von Kunming zu den Hauptstädten
von Laos und Thailand führen sollen und bis Malaysia und Singapur verlängert
werden können. Dafür ist jedoch eine ausreichende Energieversorgung die
Voraussetzung.
Abschließend erklärte Dr. Liu, wenn man sich auf diese Projekte einige,
„dann ist Geld kein Problem. Wir haben ausreichend Kapital für die
Investitionen.“ Angesichts der realen wirtschaftlichen Chancen könne man sogar
noch viel mehr erreichen. Aus professioneller Sicht sei das eigentliche
Problem, Risiken zu vermeiden, „und dabei werden die politischen Risiken
vielleicht die größten sein..., je nachdem, um welches Land es sich handelt“.
Mit seinen Ausführungen vermittelte er jedoch den Eindruck, daß er in dieser
Hinsicht optimistisch ist: Bei der Umsetzung der Vorschläge kann es wohl
Probleme geben, aber man kann sie lösen.
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