Stoppt den Völkermord im Jemen – Frieden durch Entwicklung!
Von Elke Fimmen, Schiller-Institut, Vereinigung für Staatskunst e.V., Berlin
Elke Fimmen vom Schiller-Institut hielt bei der Berliner
Konferenz „Vergessene Kriegsverbrechen im Jemen“ am 25. Februar 2017 den
folgenden Vortrag:
Vielen Dank für die Einladung zu Ihrer sehr wichtigen Konferenz „Vergessene
Kriegsverbrechen im Jemen“.
Es ist eine absolute Schande, daß der nun schon fast zwei Jahre andauernde
Völkermord durch die amerikanisch-britisch-saudische Allianz gegen die
Bevölkerung Jemens im Westen und auch in Deutschland so systematisch und im
wahren Sinne des Wortes totgeschwiegen wird – obwohl die schockierenden Fakten
seit langem bekannt sind, ebenso wie die Tatsache, daß es sich um einen
illegalen Aggressionskrieg von außen und keinen Bürgerkrieg handelt.
Ein Beispiel: Der jährliche Bericht des UN-Generalsekretärs über Kinder als
Opfer bewaffneter Konflikte, der am 2. Juni 2016 erscheinen sollte, listete
die „saudisch geführte Koalition“ im Jemen unter den kriminellen Parteien auf,
die in bewaffneten Konflikten Kinder als Soldaten rekrutieren, mißbrauchen,
töten oder mißhandeln. Die Koalition sei verantwortlich für 60% der zivilen
Todesopfer in Jemen, davon fast ein Drittel Kinder. Allein 2015 wurden 785
Kinder getötet, 1168 verletzt – soweit die offiziellen Zahlen. Bei Angriffen
auf Schulen und Krankenhäuser wurden 90% teilweise oder komplett zerstört.
Laut diesem Bericht von Mitte 2016 wurden 57% der Angriffe auf Schulen und 48%
aller Angriffe insgesamt von Koalitionskräften ausgeführt.
Riad drohte daraufhin, die Zahlungen für sämtliche UN-Hilfsprogramme
einzustellen, wenn es nicht von der Liste genommen würde, und
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon gab nach. In einer Pressekonferenz am 9. Juni
sagte er, er habe es tun „müssen“, um andere Millionen Kinder zu schützen.
In dem UN-Bericht wurde nicht erwähnt, daß der Massenmord der „saudisch
geführten Koalition“ von einer Einsatzzentrale geleitet wird, in der britische
und US-Beamte ständig Nachrichtendienstinformationen zur Auswahl der
Angriffsziele beitragen und die Anglo-Amerikaner auch andere wesentliche
Unterstützung wie Luftbetankung liefern. Das britische
Verteidigungsministerium behauptete, seine Berater hielten alle Vorschriften
des Kriegsrechts ein, aber die britische Wohlfahrtsgruppe Reprieve erklärt das
Gegenteil. Der britische Außenminister Philip Hammond behauptete, der
saudische Krieg im Jemen verstoße nicht gegen das humanitäre Völkerrecht,
obwohl u.a. der Ausschuß des Unterhauses für Internationale Entwicklung in
einem Anfang Mai 2016 veröffentlichten Bericht das Gegenteil bewies.
Am 6. Juni 2016 bestätigte ein Sprecher des US-Pentagon, US-Soldaten seien
im Jemen und leisteten dort Beratung und nachrichtendienstliche
Unterstützung.
Was ist die Lage heute, 2017?
Der völkerrechtswidrige Bombenkrieg richtet sich nach wie vor illegal gegen
zivile Ziele wie Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Märkte, Versammlungen,
die Nahrungsmittelversorgung, Lebensmittelimporte, Straßen und Brücken,
Treibstoff, Agrarerzeugung, Lagerhäuser für Lebensmittel, Dämme, selbst Felder
werden mit Streubomben übersät. Das kulturelle Erbe, nationale Museen,
historische Stätten und die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Städte
Sanaa, Zabid und Schibam werden systematisch zerstört.
Das UN-Amt für Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) beschrieb
in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat, der sich am 26.1.2017 erstmals
seit dem letzten Oktober wieder mit Jemen beschäftigte, die Lage als die
gegenwärtig größte humanitäre Krise auf der Welt.
Der Hunger fordert mittlerweile viel mehr Todesopfer als die unmittelbaren
Kriegshandlungen. Im November 2016 wurde nach 600 Tagen saudischer
Bombenangriffe die Zahl der zivilen Todesopfer im Krieg offiziell mit 11.403
angegeben. Ende Januar berichtete UNICEF, daß im Jahr 2016 im Jemen 63.000
Kinder an Mangelernährung starben, für Erwachsene wurde keine Zahl angegeben.
Fast eine halbe Million Kinder leiden jetzt an „schwerer akuter
Mangelernährung“, also sind kurz davor, zu verhungern.
Seit Anfang 2016 haben 80% der Jemeniten keine geregelte
Nahrungsmittelversorgung und 14 Millionen Menschen, also die Hälfte der
Bevölkerung, sind unterernährt. 3,3 Mio. Jemeniten, davon 2,2 Mio. Kinder,
leiden unter akuter Mangelernährung.
Durch die Wirtschaftsblockade sind die Einfuhren von Nahrungsmitteln,
Brennstoffen und Medikamenten massiv reduziert, gleichzeitig wird die
Infrastruktur systematisch zerstört, Krankenhäuser, Schulen und Märkte weiter
bombardiert. 20.000 Menschen warten auf eine Möglichkeit, sich im Ausland
medizinisch behandeln zu lassen. Der Flughafen von Sanaa ist geschlossen, seit
er bombardiert wurde; der Hafen von Houdaida steht unter Seeblockade und die
Saudis haben dort die Ladekräne bombardiert. Dies ist der einzige Hafen, über
den die Mehrheit der Bevölkerung in Jemen versorgt werden kann. Dazu kommt,
daß die Einfuhren der lebenswichtigen Güter von der Hadi-Regierung im
saudischen Riad genehmigt werden müssen, was diese regelmäßig ablehnt.
Die Hilfsorganisation Oxfam forderte im Dezember 2016 die vollständige
Öffnung der Häfen und die Aufhebung der Importbeschränkungen für
Nahrungsmittel, Treibstoffe und Medikamente. Im August 2016 forderten zwölf
internationale Hilfsorganisationen, den von den Saudis kontrollierten zivilen
Luftverkehr nach Jemen wieder freizugeben.
Es muß aber vor allem endlich festgestellt werden, daß der gesamte
amerikanisch-britisch-saudische Bombenkrieg ein schwerer Völkerrechtsbruch
ist, der sich in keiner Weise auf die UN-Sicherheitsratsresolution 2216
stützen kann. Diese autorisiert keine Gewaltanwendung, wie der gerade
überraschend verstorbene russische UN-Botschafter Witalij Tschurkin bereits
klar und deutlich festgestellt hatte. Außerdem hatte und hat die von
Saudi-Arabien unterstützte Hadi-Regierung, die sich vorwiegend in
Saudi-Arabien aufhält, keine wirksame Kontrolle über das Territorium Jemens,
einschließlich der Hauptstadt, und war schon von daher gar nicht befugt, eine
Militärintervention von außen anzufordern, wie u.a. der pakistanische Experte
Sikander Ahmed Shah darlegte.
Das alles ist aber bekannt und klar und muß nicht debattiert werden. Es ist
eine Frage des politischen Willens, diesen Angriffskrieg zu beenden und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Es stellt sich die Frage: Was und wo sind die gerade jetzt immer wieder
beschworenen westlichen Werte angesichts dieser Situation? Warum liefern wir
weiter Waffen an Saudi-Arabien, warum tolerieren wir, daß unsere „Alliierten“
dies im großen Maßstab tun und damit Völkermord begehen?
Dasselbe saudische Regime war nachgewiesenermaßen in die Terroranschläge
des 11. September 2001 in den USA verwickelt, wie in den unter Bush und Obama
klassifizierten 28 Seiten des entsprechenden US-Kongreßberichtes zu lesen ist,
der nach über 15 Jahren letztes Jahr endlich freigegeben wurde! Das war
übrigens ein wichtiger politischer Sieg gegen die Kriegspartei, ebenso wie die
Tatsache, daß der US-Kongreß letzten Herbst gegen das Veto von Präsident Obama
das JASTA-Gesetz durchsetzte, wonach für Terrorismus verantwortliche
ausländische Regierungen in den USA legal zur Rechenschaft gezogen werden
können. Das ermöglicht erstmals den Opferfamilien von 9/11, gegen
Saudi-Arabien zu klagen, das vorher Immunität in den USA genoß.
Für ein Ende der Kämpfe und eine dauerhafte Befriedung ist ebenso
erforderlich, die neu gegründete jemenitische „Regierung der Nationalen
Rettung“ (GNS), der das Parlament in Sanaa das Vertrauen ausgesprochen hat,
als entscheidenden Ansprechpartner vor Ort und wesentlichen Faktor für
erfolgreiche Friedensverhandlungen zu betrachten.
Frieden durch Entwicklung
Die Chancen für ein Ende der geopolitischen Stellvertreter- und
Regimewechselkriege im Nahen Osten und der Konfrontation gegen Rußland und
China sind mit der neuen Administration in den USA gewachsen – auch wenn es
offensichtlich erbitterte Anstrengungen gibt, genau eine solche positive
globale Änderung zu verhindern.
Vor allem aber macht das Konzept der BRICS-Staaten und vor allem der Neuen
Seidenstraße von Chinas Präsident Xi Jinping große Fortschritte dabei, eine
neue Weltordnung für gegenseitige wirtschaftliche und soziale Kooperation zu
schaffen, ein „Win-Win“-Konzept - Frieden durch reale Entwicklung.
Im Mai wird dazu eine große Konferenz in China stattfinden, zu der bereits
mehr als 20 Staatsführer ihre Teilnahme zugesagt haben, darunter Präsident
Putin. Auch der amerikanische Präsident Trump ist eingeladen.
Jemen ist in besonderer Weise dazu prädestiniert, bei der Verwirklichung
der großen Infrastrukturentwicklungsprogramme der Neuen Seidenstraße eine
wichtige Rolle zu spielen, als eine der wichtigsten arabischen Nationen -
historisch, kulturell und geographisch. Der Jemen hat die Kontrolle über den
Handelsstrom zwischen Asien und Europa durch die Meerenge von Bab Al-Mandab.
Er kann eine Landbrücke zwischen Asien und Afrika werden, über die Verbindung
vom Iran über die Straße von Hormus nach Oman, durch Jemen und über den Bab
Al-Mandab nach Dschibuti in Afrika.
Das Schiller-Institut hat in seiner arabischen Version des Berichtes „Die
Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“ u.a. verschiedene Projekte definiert,
mit denen die arabischen Länder im Rahmen der Seidenstraße durch
Schnellstraßen und Eisenbahnen verbunden werden können, für die Jemen sehr
wichtig werden wird. Es gibt auch eine von der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) finanzierte Machbarkeitsstudie für ein
Eisenbahnnetz in Oman, das als wichtige Verbindung für die Region dienen
kann.
Der Jemen genoß, wie wenige im Westen wissen, ja bereits einmal eine
erstaunliche wirtschaftliche und kulturelle Blüte, als er in der Zeit des
Königsreiches Saba vom Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends an in die
florierende alte Seidenstraße vom Mittelmeer zum Indischen Ozean und nach
China eingebunden war. Das Königreich Saba erstreckte sich vom heutigen Jemen
an der Küste des Roten Meeres nach Saudi-Arabien und bis nach Äthiopien,
Eritrea und Dschibuti. Das erstaunliche technische Bauwerk dieser Ära, der
große Staudamm von Marib, der bezeichnenderweise jetzt im Krieg auch
bombardiert wurde, konnte mit Hilfe hochentwickelter Bewässerungsanlagen die
Wüste in fruchtbares, üppiges Land verwandeln und diese größte künstliche Oase
der antiken Welt mehr als tausend Jahre erhalten.
In Jemen wird das Konzept der BRICS und der Neuen Seidenstraße als
Perspektive der Zukunft bereits sehr intensiv diskutiert. Das Beratende
Komitee für die Koordinierung mit den BRICS-Staaten von Herrn Fouad Al
Ghaffari hat eine permanente Studiengruppe mit Beteiligung führender
Intellektueller eingerichtet, die jede Woche den Weltlandbrückenbericht des
Schiller-Instituts intensiv studiert und Pläne für die Zukunft und den
Wiederaufbau Jemens ausarbeitet. Wir hatten Herrn Ghaffari und andere
Mitarbeiter zu unserer internationalen Konferenz nach Berlin im letzten Juni
eingeladen, aber trotz intensivster Bemühungen von unserer und seiner Seite
konnte er leider nicht persönlich teilnehmen. Er schickte aber ein sehr
bewegendes und optimistisches Video aus Sanaa, das Sie auf unserer Webseite
finden können, in dem er die BRICS-Perspektive und die Bedeutung der Neuen
Seidenstraße ausführlich darlegte.1 Die etwa 300 internationalen
Teilnehmer der Konferenz verabschiedeten daraufhin eine Resolution, in der sie
versprachen, alles zu tun, um die Souveränität Jemens und den Wiederaufbau zu
unterstützen:
„Die Konferenz des Schiller-Instituts in Berlin am 25.-26. Juni 2016
übermittelt der großen jemenitischen Nation und der Studiengruppe um Fouad
Al-Ghaffari ihre herzlichsten Grüße. Ihre mutige intellektuelle Führung,
buchstäblich unter dem Bombardement satanischer Kräfte, ist eine Inspiration
für Tausende von Menschen in den Vereinigten Staaten, Lateinamerika und
Europa. Wir verpflichten uns feierlich, für die Erweiterung der Neuen
Seidenstraße zum Wiederaufbau des Jemen zu kämpfen, damit das Leben so vieler
ermordeter Männer, Frauen und Kinder in einer Renaissance des Jemen gewürdigt
wird, die seine wunderschönen alten Städte und Architekturen wieder aufbauen
wird. Der Jemen muß und wird schon bald wieder eine Perle unter den Nationen
Südwestasiens und der Welt sein!“
In diesem Geiste unterstützen wir auch Ihre heutige Konferenz und werden
alles uns mögliche tun, diese Ziele zu verwirklichen.
Vielen Dank!
Anmerkung
1. Siehe: http://newparadigm.schillerinstitute.com/de/media/fouad-al-ghaffari-message-to-the-schiller-institute-conference-from-the-yemeni-advisory-office-for-coordination-with-the-brics/
|