Die Integration des eurasischen Kontinents
Von Leonidas Chrysanthopoulos
Leonidas Chrysanthopoulos ist ehemaliger griechischer
Botschafter und ehemaliger Generalsekretär (2006-12) der Organisation für
Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (BSEC). Den folgenden Vortrag hielt er am
1. Juli im Rahmen der Bad Sodener Konferenz des Schiller-Instituts. Er wurde
aus dem Englischen übersetzt.
Ich möchte zu Beginn die Schlußfolgerung des Papiers zitieren, das ich zur
Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz über die Neue Seidenstraße, die
im vergangenen Jahr in Belgrad stattfand, eingereicht habe:
„Wenn dieses Projekt, das von größter Bedeutung für die Menschheit ist,
erfolgreich sein soll, dann müssen Frieden und Stabilität erhalten bleiben.
Aber die Existenz und Förderung dieses Projektes kann auch erfolgreiche
Friedensinitiativen erleichtern, wenn die Konfliktparteien erkennen, daß die
Vorteile ihrer Beteiligung an der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) die
ungewissen Vorteile aus der Fortsetzung des Konfliktes weit überwiegen werden.
Das war die Erfahrung mit der Ringautobahn um das Schwarze Meer, wo die
Streitigkeiten zwischen einigen BSEC-Mitgliedstaaten1 so weit
abgeschwächt werden konnten, daß die Autobahn durch Zonen eingefrorener
Konflikte gebaut werden konnte. Deshalb ist eine erfolgreiche Gürtel- und
Straßen-Initiative schon an sich ein Anreiz zur Befriedung. Man sollte sich
nur einmal vorstellen, wie Asien aussähe, wenn in Afghanistan und im Nahen
Osten Frieden herrschte; und die Perspektiven, die sich der Menschheit
wissenschaftlich, kulturell, philosophisch und spirituell eröffnen würden,
wenn weltweit Frieden herrschte, wären immens. Deshalb muß die Gürtel- und
Straßen-Initiative ein Erfolg werden.“
Und weiter: „Die erfolgreiche Umsetzung der Gürtel- und Straßen-Initiative
könnte langfristig die überlappenden regionalen Organisationen und Initiativen
in Asien in einer großen Organisation vereinen, die ihr Epizentrum in Gürtel
und Straße hätte.“
Erlauben Sie mir nun, etwas näher auf die Probleme einzugehen, denen sich
die BRI stellen muß, damit sie erfolgreich sein kann:
1. Ich will mit der EU beginnen, einer Organisation, die den Kontakt
zu den Menschen in Europa verloren hat, eine Organisation, die die
demokratischen Prozeduren abgeschafft hat, eine Organisation, die ihre
Mitgliedstaaten zerstört. Die EU mag diese Initiative, die auf ihrem Gebiet
endet und die ihr nützt, überhaupt nicht. Im April veröffentlichten die
EU-Botschafter in Beijing einen Bericht, der die BRI kritisierte, weil sie den
EU-Plänen für die Handelsliberalisierung zuwiderläuft und die
Machtverhältnisse zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen
verschiebt. Einzig Ungarn stimmte dem Inhalt dieses Berichtes nicht zu. China
ist beteiligt an Infrastrukturprojekten in Mitteleuropa, wie der
Hochgeschwindigkeitsbahn Ungarn-Serbien. Obwohl Ungarn China erlaubt hatte,
mit dem Projekt zu beginnen, hat die EU es gestoppt, weil Budapest es
angeblich nicht öffentlich ausgeschrieben hatte und statt dessen auf eine
bilaterale Vereinbarung mit China setzte. Dies zeigt die politische Sorge in
Brüssel und im europäischen Unternehmenssektor. Ein weiteres Problem, das die
EU geschaffen hat, besteht darin, daß sie Staatsbetrieben – die natürlich
einen Großteil der chinesischen Auslandsinvestitionen in der BRI stellen –
nicht traut, und man tut alles, um ihre Beteiligung zu verhindern.
Diese Politik der EU ist natürlich sehr heuchlerisch, wenn man bedenkt, daß
Griechenland gezwungen wurde, seine Flughäfen zu „privatisieren“, indem sie an
die deutsche Fraport verkauft wurden, die in öffentlichem Besitz ist. Man
fragt sich, was ist hier eigentlich die Definition von Privatisierung? Der
europäische Protektionismus nimmt zu, während die chinesischen Unternehmen
noch nicht ganz darauf vorbereitet sind, sich den komplizierten Vorschriften
der EU zu unterwerfen.
Wenn die BRI ein Erfolg werden soll, dann ist also eine engere bilaterale
Kooperation zwischen der EU und China notwendig, damit Europa wieder Endpunkt
der Seidenstraße werden kann.
Einige sagen, ein potentielles Risiko für die BRI bestehe darin, daß die EU
sich letztendlich auflöst, weil dann keine EU-Gelder mehr verfügbar wären. Ich
würde das genaue Gegenteil sagen, nämlich daß die Auflösung der EU tatsächlich
ein Segen wäre. Dann könnte man Geldmittel auf bilateraler Ebene mit
europäischen Ländern aufbringen, und es gäbe keine strengen EU-Vorschriften
mehr, die Investitionen von Staatsbetrieben in europäischen Ländern
verhindern. Außerdem würden die Sanktionen der EU gegen Rußland entfallen,
sodaß eine bilaterale Kooperation europäischer Länder mit Rußland und China
effizienter würde. Beispielsweise verbieten es die russischen Gegensanktionen
gegen die EU, polnische Agrarerzeugnisse [durch Rußland] auf der chinesischen
Expreßbahn über die Eurasische Landbrücke nach China zu exportieren. Wenn die
Sanktionen in Kraft bleiben, könnte dem Aufbau der BRI jedenfalls das Risiko
schlechter Verkehrsverbindungen im Wege stehen. Allerdings könnte die EU nach
dem jüngsten G7-Treffen, wo die USA isoliert waren, im Zuge ihrer Reaktion auf
den Zollkrieg, den Washington angefangen hat, eine etwas andere Position
einnehmen.
2. Die Position der USA zur BRI ist wichtig. Derzeit ist die
amerikanische Position doppeldeutig, insbesondere, nachdem die USA sich im
vergangenen Jahr aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurückgezogen
haben. Sie unterstützen und beteiligen sich am Asien-Afrika-Wachstumskorridor
(AAGC), einer Initiative, die von Australien, Indien und Japan gestartet wurde
und mit wenig Erfolg als Alternative zur BRI angepriesen wird. Natürlich sehen
die USA in China einen Konkurrenten im Rennen um die globale Vorherrschaft.
Und solange sie auf diesem Kurs bleiben, werden sie gegen die BRI sein, trotz
der Tatsache, daß sie sehr viel davon zu gewinnen haben. Aber solange die USA
das Projekt nicht physisch sabotieren, ist das in Ordnung. Es könnte sogar als
Reaktion auf die amerikanische Position die Kooperation zwischen den
beteiligten Ländern verstärken.
3. Indien ist ablehnend wegen des Territorialstreits um Kaschmir mit
Pakistan. Es bezeichnet die BRI als einen Akt des chinesischen Kolonialismus.
Der Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor führt durch das pakistanisch
besetzte Kaschmir. Indien treibt das Projekt der Fernstraße
Indien-Myanmar-Thailand (3200 km) voran, die Indien mit den ASEAN-Staaten
verbinden wird. Aber wie schon gesagt, kann der wirtschaftliche Nutzen des
Projektes die politischen Hindernisse bei der Konfliktlösung überwinden.
Wir hatten zwei Fälle solcher positiven Endergebnisse, als es um die
geplante Route der Schwarzmeer-Ringstraße ging, eine 7500 km lange Autobahn,
die die Mitgliedstaaten der BSEC verbinden und den Straßentransport von den
Schwarzmeerländern nach Europa und Asien erleichtern soll.
Eines dieser Probleme war in Moldawien, wo die Autobahn entlang einer alten
sowjetischen Fernstraße durch die Republik Transnistrien führen soll, die sich
für unabhängig erklärt hat. Den moldawischen Behörden war es zuerst nicht
recht, daß die Autobahn durch Tiraspol führen sollte. Es gab damals
Verhandlungen zwischen beiden Seiten über eine mögliche Annäherung, und der
Stolperstein waren die Ausweise von Tiraspol. Also sagten wir Kischinau, sie
sollten der anderen Seite anbieten, wenn sie die moldawischen Ausweise
akzeptieren, kann die Autobahn über Tiraspol führen. Und das geschah dann
auch.
Das zweite Problem war zwischen Rußland und Georgien. Die Autobahn sollte
über Abchasien nach Georgien führen, aber nach dem Krieg zwischen Rußland und
Georgien im August 2008 weigerte sich letzteres, eine Autobahn durch Abchasien
nach Georgien zuzulassen. Nachdem wir der georgischen Seite in allen
Einzelheiten dargelegt hatten, welche wirtschaftlichen Vorteile sie von der
Autobahn hätten, wenn sie zulassen, daß diese von Rußland aus durch ihr Land
führt, konnten wir Tiflis überzeugen, dem Bau der Autobahn durch den
Roki-Tunnel in Südossetien zuzustimmen.
Die negative Haltung der USA ist das wichtigste Element, das den
Fortschritt der BRI behindern könnte. Die Teilnehmer sollten bilaterale oder
multilaterale Bemühungen unternehmen, um Washington von den Vorteilen zu
überzeugen, die es von der Beteiligung an diesem Projekt hätte. Das ist zwar
fast eine mission impossible, aber man sollte es wenigstens immer
wieder versuchen, um eine physische Behinderung der BRI-Initiative zu
vermeiden. In diesem Sinne sollte man in engerem Kontakt zu Japan, Australien
und Indien untersuchen, wie der Asien-Afrika-Wachstumskorridor (AAGC) in das
BRI-Projekt eingebunden werden kann.
In Bezug auf die EU gibt es nicht viel, was getan werden kann, außer die
EU-Vorschriften über die Ausschreibung und Finanzierung der Projekte zu
befolgen, damit die ost- und mitteleuropäischen Länder EU-Gelder nutzen
können, um ihre Infrastrukturprojekte mitzufinanzieren.
In einer Welt, in der bewaffnete Konflikte und Gewalt vorherrschen und das
Völkerrecht nicht mehr existiert, ist es wichtig, die Rolle von Kultur,
Philosophie, Humanismus und Spiritualität hervorzuheben. Auch sie müssen über
die Seidenstraße transportiert werden, in Form des Austauschs von Ideen und
Kultur zwischen Ost und West. Das Schiller-Institut spielt in dieser Hinsicht
durch die aktive Beteiligung von Helga Zepp-LaRouche auf vielen
internationalen Foren eine sehr positive Rolle. Auch in diesem Sinne hat
Griechenland im vergangenen April das erste Treffen des „Forums alter
Zivilisationen“ veranstaltet, an dem auch China teilnahm. Inzwischen gab es
weitere Treffen.
Fassen wir zusammen: Die erfolgreiche Umsetzung der BRI kann wesentlich
dazu beitragen, die internationalen Beziehungen humaner zu machen, die
Bevölkerung der beteiligten Staaten wirtschaftlich und kulturell zu entwickeln
und auf diese Weise die Voraussetzungen für den Weltfrieden zu schaffen. Das
mag wie eine Utopie klingen. Aber wenn wir nicht an Utopien glauben, werden
sie niemals wahr.
Anmerkung
1. BSEC = Organisation für Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation
eir
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