Ein neuer Bauplan für die Zukunft
Wie Ost- und Südosteuropa sich an der Schaffung eines neuen globalen
Wirtschaftswunders beteiligen können
Von Elke Fimmen
Elke Fimmen vom Schiller-Institut eröffnete am 1. Juli die
abschließende Vortragsrunde der Bad Sodener Konferenz des Schiller-Instituts
mit dem folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Es ist offensichtlich, daß die sogenannten führenden westeuropäischen
Nationen endlich ihre Hausaufgaben machen und erkennen müssen, daß
langfristiger Wohlstand, Stabilität und Frieden, wie wir es auf dieser
Konferenz diskutiert haben, nur durch die Zusammenarbeit mit Chinas
Seidenstraßenprojekt, mit Rußland und der Eurasischen Wirtschaftsunion
erreicht werden kann. Frieden durch Entwicklung ist der Polarstern, dem wir
folgen müssen – und das ist keine Option, denn mit den alten Methoden wird
Europa untergehen.
Schon der Vorschlag, daß extrem arme Länder wie z. B. Albanien und
Mazedonien Flüchtlingslager im Austausch gegen eine EU-Mitgliedschaft
einrichten könnten, ist keine Politik, sondern einfach nur gedankenloser – und
gefährlicher – Wahnsinn. Wollen wir wirklich die Balkanländer, die nach den
geopolitisch motivierten Kriegen und der sogenannten Transformation der 1990er
und 2000er Jahre immer noch zerbrechlich sind, erneut destabilisieren, indem
wir auf den alten geopolitischen Machtspielen bestehen und ihnen die längst
überfällige wirtschaftliche Entwicklung verweigern?
Sind nicht solche Pläne zu bevorzugen, wie des
albanischen Präsidenten Edi Rama, der einen 15-Jahre-Plan zur nationalen
Entwicklung – einschließlich der Modernisierung der Infrastruktur und der
Verbindung mit Chinas Seidenstraße – entworfen hat? Warum sollte sich die EU
gegen ein Projekt aussprechen, welches die seit langem notwendige
Peljesac-Brücke in Kroatien bauen würde? Oder was ist mit dem Bau der
Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung Belgrad- Budapest, als einem wichtigen
Teilstück der Verbindung vom griechischen Hafen Piräus durch Makedonien,
Serbien und Ungarn nach Mittel- und Westeuropa?
Wird diese EU Blockadehaltung und das Bestehen auf Austeritätspolitik, wie
ihr Insistieren, daß keine chinesischen Kredite für die Projekte akzeptiert
werden dürfen, irgend etwas dazu beitragen, die Wunden der Vergangenheit zu
heilen und eine gemeinsame Zukunftsperspektive für alle Völker in diesen
Ländern zu schaffen?
Die Albaner erinnern sich immer noch mit Schrecken – und das sollten wir
auch tun – an die Verzweiflung und das Chaos der 1990er Jahre, als nach dem
Zusammenbruch des kommunistischen Systems 25.000 Albaner auf Booten nach
Italien flohen und dann, nach fünf Jahren sogenannter westlicher
Marktreformen, ein riesiges spekulatives Pyramidensystem zusammenbrach, was
den Großteil der Bevölkerung ihre winzigen Ersparnisse kostete und zu einem
landesweiten Zusammenbruch der sozialen und staatlichen Ordnung, zu
Plünderungen der verzweifelten Bevölkerung und zum Tod von mehr als tausend
Menschen führte. Schließlich intervenierte die OSZE, und internationale
Friedenstruppen aus Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, der Türkei und
Rumänien stellten die Ordnung und die grundlegenden Staatsfunktionen wieder
her. 1999 flohen 300.000 Kosovaren nach Albanien, einem Land mit 2,8 Millionen
Menschen mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren, was das Land erneut vor
große Herausforderungen stellte.
Jetzt wird über eine neue „albanische” Balkanroute für Flüchtlinge geredet,
weil viele von ihnen versuchen, von Griechenland über Albanien, Montenegro,
Bosnien und durch Kroatien und die Slowakei nach Westeuropa zu kommen. Schon
zuvor waren viele Flüchtlinge in Serbien, wo die Grenze nach Ungarn und
Kroatien geschlossen wurde. Jetzt gehen sie nach Bosnien, das eine 1000 km
lange Grenze zu Kroatien hat. Dies führt zu neuen Spannungen zwischen den
benachbarten Ländern, einschließlich einer neuen Krise, die sich gerade in
Bosnien entwickelt. Keine Lager, egal wo, werden diese Dynamik stoppen,
sondern nur richtige weltweite Entwicklung.
Die Chance der 16+1-Initiative
Vor diesem Hintergrund ist das kommende Gipfeltreffen der Staats- und
Regierungschefs der mittel- und osteuropäischen Staaten der „16+1“-Initiative
in Sofia/Bulgarien am kommenden Wochenende [6./7.7.], bei dem der chinesische
Premierminister Li Keqjang sprechen wird, eine ausgezeichnete Gelegenheit auch
für die westeuropäischen Nationen, sich anzuschließen und die Wachstums- und
Wohlstands-Initiative, über die bei dem Gipfel in Sofia gesprochen werden
wird, zu unterstützen, anstatt diese Länder weiterhin an der Zusammenarbeit
mit China zu hindern und sie zu erpressen.
Chinas erfolgreiche Politik spiegelt erprobte Prinzipien der
Wirtschaftswissenschaft wieder, die der Westen lange vernachlässigt hat, trotz
der Tatsache, daß eben jene Methoden grundlegend waren für die Entwicklung der
USA, Deutschlands, Frankreichs, Japans und anderer zu Industrienationen.
Die Physische Ökonomie gibt dem „Einpflanzen der Produktivkräfte von
Nationen”, wie es der deutsch-amerikanische Ökonom Friedrich List nannte,
Vorrang. Dem gegenüber stehen die finanzielle Ausbeutung und der sogenannte
Freihandel des Britischen Empires.
In der physischen Wirtschaft hingegen bilden großflächige
Infrastrukturprojekte und die Betonung von Wissenschaft und Technologie die
Schlüssel zur Steigerung der Produktivkräfte der Nation. Der wahre Wohlstand
einer Nation liegt tatsächlich in der Entwicklung der Kreativität ihrer
Bevölkerung.
Chinas Neue Seidenstraße oder Gürtel- und Straßen-Initiative schafft ein
komplett neues eurasisches Netzwerk von Kontinente überspannender
Infrastruktur und Handelsbeziehungen. Sie hat auch für die mittel-, ost- und
südosteuropäischen Länder die längst überfällige Möglichkeit geschaffen, ihre
nationalen Wirtschaften wieder zu industrialisieren, ihr produktives Potential
in Landwirtschaft, Maschinenbau, Hochtechnologie und Forschung (d.h. im
nuklearen Bereich) zu entfalten und endlich die katastrophalen Folgen der
neoliberalen „Schocktherapie” und der sozialen sowie wirtschaftlichen
Zerstörung durch die Serie der geopolitischen Balkankriege der 1990er Jahre zu
überwinden.
Die Gürtel- und Straßeninitiative mit Europa verbinden
Nach dem Finanzkrach von 2007/2008 haben sich die osteuropäischen Länder
nach neuen strategischen Möglichkeiten umgesehen, ihre Volkswirtschaften
wieder aufzubauen. Während die EU eine grausame Austeritätspolitik
durchsetzte, initiierte China das „16+1“-Format mit den mittel- und
osteuropäischen Ländern (CEEC) und startete jährliche Treffen der Staats- und
Regierungschefs. Das erste Treffen fand 2012 in Warschau/Polen statt, und das
nächste wird am kommenden Wochenende in Sofia/Bulgarien abgehalten.
Die 16 CEEC-Länder, so verschieden sie auch sein mögen, stellen auf Grund
ihrer geographischen Lage eine wichtige Brücke dar, um die infrastrukturelle
und wirtschaftliche Entwicklung Eurasiens durch die Projekte der Neuen
Seidenstraße bzw. OBOR umzusetzen. Sie überspannen Europa von Norden nach
Süden, zwischen dem großen russischen Wirtschaftsmarkt und Westeuropa. Zu
diesen Staaten gehören die baltischen Staaten (Estland*, Litauen*, Lettland*),
die zentraleuropäischen Staaten (Polen*, die Tschechische Republik*, die
Slowakei* und Ungarn*) sowie die südosteuropäischen Länder und Balkanstaaten
(Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien*, Kroatien*, Makedonien, Montenegro,
Serbien, Slowenien* und Rumänien*).1
Li Keqiang, Chinas Premierminister, hat in seiner Rede beim letzten
16+1-Treffen der Staatsoberhäupter im November 2017 in Budapest davon
gesprochen, einen „neuen Entwurf für die Zukunft” zu präsentieren. Er
präsentierte ein ehrgeiziges Programm für eine verstärkte
China-CEEC-Kooperation durch die Verbindung der Gürtel- und Straßen-Initiative
mir den Entwicklungsstrategien der CEEC-Länder. Er sagte, China habe ein
„gedeihendes Europa” zum Ziel. Eine engere Zusammenarbeit mit den 16 Ländern,
von denen elf Mitglied der EU sind, würden die Zusammenarbeit zwischen der EU
und China „in nützlicher Weise ergänzen.”
Er betonte, daß der 19. Parteitag neue Richtlinien und Perspektiven für ein
offeneres und gedeihendes China entwickelt habe und dadurch mehr und größere
Möglichkeiten für alle Länder auf der Welt geschaffen worden seien. Der
Premierminister schätzte, daß Chinas Importe in den kommenden fünf Jahren auf
acht Billionen Dollar ansteigen sollen, während China von einem
Hochgeschwindigkeits- zu einem Hochqualitäts-Wachstum übergehe.
Neben seinem Aufruf, Schlüsselprojekte zur Vernetzung, wie z.B. die
Hochgeschwindigkeitsbahn Ungarn-Serbien, zu beschleunigen, schlug
Premierminister Li Keqiang vor, den Ausbau der Produktionskapazitäten durch
Handels- und Wirtschaftskooperationszonen und durch die Schaffung von
Industrie-, Wertschöpfungs- und Logistikketten auszudehnen. Er rief auch dazu
auf, die Kooperation zwischen mittelständischen Unternehmen zu fördern. Dieses
Thema ist für alle CEE-Nationen wichtig, weil sie dringend ihren eigene
hochtechnologische Industrie, den Mittelstand und andere Produktionsstätten
entwickeln wollen.
Der Ansatz, reales Wachstum und Entwicklung durch infrastrukturelle,
wissenschaftliche und andere produktive Investitionen zu erleichtern, hat
einen neuen, optimistischen, längst fälligen Impuls in Osteuropa und den
Balkanländern geschaffen.
Obwohl bei der Konferenz der europäischen Verkehrsminister 1994 auf Kreta
Verkehrskorridore definiert wurden, wurde der Bau dieser Projekte nicht – oder
nur in unzureichendem Umfang – begonnen. Erst nach der EU-Osterweiterung nach
2004 kamen diese Projekte langsam in Gang. Aber bis zum heutigen Tage kann das
EU-Verkehrsnetzwerk bestenfalls als Flickenteppich bezeichnet werden, weil die
gegenwärtige Finanzierung der EU für eine integrierten, hochpriorisierten
Ansatz nicht ausreicht. Während sich die tatsächlich notwendigen Ausgaben, um
das bestehende transeuropäisches Verkehrsnetz (TEN-T) auf den heutigen
Standard zu bringen, auf mindestens 500 Mrd. Euro zwischen 2021 und 2030
belaufen, wie dies in der Erklärung von Ljubljana von Vertretern des
Transportsektors und ähnlicher Bereiche verlangt wurde, umfaßt der Haushalt
der „Connecting Europe“-Fazilität zur Unterstützung des Verkehrsnetzes
lediglich 30,5 Mrd. Euro. Der Haushalt für 2014-2020 beläuft sich auf 21,3
Mrd. Euro.
Im Gegensatz dazu sind bei der CEEC-China-Kooperation der transnationale
und eurasische Verkehr und Logistik ein wesentlicher Aspekt: Im Mai 2016 wurde
in Riga, der Hauptstadt Lettlands im Baltikum, das 16+1-Sekretariat für
logistische Kooperation eingeweiht. Außerdem wurde im Oktober 2017 das
Warschauer Sekretariat für Maritime Zusammenarbeit eröffnet. Die „Rigaer
Erklärung” identifiziert als eine zentrale Frage die „Kooperation der Seehäfen
an Adria, Ostsee und Schwarzem Meer“, die sich auf die Entwicklung von
„Verkehrs-Knotenpunkten mit Häfen und Industrieparks in den Küstengebieten der
Adria, der Ostsee und des Schwarzen Meeres und entlang der
Binnenwasserstraßen, die Zusammenarbeit beim Aufbau von Industrieclustern in
den Häfen und die Schaffung moderner Schienen-, Straßen- und
Schiffahrtskorridore zu ihrer Verbindung“ konzentrieren sollte. Dies würde „…
den Entwicklungsbedürfnissen aller 17 Länder dienen” und „damit zu einer
engeren Beziehung zwischen der EU und China beitragen, indem Synergien der
spezifischen Bedürfnisse und Vorteile bei der infrastrukturellen Entwicklung
und technologischen Weiterentwicklung erzielt werden… in der Absicht, das
wirtschaftliche Wachstum eines jeden Landes in der gesamten Region zu
fördern.“2
China wird eine weitere Mrd. $ für die zweite Phase der Finanzierung des
Investitionsfonds für die Kooperation zwischen China und Mittel- und Osteuropa
zur Verfügung stellen. Der Fonds plant, 10 Mrd. Euro in der CEEC-Region zu
investieren. Polen und Ungarn sind Vollmitglieder der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank, Rumänien wurde im November 2017 als
zukünftiges Mitglied aufgenommen.
Dies sind nur einige Beispiele dieser Zusammenarbeit und ihres Potentials.
Mehr können sie darüber in der gerade neu veröffentlichten Studie des
Schiller-Instituts über die Fortschritte der Weltlandbrücke lesen, Exemplare
finden Sie an unserem Büchertisch.3
Lassen sie mich schließen mit der Feststellung:
Mit dem globalen Übergang zu einem neuen Paradigma des „Friedens durch
wirtschaftliche Entwicklung”, über den wir bei dieser Konferenz gesprochen
haben, werden die mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder endlich in der
Lage sein, sich auf die reale Entwicklung ihrer Länder zu konzentrieren,
anstatt als geopolitischer cordon sanitaire oder als Militärstützpunkte
gegen Rußland mißbraucht zu werden. Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße
hat gemeinsam mit Rußland und der Eurasischen Wirtschaftsunion das Potential
für eine stabile Friedensstrategie für Europa, Eurasien, Afrika und darüber
hinaus geschaffen. Diese zweite Chance nach 1989 darf nicht verpaßt
werden.
Lassen sie uns jetzt eine wahre humanistische Renaissance in Europa
schaffen, die für die gesamte Welt und die Menschheit von Vorteil sein wird!
Ich danke Ihnen.
Anmerkungen
1. * = EU Mitgliedsstaaten.
2. http://english.gov.cn/news/international_exchanges/2016/11/06/content_281475484335120.htm
3. The New Silk Road becomes the World Land-Bridge: A Shared Future for
Humanity (Vol. II), siehe https://shop.eir.de/produkt/the-new-silk-road-becomes-the-world-land-bridge-a-shared-future-for-humanity-vol-ii/
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