Wenn große Ideen das Herz erfüllen
Von John Sigerson
Der Musikdirektor des amerikanischen Schiller-Instituts,
John Sigerson, machte die folgenden Bemerkungen beim wöchentlichen
„Kamingespräch“ des LaRouche-Aktionskomitees am 21. November 2018. Der Beitrag
wurde für den Druck leicht bearbeitet.
Lebe in deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf;
leiste deinen Zeitgenossen aber, was sie bedürfen, nicht was sie loben.
– Friedrich von Schiller
Eine der dümmsten Ideen, die in den letzten 150 Jahren verbreitet wurden,
ist die, daß weil die Realität häßlich ist, auch die Kunst häßlich sein müsse.
Aber sie hat sich durchgesetzt, nicht nur in der Musik, sondern auch in der
Oper, im Film, in Hollywood und überall sonst – die Vorstellung, wenn man die
Häßlichkeit des Lebens zeigt, hätte das etwas mit Kunst zu tun.
Schiller war vom Gegenteil überzeugt, genauso wie auch Beethoven und alle
anderen großen Komponisten – Mozart, Brahms, Robert Schumann und auch Johann
Sebastian Bach. Diese Menschen lebten in einem Zeitraum, der von vor der
Amerikanischen Revolution bis ins 19. Jahrhundert reicht. Sie alle waren
überzeugt, daß man, egal wie schlimm die Dinge sind, die Menschen erheben muß
und ihnen zeigen und sie darin bestärken muß, daß es etwas Besseres gibt.
Einige der großartigen Musikstücke, die wir am Sonntag aufgeführt
haben,1 wurden in einer Zeit komponiert, in der in ganz Europa
schreckliche Kriege geführt wurden. Napoleon verheerte Europa und besetzte
Wien, wo Ludwig van Beethoven lebte. Überall waren Soldaten, es gab furchtbare
Schlachten, es war wirklich schrecklich für viele. Trotzdem beharrte Beethoven
darauf, die – jedenfalls meiner Meinung nach – erhabenste und begeisterndste
Musik zu schreiben, die die Menschheit kennt.
Einige Leute könnten vielleicht zu unserem New Yorker Konzert am 18.
November zum 259. Geburtstag von Schiller fragen: „Warum verwendet ihr soviel
Mühe und Geld für dieses Konzert? Warum konzentriert ihr euch nicht auf die
politischen Aktivitäten?“ Aber genau das ist der Zweck, und es wirkt sich aus
auf die Unterstützung, die wir brauchen, um alle die Dinge zu tun, die unsere
politische Bewegung tun muß.
Nur um einen Eindruck zu vermitteln, wie ernst es uns damit war und was wir
mobilisieren konnten, um ein solches Konzert aufführen zu können: Wir mieteten
diese wunderschöne Kirche mitten in New York City an, die St.
Bartholomew-Kirche. Außerdem brauchten wir ein sehr gutes Orchester
hochausgebildeter Musiker, dazu einige wenige Amateure. Im Orchester hatten
wir 44 Musiker.
Nun, Musiker sind nicht gefeit gegen die Probleme, unter denen auch alle
anderen leiden: Probleme mit der Infrastruktur oder die Tatsache, daß sie sehr
schlecht bezahlt werden. Die Leute mußten mit dieser lächerlichen
Infrastruktur anreisen. Wie hatten am letzten Donnerstag einen Schneesturm,
der praktisch die gesamte Ostküste lahmlegte. Ich saß in einem Auto und
brauchte vier Stunden, um eine einzige kleine Stadt zu durchqueren –
Hackensack/New Jersey –, um zu unserer Probe zu gelangen. Einige andere, die
aus Virginia anreisten, saßen 12 oder 13 Stunden im Auto und mußten umkehren,
weil sie es nicht schafften. Dabei waren es nur knapp 15 cm Schnee! Als ich
dann in New York ankam und schließlich zur Probe kam, sah ich keinen einzigen
Schneepflug, es war unglaublich!
Diese Leute wollten mit uns zusammenarbeiten, und wir haben eine Reihe sehr
gut ausgebildeter, professioneller Musiker um uns versammelt, die gerne mit
dem Schiller-Institut zusammenarbeiten und dies auch schon in der
Vergangenheit getan haben. Das ist das eine, was man braucht. Aber es sind
auch viele Vorbereitungen zu treffen, um so etwas aufführen zu können. Ich
weiß nicht, wieviel Sie über klassische Musik wissen, aber in einem Orchester
gibt es Geigen, Kontrabässe, Flöten, alle möglichen Instrumente. Gleichzeitig
muß der Dirigent mit einer Partitur arbeiten, in der alle Stimmen verzeichnet
sind. Außerdem hat jeder einzelne Musiker seine eigene Stimme. Bei der
begrenzten Probezeit bedeutet das, daß man sehr viel Zeit damit verbringen
muß, diese einzelnen Stimmen zu bezeichnen und sicherzustellen, daß jede
kleine Nuance, die man bei der Gestaltung der Phrasen will, in diesen Stimmen
eingezeichnet ist. Denn man weiß, daß man nur wenige kostbare Minuten hat, um
mit diesen Profimusikern zu arbeiten, um es genau richtig zu machen. Das haben
wir getan, und es hat unglaublich gut funktioniert.
Rauhe und feindliche Aggression wird überwunden
Eines der Stücke von Beethoven, das wir aufgeführt haben, ist die sog.
Chorphantasie, und ich möchte Ihnen gerne das Gedicht dazu vorlesen,
denn das war und ist sehr angemessen für die Absicht unseres Konzertes. Und
das war nicht Unterhaltung, denn wenn das Schiller-Institut ein Konzert
veranstaltet, dann wollen wir die Menschen nicht unterhalten, wie wollen sie
herausfordern. Wir setzen dabei gewissermaßen auf das
„Bananenschalen-Prinzip“. Bevor die Leute sich zum Konzert niedersetzen, legt
man, bildlich gesprochen, eine Bananenschale aus, damit sie gewissermaßen aus
dem Gleichgewicht gebracht werden. Denn man will die Mitbürger wirklich dazu
herausfordern, daß sie ihr Denken auf die Ebene der Ideen anheben, die
Beethoven und diese anderen großen Künstler präsentieren.
Musik ist sehr emotional, auch wenn sie natürlich auch sehr technisch ist.
Es gibt viele technische Fertigkeiten und Dinge, die man tun kann, und auch
das kann auf seine Weise schön sein. Das ist das, was Schiller die
„architektonische Schönheit“ nennt, die Schönheit von Dingen, die eine schöne
Struktur haben. Aber darum geht es in der Musik nicht. Sie ist etwas
anderes, etwas, was Schiller als Anmut bezeichnet, was eine höhere Ordnung
ist; etwas, was Sie wirklich in einen höheren Bereich erhebt.
Die Chorphantasie wurde von Beethoven in einer Zeit komponiert, als
er sich viel mit Schiller und mit Schillers Ode an die Freude
beschäftigt hat, aber er war noch nicht so weit, daß er die Ode an die
Freude vertonen konnte – die Ode an die Freude ist das Gedicht, das
er später in seiner großartigen 9. Symphonie vertont hat. Die
Chorphantasie war eine Art Vorübung, und er fand dafür einen Dichter,
zwar nur ein kleinerer Meister, der aber sehr von Schillers Ästhetischen
Briefen und ästhetischen Schriften begeistert war. Ich möchte Ihnen den
Text des Gedichts vorlesen, weil es meiner Meinung genau nach diese Idee
ausdrückt:
Schmeichelnd hold und lieblich klingen
unsers Lebens Harmonien,
und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blüh'n.
Fried und Freude gleiten freundlich
wie der Wellen Wechselspiel;
was sich drängte rauh und feindlich,
ordnet sich zu Hochgefühl.
Wenn der Töne Zauber walten
und des Wortes Weihe spricht,
muß sich Herrliches gestalten,
Nacht und Stürme werden Licht,
Äuß're Ruhe, inn're Wonne,
herrschen für den Glücklichen.
Doch der Künste Frühlingssonne
läßt aus beiden Licht entsteh'n.
Großes, das ins Herz gedrungen,
blüht dann neu und schön empor,
hat ein Geist sich aufgeschwungen,
hallt ihm stets ein Geisterchor.
Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
froh die Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Lieb und Kraft vermählen,
lohnt dem Menschen Göttergunst.
Genau das ist es, was Donald Trump versucht, gegen alle jene Idioten, die
verlangen, Amerika sollte eine Politik der „rauhen und feindlichen Aggression“
verfolgen. Es ist also ganz besonders angemessen. Sie werden schon bald das
Audio und das Video des Konzerts selbst erleben können.2 Wir
bereiten das gerade vor. Sie können es dann selbst anhören. Aber der
entscheidende Punkt, auf den ich hinauswill, ist, daß alles, was wir tun,
Ausdruck dieser Absicht ist, und hoffentlich alle, die davon berührt werden,
so stärkt, daß sie in der Lage sind, für ein besseres Paradigma in den
Beziehungen zu kämpfen – nicht nur zwischen den Individuen, sondern auch
zwischen den Nationen.
Anmerkungen
1. Das Schiller-Institut veranstaltete am 17. und 18. November 2018 in New
York eine zweitägige Feier zum 259. Geburtstag des „Dichters der Freiheit“,
Friedrich Schiller. Die Veranstaltungen begannen mit einem Forum mit der
Vorsitzenden und Gründerin des Instituts, Helga Zepp-LaRouche, zum Thema „Die
Menschheit an der Wegscheide zum Neuen Paradigma“ (siehe Neue
Solidarität 48/2018), am nächsten Tag folgte dann ein Konzert des
Öffentlichen Chores des Schiller-Instituts von New York City, der vor rund 500
Gästen afroamerikanische Spirituals, eine von Brahms vertonte Strophe aus
Schillers Lied von der Glocke („Dem Dunklen Schoß“, WoO 20) sowie zwei
große Werke von Ludwig van Beethoven – die Chorphantasie (Op. 80) und die
Messe in C-Dur (Op. 86) – vortrug. Ergänzt wurden diese Darbietungen durch
Rezitationen von Gedichten und Auszügen aus Schillers Schriften,
beispielsweise aus dem 9. Brief Über die ästhetische Erziehung des
Menschen.
2. Den Mitschnitt des Konzerts finden Sie in Youtube unter
https://www.youtube.com/watch?v=qL2ueLnQYUw
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