Zur Verteidigung des Jemen
Ulf Sandmark vom schwedischen Schiller-Institut erklärt in
einem Offenen Brief die Hintergründe des derzeitigen Bürgerkriegs im Jemen.
Die amtierende Regierung des Jemen, die häufig als „illegitim“ bezeichnet
wird, ist die Regierung, die heute den Jemen gegen die bösartigen Angriffe der
saudisch geführten Koalition verteidigt, mit denen der Jemen als
funktionierender Staat und als souveräne Republik mit einem langen, stolzen
Erbe zerschlagen werden soll.
Die Regierung Hadi, die in der saudischen Hauptstadt Riad sitzt, hat keine
Legitimität. Weder aus juristischer Sicht, da Hadi niemals gewählt war,
sondern nur vom Parlament für eine Amtszeit eingesetzt wurde, die 2015
auslief, als er aus Sanaa floh und von Aden aus den Bürgerkrieg eröffnete. Und
noch weniger aus moralischer Sicht, weil er fremde Nationen aufgerufen hat,
sein Heimatland mit einer äußerst brutalen Aggression und einem
massenmörderischen Embargo anzugreifen. Er ist inzwischen im Jemen so verhaßt,
daß er unmöglich einen politischen Versöhnungsprozeß leiten kann. Er kann auch
gar nicht in den Jemen einreisen, weil der Südjemen seine Unabhängigkeit vom
Norden, den Hadi ihrer Meinung nach vertritt, erklärt und seine Streitkräfte
vertrieben hat.
Die von Abdul-Malik Badreddin Al-Houthi geleitete Ansarullah-Bewegung führt
eine Koalitionsregierung im Jemen an, der die Ministerien, die nationale
Verwaltung und die jemenitische Armee unterstehen. Sie läßt sich heute nicht
mehr als bloße Regionalpartei bezeichnen, da sie inzwischen viel breitere
Unterstützung im Jemen hat. Der Präsident des Jemen, Saleh Al-Sammad, der am
19. April ermordet wurde, und sein Nachfolger, Mahdi Al-Maschad, hatten und
haben die Unterstützung der Parlamentsmehrheit. Dieses Parlament wurde vor
2015 demokratisch gewählt. Al-Sammad befürwortete freie Wahlen, und dies tut
auch die Ansarullah-Bewegung (die oft als „die Huthis“ bezeichnet wird).
Al-Sammad bezeichnete sich selbst niemals als „Präsidenten“, sondern immer nur
als „amtsführenden Präsidenten“, in Erwartung kommender Wahlen.
Die zweite wichtige Frage ist, ob die jemenitische Regierung auch das Volk
repräsentiert. Auf dem von ihr beherrschten Territorium lebt der Großteil der
jemenitischen Bevölkerung. Welche Stimmung in dieser Bevölkerung herrscht,
konnte die ganze Welt sehen, als in Sanaa die aufsehenerregenden
Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung mit mehr als einer Million
Menschen stattfanden. Ähnliche Menschenmassen sind während des Krieges immer
wieder auf die Straßen gegangen, obwohl sie sich dabei der Gefahr saudischer
Luftangriffe aussetzten. Solche Massendemonstrationen zur Unterstützung der
Regierung sind weltweit sehr selten, besonders in den europäischen
Demokratien. Die Regierung des Jemen würde mit Sicherheit in freien Wahlen
nicht „hinweggefegt“, wie es die westliche Medienpropaganda behauptet. Man muß
nur die Bilder der riesigen Demonstrationen in Sanaa sehen, um das zu
begreifen.
Welche weiteren Pläne die Regierung hat, läßt sich nicht beurteilen,
solange die Aggression der saudischen Koalition andauert. Man kann es aber nur
als heldenhaft bezeichnen, wie sie in diesem Krieg nicht aufgibt und gegen
eine Aggression, hinter der die westlichen Großmächte stehen, das Territorium
hält. Man kann auch Rußland und China keinen Vorwurf daraus machen, daß sie
nicht auf der Seite des Jemen intervenieren – sie sind schließlich nicht die
Putzfrauen, die den Dreck wegräumen, den die westlichen Mächte
hinterlassen.
Aus meiner Sicht war es allerdings ein großer Fehler, daß China und Rußland
die UN-Resolution 2216 nicht verhindert haben. Entschuldigend ist dazu zu
sagen, daß sie alle Hände voll damit zu tun hatten, den Schlamassel zu
beseitigen, den die gleichen Aggressoren in Syrien anrichteten. Außerdem
werden sie beide mit der möglichen Unterbrechung ihrer Ölversorgung bzw. des
Öltransports erpreßt, da dieser Krieg am Nadelöhr des Persischen Golfs
stattfindet.
Der Kongreß für den Nationalen Dialog hatte 2013-14 nach der Revolte des
Arabischen Frühlings ein gewisse Legitimität, aber er wurde unter
ausländischem und insbesondere saudischem Einfluß immer weiter hinausgezögert,
was das Land in Richtung einer Aufteilung in eine Konföderation von sechs
Teilen trieb. Auch die „Vermittler“ des Golf-Kooperationsrates, der von der
UN-Resolution zum Jemen unterstützt wird, streben eine solche Aufteilung des
Landes an. Die von der Ansarullah-Bewegung 2014 begonnene Militärrevolte war
eine Reaktion von Kräften innerhalb des Jemen gegen diese ausländische
Einmischung und Destabilisierung. Nationen haben das Recht, ihre korrupten
Regierungen zu stürzen, ganz besonders, wenn diese unter ausländischem Einfluß
stehen.
Präsident Hadi, der in keiner Weise mehr durch Wahlen legitimiert ist als
die gegenwärtige Präsidentschaft des Jemen, hat über seinen
Verteidigungsminister die Destabilisierung noch gefördert, indem er Waffen an
Al-Kaida lieferte. Die religiöse Spaltung im Land ging nicht von der
Ansarullah-Bewegung aus, sondern ist eine Folge der Verbreitung des
Wahhabismus in Moscheen, die von Saudi-Arabien bezahlt und von der
Moslem-Bruderschaft geleitet werden. Feindschaft zwischen Sunniten und
Schiiten gab es in der bisherigen Geschichte des Jemen nicht.
Gleichzeitig führte die Regierung Obama ihren Drohnenkrieg „gegen“ Al-Kaida
und ließ sich durch die Proteste des Jemen nicht davon abbringen, obwohl durch
die US-Raketen mehr neue Terroristen rekrutiert als alte ausgeschaltet wurden.
Selbstmordanschläge in Sanaa verschärften die terroristische Destabilisierung.
Als 2014 der Islamische Staat aufstieg, schlossen sich ihm mehrere
Al-Kaida-Gruppen im Jemen an, und schon bald wurde der IS zu einer Bedrohung
für das ganze Land. Der IS begann seinen Marsch auf Sanaa, das als
Ausgangspunkt für die Machtübernahme der Terroristen im ganzen Land dienen
sollte. Deshalb unterstützten es selbst Anhänger von Hadis Kongreßpartei, als
die Ansarullah-Bewegung die Macht in Sanaa übernahm – was der Westen als
„Militärputsch“ bezeichnet. Bemerkenswert ist, daß sich auch der frühere
Präsident Ali Abdullah Saleh dem von der Ansarullah-Bewegung angeführten
„Prozeß zur Rettung der Nation“ anschloß.
Die Ansarullah-Bewegung und ihre Verbündeten organisierten einen
Versöhnungsprozeß, um alle großen Parteien des Landes zu Verhandlungen
zusammenzuführen – sogar die Islah-Partei der Moslem-Bruderschaft und die
Hadi-Anhänger -, um die Spaltung des Landes zu überwinden. Diese
Verhandlungen, die in Mosambik geführt wurden, standen kurz vor einer
Beilegung des langen Bürgerkriegs im Jemen, als die Saudis am 26. März 2015
ihre Aggression begannen. Die Aussicht auf einen geeinten Jemen war der Grund
für den Angriff, ein vom Terrorismus befreiter und geeinter republikanischer
Jemen war für die westlichen Mächte und ihre Satrapen am Golf
inakzeptabel.
Der Hauptgrund für diesen Krieg ist also eine ausländische, koloniale und
mörderische Aggression, die den Terrorismus unterstützt, anstatt ihn zu
bekämpfen. Sobald diese ausländische Aggression beendet ist, werden die
Jemeniten in der Lage sein, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden.
Das Schiller-Institut schlägt vor, daß der Jemen seine nationale Einigung
auf der Grundlage eines Entwicklungsplanes organisiert, indem sich das Land
der Neuen Seidenstraße anschließt. Dieser Plan ist ein wichtiges Instrument
für das jemenitische Volk, sich zu versöhnen, indem es darüber entscheidet,
wie eine Zukunft in Souveränität und Glückseligkeit aufgebaut werden kann.
Die Behauptung, nicht die Militärintervention der saudischen Koalition,
sondern die Huthis seien das eigentliche Problem, ist falsch, auch wenn die
westlichen Medien und Regierungen sie noch so oft wiederholen. Die ach so
selbstgerechten Vertreter der westlichen Welt sollten endlich anfangen, die
Schuld ihrer eigenen Regierungen zu erkennen.
Ulf Sandmark, Schiller-Institut in Schweden
ulf.sandmark@nysol.se
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