Interessen-Monster
Demokratie, Menschenrechte und andere Heucheleien
Von Ulrich Scholz
Oberstleutnant a.D. Ulrich E. Scholz hielt bei der Konferenz
des Schiller-Instituts den hier abgedruckten Vortrag. Er war
Luftwaffenoffizier und NATO-Planungsoffizier und ist seit 2009 selbstständiger
Berater für Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Guten Morgen. Vielen Dank, Frau Zepp-LaRouche und Herr LaRouche, daß Sie
mich wieder eingeladen haben, das zu sagen, was mir im Geist und am Herzen
liegt.
Abb. 1: Schlußbild aus dem Film „Planet der Affen“.
Ich war schon vor zwei Jahren hier und habe über den Krieg als Pathologie
des Westens gesprochen, und dieses Bild, das sie hier sehen (Abbildung
1), habe ich auch schon in meinem ersten Vortrag verwendet. Für diejenigen
unter Ihnen, die diesen Film nicht kennen: es stammt aus der letzten Szene des
Films „Planet der Affen“. Und er zeigt, was mit der Erde geschieht, wenn sie
das tun. Wenn sie nicht lernen, daß Krieg kein Mittel zur Lösung von Problemen
ist, dann könnte die Erde so enden. Deshalb verwende ich dieses Bild in allen
meinen Vorträgen, und ich hielt es für angemessen, das auch hier wieder zu
tun.
Nur ein paar Worte über mich selbst. Ich will hier nicht auf Details
eingehen, aber im ersten Drittel meiner militärischen Karriere flog ich
Phantoms und Tornados. Im zweiten Drittel plante ich Kriege. Erst im dritten
Drittel meiner militärischen Karriere habe ich den Krieg verstanden. Und
jetzt, in meiner letzten Phase, versuche ich herauszufinden, warum wir das
immer noch tun, und wie wir das ändern können.
Ich möchte mit einem Zitat von George Bernard Shaw beginnen, der einmal
sagte: „Manchmal zitiere ich mich selbst. Das bringt die Würze in die
Konversation.“ Ich möchte mich hier gerne selbst zitieren. Im März 2003 war
ich an der Queens University in Kingston und lehrte dort Sicherheitspolitik,
und ich hielt dort einen Vortrag vor örtlichen Geschäftsleuten und Politikern,
sechs Wochen, bevor George Bush im Irak einmarschierte. Und das war mein
Thema. Mein amerikanischer Kollege argumentierte für den Krieg, und ich
argumentierte gegen den Krieg. Und manchmal – ich wußte nicht, was geschehen
würde, aber ich hatte das Gefühl, daß wenn wir nicht der UN die Führung der
Welt übergeben, daß wir dann da enden würden, wo wir heute sind. Und wir sind
genau da angekommen.
Danach durchlief ich mehrere Lernprozesse. Ich dachte darüber nach, wie man
die UN verändern könnte, und ich denke, was wir brauchen, ist keine
organisatorische Veränderung, aber das Vetorecht sollte gestoppt werden.
Ich denke, das Problem ist nicht die Organisation. Das Problem ist
vielleicht, daß die UN, die in ihrer wichtigsten Mission gescheitert ist, das
ist die Erhaltung des Friedens auf der Welt, sich mehr darauf konzentrieren
sollte, die Interessen auszugleichen. Und dieses Wort habe ich heute morgen
oft gehört. Ich denke, das Problem ist, daß Nationen Interessen haben und wir
darauf keine Rücksicht nehmen, gerade die großen.
Und das zweite ist die menschliche Seite der Gespräche über Interessen. Wir
interagieren als Menschen, was auf der Mikroebene funktioniert, in den
Familien, was sehr gut funktioniert, wenn wir versuchen, Konflikte beizulegen
– aber wir mißachten diesen Aspekt, wenn es um Politik geht. Sie betrachten
die NATO und die amerikanischen Regierungsorganisationen, aber sie sind immer
noch Menschen, und wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, wie wir diese
Menschen zusammenbringen.
Durchsetzung von Interessen
Kommen wir auf die Heucheleien. Dies ist ein Bild von Desert Storm:
Der Westen hat seit 1990 viele Male Krieg geführt – Kosovo, Libyen, mehrmals
Irak, Afghanistan. Und alle diese Kriege werden immer gerechtfertigt, entweder
„Wir tun dies im Interesse der internationalen Gemeinschaft“ – was immer das
ist –, oder sie tun es unter der Flagge der UN und reden von
„Schutzverantwortung“ oder „humanitären Interventionen“. Ich argumentiere –
und ich kann es auch beweisen, aber das will ich heute nicht tun – daß das
alles nur Vorwände sind, es ist Heuchelei. Der wahre Grund für den Westen ist,
daß es um Interessen geht.
General Horner machte eine interessante Äußerung, bevor der Krieg begann.
Bevor er seine Piloten losschickte, um den Irak zu bombardieren, sagte er
seinen Piloten: „Es gibt kein Ziel im ganzen Irak, dass es Wert ist, dass man dafür stirbt.
Werft also eure Bomben ab, aber wenn es zu gefährlich wird,
bringt eure Bomben zurück.“ Und ich möchte dieses Zitat etwas weiter fassen,
ich würde sagen: Es gibt keine Ziele auf der Welt, die es wert sind, daß man
dafür tötet.“ [Applaus.]
Ich habe meine Generalstabsausbildung in Amerika gemacht, ich war am
Air War College der US Air Force. Ich mag die amerikanische Denkweise, und ich mag
die Amerikaner. Es sind viele gute Leute unter ihnen. Dies hier ist aus Obamas
Nationaler Sicherheitsstrategie, und er sagt darin ganz, ganz klar, daß es um
Interessen geht. Sie können das im Internet lesen, Sie können diese Seite
aufrufen, und Sie können dort lesen, daß Amerika dort hingeht, und daß es
dabei allein um Interessen geht. Es geht ihnen um Interessen, und nicht um
Werte. Und ich will diesen Punkt beweisen, daß es nicht um Werte geht.
Ich möchte Ihnen einen Einblick in die Philosophie der amerikanischen
Außenpolitik geben. Das beginnt mit Thomas Hobbes, dem englischen Philosophen
des 17. Jahrhunderts, der das Buch Der Leviathan geschrieben hat. Das
ist ein Monstrum aus der Antike, und Hobbes nutzte das als Bild für den
allmächtigen Staat. Er erlebte die Brutalität des englischen Bürgerkriegs im
17. Jahrhundert, und er sagte, um das Interesse der Menschen zu gewinnen,
brauche man einen starken Staat.
Und das ist sozusagen die Bibel der amerikanischen Außenpolitik nach dem
Zweiten Weltkrieg. Sie wurde verfaßt von Hans Joachim Morgenthau, einem in
Deutschland geborenen Politikwissenschaftler, der das berühmte Buch „Politik
zwischen den Nationen“ geschrieben hat. Die amerikanische Außenpolitik beruht
auf Morgenthaus Philosophie.
Abb. 2: Kernpunkte der außenpolitischen Philosophie von Hans Joachim
Morgenthau:
1. Politische Macht dient Interessen
2. Ausgleichen, nicht einschüchtern
3. Werte sind Interessen = Heuchelei
4. Die Grenzen universeller Werte
Ich habe hier die vier wichtigsten Kernpunkte dieser Philosophie ausgesucht
(Abbildung 2). Der erste davon ist selbstverständlich. Politische
Macht dient Interessen – sie dient den Interessen des Volkes. Und ich
denke, die Neocons haben seit 1990 sehr oft gegen diesen wesentlichen Punkt
verstoßen. Sie zogen in den Krieg, aber nicht wegen eines Interesses, sondern
wegen etwas anderem. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Es geht also um Interessen. Und ich komme gleich auch noch auf die anderen
Punkte, zwei, drei und vier.
Morgenthau differenziert hier und sagt, wenn man Politik im Interesse der
Menschen führen will, dann muß man die Interessen auf der Welt ausgleichen.
Das ist der ethische Weg, Außenpolitik zu betreiben, und nicht, andere
einzuschüchtern, was das Konzept der Neokons ist, wie man den Interessen
dient: Entweder marschieren sie ein, um andere zu bedrohen, oder sie
marschieren ein, um sie zu beherrschen. Und seit 1990 hat das niemals
funktioniert – es wurde nur immer schlimmer! Und wenn es wirklich schlimm
wird, dann hat man globalen Terrorismus als perpetuum bellum, und im
schlimmsten Fall einen nuklearen Krieg. Wir müssen die Interessen ausgleichen,
und die Neue Seidenstraße ist ein Projekt, das in diese Richtung führt.
Grafik: Ulrich Scholz
Abb. 3: Die Einschüchterungspolitik der Neocons gründet letztendlich
auf Angst, eine auf Ausgleich der Interessen abzielende Politik auf Ethik.
Ich möchte eine kleine Zeichnung nutzen, um die beiden Seiten der
US-Außenpolitik oder der westlichen Außenpolitik zu zeigen, wenn sie
Interessen vertritt (Abbildung 3). Da ist der Weg der Neokons, das zu
tun. Wenn man sicherstellen will, daß die Welt sich zu seinen Gunsten verhält,
dann marschiert man präventiv in ein Land ein, man spielt ein Nullsummenspiel,
oder man schummelt, wie man es in einem Nullsummenspiel tut, wie es die
Amerikaner mit Rußland getan haben. Wenn Sie zwei plus machen, dann mache ich
zwei minus. Nach dieser Haltung ist mein Gewinn dein Verlust, und das führt
zum Krieg, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Regimewechsel führen zum
Krieg.
Der andere Weg, der meines Erachtens zu wenig Beachtung findet, ist der
Ausgleich der Interessen. Und dazu braucht man menschliche Eigenschaften wie
Empathie, Toleranz, das Anstreben von Win-Win-Situationen, gegenseitigen
Respekt und Gewaltlosigkeit.
Wenn Sie die Ursachen betrachten, die diesen beiden Haltungen zugrunde
liegen – und damit komme ich in den Bereich der Psychologie, meine Frau hat
Psychologie studiert. Und als ich ihr das zeigte, da war sie bei der Sache,
weil die eigentlichen Ursachen wirklich sehr menschlich sind.
Man braucht gar nicht über Menschenrechte zu sprechen, man muß nur diesen
Geist des Ausgleichs haben, dann ist man auch ethisch. Jemand hat einmal
gesagt, Ethik ist wie ein unterirdischer Wasserstrom, der mit dem einhergeht,
was man tut und sagt, was man ist – dann ist man auch ethisch. Man kann das
nicht als ein Ziel oder etwas in der Art verkünden.
Und Interessen, und da sind wir dann wirklich im Bereich der Psychologie,
sind von Angst getrieben. Beim Einschüchtern flößen wir den Anderen Angst ein,
und ich würde sagen, ein Psychologe würde sagen: man hat auch selbst Angst,
und deshalb ist man aggressiv.
Wie kann man das ändern? Wie können wir dieser Haltung beikommen, daß wir
in der Politik sozusagen dem Strom der Angst folgen?
Abb. 4: Die Arabische Delegation 1919 in Paris, geleitet von Faisal bin
Hussein bin Ali Al-Hashemi, dem späteren König Faisal I. von Syrien. 3.v.r.
ist der Brite „Lawrence von Arabien“ (T.E. Lawrence), der das Vertrauen der
Araber gewann und im britischen Interesse beeinflußte.
Vertrauen
Dieses Bild (Abbildung 4) zeigt die arabische Delegation 1919 in
Paris, und Sie sehen hier Faisal, den Sohn des Emirs von Jerusalem, und rechts
von ihm Lawrence of Arabia, T.E. Lawrence, der junge britische Archäologe, der
vor dem Krieg als Archäologe auf der Arabischen Halbinsel wirkte, und der ein
Freund von Faisal wurde. Das haben die Briten natürlich ausgenutzt – er wurde
Offizier, Major, und führte die Araber gegen die Türken, um den Briten zu
helfen, den Krieg zu gewinnen. Und als sie nach Paris kamen, um ihre Belohnung
abzuholen, da haben die Briten und die Franzosen das Versprechen vergessen.
T.E. Lawrence trug die arabische Kopfbedeckung, und seine Vorgesetzten haben
sich darüber geärgert, aber so zeigte er seine Solidarität mit seinen
arabischen Freunden. Es war also Freundschaft, jenseits aller Religion und
Kultur, und er konnte die Araber bewegen, daß sie auf ihre Weise hilfreich
waren.
Und ich würde sagen, wenn wir dieses Vertrauen heute in der Politik
erreichen wollen, dann brauchen wir Menschen, die sich auf allen Ebenen der
Diplomatie, der Politik, der Wirtschaft engagieren, wo wir zwischenmenschliche
Beziehungen aufbauen, die nicht nur auf Empathie, sondern auf Sympathie
beruhen. Wir brauchen Leute, die sich gegenseitig mögen. Und dann können wir
langfristige Beziehungen entwickeln.
Diese Leute müssen keine Experten sein, sie müssen nur dabei sein. Und wenn
wir in einen Konflikt geraten, dann sollten sie die Gespräche führen und den
Konflikt lösen.
Grafik: Ulrich Scholz
Abb. 5: Unterschiedliche Wahrnehmungen erzeugen unterschiedliche Realitäten.
Und last not least – ich will hier nicht weiter ins Detail gehen
– last not least, denke ich, haben wir ein großes Defizit in der
Bildung. Wir alle. Denn wenn wir in die Welt hinausgehen, dann denken wir
immer, wie betrachten die Welt so, wie sie ist. Ich möchte Ihnen dazu dieses
Bild zeigen. Dies (Abbildung 5) ist ein Bild der zweiten Ordnung der
Kybernetik. Wenn Sie diesen verbogenen Nagel anschauen, dann hängt es davon
ab, aus welchem Winkel sie ihn betrachten – je nachdem sieht er anders aus.
Und wenn man versucht, jemanden zu überzeugen, daß die eigene Sichtweise die
richtige ist, dann haben wir gleich einen Konflikt. Wir haben also diese
beiden Kerlchen, die es aus verschiedenen Winkeln betrachten, und jeder denkt,
er sieht es auf die richtige Weise.
Was wir tun sollten, und das ist eine Dynamik der zweiten Ordnung, wir
sollten uns darüber erheben und auf uns herabschauen, auf den anderen
und auf uns selbst, vielleicht sind wir das Problem, unsere Sichtweise.
Und das ist der systemische Ansatz, das ist Kybernetik der zweiten Ordnung,
und es ist sehr einfach. Aber die Menschen da draußen, auf der Mikroebene und
auf der Makroebene, glauben immer noch, daß die Art und Weise, wie sie die
Dinge wahrnehmen, etwas mit Wahrheit zu tun hat. Und das ist für
mich bereits der erste Schritt in einen Konflikt, der dann vielleicht sogar
gewalttätig werden kann.
Dabei möchte ich es belassen, denn ich bin da mitten drin. Ich unterrichte
im Moment Kinder, und ich versuche, ihnen dieses Denken beizubringen. Es ist
nicht nur Empathie, es geht darum, sich selbst zu betrachten. Denn vielleicht
sind wir das Problem, die Art, wie wir denken. Vielen Dank.
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