Die Neue Seidenstraße aus der Zukunft betrachtet
Von Flavio Tabanelli
Flavio Tabanelli ist Aktivist des internationalen
Schiller-Instituts in Italien. Der folgende Aufsatz wurde mit freundlicher
Genehmigung des Autors aus dem Italienischen übersetzt und erschien zuerst in
der März-Ausgabe des Magazins Galileo1.
Kredit ist wie ein neugeborenes Kind: Beide stellen Erwartungen oder
Vorleistungen dar und erfordern einen ständigen, fleißigen Einsatz für die
Zukunft, für das Gemeinwohl.
Die Neue Seidenstraße ist die Initiative eines Landes – China –, das die
Verantwortung übernommen hat, jedes neugeborene Kind zu entwickeln und „den
Kredit zu schützen“. Das ist der Kern der gesamten chinesischen Außenpolitik,
einschließlich der Einladung an alle anderen Länder, sich – jedes auf seine
Weise – an dieser Verantwortung zu beteiligen. Es ist ein epochales Projekt,
mutig vorangetrieben, das sich von der Entscheidung herleitet, als
Ausgangspunkt den Aufbau einer Zukunft zu nehmen, die frei von den geistigen
Fesseln der Geopolitik, des Kalten Krieges und der sogenannten
„Nullsummen-Ökonomie“ ist, wie die Sprecherin des chinesischen
Außenministeriums, Hua Chunying, kürzlich hervorhob.2
Wenn ein Kind geboren wird, tritt es unmittelbar in jene Unendlichkeit ein,
die alles und alle umfaßt, und ignoriert weitgehend die Sorgen, die uns
Erwachsene wegen unserer politischen Kurzsichtigkeit umtreiben. So sollten wir
in der Neuen Seidenstraße eine Chance sehen, kollektiv einen dauerhaften
Frieden aufzubauen, ausgehend von der Zurückweisung aller Vorurteile über eine
angebliche Begrenztheit der Ressourcen und der Welt überhaupt – Vorurteile,
die in der Geschichte oft die eigentlichen, wiewohl künstlichen Ursachen von
Krisen waren. Wenn sie einmal Eingang in die nationalen Kulturen gefunden
haben, äußern sich diese Vorurteile oft in Kriegen, die so tragisch wie
sinnlos sind.
Die Neue Seidenstraße ist wie die Hypothese der „Energiequanten“, die Max
Planck Ende des 19. Jahrhunderts den Physikern ins Ohr flüsterte, obwohl die
meisten von ihnen „selektiv schwerhörig“ waren, in der festen Überzeugung,
alles wichtige sei bereits entdeckt worden. Zum Glück haben doch einige auf
ihn gehört.
Um ein solches epochemachendes Projekt zu verstehen, in das bereits zehnmal
mehr Gelder geflossen sind als in den Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg,
können wir uns entweder auf die Erklärungen der chinesischen Regierung und der
an diesen gewaltigen Unternehmen beteiligen Institutionen verlassen, oder auf
die Äußerungen seiner Gegner, die mit Sophismen argumentieren oder chinesische
Hintergedanken unterstellen. Wir können aber auch von der Vision der
internationalen Bewegung ausgehen, die dieses Projekt schon vor mehr als 30
Jahren anregte und in den letzten beiden Jahrzehnten oft nach China gereist
ist, um den Dialog der Kulturen zu fördern.
Ich möchte die folgenden Absätze dieser letzteren, dritten Quelle widmen,
der ich seit langem nahestehe in all diesen Jahren des Kampfes für einen
„Ausweg aus der internationalen Finanzkrise“, sogar schon vor dem Ausbruch der
Krise von 2007-08. Die breitere Öffentlichkeit muß diese begeisternden Ideen
über die Neue Seidenstraße durch die Informationen ergänzen, die ihr
zugänglich sind, auch wenn es – momentan – schwer ist, „die Spreu vom Weizen
zu trennen“.
Die Neue Seidenstraße in ihrer ganzen „geometrischen Dimension“
Man kann diese wirklich epochale Veränderung in den typischen Begriffen der
„Märkte“ oder der „Welt der Milliardäre“ ausdrücken, aber nur als Projektion
eines Prozesses, der von einer größeren Anzahl von Dimensionen charakterisiert
ist. Dessen muß man sich bewußt sein. Ein Großteil der Kritik, die dagegen
vorgebracht wird, kann nur überzeugend wirken, wenn die Dimension begrenzt
bleibt.
Nach meiner eigenen Erfahrung lokalisiert man diese chinesische Initiative
am besten im Bereich der Geschichte, oder besser gesagt, in der
„Gleichzeitigkeit der Ewigkeit“, dem Wirkungsbereich der Prinzipien, die sich
in unserer Gattung, die als einzige die Fähigkeit der Erkenntnis besitzt,
manifestieren. Meine Erfahrung ist die eines Menschen, der darüber in jedem
Kontext spricht. So bin ich beispielsweise mit Schildern auf dem Bürgersteig
herumgelaufen, um mit den Passanten ins Gespräch zu kommen, und habe
dargestellt, vor welche Wahl uns die Neue Seidenstraße stellt: Geopolitik und
Krieg auf der einen und die Entscheidung für ein neues Paradigma von Frieden
und gegenseitiger Entwicklung auf der anderen.
Wer die geologischen Zeitalter studiert, findet die Spuren der gewaltigen,
traumatischen Veränderungen, die unser Planet erfahren hat. Es war erst der
fünfte Tag der Schöpfung – also bevor man den Menschen für irgend etwas davon
verantwortlich machen konnte –, aber wir können es sehen:
- Berge, wo einst Ozeane waren;
- Wälder, wo Wüsten waren, und umgekehrt;
- Eisbrücken verbanden Kontinente oder Täler, die jetzt durch Meere oder
Gebirge voneinander getrennt sind;
- weite, jahrtausendelang von Schnee bedeckte Gebiete, wo zuvor
breitblättrige Pflanzen gediehen, die heute nur noch die Paläontologen
kennen;
- Kontinente wurden geboren und drifteten auseinander; sowie
- massenhaftes Artensterben und ebenso Phasen der Entstehung zahlreicher
neuer Gattungen.
Die besondere Qualität der menschlichen Gattung
Historiker, die den Prozeß vom sechsten Tag an betrachten, die sich auf die
Geschenke von Sprache und Schrift stützen, jubeln jedesmal, wenn sie einen
jener großen Momente verifizieren können, in denen unsere Menschheit
Beschränkungen überwand, durch bewußten Fortschritt mit weiser Konzentration
der geistigen und physischen Kräfte, wenn wir die zukünftige Richtung
voraussahen und handelten, um eine Perspektive von mehr Wohlstand und mehr
Vorteilen zu verwirklichen, als mit kriegerischen Methoden erreichbar war.
Große Wissenschaftler und Erzieher betonen die Talente, die unsere
schöpferische Gattung hervorgebracht hat, ohne die Fehler, die wir trotzdem
machen können, zu verschweigen.
Maria Montessori sprach in Bezug auf die Gegenwart und die Aktionen unserer
Gattung auf dieser Welt von der „Übernatur“. Sie betonte, das Kind könne der
„Lehrer des Menschen“ sein, sogar mitten in zwei schrecklichen Weltkriegen.
Sie vertraute darauf, Frieden durch Erziehung zu schaffen, eine Erziehung,
welche die Souveränität des „aufnehmenden Geistes“ des Kindes und seine
instinktiven Formen des Lernens respektiert.
Wir sollten auch an Wladimir Wernadskij erinnern, der die Rolle der
Noosphäre hervorhob in seiner Einteilung der Welt in die drei Sphären der
unbelebten Materie, der lebenden Wesen und des Geistigen. Wernadskij betonte
die Gesetzmäßigkeit in der Ordnung des Universums, in dem, was der Mensch zum
Universum hinzufügt, insbesondere die wirtschaftliche Infrastruktur, deren
Aufbau in Rußland sich sein Lehrer Mendelejew intensiv widmete. Für Wernadskij
ist der Mensch eine „geologische Kraft“, die aber gegenüber den oben erwähnten
geologischen Umwälzungen vor der Entstehung der Menschheit den Vorteil hat,
nicht blind zu sein.
Unter dem Pseudonym „M. Iljin“ setzte sich Yakowlewitsch Marschak
(1896-1953), ein weiterer russischer Chemiker, das ehrgeizige Ziel, Kinder
dazu zu ermutigen, ihr Leben der Wissenschaft zu widmen. Auch wenn sie etwas
unter dem Einfluß des Stalinismus leiden, haben seine Bücher, in denen er die
Wissenschaft populär darstellt, die gleiche begeisternde Qualität wie die
Romane von Jules Verne. Das Vorwort zu seinem Buch Wie der Mensch zum
Riesen wurde aus dem Jahr 1948 ist geradezu poetisch:
„Es gibt auf der Erde einen Riesen.
Er hat Hände, mit denen er mühelos eine Lokomotive anhebt.
Er hat Füße, mit denen er an einem Tag tausend Kilometer läuft.
Er hat Flügel, mit denen er über die Wolken fliegt, höher als jeder Vogel.
Er hat Flossen, mit denen er im Wasser schwimmt, besser als jeder Fisch.
Er hat Augen, die das Unsichtbare sehen.
Er hat Ohren, die hören, was man in anderen Erdteilen spricht.
Er durchbohrt Berge, so stark ist er.
Er fängt die Wasserfälle im Sturz auf.
Er gestaltet die Erde nach seinem Willen.
Er pflanzt Wälder, verbindet Seen und bewässert Wüsten.
Wer ist dieser Riese?
Dieser Riese ist der Mensch.
Wie kam es, daß der Mensch zum Riesen und zum Herrn der Erde wurde?“
Wie der Mensch zum Riesen wurde ist der Titel dieses alten
Kinderbuches. „Wie wurde der Mensch ohnmächtig?“ könnte man heute fragen.
Viele von uns verstehen nicht, daß wir wirklich etwas „Übernatürliches“
darstellen, aber mit der Hilfe von Wissenschaft und Technik können wir
Materialien, Zustände und Bedingungen schaffen, die in der Natur nicht
existieren und vielleicht noch nie existiert haben. Ein Beispiel? In
Forschungsreaktoren für die Kernfusion bringen wir Plasmen auf Temperaturen,
die viel höher sind, als wir es in den Sternen gemessen haben. Und wir tun
dies „auf unserem Hinterhof“. Das ist kein zufälliges Beispiel: China beweist
jetzt Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit bei der Suche nach der
kontrollierten Kernfusion.
Indem wir diese schöpferische Qualität, die in jedem einzelnen von uns
liegt, ignorieren, und damit die Realität ignorieren, daß (ausgedrückt in den
Begriffen der europäischen Mythen) Prometheus uns das Feuer gebracht hat,
machen wir uns selbst anfällig für die Täuschungen des Zeus und für ein Gefühl
der Ohnmacht gegenüber den Ereignissen, und wir machen uns auf vielerlei
tragische Art und Weise anfällig dafür, unsere Menschlichkeit aufzugeben.
Optimistische internationale Beziehungen
Dagegen läßt uns die wesentliche Eigenschaft unserer Gattung unmittelbar
eine neue Phase der Geschichte erkennen, die mit der Geburt der Neuen
Seidenstraße beginnt – nach der enthusiastischen Phase der ersten Mondlandung
des Menschen. Dieser Optimismus kommt nun mit Macht zurück. Das sehen wir an
der aktiven Vorstellung, daß Entwicklung der entscheidende Schlüssel zur
Lösung aller Probleme ist, wie Chinas Präsident Xi Jinping in seiner Rede beim
„Gürtel-Straßen-Forum für internationale Kooperation“ im Mai 2017 betont hat.
Ganz offensichtlich ist die Neue Seidenstraße nicht das, was viele
darin sehen – und oft kritisieren –, die sie nur durch die Brille des
Geschäftsmanns betrachten. Die Beijing Review zitiert Dong Manyuan, den
Vizepräsidenten des Chinesischen Instituts für Internationale Studien: „Die
Idee der gemeinsamen Entwicklung, wie sie die Wirtschaftsgürtel-Initiative
verkörpert und die auf dem Prinzip des Aufbaus durch Konsultation beruht, ist
sehr anziehend.“
Die Probleme, vor denen die Menschheit steht, haben längst einen planetaren
Maßstab. Ohne uns von irgendeiner Form einer Weltregierung abhängig zu machen,
müssen wir die Nationen der Welt einladen, wichtige Ideen zu vergleichen und
darüber zu diskutieren: Wie haben wir an der prometheischen Kraft der
Menschheit teil und teilen die Früchte der Kreativität für das Gemeinwohl in
der Noosphäre, wie Wernadskij sie definierte. Diese Noosphäre bezieht sich auf
die Eingriffe in und Herrschaft über die Natur, sowohl im abiotischen Bereich
als auch in der Biosphäre.
Die großen Fortschritte durch Technologien, die heute verfügbar sind oder
noch „in den Schubladen liegen“ (im Fall der Bereiche, die nach
jahrzehntelanger Sparpolitik aufgegeben wurden), zeigen uns, daß Probleme wie
die sogenannten Naturkatastrophen oder die Armut ausschließlich Fragen des
politischen Willens bzw. von dessen Fehlen sind.
Nachdem dies gesagt ist, muß nun der Weg für ein breiteres Verständnis des
Konzepts der Neuen Seidenstraße bereitet werden, das der Welt unter seinem
ursprünglichen Namen „Eurasische Landbrücke“ von Lyndon LaRouche und Helga
Zepp-LaRouche als Reaktion auf den Zusammenbruch des sowjetischen Systems
vorgeschlagen wurde. Zwei Säulen dieses sowjetischen Systems, die man als
Rückgrat eines Planes für die internationale Kooperation hätte erhalten
sollen, sind – von Ideologie befreite – effiziente nationale
Bildungsorganisationen und der – ganz auf den zivilen Bedarf umgestellte -
industrielle Apparat. Der Geist des Vorschlags der Eurasischen Landbrücke ist
immer noch derselbe, und heute verkörpert ihn die Initiative der Neuen
Seidenstraße. Diese wird auch „Ein Gürtel, eine Straße“ genannt, nach den
beiden wichtigsten Wegen der infrastrukturellen Entwicklung: der „Straße“ des
weltweiten Schiffsverkehrs bis zum Horn von Afrika und zur Küste Ostafrikas,
und dem traditionelleren „Gürtel“ des Landverkehrs zwischen Europa und
Ostasien.
Der „Geist der Neuen Seidenstraße“ verändert schon jetzt die gesamte
Geometrie. Es sind weitere Straßen hinzugekommen – die polare Route und Zweige
auf anderen Kontinenten, in Afrika und Nord- und Südamerika – die
LaRouche-Bewegung spricht jetzt von der „Weltlandbrücke“. Eine weitere
Dimension ist die Zusammenarbeit bei der Erforschung des Weltraums und der
Tiefsee sowie bei den Regeln und Protokollen des Internets, um die
Kommunikation im Dienste des Dialogs der Kulturen zu verbessern.
Damit ist offensichtlich, daß die Vorteile für Verkehr und Handel nur
untergeordnete Aspekte der eigentlichen Absicht sind, oder – wie gesagt – eine
Projektion des ersten und letztendlichen Zwecks, der Emanzipation der
Menschheit. Zhang Yangsheng, der Forschungsleiter des Chinesischen Zentrums
für internationalen Wirtschaftsaustausch, bestätigt, daß die Schaffung von
Plattformen für die internationale Kooperation die Industrialisierung von
Ländern, die in der Ära der Globalisierung zurückgeblieben sind, vorantreiben
kann. Ndubuisi Christian Ani, Forscher am Institut für Frieden und
Sicherheitsstudien in Addis Abeba, berichtet erfreut, daß die
Wirtschaftsgürtel-Initiative „mit Afrikas hochbegehrtem Bedarf an
Infrastruktur und wirtschaftlicher Entwicklung ganz auf einer Linie liegt
“.
Nach vielen Jahren des Wartens der Afrikaner und des italienischen
Unternehmens Bonifica SpA – eine Verzögerung durch geschickte Sophistereien,
die auf Vertuschung und Energieverschwendung hinausliefen – hat sich der
Großkonzern PowerChina, der schon den Dreischluchtendamm gebaut hat, jetzt dem
Projekt angeschlossen, um die Probleme der Region des Tschadsees zu
lösen.4
Italien und die Neue Seidenstraße
Ich stimme mit der Einschätzung anderer Autoren auf diesen Seiten [im
italienischen Magazin Galileo] überein, daß Italien, unser Land, sich
von dieser Entwicklung viel zu scheu fernhält.
Wir sollten anprangern, daß der damalige italienische Premierminister Mario
Monti sich zwar pro forma für eine Zusammenarbeit mit China aussprach, aber
die finanzielle Hilfe ablehnte, die uns China angeboten hatte (in dem
Bewußtsein, daß Italien die „stabile Verbindung zum europäischen Hinterland“
ist), um beim Bau der Brücke über die Messina-Straße zwischen Sizilien und dem
Festland zu helfen. In der Folge stellte er dann das Projekt ein, mit der
Begründung, es fehlten die Mittel.
Das ist ein Beispiel für den Zaubertrick, „echtes Geld“ (ein Ausdruck für
produktiven Kredit für die Realwirtschaft, den ein früherer Präsident des
Italienischen Industrieverbandes prägte) verschwinden zu lassen – ein
Spiegelbild der Manipulation der öffentlichen Meinung durch den Buhmann
unerschwinglicher „Kosten“.
Der derzeitige Ministerpräsident Paolo Gentiloni setzte die
norditalienischen Häfen, die aktiver und vermeintlich kostengünstiger sind als
die in Sizilien oder Süditalien, an deren Stelle für die Verladung von Gütern,
die durch die beiden Suezkanäle kommen. Aber er schützt diese Häfen nicht vor
der absehbaren Konkurrenz durch andere Routen der Neuen Seidenstraße, und
trägt dadurch zu der Bewegung bei, daß Italien sich noch weiter von der Neuen
Seidenstraße entfernt.
Warum nicht von der Perspektive des italienischen Eisenbahnpioniers Luigi
Negrelli, des Ökonomen Carlo Ilarione Petitti di Roreto und noch mehr von
Cavour ausgehen, der überzeugt war, Italien sollte schon vor dem Bau und der
Eröffnung des Suezkanals ein gut verteiltes Netz von Seehäfen vorbereiten?
Die Neue Seidenstraße als Dialog der Kulturen
Die theoretischen Ausführungen Beijings bauen auf dem Westfälischen Frieden
auf, der nach mehrjährigen Verhandlungen erzielt wurde und auf der Wahrung der
nationalen Souveränität beruhte. China will eine internationale Rolle spielen
und dazu drei Kräfte einsetzen: Kultur, Überzeugung und Verantwortung, wie Xi
Jinping darlegte; er erklärte, daß China die Praxis der „Regimewechsel“ und
der Einmischung im Ausland kategorisch ablehnt. „Unsere Führung betont das
Konzept der ,Drei Nein’, sagte Shi Ze, der Direktor für Internationale
Energiestudien und Senior Fellow am Chinesischen Institut für Internationale
Studien.
„Erstens mischen wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten anderer
Nationen ein; zweitens strebt China nicht danach, seine sogenannte
,Einflußsphäre’ auszuweiten, und drittens strebt China nicht nach Hegemonie
oder Dominanz. Das bedeutet, wir sind gleichrangige Partner.“ Dr. Shi sagte
dies bei der internationalen Konferenz anläßlich des 30. Jahrestags der
Gründung des von Helga Zepp-LaRouche gegründeten und geleiteten
Schiller-Instituts.5 An dieser Konferenz nahm auch Enzo Siviero
teil und sprach über das Thema „Der Brückenschlag über das
Mittelmeer“6
Wie Helga Zepp-LaRouche, die „Seidenstraßen-Lady“, im letzten November bei
einer weiteren internationalen Konferenz des Schiller-Instituts sagte, macht
der Dialog zwischen den höchsten Ausdrucksformen der beiden Kulturen – der
westlichen und der chinesischen – Fortschritte. Die Neue Seidenstraße kann
wirklich zum „neuen Modell der internationalen Beziehungen“ werden.
„Dies ist nicht das erste Mal“, erklärte sie, „daß Europe in schlechtem
Zustand war.“ Sie erinnerte an die Herausforderung, die Gottfried Wilhelm
Leibniz Europa im Jahr 1670 in einem Memorandum stellte. Darin kritisierte er
Europas „schlecht gegründeten Handel und Manufakturen...; eine völlig
entwertete Währung... Unsicherheit des Rechts und Verschleppung aller
juristischen Verfahren; eine wertlose Bildung..., eine Zunahme des Atheismus
in unserer Moral, als wären wir von einer ausländischen Pest verseucht; ...
erbitterten Streit der Religionen; was uns alles schwächt und am Ende völlig
ruinieren kann.“ Leibniz habe erkannt, daß Europa eine Verschmelzung der alten
chinesischen natürlichen Philosophie und der europäischen Kultur braucht. Im
Vorwort zu seiner Schrift Novissima Sinica habe Leibniz erkannt, daß es
eine starke Affinität zwischen dem Christentum und dem Konfuzianismus gibt -
und daß letzterer mehr zu bieten hatte als alle anderen bekannten
Glaubenssysteme seiner Zeit.
„Er sagte, die Chinesen sollten Missionare nach Europa schicken, ,so daß
wir von ihnen natürliche Religion lernen können, die wir fast verloren
haben.’“ Damit meinte er die Tatsache, daß es in China eine in vieler Hinsicht
bewundernswerte öffentliche Moral gebe, „verbunden mit einer philosophischen
Doktrin oder besser einer altehrwürdigen natürlichen Theologie, die seit etwa
3000 Jahren etabliert und autorisiert ist, lange vor der Philosophie der
Griechen.“7
Den Kredit schützen
Ich hätte die Leser einladen können, über die erstaunliche Statistik der
Errungenschaften nachzudenken, die durch diese diplomatische und ökonomische
Politik [der Neuen Seidenstraße] bereits erreicht wurden, aber ich möchte
unsere Argumentation lieber auf die qualitativen Aspekte gründen. Sogar im
Bereich der Finanzierung von Infrastruktur ist China fähig, auf westlichen
Weisheiten aufzubauen, die im Westen selbst vergessen wurden. Chinesische
Banken haben in einer ähnlichen Größenordnung Kredit geschöpft wie die
Europäische Zentralbank mit ihrem „Quantitative Easing“, aber der chinesische
Kredit floß zum großen Teil in produktive Aktivitäten. China rühmt sich einer
Bankentrennung ähnlich dem Glass-Steagall-Gesetz, das 1933 von Franklin Delano
Roosevelt in den Vereinigten Staaten eingeführt wurde, um wirksam auf die
Große Depression reagieren zu können. Während China nun weise eine Ausweitung
des Bundeskredits wie in Roosevelts New Deal nachahmt, schüren einige
Sprachrohre der bankrotten Finanzkreise des transatlantischen Gebiets, wie die
Financial Times und das Washingtoner Zentrum für Strategische und
Internationale Studien (CSIS), Mißtrauen gegen Chinas Finanzierung von
Infrastrukturprojekten.
Wie beim New Deal und jeder anderen historischen Erfahrung mit einer
Wirtschaftspolitik, die von willkürlichen „äußeren Beschränkungen“ frei ist,
widerlegt die Neue Seidenstraße in ihrem Voranschreiten sämtliche
pessimistischen Prognosen. Mit dem Impuls eines solchen sich selbst
verstärkenden Prozesses wiederholt sich das „Wunder“, wie beim Leben selbst.
Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.
Bisher behindert die EU einige Fortschritte, beispielsweise hat sie in der
Kooperation zwischen China und den Balkanstaaten einige bürokratische
Hindernisse aufgebaut und verweist auf angebliche Verstöße gegen die
europäischen Regeln über die Finanzierung und den Bau von Infrastruktur – und
dies, nachdem sie selbst für die Träume von Serbien, Bosnien und ihren
Nachbarn jahrzehntelang taub war. Papieren in staubigen Akten wird Vorrang
eingeräumt vor einer sich verändernden Realität.
Diese „Paralyse der Legalität“ erinnert an mein Gespräch mit dem Direktor
eines Kernkraftwerks im vorigen Jahr. Ich fragte: „Warum konnte Italien keine
Nuklearvereinbarungen mit Japan schließen, das Kernkraftwerke innerhalb von
drei Jahren baut, während wir für den Bau 15 Jahre einplanen müssen?“ – „Weil
ihre Sicherheitsstandards andere sind als die europäischen“, antwortete er.
Aber wie ist es dann möglich, daß Chinas Präsident Xi Jinping und Frankreichs
Präsident Macron freudestrahlend nukleare Abkommen unterzeichnen? Wo ein Wille
ist, ist auch ein Weg.
Armut überwinden und den Lebensstandard anheben
Apropos Frankreich: Der sog. Canal du Midi wurde für den schnelleren
Transport zwischen Mittelmeer und Atlantik gebaut, und um zukünftig regionale
Dürren besser zu bewältigen. Es scheint, daß die potentielle Steigerung des
Lebensstandards der Bevölkerung, eine der wichtigsten Wirkungen öffentlicher
Investitionen, beinahe „unerwartet“ kam und einige sogar versuchten, sie zu
verhindern. Die hohen Löhne und innovativen Arbeitsbedingungen –
Schlechtwettergeld, bezahlte Sonn- und Feiertage und Krankheitsurlaub – zogen
so viele Arbeitskräfte aus dem Umland ab, daß dies Unmut bei den Landbesitzern
auslöste. Ursprünglich wurden 20 Schillinge pro Tag gezahlt, später senkte
Riquet dies erst auf 15 und dann auf 12 Schillinge pro Tag.8
Frankreich war, wie Colbert sehr wohl wußte, zu stark von der
Landwirtschaft abhängig. Die Wirkung der höheren Löhne für die Bauarbeiter
hätte nicht nur erwartet, sondern auch einkalkuliert werden sollen. Wenn diese
historische Rekonstruktion richtig ist, dann entschied sich Frankreich dafür,
die Löhne der Arbeiter zu senken, anstatt die in der Landwirtschaft anzuheben
und so eine erste Hochlohn-Ökonomie zu schaffen.
Beijing zielt darauf ab, die noch verbliebenen 30 Millionen armen Chinesen
innerhalb des laufenden Fünfjahresplans (bis 2020) aus der Armut zu heben. Man
kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß sie das auch schaffen werden, während
die Armut in Europa in der gleichen Zeit weiter zunehmen wird. Indem wir mit
den Ländern, die sich an der Initiative der Neuen Seidenstraße beteiligen,
umfassend zusammenarbeiten und unsere Zukunft als Nation ohne die Last der
Troika (Europäische Kommission, Weltwährungsfonds und Europäische Zentralbank)
auf unseren Schultern neu definieren, können wir den gegenwärtigen Niedergang
abwenden. Nur ehrgeizige kapital-, wissenschafts- und ideenintensive nationale
Programme, die aus der rückblickenden Sicht von 50 Jahren in die Zukunft
entworfen sind, werden es ermöglichen, sofort Zigmillionen von Arbeitsplätzen
zu schaffen. Wir haben schon viel zulange gelitten – die Neue Seidenstraße ist
nun schon vier Jahre alt, und wir sollten nicht länger warten.
Anmerkungen
1. http://www.galileomagazine.com/233/mobile/index.html#p=5
2. http://chinaplus.cri.cn/news/china/9/20180122/81357.html
3. http://www.bjreview.com/World/201705/t20170518_800096557.html
4. https://solidaritaet.com/neuesol/2018abo/11/bocchetto.htm
5. http://newparadigm.schillerinstitute.com/de/media/one-road-and-one-belt-and-new-thinking-with-regard-to-concepts-and-practice/
6. http://newparadigm.schillerinstitute.com/de/media/professor-enzo-siviero-mediterranean-bridging/
7. http://schiller-institut.de/seiten/2017/neues-modell.html
8. https://fr.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Midi
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