Befreit Niger, Afrika und Frankreich von ihren Besatzern!
Von Jacques Cheminade
Am 15. August veröffentlichte Jacques Cheminade, Präsident der
Partei Solidarité et Progrès (S&P) und mehrfacher französischer
Präsidentschaftskandidat, in Paris das folgende Kommuniqué zur Situation in
Niger. Der Text wurde aus dem Französischen übersetzt.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Kriegstreiber in Paris und in der ECOWAS
müssen ihre neokolonialen Aktivitäten sofort einstellen, und Frankreich muß
ebenso dringlich sofort die Auflösung der NATO fordern. Nur unter diesen
beiden Bedingungen können die Länder der Sahelzone und Frankreich unter
Wahrung ihrer vollen Souveränität Beziehungen aufbauen, von denen beide Seiten
profitieren.
Ich schreibe diesen Text, ohne sofortige Wunder zu erwarten, aber ich bin
fest entschlossen, durchzuhalten. Ich bin überzeugt, daß wir Erfolg haben
werden. Denn ich weiß, daß sich unsere Welt am Vorabend des BRICS-Treffens,
das ein entscheidender Schritt hin zu einer neuen, gerechteren Weltordnung
sein wird, in Richtung des globalen Ostens und Südens neigt.
In diesem Zusammenhang und zu einem Zeitpunkt, an dem die Afrikaner ihr
Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen, führt sich die französische
Regierung wie ein Zombie auf. Da sie selbst von der Finanzoligarchie
übernommen wurde, kann sie sich ihrerseits nur wie ein Besatzer verhalten.
Während meines Präsidentschaftswahlkampfs 2017 habe ich Frankreich dazu
aufgerufen, seine finanziellen Okkupanten zu vertreiben und die Fesseln des
CFA-Franc zu sprengen.1 Das gibt mir das Recht, heute im Namen
unserer gemeinsamen Zukunft als zu befreiende Völker zu sprechen.
Die zu beschreitenden Wege sind einfach, wenn wir den politischen Willen
haben, uns aus der Umklammerung der herrschenden Ideologien zu befreien:
- Françafrique ein für alle Mal begraben, nicht mit leeren Worten,
sondern mit konkreten Taten zu dessen Beseitigung. Keine militärische oder
wirtschaftliche Vorherrschaft, sondern Zusammenarbeit und gemeinsame
Entwicklung.
- Auf internationaler Ebene für Frieden und Sicherheit durch
gegenseitige Entwicklung handeln und dabei dem Weg folgen, der durch die
Zusammenarbeit zwischen den BRICS-Mitgliedsländern und Chinas Initiative „One
Belt, One Road“ vorgezeichnet ist. Es geht nicht mehr um eine Konfrontation
zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten, sondern um eine multilaterale
Zusammenarbeit, einschließlich Frankreichs, mit China, Rußland, Brasilien, der
Türkei und Indien, in einem Ganzen, das durch den neuen Namen des Friedens
definiert wird: gegenseitige wirtschaftliche Entwicklung. Nicht mehr Franc-CFA
– jetzt de facto Euro-CFA –, sondern nationale Währungen, die von
Nationalbanken ausgegeben werden und durch öffentliche Kredite für die
menschliche Entwicklung gedeckt sind.
- „Wir hätten Entwicklungsbrigaden für Schulen, Wasser und Lebensmittel
haben sollen. Nicht nur das Frankreich der Robocops, die in gepanzerten Autos
herumfahren“, sagen die französischen Senatoren. Nehmen wir sie beim Wort,
hier und jetzt. Bieten wir den afrikanischen Ländern (denen es freisteht,
anzunehmen oder nicht) echte Projekte an, die von und mit ihnen und unter
Beteiligung ihrer Völker beschlossen werden. Um es klar zu sagen: Ich bin
überzeugt, daß die Hauptmänner, Oberstleutnants und Obersten der afrikanischen
Armeen zusammen mit ihren Soldaten die Interessen ihrer Völker viel besser
vertreten als die unter verschiedenen undemokratischen Einflüssen gewählten
„Eliten“.
- Afrika darf nicht länger ein Schachbrett für Finanzspekulation sein,
das faktisch bewaffneten terroristischen Gruppen ausgeliefert ist; wir müssen
Armeen, Beamte und Polizeikräfte dabei unterstützen, den Drogenhandel zu
bekämpfen, der Staaten zersetzt und Völker vernichtet; der Hauptkrieg muß
innerhalb der großen „westlichen“ Finanzinstitute geführt werden, die eine
umfassende Geldwäsche betreiben. Er muß sich zunächst gegen die
korrumpierenden Mafias an der Spitze in den westlichen Metropolen richten.
- Es ist weder menschlich noch wirtschaftlich länger hinnehmbar, daß die
französischsprachigen Länder Westafrikas zu den ärmsten der Welt gehören und
in den Bereichen öffentliche Gesundheit, Bildung, Zugang zu Trinkwasser und
Elektrizität am meisten benachteiligt sind. Es kann nicht länger hingenommen
werden, daß mehr als 80% der Bevölkerung Nigers keinen Stromanschluß hat,
obwohl das Land über einige der reichsten Uranvorkommen der Welt verfügt. Wer
die Bedeutung der zivilen Kernenergie für die künftige Welt begreift, darf
Niger nicht länger als eine koloniale Quelle billiger Plünderung und
Veruntreuung benutzen.
Utopisch? Nein, ich bin optimistisch, und das aus gutem Grund. Zuallererst
möchte ich wiederholen, daß die Welt auf dem Weg zu einer gerechteren Ordnung
der gegenseitigen Entwicklung ist. Seit langem haben Lyndon LaRouche, seine
Freunde und Mitarbeiter vom Schiller-Institut den Grundstein für eine
Entwicklungspolitik für Afrika gelegt, gegen den IWF und den Washingtoner
Konsens. Ja, wir wurden zurückgewiesen, ebenso wie die afrikanischen Führer,
die für ihr Volk kämpften, aber heute leuchtet hell das Licht in dieser
umstürzenden Welt. Afrikas Jugend, die jüngste der Welt, hat immense
Erwartungen. Das ist eine große Chance, vorausgesetzt, wir geben ihnen eine
Zukunft – indem wir dazu beitragen, Ingenieure, Forscher und Fachkräfte in
allen Bereichen auszubilden, von der Raumfahrt über die ländliche Entwicklung
bis hin zur Medizin.
Ende Juli war unser Mitarbeiter Sébastien Périmony einer der wenigen
westlichen Gäste auf dem Rußland-Afrika-Forum in Sankt
Petersburg.2 Er nahm teil an der Begeisterung für einen neuen
Ansatz jenseits von Kolonialismus und Neokolonialismus. Nicht gegen
Frankreich, sondern im Gegenteil, damit es seinen gebührenden Platz in der
kommenden Welt einnehmen kann, vorausgesetzt, daß es unserer Friedensbewegung
und der Vernunft der führenden Politiker der Welt gelingt, einen Krieg zu
verhindern. Ich selbst habe mich lange mit den Ideen von Cheikh Anta Diop
beschäftigt und hoffe heute, daß die Universität, die seinen Namen trägt, im
Zuge des Aufbruchs Senegals und Frankreichs wirklich zum lebendigen Ausdruck
all dessen wird, was er sich erhofft hat: Die Zeit scheint reif zu sein für
einen Dialog der Zivilisationen und Kulturen.
Ich sehe die Frage schon kommen: „Ist es vernünftig und möglich, Ihnen zu
glauben, angesichts der derzeitigen französischen Regierung und der
Präsidentschaft von Emmanuel Macron?“ Die Antwort ist nein, wenn wir in einer
fixen Welt denken. Solidarité & Progrès und das
Schiller-Institut tragen ihren Teil zur Dynamik der kommenden Welt bei.
Die eine als politische Partei in Frankreich, die andere als Quelle der
Inspiration und des Handelns weltweit. Die Kriegstrommeln sind in der Ferne zu
hören, und diejenigen, die sie nicht hören wollen, können nicht verhindern,
daß sie immer näher kommen.
Anmerkungen
1. Der CFA Franc ist an den Franc bzw. heute den Euro gebunden – über die
zentralafrikanische Währung CFA-Franc BEAC bzw. die westafrikanische Währung
CFA-Franc BCEAO.
2. Vgl. Neue Solidarität 34/2023.