"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Ein weiterer Sieg in Afrikas Kampf um Entwicklung

Das Julius-Nyerere-Wasserkraftwerk in Tansania geht in Betrieb

Von Dean Andromidas

Der März 2024 bringt für Tansania und ganz Afrika einen großen Sieg im Kampf um die wirtschaftliche Entwicklung, in dessen Mittelpunkt der Kampf um den allgemeinen Zugang zu Elektrizität steht: Die Inbetriebnahme des neuen Wasserkraftprojekts Julius Nyerere Hydroelectric Power Project (JNHPP), eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte Tansanias, wird die Stromversorgungskapazität des Landes um mehr als 130% erhöhen. Im Dezember und Januar wurden automatische An- und Abschalttests für den Anschluß und alle anderen Betriebsfunktionen durchgeführt, die ersten der neun Turbinen des JNHPP wurden bereits in Betrieb genommen und haben angefangen, Strom in das nationale Netz einzuspeisen. Der Stausee hinter dem Damm, der sich seit 2022 füllt, wird letztendlich rund 34 Milliarden Kubikmeter Wasser speichern.

© The Arab Contractors Company

Das Julius-Nyerere-Wasserkraftwerk am Rafiji-Fluß. Seine Inbetriebnahme erhöht Tansanias Stromerzeugungskapazität um mehr als 130%, von 1,6 GW auf mehr als 3,7 GW.

Die installierte Leistung des JNHPP von 2115 MW wird die Stromerzeugungs­kapazität Tansanias von 1,6 GW auf mehr als 3,7 GW erhöhen und es dem Land ermöglichen, mit einer jährlichen Stromerzeugung von 5920 GWh universellen Zugang zu Elektrizität zu schaffen. Gegenwärtig haben nur 40% der Bevölkerung einen Stromanschluß, und bei denjenigen, die einen haben, kommt es immer wieder zu Stromausfällen. Die neue Strommenge wird Industrie, Landwirtschaft, Schulen und Gesundheitszentren versorgen.

Das JNHPP ist der neuntgrößte Staudamm der Welt und der viertgrößte in Afrika. Es wurde am Rufiji-Fluß – dem größten Fluß Tansanias – errichtet und befindet sich seit 2019 im Bau. Der Bau selbst schuf Arbeitsplätze für 8000 Tansanier sowie 1000 Ägypter und andere ausländische Arbeitskräfte. Der Damm kostet 2,9 Mrd.$ und ist 1025 Meter lang. Er wird nicht nur eine enorme Stromerzeugung ermöglichen, sondern auch Überschwemmungen eindämmen und die landwirtschaftliche Produktivität verbessern.

Ein panafrikanisches Projekt

Das JNHPP ist ein weiterer Erfolg in und für Afrika. Wie wir in diesem Artikel zeigen werden, stand das Projekt unter internationalem „Beschuß“, und die Weltbank und die westlichen Finanzinstitutionen boykottierten praktisch die Finanzierung, weil es im Selous-Wildreservat gebaut werden sollte, mit dem absurden und offensichtlich malthusianischen Argument, es gebe keine Nachfrage nach so viel Strom – während 30 Millionen Tansanier keinen Stromanschluß haben!

Diese massive Hürde wurde dank direkter Verhandlungen des damaligen Staatspräsidenten Tansanias, dem seither verstorbenen John Magufuli, und dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah El-Sisi überwunden. Sisi war enthusiastisch und bot eine panafrikanische Lösung an. Das staatliche ägyptische Tiefbauunternehmen Arab Contractors und der private ägyptische multinationale Konzern Elsewedy Electric übernahmen das Projekt. Da Afrika noch keine eigenen Turbinengeneratoren herstellt, wurden die neun Turbinen von der staatlichen chinesischen Dongfang Electric Corporation (die auch die Generatoren für den berühmten Drei-Schluchten-Damm in China lieferte) geliefert und installiert. Die chinesische TEBA Company baute das Umspannwerk, das den Strom aus dem JNHPP ins Netz einspeisen wird.

Die Finanzierung des Projekts erfolgte über den tansanischen Staatshaushalt mit Darlehen der Afrikanischen Export-Import-Bank und tansanischer Finanzinstitute. Eigentümer und Betreiber des Kraftwerks wird die staatliche Tanzania Electric Supply Company Limited (TANESCO) sein.

Ägypten beteiligt sich aber nicht nur am JNHPP, es liefert auch die erforderliche Ausrüstung für den landesweiten Ausbau des tansanischen Stromnetzes. Ägypten baut Kapazitäten für den Export solcher Ausrüstungen in andere afrikanische Länder auf, die ihre Stromnetze ausbauen und an einer flächendeckenden Elektrifizierung arbeiten. In Tansania wird eigens dafür ein riesiges Industriegebiet gebaut. Elsewedy Industrial Development (SD), eine Tochtergesellschaft von Elsewedy Electric, errichtet in Kibaha nahe der Küste des Indischen Ozeans, 169 km nordöstlich des JNHPP, die Elsewedy Industrial City (EIC). Der Komplex wird Fabriken zur Herstellung von Transformatoren, Kabeln, Drähten, PVC und Zählern umfassen – alles, was benötigt wird, um das gesamte Land und den Rest Afrikas mit Strom zu versorgen. Das Projekt soll Investitionen in Höhe von 400 Mio.$ anziehen und letztlich 50.000 Menschen beschäftigen.

© Tanzania Ports Authority

Das 20 Hektar große Logistikzentrum Kwala Dry Port, das die wirtschaftliche Entwicklung fördern und den Handel mit Sambia ausweiten soll, wird in der Nähe der neuen Industriestadt Elsewedy gebaut.

Die EIC liegt 15 km vom Logistikzentrum Kwala Dry Port entfernt, wo die Regierung eine neue Satellitenstadt und einen Industriekomplex baut, und es wird eine neue Stadt mit allen Annehmlichkeiten sein. Der Standort liegt auch an der neuen Normalspurbahn, die direkten Zugang zu Daressalam, dem Handels­zentrum und der größten Stadt des Landes, verschafft. Nach ihrer Fertig­stellung wird diese Bahnstrecke rund 2000 km lang sein und als Entwick­lungs­korridor dienen, der Daressalam am Indischen Ozean mit Burundi und Ruanda verbindet, von wo aus die Bahnstrecke weiter in die Demokratische Republik Kongo führen wird. (Auf der Webseite von Arab Contractors finden sich sehr informative Videos über das Projekt.)

Tansanias Kampf gegen die Malthusianer

Das JNHPP wurde schon entworfen, sobald Tansania im Dezember 1963 seine Unabhängigkeit erlangte. Wenn es gleich in den 60er Jahren gebaut worden wäre, dann hätte Tansania auf einer Stufe mit Ägypten und Ghana gestanden, die zu der Zeit den Assuan-Staudamm am Nil und den Akosombo-Staudamm am Volta-Fluß errichteten, was den beiden Ländern den ersten großen Schub in der Strom- und Wasserwirtschaft gab. Der Bau des Staudamms scheiterte nicht nur an fehlenden Geldmitteln, sondern nicht zuletzt auch an einer Mobilisierung der Umweltbewegung im Dienste einer malthusianischen Politik, die Afrika das Menschenrecht auf wirtschaftliche Entwicklung verweigerte.

Das Hauptargument für die Sabotage des Projektes war der Standort des Staudamms im Selous-Wildreservat, einem UNESCO-Welterbe. Eine jahrelange pseudo-ökologische Mobilisierung zielte darauf ab, alle großen Staudammprojekte in Afrika zu sabotieren. Gleichzeitig sorgten die harten „Strukturreformen“ des IWF dafür, daß Afrika die nötigen Kredite für seine Entwicklung verweigert wurden. Später verschmolz diese Kampagne mit dem betrügerischen „Klimaschutz“, der als Vorwand dafür dient, Hunderttausende von Quadratkilometern in ganz Afrika für die Wirtschaftsentwicklung zu sperren – dabei ist Afrika schon der Kontinent mit den größten Naturschutzgebieten der Welt, produziert aber ganze 3% des weltweiten CO2-Ausstoßes!

Vergleichen wir als Beispiel Tansania mit Frankreich. Frankreich hat 67 Millionen Einwohner, vergleichbar mit den 63 Millionen Einwohnern Tansanias. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Frankreich beträgt 41.000 €, in Tansania sind es umgerechnet 7.000 €. Die Landfläche Frankreichs beträgt 551.500 km², mit Überseegebieten 643.800 km², die Fläche Tansanias 945.000 km². Frankreich verfügt über eine installierte Stromerzeugungskapazität von etwa 60 GW. Tansania hatte bisher 1,6 GW, mit dem JNHEP kommen weitere 2,2 GW dazu. Das Land wird in den nächsten zehn Jahren noch viel mehr benötigen.

Ein weiterer nützlicher Vergleich ist Ägypten, ein Land mit fast 110 Millionen Einwohnern. Als das Land vor einem Jahrzehnt seine ehrgeizige Strategie zur industriellen Entwicklung einleitete, litt es unter einem massiven Strommangel. Seitdem hat das Land seine Kapazität drastisch erhöht, von 36 GW im Jahr 2015 auf mehr als 59 GW im Jahr 2022, und heute exportiert es sogar Strom, hauptsächlich nach Jordanien und Libyen. Die Hälfte des Zuwachses entfällt auf drei von Siemens gebaute kombinierte Gasturbinenkraftwerke mit einer Leistung von 14,5 GW.

Was die Nationalparks betrifft: Frankreich hat 26.168 km² an Nationalparks, aber allein die Hälfte davon entfällt auf den Guayana-Amazonas-Park in Französisch-Guayana in Südamerika. Tansanias Nationalparks umfassen dagegen eine Fläche von 99.306 km² – das entspricht etwa der Fläche aller drei Benelux-Länder und der Schweiz zusammengenommen. Wenn man alle Schutzgebiete und Nationalwälder zusammenzählt, wo die Jagd und der Holzeinschlag streng begrenzt oder ganz verboten sind, so erhöht sich die Fläche auf 361.594 km², mehr als ein Drittel der Fläche des Landes und mehr als die gesamte Landfläche Deutschlands! Neben dem Selous-Wildreservat gibt es 21 weitere Nationalparks, darunter der Serengeti-Nationalpark, der viel bekannter, aber mit 14.763 km² viel kleiner als das Selous-Reservat ist.

Ein Wildreservat des Völkermords

Das Bild des 50.000 km2 großen Selous-Wildreservats als „von Menschenhand unberührter, natürlicher Lebensraum“ ist eine große und schreckliche Lüge. Das Reservat entstand als Teil eines systematischen Völkermords an den Vorfahren der heutigen Tansanier, die früher in diesem Gebiet lebten.

Der Völkermord begann schon vor Jahrhunderten, als die Region Teil des Hinterlandes der arabischen Handelskolonie und später des britischen Protektorats und der Kolonie Sansibar wurde. Dort war der berüchtigtste Sklavenmarkt des ostafrikanischen Sklavenhandels über den Indischen Ozean, der mit der Übernahme durch Portugiesen, Franzosen, Briten und andere Kolonialmächte noch zunahm. Auf diesem Markt wurden schätzungsweise 40-50.000 Menschen jährlich in die Sklaverei verkauft und wie Vieh per Schiff verfrachtet.

Das britische Parlament verabschiedete zwar 1833 ein Gesetz, das den Kauf und Besitz von Sklaven in den meisten Teilen des Empire untersagte, doch im „Kleingedruckten“ hieß es, dies werde nur schrittweise eingeführt und „Gebiete im Besitz der East India Company“, Ceylon (heute Sri Lanka) und St. Helena seien ausgenommen. Erst 1873 beendeten die Briten, die Sansibar inzwischen praktisch zum Protektorat gemacht hatten, den Sklavenhandel. Dahinter steckte aber keineswegs bloße Menschenfreundlichkeit. Die Briten brauchten die Afrikaner als Arbeitskräfte auf ihren Plantagen, die sie in ihren afrikanischen Kolonien anlegten, und sie hielten es für effizienter, gleich ganze Völker zu versklaven.

© CC/Bamse

Tansanias Nationalparks und Reservate (Stand: 2007)

Nachdem das Deutsche Reich sich in den 1880er Jahren das heutige Tansania, Ruanda und Burundi als Deutsch-Ostafrika angeeignet hatte, ging der Völkermord weiter. Deutschland schaffte zwar 1905 die Sklaverei ab, zwang aber die lokale Bevölkerung, Baumwolle für den Export anzubauen, was nicht nur mit systematischer Unterdrückung verbunden war, sondern auch zu Hungersnöten führte, weil die Bevölkerung Baumwolle statt Nahrungsmitteln anbauen mußte. Dies führte zum Maji-Maji-Aufstand 1905-07 im Süden Tansanias. Die Deutschen reagierten mit einem Völkermord, brannten Dörfer und Ernten nieder und töteten die Einwohner wahllos. Bis zu 300.000 Menschen kamen ums Leben, die meisten in der durch die „Befriedung“ ausgelösten Hungersnot.

1896 wies die deutsche Kolonialregierung das Gebiet des heutigen Selous-Wild­reservats als „Schutzgebiet“ aus. Wie wir gesehen haben, galt dieser „Schutz“ nicht den Menschen dort. 1905, inmitten des Maji-Maji-Aufstandes, wurde aus dem Territorium ein Jagdgebiet für die euro­päische Oberschicht gemacht. In der Frühphase des Ersten Weltkriegs wurde es zum Schlachtfeld zwischen Briten und Deutschen, was die lokale Bevölkerung noch weiter „ausdünnte“. Nach dem Krieg übernahmen die Briten die Kolonie als „Protektorat“ und benannten das Reservat nach Frederick C. Selous, einem englischen Großwildjäger, der im Kampf gegen die Deutschen gefallen war. Selous, der im Laufe seines Lebens 106 Elefanten erlegte, war auch ein guter Freund und zeitweise Geschäftspartner von Cecil Rhodes, mit dem er bei der Gründung der Kolonie Rhodesien (heute Simbabwe) zusammenarbeitete. Er organisierte auch Jagdexpeditionen für den amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt.

Gemeinfrei

Der britische Großwildjäger Frederick Courtenay Selous (1851-1917), nach dem das Selous-Wildreservat benannt wurde, bei einer Safari in den 1890er Jahren.

Der Völkermord endete auch nicht mit dem Abzug der Deutschen. Eine „geschützte“ Tierart in der Region ist die Wald-Tsetsefliege, die den Parasiten Rinder-Trypa­nosomiasis trägt, der Trypanosomen, Erreger der gefürchteten Schlafkrankheit, überträgt. 1945 führte eine solche Epidemie zu einer Massenevakuierung des Wangindo-Volkes, das die an das Reservat angren­zen­de Region bewohnte. Diese Region wurde dann dem Reservat angegliedert, so daß die Wangindo nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Heute leben dort nur noch ein paar tausend stets wechselnde Touristen, die Betreiber der Jagdhütten und -camps sowie die Wildhüter.

Der Kampf um Entwicklung: eine TVA für Tansania

Der spektakuläre Erfolg der Tennessee Valley Authority (TVA), die in den Vereinigten Staaten unter Präsident Franklin D. Roosevelt mitten in der wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre gegründet wurde und ein Gebiet von 80.000 km² umfaßte, wurde zum Vorbild für die postkolonialen Nationen Afrikas und Asiens. Schon die deutschen und britischen Kolonialherren interessierten sich für den Rufiji-Fluß und die Idee eines Staudamms an der Stiegler-Schlucht, es wurde aber nie realisiert. Die Schlucht im nördlichen Teil des Selous-Wildreservats, wo sich heute das JNHPP befindet, wurde nach dem deutschen Ingenieur Franz Stiegler benannt, der 1908 bei der Jagd in diesem Reservat von einem Elefanten getötet wurde.

In den 1950er Jahren führte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) die erste Studie des Rufiji-Beckens durch, das damals noch unter britischer Kolonialverwaltung stand. 1956 erklärten die Vereinten Nationen: „Die Entwicklung von Flußeinzugsgebieten ist heute als ein wesentliches Merkmal der wirtschaftlichen Entwicklung anerkannt.“

Die 1961, im Jahr der Unabhängigkeit Tansanias, abgeschlossene Studie empfahl die Erschließung des gesamten Rufiji-Beckens mit einem Mehrzweckdamm an der Stiegler-Schlucht und der Bewässerung von 200.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im unteren Einzugsgebiet.

1967 entsandte die U.S. Agency for International Development, die amerikanische Entwicklungshilfebehörde, ein Ingenieurteam der Wasserwirtschaftsbehörde (U.S. Bureau of Reclamation), um eine Studie durchzuführen und einen Plan nicht nur für das Einzugsgebiet des Rufiji, sondern für ganz Tansania zu erstellen. Die Experten empfahlen die Einrichtung eines Nationalen Wasserressourcenrats, der für alle Flußeinzugsgebiete des Landes zuständig sein sollte. Da sie den Rufiji als vielver­sprechend­sten Standort für ein Projekt nach dem Vorbild der TVA ansahen, empfahlen sie die Gründung einer Rufiji River Authority als unabhängige Behörde, nach dem Vorbild der TVA.

Kaiser Engineers International, ein Zweig des US-Unternehmens Kaiser Aluminum Corporation, erarbeitete ebenfalls einen Vorschlag. Kaiser war direkt am Bau des Akosombo-Damms in Ghana sowie an den Hoover- und Grand Coulee-Dämmen in den Vereinigten Staaten beteiligt gewesen. Dieser Vorschlag sah eine integrierte agro-industrielle Entwicklungsstrategie für die Region vor, die sich in das sozialistische Entwicklungskonzept von Präsident Julius Nyerere einfügen sollte.

Leider führten die Ausweitung des Vietnamkriegs sowie der Mangel an finanziellen Mitteln dazu, daß die US-Seite das Projekt nicht weiterverfolgte. In den 1970er Jahren wurde die norwegische Agentur für Entwicklungszusammenarbeit mit Arbeiten beauftragt, die ähnliche Empfehlungen aussprach und detaillierte Machbarkeits- und Designstudien erstellte. Aber alle Vorhaben scheiterten an der wenig später eintretenden Schuldenkrise der Dritten Welt, an den Strukturreformen des Weltwährungsfonds und am sog. „Washingtoner Konsens“. Wie bereits erwähnt, weigerte sich die Weltbank in den 1980er Jahren, das Projekt zu finanzieren, mit der völlig unehrlichen Begründung, es gebe keine große Nachfrage nach Strom in einem Land, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Stromanschluß hatte. In den 90er Jahren stellte die Weltbank die Finanzierung großer Staudammprojekte auf der ganzen Welt ein.

1982 wurde das Selous-Wildreservat von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, um das Staudammprojekt in der Stiegler-Schlucht für immer zu begraben. Zumindest hofften das die Malthusianer.

Die pseudo-ökologische Bewegung, angeführt vom World Wildlife Fund (WWF) und finanziert von oligarchischen Finanz­interessen wie der Rockefeller Foundation, stülpte ihrer malthusianischen Politik den „Naturschutz“ als Tarnmäntelchen über. Es sind die inzwischen sattsam bekannten Scheinargumente: neben der angeblichen Gefährdung der Tier- und Pflanzenwelt die malthusianische Behauptung, der Damm würde die Lebensgrundlage von 150.000 Bauern im unteren Einzugsgebiet zerstören, weil es weniger Überschwemmungen gäbe, deren Schlamm die Bauern für die Düngung der Pflanzen bräuchten.

Die Überschwemmungen bringen zwar tatsächlich Schlamm mit sich, aber sie richten auch in regelmäßigen Abständen von sieben und 50 Jahren massive Zerstörungen an. Die großen Überschwemmungen von 1968 und 2002 verursachten riesige Schäden, in einigen Fällen ging das Wasser viele Wochen lang nicht zurück, zerstörte die ganzen Ernten und machte Tausende obdachlos. Der Schlamm mag die Fruchtbarkeit erhöhen, aber die typischen Reiserträge im Rufiji-Becken liegen zwischen 0,5 und 1,5 Tonnen pro Hektar und gehören damit zu den niedrigsten der Welt, weil es keinen Hochwasserschutz und keine Bewässerung gibt und die Bauern sich nicht genügend Dünger leisten können. Zum Vergleich: In Ländern wie den USA und Japan, wo der Reisanbau voll mechanisiert, bewässert und gedüngt ist, werden Erträge bis zu 10 Tonnen pro Hektar erzielt.

Und natürlich erwähnen diese besorgten Umweltschützer nicht die Tatsache, daß zwar 150.000 Bauern ihre Anbaumethoden ändern müssen (mit der Aussicht auf erheblich bessere Erträge), aber mehr als 30 Millionen Tansanier bald Strom haben werden. Sie ignorieren auch, daß die meisten jungen Menschen diese Farmen verlassen und in der Hoffnung auf bessere Zukunftschancen in die Städte ziehen.

Die Übernahme des chinesischen Modells

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts begann die tansanische Regierung nach zwei Jahrzehnten wirtschaftlicher Stagnation mit einer infrastrukturorientierten Entwicklungspolitik. Die Hauptziele waren eine rasche Ausweitung der Elektrifizierung, moderne Straßenverbindungen, ein Eisenbahnnetz mit Normalspur und hochmoderne Seehäfen, um das Land intern, regional und global zu integrieren. 2004 verabschiedete die Regierung die „Integrierte Industrielle Entwicklungsstrategie 2025“, deren Ziel es war, bis 2025 ein Land mit mittlerem Einkommen zu werden. Mit der Wahl von Jakaya Kikwete zum Präsidenten (2005-15) kurz danach kamen diese Infrastrukturprojekte in Gang.

Die Politik wurde von Kikwetes Nachfolger John Magufuli (2015-21), der den Spitznamen „Bulldozer“ trug und einen klar dirigistischen Ansatz für die Entwicklung des Landes verfolgte, noch energischer umgesetzt. Seit seinem Tod 2021 hat die derzeitige Präsidentin Samia Suluhu Hassan diese Politik fortgesetzt. Sie hat nicht nur das JNHPP weitergeführt, sie setzt sich auch für den Bau einer 50 km langen Brücke zwischen Tansania und der Insel Sansibar ein. Es wäre die längste Brücke Afrikas und die zweitlängste der Welt. Im letzten Jahrzehnt verzeichnete das Land jährliche Wachstumsraten von über 6%, und es gilt heute tatsächlich als Land mit mittlerem Einkommen.

Da Präsident Kikwete erkannte, daß es ohne billigen Strom keine wirtschaftliche Entwicklung geben konnte, griff er 2005 das Staudammprojekt Stiegler's Gorge auf, und die Regierung begann mit der Suche nach Bauunternehmen, die es auf privater Basis bauen würden. Unternehmen aus Südafrika und Kanada sowie die chinesische Sinohydro reichten Angebote ein, aber der brasilianische Odebrecht-Konzern machte das attraktivste Angebot. Odebrecht, das größte brasilianische Bauunternehmen, bot an, das Projekt zu bauen und selbst vorzufinanzieren, um das Geld später durch den Stromverkauf wieder hereinzuholen. Auch der brasilianische Präsident Lula da Silva, damals in seiner ersten Amtszeit (2003-10), befürwortete das Vorhaben. Lula besuchte Tansania 2010 zu Gesprächen mit Präsident Jakaya Kikwete im Rahmen seiner Bemühungen um die Förderung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen Afrika und Brasilien.

Odebrecht arbeitete detaillierte Pläne aus, die jedoch im Sande verliefen, weil sowohl Lula als auch Odebrecht Opfer des politisch motivierten Korruptionsskandals Lava Jato (Operation Car Wash) wurden und das US-Justizministerium Odebrecht unter dem Gesetz gegen Auslandskorruption ins Visier nahm. Lula kam ins Gefängnis und Odebrecht ging in Konkurs, und so geriet das Projekt erneut ins Stocken.

© UN/Antonio Fiorente

Tansanias Präsident John Pombe Joseph Magufuli (2015-21) verfolgte einen dirigistischen Ansatz zur wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes.

Als John Magufuli 2015 die Präsidentschaft übernahm, war er fest entschlossen, den Staudamm zu bauen – egal was die Weltbank und der WWF sagten. 2017 kündigte Magufuli an, daß das Projekt vollständig in staatlichem Besitz sein und aus dem Staatshaushalt finanziert würde. Als die ersten Ausschreibungen scheiterten, traf Magufuli 2018 mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah El Sisi zusammen, der die Idee begeistert unterstützte. Sisi leitete bereits ein umfangreiches Wirtschaftsentwicklungsprogramm für Ägypten, das genau auf demselben infrastrukturorientierten Ansatz beruhte. 2018 erhielt das ägyptische Unternehmen Arab Contractors den Auftrag zum Bau des Staudamms, und der Elektrokonzern Elsewedy war für die Elektrotechnik des Projekts verantwortlich. Das chinesische Unternehmen Dongfang Electric Co. wird die Generatoren sowie die 27 Transformatoren liefern. Sisi erklärte das Vorhaben zu einem Vorrangprojekt Ägyptens und demonstrierte damit sein Engagement zur Unterstützung der Länder des Nilbeckens in ihrem Streben nach Entwicklung und regionaler Integration, indem er die Geltung seines Amtes hinter das Projekt stellte.

Die Umweltschützer unternahmen noch einen letzten Versuch, die tansanische Regierung zu untergraben. Als das JNHPP-Projekt begann, forderte die private Nichtregierungsorganisation Environmental Investigation Agency (EIA) mit Sitz in London und Washington, die UNESCO förmlich auf, das Selous-Wildreservat von der Liste des Welterbes zu streichen. Das war ein unverhülltes Manöver gegen die tansanische Regierung, die das Wildreservat 2019 umstrukturiert hatte. Sie hatte es aufgeteilt in einen nördlichen Teil – den 30.000 km2 großen Julius-Nyerere-Nationalpark –, in dem der Staudamm gebaut wird, und einen südlichen Teil, das Selous-Wildreservat. Dessen Fläche wurde von 50.000 auf 44.000 km2 verkleinert, aber die gesamte „geschützte“ Fläche wurde damit unter dem Strich vergrößert.

Die UNESCO-Generaldirektorin, Audrey Azoulay, stellte sich auf die Seite der EIA und sagte: „Wir sind besorgt, daß die Entscheidung, den Bau des Stiegler-Damms voranzutreiben, wahrscheinlich verheerende und irreversible Auswirkungen auf das einzigartige Ökosystem des Selous haben wird...“ Doch im Juli 2021 gab die UNESCO schließlich offiziell nach, weil nicht nur die tansanische Regierung, sondern auch die afrikanischen Delegationen im UNESCO-Welterbe-Komitee sich gegen die Streichung des Selous aus der Liste aussprachen; darunter waren Äthiopien, Mali, Nigeria, Südafrika und Uganda, die den Bau des Staudamms vehement befürworteten und meistens große eigene Staudämme haben.

Die EIA wird hauptsächlich von europäischen Regierungen und aus privaten Quellen finanziert. Die Mitbegründerin Jennifer Lonsdale erhielt 2016 vom damaligen Prinzen und heutigen König Charles III. den Orden des Britischen Empire. Lonsdale hat ihren Ritterschlag bekommen, aber viel wichtiger ist, daß die Tansanier endlich Strom bekommen.