Ein weiterer Sieg in Afrikas Kampf um Entwicklung
Das Julius-Nyerere-Wasserkraftwerk in Tansania geht in Betrieb
Von Dean Andromidas
Der März 2024 bringt für Tansania und ganz Afrika einen großen Sieg im
Kampf um die wirtschaftliche Entwicklung, in dessen Mittelpunkt der Kampf um
den allgemeinen Zugang zu Elektrizität steht: Die Inbetriebnahme des neuen
Wasserkraftprojekts Julius Nyerere Hydroelectric Power Project (JNHPP), eines
der wichtigsten Infrastrukturprojekte Tansanias, wird die
Stromversorgungskapazität des Landes um mehr als 130% erhöhen. Im Dezember und
Januar wurden automatische An- und Abschalttests für den Anschluß und alle
anderen Betriebsfunktionen durchgeführt, die ersten der neun Turbinen des
JNHPP wurden bereits in Betrieb genommen und haben angefangen, Strom in das
nationale Netz einzuspeisen. Der Stausee hinter dem Damm, der sich seit 2022
füllt, wird letztendlich rund 34 Milliarden Kubikmeter Wasser speichern.
© The Arab Contractors Company
Das Julius-Nyerere-Wasserkraftwerk am Rafiji-Fluß. Seine Inbetriebnahme
erhöht Tansanias Stromerzeugungskapazität um mehr als 130%, von 1,6 GW auf mehr als 3,7 GW.
Die installierte Leistung des JNHPP von 2115 MW wird die
Stromerzeugungskapazität Tansanias von 1,6 GW auf mehr als 3,7 GW erhöhen
und es dem Land ermöglichen, mit einer jährlichen Stromerzeugung von 5920 GWh
universellen Zugang zu Elektrizität zu schaffen. Gegenwärtig haben nur 40% der
Bevölkerung einen Stromanschluß, und bei denjenigen, die einen haben, kommt es
immer wieder zu Stromausfällen. Die neue Strommenge wird Industrie,
Landwirtschaft, Schulen und Gesundheitszentren versorgen.
Das JNHPP ist der neuntgrößte Staudamm der Welt und der viertgrößte in
Afrika. Es wurde am Rufiji-Fluß – dem größten Fluß Tansanias – errichtet und
befindet sich seit 2019 im Bau. Der Bau selbst schuf Arbeitsplätze für 8000
Tansanier sowie 1000 Ägypter und andere ausländische Arbeitskräfte. Der Damm
kostet 2,9 Mrd.$ und ist 1025 Meter lang. Er wird nicht nur eine enorme
Stromerzeugung ermöglichen, sondern auch Überschwemmungen eindämmen und die
landwirtschaftliche Produktivität verbessern.
Ein panafrikanisches Projekt
Das JNHPP ist ein weiterer Erfolg in und für Afrika. Wie wir in diesem
Artikel zeigen werden, stand das Projekt unter internationalem „Beschuß“, und
die Weltbank und die westlichen Finanzinstitutionen boykottierten praktisch
die Finanzierung, weil es im Selous-Wildreservat gebaut werden sollte, mit dem
absurden und offensichtlich malthusianischen Argument, es gebe keine Nachfrage
nach so viel Strom – während 30 Millionen Tansanier keinen Stromanschluß
haben!
Diese massive Hürde wurde dank direkter Verhandlungen des damaligen
Staatspräsidenten Tansanias, dem seither verstorbenen John Magufuli, und dem
ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah El-Sisi überwunden. Sisi war
enthusiastisch und bot eine panafrikanische Lösung an. Das staatliche
ägyptische Tiefbauunternehmen Arab Contractors und der private ägyptische
multinationale Konzern Elsewedy Electric übernahmen das Projekt. Da Afrika
noch keine eigenen Turbinengeneratoren herstellt, wurden die neun Turbinen von
der staatlichen chinesischen Dongfang Electric Corporation (die auch die
Generatoren für den berühmten Drei-Schluchten-Damm in China lieferte)
geliefert und installiert. Die chinesische TEBA Company baute das Umspannwerk,
das den Strom aus dem JNHPP ins Netz einspeisen wird.
Die Finanzierung des Projekts erfolgte über den tansanischen Staatshaushalt
mit Darlehen der Afrikanischen Export-Import-Bank und tansanischer
Finanzinstitute. Eigentümer und Betreiber des Kraftwerks wird die staatliche
Tanzania Electric Supply Company Limited (TANESCO) sein.
Ägypten beteiligt sich aber nicht nur am JNHPP, es liefert auch die
erforderliche Ausrüstung für den landesweiten Ausbau des tansanischen
Stromnetzes. Ägypten baut Kapazitäten für den Export solcher Ausrüstungen in
andere afrikanische Länder auf, die ihre Stromnetze ausbauen und an einer
flächendeckenden Elektrifizierung arbeiten. In Tansania wird eigens dafür ein
riesiges Industriegebiet gebaut. Elsewedy Industrial Development (SD), eine
Tochtergesellschaft von Elsewedy Electric, errichtet in Kibaha nahe der Küste
des Indischen Ozeans, 169 km nordöstlich des JNHPP, die Elsewedy Industrial
City (EIC). Der Komplex wird Fabriken zur Herstellung von Transformatoren,
Kabeln, Drähten, PVC und Zählern umfassen – alles, was benötigt wird, um das
gesamte Land und den Rest Afrikas mit Strom zu versorgen. Das Projekt soll
Investitionen in Höhe von 400 Mio.$ anziehen und letztlich 50.000 Menschen
beschäftigen.
© Tanzania Ports Authority
Das 20 Hektar große Logistikzentrum Kwala Dry Port, das die wirtschaftliche
Entwicklung fördern und den Handel mit Sambia ausweiten soll, wird in der Nähe
der neuen Industriestadt Elsewedy gebaut.
Die EIC liegt 15 km vom Logistikzentrum Kwala Dry Port entfernt, wo die
Regierung eine neue Satellitenstadt und einen Industriekomplex baut, und es
wird eine neue Stadt mit allen Annehmlichkeiten sein. Der Standort liegt auch
an der neuen Normalspurbahn, die direkten Zugang zu Daressalam, dem
Handelszentrum und der größten Stadt des Landes, verschafft. Nach ihrer
Fertigstellung wird diese Bahnstrecke rund 2000 km lang sein und als
Entwicklungskorridor dienen, der Daressalam am Indischen Ozean mit Burundi und
Ruanda verbindet, von wo aus die Bahnstrecke weiter in die Demokratische
Republik Kongo führen wird. (Auf der Webseite von Arab Contractors finden sich
sehr informative Videos über das Projekt.)
Tansanias Kampf gegen die Malthusianer
Das JNHPP wurde schon entworfen, sobald Tansania im Dezember 1963 seine
Unabhängigkeit erlangte. Wenn es gleich in den 60er Jahren gebaut worden wäre,
dann hätte Tansania auf einer Stufe mit Ägypten und Ghana gestanden, die zu
der Zeit den Assuan-Staudamm am Nil und den Akosombo-Staudamm am Volta-Fluß
errichteten, was den beiden Ländern den ersten großen Schub in der Strom- und
Wasserwirtschaft gab. Der Bau des Staudamms scheiterte nicht nur an fehlenden
Geldmitteln, sondern nicht zuletzt auch an einer Mobilisierung der
Umweltbewegung im Dienste einer malthusianischen Politik, die Afrika das
Menschenrecht auf wirtschaftliche Entwicklung verweigerte.
Das Hauptargument für die Sabotage des Projektes war der Standort des
Staudamms im Selous-Wildreservat, einem UNESCO-Welterbe. Eine jahrelange
pseudo-ökologische Mobilisierung zielte darauf ab, alle großen
Staudammprojekte in Afrika zu sabotieren. Gleichzeitig sorgten die harten
„Strukturreformen“ des IWF dafür, daß Afrika die nötigen Kredite für seine
Entwicklung verweigert wurden. Später verschmolz diese Kampagne mit dem
betrügerischen „Klimaschutz“, der als Vorwand dafür dient, Hunderttausende von
Quadratkilometern in ganz Afrika für die Wirtschaftsentwicklung zu sperren –
dabei ist Afrika schon der Kontinent mit den größten Naturschutzgebieten der
Welt, produziert aber ganze 3% des weltweiten CO2-Ausstoßes!
Vergleichen wir als Beispiel Tansania mit Frankreich. Frankreich hat 67
Millionen Einwohner, vergleichbar mit den 63 Millionen Einwohnern Tansanias.
Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Frankreich beträgt 41.000 €, in
Tansania sind es umgerechnet 7.000 €. Die Landfläche Frankreichs beträgt
551.500 km², mit Überseegebieten 643.800 km², die Fläche Tansanias 945.000
km². Frankreich verfügt über eine installierte Stromerzeugungskapazität von
etwa 60 GW. Tansania hatte bisher 1,6 GW, mit dem JNHEP kommen weitere 2,2 GW
dazu. Das Land wird in den nächsten zehn Jahren noch viel mehr benötigen.
Ein weiterer nützlicher Vergleich ist Ägypten, ein Land mit fast 110
Millionen Einwohnern. Als das Land vor einem Jahrzehnt seine ehrgeizige
Strategie zur industriellen Entwicklung einleitete, litt es unter einem
massiven Strommangel. Seitdem hat das Land seine Kapazität drastisch erhöht,
von 36 GW im Jahr 2015 auf mehr als 59 GW im Jahr 2022, und heute exportiert
es sogar Strom, hauptsächlich nach Jordanien und Libyen. Die Hälfte des
Zuwachses entfällt auf drei von Siemens gebaute kombinierte
Gasturbinenkraftwerke mit einer Leistung von 14,5 GW.
Was die Nationalparks betrifft: Frankreich hat 26.168 km² an Nationalparks,
aber allein die Hälfte davon entfällt auf den Guayana-Amazonas-Park in
Französisch-Guayana in Südamerika. Tansanias Nationalparks umfassen dagegen
eine Fläche von 99.306 km² – das entspricht etwa der Fläche aller drei
Benelux-Länder und der Schweiz zusammengenommen. Wenn man alle Schutzgebiete
und Nationalwälder zusammenzählt, wo die Jagd und der Holzeinschlag streng
begrenzt oder ganz verboten sind, so erhöht sich die Fläche auf 361.594 km²,
mehr als ein Drittel der Fläche des Landes und mehr als die gesamte Landfläche
Deutschlands! Neben dem Selous-Wildreservat gibt es 21 weitere Nationalparks,
darunter der Serengeti-Nationalpark, der viel bekannter, aber mit 14.763 km²
viel kleiner als das Selous-Reservat ist.
Ein Wildreservat des Völkermords
Das Bild des 50.000 km2 großen Selous-Wildreservats als „von
Menschenhand unberührter, natürlicher Lebensraum“ ist eine große und
schreckliche Lüge. Das Reservat entstand als Teil eines systematischen
Völkermords an den Vorfahren der heutigen Tansanier, die früher in diesem
Gebiet lebten.
Der Völkermord begann schon vor Jahrhunderten, als die Region Teil des
Hinterlandes der arabischen Handelskolonie und später des britischen
Protektorats und der Kolonie Sansibar wurde. Dort war der berüchtigtste
Sklavenmarkt des ostafrikanischen Sklavenhandels über den Indischen Ozean, der
mit der Übernahme durch Portugiesen, Franzosen, Briten und andere
Kolonialmächte noch zunahm. Auf diesem Markt wurden schätzungsweise 40-50.000
Menschen jährlich in die Sklaverei verkauft und wie Vieh per Schiff
verfrachtet.
Das britische Parlament verabschiedete zwar 1833 ein Gesetz, das den Kauf
und Besitz von Sklaven in den meisten Teilen des Empire untersagte, doch im
„Kleingedruckten“ hieß es, dies werde nur schrittweise eingeführt und „Gebiete
im Besitz der East India Company“, Ceylon (heute Sri Lanka) und St. Helena
seien ausgenommen. Erst 1873 beendeten die Briten, die Sansibar inzwischen
praktisch zum Protektorat gemacht hatten, den Sklavenhandel. Dahinter steckte
aber keineswegs bloße Menschenfreundlichkeit. Die Briten brauchten die
Afrikaner als Arbeitskräfte auf ihren Plantagen, die sie in ihren
afrikanischen Kolonien anlegten, und sie hielten es für effizienter, gleich
ganze Völker zu versklaven.
© CC/Bamse
Tansanias Nationalparks und Reservate (Stand: 2007)
Nachdem das Deutsche Reich sich in den 1880er Jahren das heutige Tansania,
Ruanda und Burundi als Deutsch-Ostafrika angeeignet hatte, ging der Völkermord
weiter. Deutschland schaffte zwar 1905 die Sklaverei ab, zwang aber die lokale
Bevölkerung, Baumwolle für den Export anzubauen, was nicht nur mit
systematischer Unterdrückung verbunden war, sondern auch zu Hungersnöten
führte, weil die Bevölkerung Baumwolle statt Nahrungsmitteln anbauen mußte.
Dies führte zum Maji-Maji-Aufstand 1905-07 im Süden Tansanias. Die Deutschen
reagierten mit einem Völkermord, brannten Dörfer und Ernten nieder und töteten
die Einwohner wahllos. Bis zu 300.000 Menschen kamen ums Leben, die meisten in
der durch die „Befriedung“ ausgelösten Hungersnot.
1896 wies die deutsche Kolonialregierung das Gebiet des heutigen
Selous-Wildreservats als „Schutzgebiet“ aus. Wie wir gesehen haben, galt
dieser „Schutz“ nicht den Menschen dort. 1905, inmitten des
Maji-Maji-Aufstandes, wurde aus dem Territorium ein Jagdgebiet für die
europäische Oberschicht gemacht. In der Frühphase des Ersten Weltkriegs
wurde es zum Schlachtfeld zwischen Briten und Deutschen, was die lokale
Bevölkerung noch weiter „ausdünnte“. Nach dem Krieg übernahmen die Briten die
Kolonie als „Protektorat“ und benannten das Reservat nach Frederick C. Selous,
einem englischen Großwildjäger, der im Kampf gegen die Deutschen gefallen war.
Selous, der im Laufe seines Lebens 106 Elefanten erlegte, war auch ein guter
Freund und zeitweise Geschäftspartner von Cecil Rhodes, mit dem er bei der
Gründung der Kolonie Rhodesien (heute Simbabwe) zusammenarbeitete. Er
organisierte auch Jagdexpeditionen für den amerikanischen Präsidenten Theodore
Roosevelt.
Gemeinfrei
Der britische Großwildjäger Frederick Courtenay Selous (1851-1917), nach
dem das Selous-Wildreservat benannt wurde, bei einer Safari in den 1890er
Jahren.
Der Völkermord endete auch nicht mit dem Abzug der Deutschen. Eine
„geschützte“ Tierart in der Region ist die Wald-Tsetsefliege, die den
Parasiten Rinder-Trypanosomiasis trägt, der Trypanosomen, Erreger der
gefürchteten Schlafkrankheit, überträgt. 1945 führte eine solche Epidemie zu
einer Massenevakuierung des Wangindo-Volkes, das die an das Reservat
angrenzende Region bewohnte. Diese Region wurde dann dem Reservat
angegliedert, so daß die Wangindo nicht in ihre Heimat zurückkehren
konnten.
Heute leben dort nur noch ein paar tausend stets wechselnde Touristen, die
Betreiber der Jagdhütten und -camps sowie die Wildhüter.
Der Kampf um Entwicklung: eine TVA für Tansania
Der spektakuläre Erfolg der Tennessee Valley Authority (TVA), die in den
Vereinigten Staaten unter Präsident Franklin D. Roosevelt mitten in der
wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre gegründet wurde und ein Gebiet
von 80.000 km² umfaßte, wurde zum Vorbild für die postkolonialen Nationen
Afrikas und Asiens. Schon die deutschen und britischen Kolonialherren
interessierten sich für den Rufiji-Fluß und die Idee eines Staudamms an der
Stiegler-Schlucht, es wurde aber nie realisiert. Die Schlucht im nördlichen
Teil des Selous-Wildreservats, wo sich heute das JNHPP befindet, wurde nach
dem deutschen Ingenieur Franz Stiegler benannt, der 1908 bei der Jagd in
diesem Reservat von einem Elefanten getötet wurde.
In den 1950er Jahren führte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (FAO) die erste Studie des Rufiji-Beckens durch, das
damals noch unter britischer Kolonialverwaltung stand. 1956 erklärten die
Vereinten Nationen: „Die Entwicklung von Flußeinzugsgebieten ist heute als ein
wesentliches Merkmal der wirtschaftlichen Entwicklung anerkannt.“
Die 1961, im Jahr der Unabhängigkeit Tansanias, abgeschlossene Studie
empfahl die Erschließung des gesamten Rufiji-Beckens mit einem Mehrzweckdamm
an der Stiegler-Schlucht und der Bewässerung von 200.000 Hektar
landwirtschaftlicher Nutzfläche im unteren Einzugsgebiet.
1967 entsandte die U.S. Agency for International Development, die
amerikanische Entwicklungshilfebehörde, ein Ingenieurteam der
Wasserwirtschaftsbehörde (U.S. Bureau of Reclamation), um eine Studie
durchzuführen und einen Plan nicht nur für das Einzugsgebiet des Rufiji,
sondern für ganz Tansania zu erstellen. Die Experten empfahlen die Einrichtung
eines Nationalen Wasserressourcenrats, der für alle Flußeinzugsgebiete des
Landes zuständig sein sollte. Da sie den Rufiji als vielversprechendsten
Standort für ein Projekt nach dem Vorbild der TVA ansahen, empfahlen sie die
Gründung einer Rufiji River Authority als unabhängige Behörde, nach dem
Vorbild der TVA.
Kaiser Engineers International, ein Zweig des US-Unternehmens Kaiser
Aluminum Corporation, erarbeitete ebenfalls einen Vorschlag. Kaiser war direkt
am Bau des Akosombo-Damms in Ghana sowie an den Hoover- und Grand
Coulee-Dämmen in den Vereinigten Staaten beteiligt gewesen. Dieser Vorschlag
sah eine integrierte agro-industrielle Entwicklungsstrategie für die Region
vor, die sich in das sozialistische Entwicklungskonzept von Präsident Julius
Nyerere einfügen sollte.
Leider führten die Ausweitung des Vietnamkriegs sowie der Mangel an
finanziellen Mitteln dazu, daß die US-Seite das Projekt nicht weiterverfolgte.
In den 1970er Jahren wurde die norwegische Agentur für
Entwicklungszusammenarbeit mit Arbeiten beauftragt, die ähnliche Empfehlungen
aussprach und detaillierte Machbarkeits- und Designstudien erstellte. Aber
alle Vorhaben scheiterten an der wenig später eintretenden Schuldenkrise der
Dritten Welt, an den Strukturreformen des Weltwährungsfonds und am sog.
„Washingtoner Konsens“. Wie bereits erwähnt, weigerte sich die Weltbank in den
1980er Jahren, das Projekt zu finanzieren, mit der völlig unehrlichen
Begründung, es gebe keine große Nachfrage nach Strom in einem Land, in dem die
große Mehrheit der Bevölkerung keinen Stromanschluß hatte. In den 90er Jahren
stellte die Weltbank die Finanzierung großer Staudammprojekte auf der ganzen
Welt ein.
1982 wurde das Selous-Wildreservat von der UNESCO zum Weltkulturerbe
erklärt, um das Staudammprojekt in der Stiegler-Schlucht für immer zu
begraben. Zumindest hofften das die Malthusianer.
Die pseudo-ökologische Bewegung, angeführt vom World Wildlife Fund (WWF)
und finanziert von oligarchischen Finanzinteressen wie der Rockefeller
Foundation, stülpte ihrer malthusianischen Politik den „Naturschutz“ als
Tarnmäntelchen über. Es sind die inzwischen sattsam bekannten Scheinargumente:
neben der angeblichen Gefährdung der Tier- und Pflanzenwelt die
malthusianische Behauptung, der Damm würde die Lebensgrundlage von 150.000
Bauern im unteren Einzugsgebiet zerstören, weil es weniger Überschwemmungen
gäbe, deren Schlamm die Bauern für die Düngung der Pflanzen bräuchten.
Die Überschwemmungen bringen zwar tatsächlich Schlamm mit sich, aber sie
richten auch in regelmäßigen Abständen von sieben und 50 Jahren massive
Zerstörungen an. Die großen Überschwemmungen von 1968 und 2002 verursachten
riesige Schäden, in einigen Fällen ging das Wasser viele Wochen lang nicht
zurück, zerstörte die ganzen Ernten und machte Tausende obdachlos. Der Schlamm
mag die Fruchtbarkeit erhöhen, aber die typischen Reiserträge im Rufiji-Becken
liegen zwischen 0,5 und 1,5 Tonnen pro Hektar und gehören damit zu den
niedrigsten der Welt, weil es keinen Hochwasserschutz und keine Bewässerung
gibt und die Bauern sich nicht genügend Dünger leisten können. Zum Vergleich:
In Ländern wie den USA und Japan, wo der Reisanbau voll mechanisiert,
bewässert und gedüngt ist, werden Erträge bis zu 10 Tonnen pro Hektar
erzielt.
Und natürlich erwähnen diese besorgten Umweltschützer nicht die Tatsache,
daß zwar 150.000 Bauern ihre Anbaumethoden ändern müssen (mit der Aussicht auf
erheblich bessere Erträge), aber mehr als 30 Millionen Tansanier bald Strom
haben werden. Sie ignorieren auch, daß die meisten jungen Menschen diese
Farmen verlassen und in der Hoffnung auf bessere Zukunftschancen in die Städte
ziehen.
Die Übernahme des chinesischen Modells
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts begann die tansanische Regierung nach zwei
Jahrzehnten wirtschaftlicher Stagnation mit einer infrastrukturorientierten
Entwicklungspolitik. Die Hauptziele waren eine rasche Ausweitung der
Elektrifizierung, moderne Straßenverbindungen, ein Eisenbahnnetz mit
Normalspur und hochmoderne Seehäfen, um das Land intern, regional und global
zu integrieren. 2004 verabschiedete die Regierung die „Integrierte
Industrielle Entwicklungsstrategie 2025“, deren Ziel es war, bis 2025 ein Land
mit mittlerem Einkommen zu werden. Mit der Wahl von Jakaya Kikwete zum
Präsidenten (2005-15) kurz danach kamen diese Infrastrukturprojekte in
Gang.
Die Politik wurde von Kikwetes Nachfolger John Magufuli (2015-21), der den
Spitznamen „Bulldozer“ trug und einen klar dirigistischen Ansatz für die
Entwicklung des Landes verfolgte, noch energischer umgesetzt. Seit seinem Tod
2021 hat die derzeitige Präsidentin Samia Suluhu Hassan diese Politik
fortgesetzt. Sie hat nicht nur das JNHPP weitergeführt, sie setzt sich auch
für den Bau einer 50 km langen Brücke zwischen Tansania und der Insel Sansibar
ein. Es wäre die längste Brücke Afrikas und die zweitlängste der Welt. Im
letzten Jahrzehnt verzeichnete das Land jährliche Wachstumsraten von über 6%,
und es gilt heute tatsächlich als Land mit mittlerem Einkommen.
Da Präsident Kikwete erkannte, daß es ohne billigen Strom keine
wirtschaftliche Entwicklung geben konnte, griff er 2005 das Staudammprojekt
Stiegler's Gorge auf, und die Regierung begann mit der Suche nach
Bauunternehmen, die es auf privater Basis bauen würden. Unternehmen aus
Südafrika und Kanada sowie die chinesische Sinohydro reichten Angebote ein,
aber der brasilianische Odebrecht-Konzern machte das attraktivste Angebot.
Odebrecht, das größte brasilianische Bauunternehmen, bot an, das Projekt zu
bauen und selbst vorzufinanzieren, um das Geld später durch den Stromverkauf
wieder hereinzuholen. Auch der brasilianische Präsident Lula da Silva, damals
in seiner ersten Amtszeit (2003-10), befürwortete das Vorhaben. Lula besuchte
Tansania 2010 zu Gesprächen mit Präsident Jakaya Kikwete im Rahmen seiner
Bemühungen um die Förderung der wirtschaftlichen und politischen
Zusammenarbeit zwischen Afrika und Brasilien.
Odebrecht arbeitete detaillierte Pläne aus, die jedoch im Sande verliefen,
weil sowohl Lula als auch Odebrecht Opfer des politisch motivierten
Korruptionsskandals Lava Jato (Operation Car Wash) wurden und das
US-Justizministerium Odebrecht unter dem Gesetz gegen Auslandskorruption ins
Visier nahm. Lula kam ins Gefängnis und Odebrecht ging in Konkurs, und so
geriet das Projekt erneut ins Stocken.
© UN/Antonio Fiorente
Tansanias Präsident John Pombe Joseph Magufuli (2015-21) verfolgte einen
dirigistischen Ansatz zur wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes.
Als John Magufuli 2015 die Präsidentschaft übernahm, war er fest
entschlossen, den Staudamm zu bauen – egal was die Weltbank und der WWF
sagten. 2017 kündigte Magufuli an, daß das Projekt vollständig in staatlichem
Besitz sein und aus dem Staatshaushalt finanziert würde. Als die ersten
Ausschreibungen scheiterten, traf Magufuli 2018 mit dem ägyptischen
Präsidenten Abdel Fattah El Sisi zusammen, der die Idee begeistert
unterstützte. Sisi leitete bereits ein umfangreiches
Wirtschaftsentwicklungsprogramm für Ägypten, das genau auf demselben
infrastrukturorientierten Ansatz beruhte. 2018 erhielt das ägyptische
Unternehmen Arab Contractors den Auftrag zum Bau des Staudamms, und der
Elektrokonzern Elsewedy war für die Elektrotechnik des Projekts
verantwortlich. Das chinesische Unternehmen Dongfang Electric Co. wird die
Generatoren sowie die 27 Transformatoren liefern. Sisi erklärte das Vorhaben
zu einem Vorrangprojekt Ägyptens und demonstrierte damit sein Engagement zur
Unterstützung der Länder des Nilbeckens in ihrem Streben nach Entwicklung und
regionaler Integration, indem er die Geltung seines Amtes hinter das Projekt
stellte.
Die Umweltschützer unternahmen noch einen letzten Versuch, die tansanische
Regierung zu untergraben. Als das JNHPP-Projekt begann, forderte die private
Nichtregierungsorganisation Environmental Investigation Agency (EIA) mit Sitz
in London und Washington, die UNESCO förmlich auf, das Selous-Wildreservat von
der Liste des Welterbes zu streichen. Das war ein unverhülltes Manöver gegen
die tansanische Regierung, die das Wildreservat 2019 umstrukturiert hatte. Sie
hatte es aufgeteilt in einen nördlichen Teil – den 30.000 km2
großen Julius-Nyerere-Nationalpark –, in dem der Staudamm gebaut wird, und
einen südlichen Teil, das Selous-Wildreservat. Dessen Fläche wurde von 50.000
auf 44.000 km2 verkleinert, aber die gesamte „geschützte“ Fläche
wurde damit unter dem Strich vergrößert.
Die UNESCO-Generaldirektorin, Audrey Azoulay, stellte sich auf die Seite
der EIA und sagte: „Wir sind besorgt, daß die Entscheidung, den Bau des
Stiegler-Damms voranzutreiben, wahrscheinlich verheerende und irreversible
Auswirkungen auf das einzigartige Ökosystem des Selous haben wird...“ Doch im
Juli 2021 gab die UNESCO schließlich offiziell nach, weil nicht nur die
tansanische Regierung, sondern auch die afrikanischen Delegationen im
UNESCO-Welterbe-Komitee sich gegen die Streichung des Selous aus der Liste
aussprachen; darunter waren Äthiopien, Mali, Nigeria, Südafrika und Uganda,
die den Bau des Staudamms vehement befürworteten und meistens große eigene
Staudämme haben.
Die EIA wird hauptsächlich von europäischen Regierungen und aus privaten
Quellen finanziert. Die Mitbegründerin Jennifer Lonsdale erhielt 2016 vom
damaligen Prinzen und heutigen König Charles III. den Orden des Britischen
Empire. Lonsdale hat ihren Ritterschlag bekommen, aber viel wichtiger ist, daß
die Tansanier endlich Strom bekommen.