Eine gemeinsame Mission
Sudan und Südsudan können Afrikas Brotkorb werden
Von Lawrence K. Freeman
Der Sudan und der seit Anfang Juli unabhängige Südsudan müssen
nun ein gemeinsames Entwicklungsprogramm insbesondere für die Landwirtschaft
beschließen, um das Hungerproblem zu lösen und der Region eine Zukunft zu
sichern.
Am 9. Juli wurde in Washington und in Juba die Anerkennung des neuen Staates
Südsudan gefeiert, wodurch auch im Norden ein neuer Sudan entstand. Die Zukunft
dieser beiden Nationen und der Nationen am Horn von Afrika sowie des Maghreb
wird davon abhängen, ob die beiden Staaten nun eine gemeinsame Mission
übernehmen, die den lebenswichtigen Interessen aller Sudanesen dient.
Entscheidend ist, daß die beiden Nationen zusammenarbeiten. Sie müssen
erkennen, daß ihre künftige Existenz davon abhängt, genug Nahrungsmittel für
ihre Bevölkerung zu erzeugen und so schnell wie möglich
Nahrungsmittelüberschüsse nach Somalia, Äthiopien und Kenia zu exportieren, wo
gegenwärtig viele Menschen an Hunger und Unterernährung sterben. Die Menschen
in dieser Region müssen sofort zu essen bekommen, das ist die oberste
Priorität. Das löst noch nicht alle Schwierigkeiten, vor denen Sudan und
Südsudan stehen, aber es weist auf die Richtung, die sie einschlagen müssen.
Die Unterstützung dieser gemeinsamen Mission wird die Bewährungsprobe dafür
sein, wer die wahren Freunde und Verbündeten der beiden Staaten sind.
Derzeit ist allein am Horn von Afrika - also in Eritrea, Dschibuti,
Äthiopien und Somalia - das Leben von ca. 12 Millionen Menschen bedroht, in
Somalia herrscht schon jetzt Hunger. (Lesen Sie dazu auch unseren Bericht auf
Seite 5.) Sudan und Südsudan, die nicht nur vom mächtigen Nil, sondern noch
vielen anderen Flüssen bewässert werden, verfügen zusammen über rund 80 Mio.
Hektar landwirtschaftlich nutzbares Land. Wenn dieses Land erschlossen wird,
könnte man darauf Studien zufolge Nahrung für bis zu eine Milliarde Menschen
erzeugen - 25mal soviel Menschen wie die 40 Millionen Einwohner in den beiden
Sudans! (Lesen Sie dazu bitte auch unseren nebenstehenden Bericht über den
Jonglei-Kanal.)
Diese Tatsache ist seit Jahrzehnten bekannt, aber sie wurde vom Westen
ignoriert - dem ging es immer mehr darum, den Sudan zu spalten, als ihn zu
entwickeln. Die Realisierung dieses enormen landwirtschaftlichen Potentials
bedeutete auch eine Lösung für die Krise in Darfur. Die eigentliche Ursache der
Kämpfe in Darfur ist der Mangel an Nahrung und Wasser. Auch diese Tatsache wird
von den Regierungen des Westens und den selbsternannten Fürsprechern von Darfur
vorsätzlich ignoriert. Diese Leute haben die schrecklichen Lebensbedingungen in
Darfur nur dazu benutzt, auf einen Regimewechsel in Khartum hinzuarbeiten, und
sie tun es immer noch.
Öl ist nicht die Antwort
Erdöl kann man nicht essen, und man kann auch von den Erlösen aus dem Erdöl
nicht genug Nahrungsmittel kaufen, weil heute die Welt insgesamt zuwenig
Nahrungsmittel erzeugt. Außerdem sind auch die Ölvorkommen begrenzt und nehmen
ab.
Das Ziel muß sein, die notwendigen Mengen an Nahrungsmitteln zu erzeugen, um
dem „Todesmarsch“ von Millionen unterernährter Menschen am Horn von Afrika ein
Ende zu setzen und die Volkswirtschaften des Sudan und des Südsudan aufzubauen.
Lyndon LaRouche, der im Sudan wohlbekannt ist, setzt sich seit langem in aller
Welt nachdrücklich für eine wirkliche Entwicklungspolitik ein: Die Regierungen
sollten Kredit schöpfen, um „Infrastruktur-Plattformen“ zu schaffen, d.h. nicht
bloß einzelne Infrastrukturprojekte, sondern integrierte Entwicklungsprogramme,
wo Wasserprojekte, Stromerzeugung, Eisenbahnlinien usw. nahtlos aufeinander
abgestimmt sind. Dieser dirigistische Ansatz der gezielten Kreditschöpfung zur
Verwirklichung von Infrastruktur-Plattformen, anstelle der bisherigen
Versklavung der afrikanischen Nationen durch das inzwischen bankrotte
Weltfinanzsystem, muß jetzt auf regionaler und kontinentaler Ebene umgesetzt
werden.
Damit die Sudanesen überleben können, müssen die Führungen der beiden
Nationen dieses Konzept verstehen und als ihre Vision für die Zukunft der
bilateralen Beziehungen aufgreifen. Einige beteiligte Politiker in den USA -
diejenigen, die nicht zur fanatischen Fraktion der liberalen Feinde des Sudan
gehören - beginnen zu ahnen, wie wichtig die Entwicklung der Landwirtschaft für
die Zukunft der beiden Sudan ist. Trotzdem halten sie immer noch an der
verrückten Idee fest, amerikanische Investitionen in diesen Sektor als
Erpressungsmittel für eine „Normalisierung“ der Beziehungen zum Sudan zu
nutzen. Statt diese Methoden von „Zuckerbrot und Peitsche“, von Adam Smiths
viehischem „Lust und Schmerz“-Prinzip gegen den Sudan anzuwenden, sollte das
US-Außenministerium endlich etwas diplomatische Weisheit und Mitgefühl für die
Menschen des Sudan beweisen und reales Wirtschaftswachstum zu fördern - und das
nicht nur als Geste guten Willens, sondern um ein günstiges Umfeld für die
künftige Entwicklung der Beziehungen zu schaffen.
Wer profitiert von der Spaltung des Sudan?
Ein nigerianischer Freund, der den Sudan gut kennt, sagte mir kürzlich, es
wäre leichter gewesen, die Probleme innerhalb eines Staates zu lösen. Das
stimmt zweifellos, aber nun gibt es kein zurück mehr. Alle die Kämpfe und
Gewalt, die noch immer im Sudan und im Südsudan weitergehen, sind die Folge
davon, wie man den Sudan in schrecklicher Art und Weise spaltete, Brüder und
Schwestern gegeneinander aufhetzte, Menschen aus einem Teil des Landes
herausriß und in einen anderen verpflanzte - alles in einer falschen Geometrie
der irrationalen Unterscheidung zwischen „Nord-“ und „Südsudanesen“, als
handele es sich um verschiedene Tierarten, die man auseinander halten muß.
Die Teilung wird den Sudanesen nichts nützen, wenn die Politik nicht abrupt
und radikal geändert wird. Wie die anderen Staaten auch leiden beide unter der
Auflösung des bankrotten Weltfinanzsystems, und das ist ein wesentlicher
Aspekt, den die Führungen der beiden Nationen in ihr strategisches Denken für
die Zukunft - die schon beinahe zur Gegenwart geworden ist - aufnehmen müssen.
Khartum versucht, mit weiteren Sparmaßnahmen auf die Folgen der weltweiten
Inflation für seine Volkswirtschaft und auf den Rückgang der Einnahmen zu
reagieren. Die Währung wurde abgewertet und Subventionen wurden verringert.
Aber das ist keine dauerhafte Lösung.
Der Südsudan steht vor enormen Herausforderungen, und seine Regierung hofft
naiv auf Unterstützung aus dem Westen. Die USA haben gut 300 Mio.$
Wirtschaftshilfe zugesagt - ein zynischer Witz angesichts des enormen Bedarfs
des Landes, das zu den ärmsten der Welt gehört. 90% der 8 Mio. Einwohner müssen
von weniger als einem Dollar am Tag leben. Die Kindersterblichkeit ist mit 150
auf 1000 Geburten die höchste der Welt, die Müttersterblichkeit liegt bei 2054
auf 100.000 Geburten. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat vor, etwa 1,5 Mio.
Einwohnern des Landes Nahrungsmittelhilfe zu geben.
Zwar ist der Boden fruchtbar und genug Wasser vorhanden, doch es gibt keine
entwickelte Landwirtschaft, weshalb nach UN-Angaben 20% der Bevölkerung
chronisch hungern. Weniger als ein Viertel kann lesen und schreiben, nur ein
Drittel hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Außer etwa 60 km asphaltierten
Straßen in der Hauptstadt Juba gibt es keinerlei Infrastruktur. Da nun viele
Menschen in das junge Land strömen, es jedoch keine Möglichkeit gibt, diese
produktiv zu beschäftigen, wird sich dieses Nahrungsmitteldefizit nur noch
weiter vergrößern und den Mangel in der Region verschärfen. Der Sudan und der
Südsudan brauchen eine Mission für ihre Zukunft. Ohne eine solche Mission, die
sich an LaRouches Konzept der „Infrastruktur-Plattformen“ ausrichtet, wird die
Existenz des Südsudan ständig gefährdet sein, und er wird zum Gefahrenherd für
die Nachbarländer.
Die Nutznießer der Spaltung des Sudan verfolgen immer noch die alte
britisch-imperiale Politik, ihre Opfer in widerstreitende Gruppen zu spalten
und sie gegeneinander auszuspielen. Nach der Abspaltung des Südens zielen sie
nun darauf ab, weitere „neue Südstaaten“ in Süd-Kordofan, Darfur und am Blauen
Nil zu schaffen, die sich dann in einem Hobbesschen Krieg jedes gegen jeden
aufzehren sollen. Dazu werden Elemente in der Sudanesischen
Volksbefreiungs-Bewegung/Armee (SPLM/A) eingesetzt - ein gefährliches
Unternehmen, das die Existenz des neugeborenen Südsudan bedroht.
Leider gibt es in beiden Teilen des Sudan immer noch zu viele, die sich
bereitwillig nach ihrem ethnischen Profil manipulieren lassen und in dem
tragischen Schauspiel die ihnen zugewiesene Rolle bei der Zerstörung ihrer
eigenen Länder mitspielen. So haben möglicherweise einige Elemente aus der SPLA
im Mai unter Verstoß gegen das Friedensabkommen als gezielte Provokation
Streitkräfte des Sudan in Abyei angriffen, in der Erwartung, daß diese heftig
reagieren würden - wie sie es dann auch taten -, um den USA einen Vorwand zu
liefern, den Normalisierungsprozeß anzuhalten.
Dabei ist ganz klar, wer für die Spannungen zwischen dem Norden und dem
Süden verantwortlich ist: Diese brachen erstmals schon 1955 aus, vor der
Unabhängigkeit 1956, lange vor der Gründung der SPLA 1983, dem Amtsantritt von
Präsident Omar Al-Baschir 1989 und bevor Darfur 2003 zum Vorwand für die
„Regimewechsel“-Politik wurde: Verantwortlich ist die britisch-imperiale
Politik mit ihrer rassistischen und menschenfeindlichen ideologischen
Grundlage, die den Sudan spalten wollte. Was anderes als diese britische
Politik ist dafür verantwortlich, daß die Menschen im Süden des Sudan unter der
Kolonialherrschaft rückständig gehalten und ihnen primitivste Lebensbedingungen
aufgezwungen wurden? Die Briten verboten während der Kolonialherrschaft den
sozialen und wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Norden und dem Süden und
die „Vermischung“ der christlichen und islamischen Bevölkerungsgruppen.
USA blockieren Normalisierung
In seiner Rede in Juba bei der Unabhängigkeitsfeier des Südsudan forderte
Sudans Präsident Baschir die USA und die internationalen Geberstaaten auf, ihre
„Versprechungen zu erfüllen, indem sie die Sanktionen aufheben und Geld für
Projekte zur Entwicklung der Infrastruktur geben“. Der Vizepräsident des
Südsudan, Riak Machar, der ebenfalls vor den Zehntausenden sprach, die in Juba
versammelt waren, nannte Baschir einen „mutigen Mann des Friedens“.
Baschir hat recht, wenn er ein Ende der Sanktionen fordert. Sie werden seit
fast zwei Jahrzehnten dazu benutzt, das Land wirtschaftlich zu strangulieren.
Alle Sudanesen - jeder, ob Darfuri, Südsudanesen, Dinka und Misseriya in Abyei
und alle, die im Norden leben - haben unter den grausamen Sanktionen sehr
gelitten. Auch die Regierung Obama setzt weiter auf die „Lust und
Schmerz“-Taktik, um dem Sudan ihre Politik zu diktieren. Allerdings wirkt das
immer weniger, weil in Khartum die Skepsis wächst und man dort zunehmend davon
ausgeht, daß die USA ohnehin jeden Vorwand nutzen werden, um die Erfüllung
ihrer Versprechungen zu verweigern. Der Westen verliert seinen Einfluß im
Sudan.
Kürzlich erklärten US-Regierungsvertreter, die Streichung des Sudan von der
Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten und die Aufhebung der Sanktionen
müßten noch warten, bis Khartum die Konflikte in Abyei und in Süd-Kordofan
beilegt. Viele fragen nun, ob man den USA noch trauen kann - ob sie nicht auch
in Zukunft immer neue Bedingungen für die Normalisierung stellen werden, wie
sie es schon so oft in der Vergangenheit getan haben?
Erst hatte man Baschir gesagt, er müsse nur sicherstellen, daß am 9. Januar
2011 ein friedlicher Bürgerentscheid über die Unabhängigkeit des Südsudan
stattfindet - was er auch tat - und daß im Falle eines Votums für die
Unabhängigkeit sechs Monate später, nach Ablauf des Umfassenden
Friedensabkommens am 9. Juli, eine friedliche Trennung der beiden Landesteile
erfolgen könne - was er ebenfalls tat. Zu beiden Gelegenheiten reiste das
Staatsoberhaupt persönlich nach Juba, um für einen erfolgreichen Übergang des
Südsudan in die Unabhängigkeit zu sorgen.
Als Gegenleistung dafür hatte man ihm eine Normalisierung der Beziehungen
versprochen. Sollen nun schon wieder neue Hürden errichtet werden - so wie
2005, nachdem Präsident George W. Bush Khartum ähnliche Versprechungen gemacht
hatte, wenn Baschir das Umfassende Friedensabkommen unterzeichnet? Viele in
Washington, die die Entwicklung im Sudan genau verfolgen, darunter auch viele
Gegner der Regierung in Khartum, wissen, daß die Antwort auf diese Frage „Ja“
ist - aber indem sie dieses Vorgehen tolerieren, schaden sie dem sudanesischen
Volk, dem sie angeblich helfen wollen.
Die Afrikaner kritisieren diese „Zuckerbrot und Peitsche“-Taktik gegenüber
dem Sudan. Die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) - die
gemeinsame Entwicklungsbehörde der Regierungen Ostafrikas, die entscheidend zum
Umfassenden Friedensabkommen beitrugen - forderte in ihrem Kommuniqué vom 4.
Juli „die internationale Gemeinschaft auf, ihre Zusagen zur Unterstützung der
Menschen im Sudan einzuhalten, indem sie einen Schuldenerlaß gewähren, den
Sudan von der Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten streichen, die
Sanktionen aufheben und die Anklage [gegen Baschir] vor dem Internationalen
Strafgerichtshof (ICC) vertagen...“ Schon zuvor hatte die Afrikanische Union
ebenfalls die Streichung des Sudan von der Liste der Terrorismus
unterstützenden Staaten, die Aufhebung der Sanktionen und einen Schuldenerlaß
gefordert.
Die Afrikanische Union hat den ICC immer wieder wegen seiner Anklage gegen
Baschir verurteilt. Kürzlich forderte auch China die Welt auf, die Beziehungen
zum Sudan so schnell wie möglich zu normalisieren. Aber Washington ist der
Meinung, daß es den Sudan dazu bewegen könne, seinen Forderungen nachzukommen,
indem es das Land mit dem Angebot lockt, „in die internationale Gemeinschaft
zurückzukehren“, was dann angeblich eine Chance sei, ausländische Investitionen
in den Sudan zu ziehen. Aber angesichts des voranschreitenden Zerfalls des
globalen monetaristischen Systems ist das leeres Geschwätz.