"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Westafrika droht Destabilisierung

Mali. Statt die Unterstützung der islamistischen Terroristen durch Großbritannien, Saudi-Arabien und Katar abzuschneiden, will Obama in Mali noch einen weiteren Drohnenkrieg wie in Pakistan und Jemen beginnen.

Erst nach mehr als einer Woche hat US-Präsident Barack Obama widerstrebend zugegeben, daß Botschafter Christopher Stevens im libyschen Bengasi von Terroristen (hinter denen die britischen Verbündeten stehen) gezielt ermordet wurde. Jetzt fällt es Obama plötzlich auf, daß Al-Kaida - seine Verbündeten in Libyen und Syrien - in Mali operiert, und er sucht die Gelegenheit, in diesem Land einen Krieg zu führen, der sich dann auf ganz Westafrika ausdehnen könnte. Unterdessen haben Frankreich und Großbritannien gerade Flottenmanöver im Mittelmeer abgehalten, kurz nach den großen westlichen Manövern im Persischen Golf vor der iranischen Küste.

Die Vorbereitung der Regierung Obama auf eine mögliche Militärintervention in Mali begann öffentlich sichtbar, als der für Afrika zuständige Staatssekretär im State Department, Johnnie Carson, am 1. Oktober erklärte, die USA könnten nicht zulassen, daß Mali gespalten wird und ausländische Terroristen wie Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AKIM) und Ansar Al-Dine im Norden des Landes ein Kalifat gründen. Nach einem Putsch Mitte März hatten mit sezessionistischen Tuareg verbündete Dschihad-Aufständische die Tuareg-Rebellion vereinnahmt und in Nordmali in der Sahara ein Gebiet von der Größe Frankreichs erobert.

AKIM steht im Bündnis mit Ansar Al-Dine, heute eine nominell salafistische Tuareg-Gruppe. Ihr Anführer Iyad Ag Ghali ist eine schillernde Figur. Früher war er ein notorischer Whiskeytrinker, der sich auf alle erdenklichen kriminellen Aktivitäten einließ, wenn sie nur ihm und seiner Gruppe Geld einbrachten. Häufig diente er als Mittelsmann bei Verhandlungen mit europäischen Ländern über die Freilassung entführter Europäer. Um ihn aus dem Land wegzuhaben, gab ihm die frühere Regierung Malis 2008 einen Diplomatenposten in Saudi-Arabien. Nach kurzem Aufenthalt in Saudi-Arabien kam Ghali zu dem Schluß, daß er am leichtesten reich werden konnte, wenn er Salafist wurde - die Voraussetzung dafür, von den Saudis Geld zu bekommen.

Nun ist Ag Ghali zurück in Nordmali und Südalgerien, trägt einen langen Bart und fordert die Einführung der Scharia-Gesetzgebung in ganz Mali.

Eine andere mit AKIM verbündete kleine Gruppe, die Bewegung für Vereinten Dschihad in Westafrika (MUJAO), gilt unter gutinformierten afrikanischen Beobachtern als besonders gefährlich. Viele Mitglieder verfügen über eine gute Ausbildung in den Kampfmethoden von Sondereinsatzkommandos, der Anführer kommt aus dem Tschad. Dies ist auch die Einheit, von der aus die Boko-Haram-Offensive gegen Nigeria organisiert wird.

Der Vizepremier und Außenminister der Republik Niger, Mohamed Bazoum, hat in einer Rede am 21. Mai in Washington erklärt, Niger habe Informationen darüber, daß im Norden Malis auch pakistanische und andere ausländische Kämpfer aktiv seien.

Die Erklärung von Staatssekretär Carson am 1. Oktober war ein Kurswechsel des US-Außenministeriums. Vorher hatten er und Außenministerin Hillary Clinton geäußert, bevor die USA eine westafrikanische Militärintervention in Mali unterstützen könnten, müsse sich erst die chaotische Lage in der Hauptstadt Bamako bessern. Diese Position vertritt der Chef des US-Afrikakommandos, General Carter F. Ham, immer noch. Er sagte dies ausdrücklich in einer Pressekonferenz in Algier am 30. September, als er eine Reise in mehrere west- und nordafrikanische Staaten unternahm, um über die Krise in Mali zu sprechen. Er betonte auch erneut, es würden keine US-Soldaten nach Mali entsandt.

Carson und die Regierung Obama änderten ihre Linie zu Mali erst, nachdem die Regierung zugeben mußte, daß Botschafter Stevens und drei andere Amerikaner in Libyen von Al-Kaida ermordet wurden.

Heute gibt es in Mali keine Armee und keine funktionierenden staatlichen Institutionen. Unter dem Druck des westafrikanischen Staatenbündnisses ECOWAS wurde zwar eine schwache Übergangsregierung gebildet, aber die ursprünglichen Putschisten, die Präsident Touré stürzten, haben weiter starke Unterstützung in der Bevölkerung.

Wer sind die Dschihad-Kämpfer?

Der Norden Malis ist seit langem ein Hauptumschlagspunkt für den Drogenschmuggel aus Südamerika in westafrikanische Länder. Dies war die Haupteinnahmequelle für örtliche kriminelle Netzwerke - hinzu kamen Lösegelder für entführte europäische Touristen oder Arbeitskräfte.

Der entscheidende Machtzuwachs für die Dschihadis in Mali kam durch die Entfesselung der Dschihadis in Libyen, die den Kern der Hilfstruppen für die amerikanisch-britisch-französische Koalition zum Sturz Muammar Gaddafis bildeten. Nach ihrem „Sieg“ in Libyen gingen diese Rebellen in andere Länder, um afrikanische Staaten zu destabilisieren oder um sich der bewaffneten Opposition gegen Syriens Präsidenten Assad anzuschließen. Ähnlich wie die verantwortlichen Netzwerke des 11. September 2001 erhalten diese Gruppen massive finanzielle und andere Unterstützung vom saudischen Königshaus und von Katar, und viele von ihnen, wie die Islamische Kampfgruppe Libyens (LIFG), wurden jahrzehntelang in London auf ihren Einsatz vorbereitet (Insider nennen es „Londonistan“).

Im Norden Malis liegen drei Flughäfen, auf denen regelmäßig Maschinen aus Katar landen, Landverbindungen existieren durch die herrenlose südlibysche Wüste. Mit dem Geld von Saudis und Kataris werden junge Rekruten für den Dschihad angeworben. Einem Bericht zufolge bietet man Teenagern aus westafrikanischen Ländern 500 Dollar Sold im Monat an. In einem anderen Bericht wurde dies präzisiert: In dem konkreten Fall bot man dem 16jährigen Heranwachsenden 30 Dollar in der Woche und dazu 400 Dollar monatlich für seine Familie. Wenn sie einmal im Kriegshandwerk ausgebildet sind (so wie die LIFG-Mitglieder durch den Kampf in Afghanistan ausgebildet wurden), können diese Kämpfer nach ihrer Rückkehr zum Kern einer Dschihad-Truppe in ihren Heimatländern werden. Genauso war es mit den LIFG-Mitgliedern, die aus Afghanistan nach Libyen zurückkehrten.

Am anfälligsten für die Dschihad-Gefahr in Westafrika ist nach Einschätzung eines afrikanischen Experten die Republik Niger, wegen ihrer langen, unbewachten Grenze zu Algerien, Libyen und der Wüstenregion des Tschad, zusätzlich zur Grenze mit Mali. Die westafrikanischen Staaten suchen daher dringend Unterstützung für eine ECOWAS-Interventionstruppe gegen diese ausländische Dschihad-Offensive. Ohne solche Hilfe können sie keine Intervention durchführen, denn sie können zwar Soldaten stellen, benötigen aber Geld, um den Einsatz zu bezahlen, sowie Logistik und Luftunterstützung. Die Westafrikaner haben sich schon um eine Genehmigung des UN-Sicherheitsrats für eine solche Operation bemüht. Aber der erste Antrag kam gar nicht erst zur Abstimmung, weil China und Rußland wegen der chaotischen Verhältnisse in Bamako und wegen der Einmischungen Frankreichs ihre Ablehnung signalisierten. Chinesen und Russen haben nicht vergessen, wie sie im letzten Jahr hinters Licht geführt wurden, als sie die Sicherheitsratsresolution 1973 für eine Flugverbotszone in Libyen tolerierten und diese dann als Vorwand für den Krieg gegen Libyen diente.

Frankreich hat schon sehr früh logistische Unterstützung für ein militärisches Eingreifen angeboten, aber Rußland, China und einige Nachbarstaaten Malis wie Mauretanien und Algerien befürchten, daß die Einrichtung einer solchen Truppe Frankreich zuviel Einfluß in der Region verschaffen würde.

So steht wegen dieser regionalen Komplikationen und des Widerstrebens Chinas und Rußlands eine von der UN autorisierte Truppe nicht unmittelbar in Aussicht. Nun ist die größte unmittelbare Gefahr, daß Präsident Obama nach seinem Ansehensverlust durch die Verschleierung der Wahrheit über den Dschihad-Mord an Botschafter Stevens in Nordmali ohne UN-Autorisierung einen Drohnenkrieg beginnt, so wie er ihn schon seit längerem in Pakistan und im Jemen führt.

Ein solcher Angriff auf Mali nach der Jemen-Taktik würde aber den Ursprung des Terrorismus in Libyen gar nicht treffen, sondern wäre nur ein Vorwand für eine weitere Ausdehnung des „weltweiten Kriegs gegen den Terrorismus“.

Ende September berichteten mauretanische Zeitungen, die NATO bereite auf einer Luftwaffenbasis auf den Kanarischen Inseln Logistik für eine mögliche Militärintervention in der Sahelzone vor.

Douglas DeGroot