Entwicklung als moralischer Imperativ für die Menschheit:
Die Zukunft Afrikas im 21. Jahrhundert
Von Portia Tarumbwa-Strid
Im Wortlaut. Auf der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts „Jahrhundertprogramm zum Wiederaufbau der Weltwirtschaft: NAWAPA - Beringstraße - Eurasische Landbrücke - Transaqua“ hielt die Vizepräsidentin des Schiller-Instituts den folgenden Beitrag.
Wir leben in ganz außergewöhnlichen Zeiten! Auf der einen
Seite steht die Welt vor der größten Revolution seit Menschengedenken,
andererseits taumelt die Menschheit am Abgrund. Das NAWAPA-Projekt für die USA,
wofür das LaRouche-Aktionskomitee mobilisiert, stellt diese Revolution dar -
sowohl eine Revolution im Lebens- und Bildungsstandard als auch in der
Evolution allgemein, d.h. der Art und Weise, wie wir über unsere Rolle als
Menschen hier auf diesem Planeten nachdenken. Damit könnte man eine neue Ära
der Brüderschaft von Nationen in Kooperation miteinander für gemeinsame Ziele
der Menschheit verwirklichen.
Wenn aber man den Jetzt-Zustand der Welt betrachtet: Beim
jüngsten Millenniums-Gipfel sagte der Chef der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, Jacques Diouf, daß im 21.
Jahrhundert alle sechs Sekunden ein Kind an den Folgen des Hungers stirbt. Das
ist nicht nur - in seinen Worten - ein Skandal, sondern ein klares Zeichen
dafür, daß die internationale Gemeinschaft versagt hat. Der Abgrund, vor dem
wir stehen, wäre ein Holocaust sondergleichen, gerade in der Dritten Welt!
Gerade Afrika befindet sich mitten in einer Existenzkrise,
denn dieser Kontinent ist seit Hunderten von Jahren ausgeplündert worden und
wird infolgedessen ständig von Hunger, Krankheiten und Krieg heimgesucht. In
Tschad und Niger sind gerade 20 Millionen Menschen direkt von dem Hungertod
bedroht. Die Preise für Getreide sind aufgrund der Spekulation auf einem
Rekordhoch, sogar höher als im Jahr 2008, als es in über 40 Ländern
Hungeraufstände gab, und in Mosambik gab es kürzlich Demonstrationen wegen zu
hoher Nahrungsmittelpreise.
Es ist also kein Wunder, daß sich jährlich Tausende von
Flüchtlingen aus Afrika die gefährliche Überfahrt nach Italien zumuten, selbst
wenn viele ertrinken, verdursten oder einfach an Erschöpfung sterben. Ähnlich
Schlimmes erwartet aber diejenigen, die die Reise überleben, denn in Italien
werden sie erst völlig unmenschlich behandelt und danach wieder abgeschoben. Im
Grunde kann man sagen: Was für Frankreich das Roma-Volk ist, sind die Afrikaner
für Italien.
Aber diese zynische Politik ignoriert die einfache Tatsache,
daß jetzt alle Technologien existieren, um der Unterentwicklung sofort ein
jähes Ende zu bereiten. Anstatt Muammar al-Gaddafi fünf Milliarden Euro
jährlich zu zahlen, um die illegale Einwanderung aus Afrika zu bekämpfen,
könnten die Europäer das machen, was die Chinesen in Afrika tun, nämlich große
Summen in Infrastruktur investieren - so etwas wie ein NAWAPA-Projekt
für Afrika!
Das Nilwassersystem
Wie würde so etwas aussehen? Kontinentales Wassermanagement
für Afrika wie beim NAWAPA-Projekt hat mehrere Facetten. Zum einen sticht beim
Betrachten der Landoberfläche Afrikas heraus, wie extrem die Klimabedingungen
sind.
Im Norden liegen praktisch nur ausgedörrte Landschaften, bis
auf die Bereiche, die z.B. im Flußtal des Nils sind. Das Nilwassersystem ist an
und für sich gigantisch und erstreckt sich über neun Nationen: Ruanda, Burundi,
Kongo-Kinshasa, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Ägypten - eine Strecke
von 6650 km. In Khartum kommen der Weiße und der Blaue Nil zusammen, und dann
fließt der Nil weiter gen Norden bis zum Mittelmeer. Sudan und Ägypten teilen
das Nilwasser nach einem Abkommen von 1959, wobei 18,5 Mrd. m3 an
Sudan, und 55,5 Mrd. m3 an Ägypten gegeben werden.
Der Assuan-Staudamm, gebaut im Jahr 1971, ist sehr wichtig,
weil er das Nilhochwasser abfängt und für die trockenen Monate aufbewahrt. Es
gibt weitere Staubecken in Ägypten, Sudan und Äthiopien, die eine ähnliche
Regulierungsrolle spielen, aber bei weitem das wichtigste Projekt ist die
Fertigstellung des Jonglei-Kanals im Süden des Sudan. Denn eine große Blockade
des Nilflusses liegt im Sumpfgebiet des Sudds, wo bis zu 20 Mrd. m3
Wasser durch die Verdunstung verloren gehen und sich Krankheiten wie Malaria
schnell verbreiten. Durch eine Umleitung des Nilwassers in dieser Region mit
dem Bau einer 360 km langen Kanalstrecke wäre dieses Problem schnell gelöst.
Das so umgeleitete Wasser kann für massive
Bewässerungsprojekte benutzt werden, wie Gezira, ein Projekt genau an dem Ort,
wo der Blaue und Weiße Nil zusammenfließen, das ganz Sudan nahrungsmittelsicher
macht. Sudan ist das größte Land in Afrika, und durch solche
Landwirtschaftsprojekte könnte Sudan zum Brotkorb für ganz Afrika werden! Die
Briten müssen nur aufhören, den künstlichen Konflikt zwischen dem Norden und
Süden des Sudan zu schüren, damit endlich der unterentwickelte Süden die
Vorteile eines Lebens ohne Mangelernährung, ohne die höchste weltweite
Müttersterblichkeit, ohne Tuberkulose, weitreichende Ausbrüche von Meningitis,
Masern, Cholera und Malaria genießen kann.
Die Sahara-Sahelzone
Die Sahara ist aber nicht so trocken, wie sie auf der
Oberfläche aussieht. Neue Satellitenbilder zeigen unterirdischen Flußsysteme
oder sogar ganze Seen im Form von Wasserführungen, die die Region für die
nächsten Jahrhunderte mit Wasser versorgen können.
In Libyen sind schon seit 1996 erfolgreich
Bewässerungsprojekte durch das Anzapfen solcher unterirdischer Speichergesteine
im Gang. Dieses Trinkwasser-Pipeline-Projekt
verläuft parallel zu großen Teilen der Küste Libyens und transportiert auch
täglich mehr als 6 Mio. m³ Trinkwasser zu mehreren Großstädten.
Das Wasser ist allerdings fossiles Wasser und zum Teil mehr
als 12.000 Jahre alt! Die Grundwassererneuerung würde nicht schnell genug
erfolgen, wenn man den Wasserverbrauch nicht mit Meerwasserentsalzung
kompensiert. Die Energie für die Pumpenanlagen, um das Wasser anzuzapfen, und für
die Umkehrosmose bei der Wasserentsalzung würde von Kernreaktoren kommen,
insbesondere gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren, die übrigens in Deutschland
entwickelt wurden.
Dieses Konzept wurde von uns in den siebziger Jahren beim
Fusions-Energie-Forum gründlich ausgearbeitet und hieß das
Agrar-Nuklear-Komplex- oder einfach NUPLEX-Modell.
Transaqua
Zum Wassermanagement in Afrika gehört aber auch, die wilden
Flüsse zu bändigen, die bis heute weder schiffbar gemacht worden sind noch für
Hydroenergie benutzt werden. Das riesige Potential z.B. des
Kongoflusses mit dem größten Niederschlagsgebiet Afrikas und der weltweit nach
dem Amazonasbecken zweitgrößten Wasserführung ist bis heute überhaupt nicht
ausgeschöpft. Das liegt nicht an dem Mangel an vorgeschlagenen Projekten, denn
schon im Jahr 1984 hat Dr. Vichi von der italienischen Firma Bonifica/Iritecna
(Gruppo IRI) eine Studie über den Wassertransfer vom Kongo zum Tschadsee
erstellt.
Dr. Vichi kann leider heute nicht an der Konferenz
teilnehmen, aber er hat einen wichtigen Text verfaßt, der am Informationstisch
liegt. Ich möchte ganz kurz zeigen, worum es beim Transaqua-Projekt geht. Denn
das Austrocknen des Tschadsees, der in Nigeria, Kamerun, Tschad und Niger
liegt, bedeutet den sicheren Hungertod für mehrere Millionen Menschen.
Deswegen sollen 100 Mrd. m3 Süßwasser jährlich
vom Kongobecken in die Sahelzone von Tschad und Niger umgeleitet werden.
Trockenheit und Wassermangel haben in den letzten Jahrzehnten den Tschadsee auf
10% seiner ursprünglichen Größe schrumpfen lassen, und diese Situation fordert
jedes Jahr Tausende von Todesopfern, während im Süden die reichhaltigen
Niederschläge zu einer viel zu üppigen Vegetation führen, welche wiederum
Verwaldung und eine Beeinträchtigung der Entwicklung moderner Landwirtschaft
verursacht.
Das Wasser soll am nordöstlichen Rand des Einzugsgebiets des
Kongo abgefangen und über einen neu zu bauenden, schiffbaren Kanal von 2400 km
Länge in den Chari-Fluß in der Zentralafrikanischen Republik geleitet werden,
der die gesamte Durchflußmenge in den Tschadsee entlädt.
Von hier aus sollen die Wassermengen nach Niger und Tschad
geführt werden, über eine Distanz von weiteren 800 km mit mehreren hundert
Metern Gefälle, um nicht nur eine Fläche von 12-17 Mio. Hektar zu bewässern und
knapp 100 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern auch
insgesamt 30-35 Mrd. KWh im Jahr an Wasserkraft zu produzieren.
Dr. Vichi schreibt u.a.:
„Transaqua könnte der größte Entwicklungspol Afrikas werden
- vielleicht einer der größten auf dem Planeten -, beim Bau und dem
anschließenden Betrieb würden Arbeits- und Fachkräfte lokal wie auch aus allen
Ländern des Kontinents beschäftigt. Es könnte ein riesiger Arbeitsmarkt für
viele Generationen von Afrikanern entstehen, die dann nicht mehr gezwungen
wären, auf die Europa-Karte zu setzen...
Inzwischen sind fast 30 Jahre ungenutzt verstrichen -
zumindest was die Bestätigung der Machbarkeit angeht -, in denen Europa und
Afrika einen sehr hohen wirtschaftlichen und politischen, vor allem aber
menschlichen Preis bezahlen mußten, denn nach wie vor sehen sich verzweifelte
Menschen aufgrund von Wasser-, Nahrungs- und Arbeitsmangel wie in einem
biblischen Exodus dazu getrieben, durch die Sahara zu ziehen, um die oftmals
feindselige Fata Morgana Europa zu erreichen.“
(Den vollständigen Text des Beitrags von Dr. Vichi finden
Sie in dieser Ausgabe.)
Diesen Aufruf von Dr. Vichi müssen wir sehr ernst nehmen.
Afrika hat heute noch nicht mal ein transkontinentales
Eisenbahnnetz. Es gibt keine Verbindung vom Norden nach Süden, und von Osten
nach Westen. Afrika braucht dies aber ganz dringend, denn unzählige Ernten
verfaulen jedes Jahr, ohne den Markt je erreicht zu haben.
Aber der Bau eines solchen Schienennetzes muß auch als
integraler Teil der großen Wasserprojekte wie Transaqua gesehen werden, denn
wie könnte sonst Baumaterial zu den Großbaustellen hingebracht werden? Von
unserem Standpunkt ist der beste Weg, Afrika ins 21. Jahrhundert zu verhelfen,
der Ausbau des Transrapid. Hochebenen mit Tonnen von Beton und Stahl zu
durchqueren, funktioniert am Besten ohne Reibung!
In der Tat, das Schönste, was man sich vorstellen kann, ist
die Auswirkung dieser Investitionen über die kommenden Jahrzehnte, denn das
Eingreifen in den Wasserzyklus, wie beim Transaqua-Projekt oder dem Nuplex-Modell,
wird die Wüsten zurückdrängen! Und der sterbende sogenannte „schwarze
Kontinent“, der heute nachts vom Himmel aus betrachtet ganz dunkel aussieht,
verlassen und abgeschrieben, wird sich in zwei bis drei Generationen, vom
Weltall gesehen, in ein lichtgebadetes Paradies verwandeln!
Echte grüne Politik
Die Projekte die ich gerade gezeigt habe und für die sich
das internationale Schiller-Institut seit Jahrzehnten einsetzt, sind alle zum
Teil seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Das heißt, wie Afrika heute aussieht, ist
nicht die Schuld der Afrikaner, sondern es ist die Schuld des heutigen globalen
Finanzsystems des Britischen Empires!
Ein Paradebeispiel für diese Politik ist das vom Club of
Rome und WWF vorgeschlagenen Desertec-Projekt, das genau das Gegenteil einer
wirklich grünen Politik für die Sahara bedeuten würde. Das Tapezieren von
Afrikas Wüstenregionen mit Solarpanelen läuft nicht nur auf die Ausrottung von
Insektenspezies hinaus, die die Spiegelung der Panele mit Wasser verwechseln
und dort ihre Eier legen, sondern viel schlimmer: Potentiell fruchtbarer Boden
wird für die landwirtschaftliche Nutzung untauglich gemacht. Im Endeffekt würde
die Wüste die Farbe braun beibehalten. Und wie kann man Desertec eine „grüne“
Politik nennen, ohne das Klima in der Wüste ändern zu wollen, damit dort wieder
Bäume wachsen? Außerdem wird der Strom, der durch Desertec erzeugt wird, nicht
in Afrika bleiben, sondern nach Europa geliefert.
Letzten Endes kommt die heutige grüne Politik von den
völkermörderischen Ideen des Britischen Empires, etwa von Thomas Malthus, der
auf eine drastische Senkung der Weltbevölkerung setzte, damit Rohstoffe nicht
zu schnell aufgebraucht werden.
Wenn sich Deutschland von dieser menschen- und
naturfeindlichen Denkweise befreien möchte, sollte es sich an die Politik Otto
von Bismarcks erinnern. Sein Wirtschaftsberater Wilhelm von Kardorff sagte am 22. Februar 1879 in einer Rede vor dem
deutschen Reichstag: „Es sind nicht allein die furchtbaren Kosten einer ersten
Ansiedelung, der Urbarmachung des Bodens und der Erwerbung von Kolonien,
sondern es ist weiter der kostbare, fortlaufende maritime und militärische
Schutz, den die Kolonie erhalten muß, und vor allem die unmittelbare
Rückwirkung der Kolonialpolitik auf die innere Politik, die ich zumeist
fürchte. Ich wünsche nicht, daß Deutschland eine Oligarchie, wie die
holländische oder englische bilden möge. Wollen wir aber diesen Weg nicht
betreten, dann, meine Herren, sind wir gezwungen, die äußersten Versuche zu
machen, den inländischen Arbeitsmarkt, die Nachfrage nach Arbeit zu verstärken,
und das ist auch dasjenige System, auf welchem der Vorschlag des Fürsten
Bismarck beruht.“1
Immerhin hat Simbabwes Informationsminister Sikhanyiso
Ndlovu beim EU-Afrika-Gipfel 2009 folgendes gesagt: „Deutschland bräuchte eine
Führungspersönlichkeit wie Otto von Bismarck, der für Vereinigung und die
Überwindung von Unrecht kämpfte.“ Frau Merkel solle sich „an der deutschen
Geschichte orientieren”. Die ganzen Umstände, die zu diesem Zitat geführt
haben, einmal beiseite, eines ist in den Augen der Afrikaner unverkennbar: Die
Politik der EU gegenüber Afrika wird heute schlimmer als die der Kolonialzeit
wahrgenommen. Zumal unter Bismarck die Auswüchse der britischen
Entvölkerungspolitik niemals in der deutschen Kolonialpolitik vorkamen. Darüber
hinaus haben Afrikaner es in Erinnerung, daß von Deutschen während ihrer
Kolonialzeit mehr Infrastruktur in Afrika gebaut wurde als von den Briten.
Hinzu kommt, daß Deutschland auch den größten Schaufelradbagger der Welt gebaut
hat, der noch heute im Sudan auf die Fertigstellung des Jonglei-Kanals wartet.
Die einzige Hoffnung auf Gerechtigkeit für Afrika bedeutet
also konkret Hochtechnologietransfer von den noch produktiven Bereichen des
Mittelstandes in Deutschland nach Afrika, durch langfristige Aufträge für
Teilaspekte des Transaqua-Projekts. Das Transaqua-Projekt wird jungen Menschen
weltweit einen Anreiz und die Möglichkeit geben, sich für das 21. Jahrhundert
zu qualifizieren, auszubilden und sich als Wissenschaftler, Ingenieure,
Techniker, Maschinenbauer und sonstige Facharbeiter in eine Wirtschaft zu
integrieren, die auf Hochtechnologien basiert.
Wenn ich mir überlege, daß Transaqua schon zur Zeit meiner
Geburt hätte umgesetzt werden können, nämlich 1984: dann wäre meine Generation
heute sicherlich nicht als die HIV-, Kindersoldaten- und Flüchtlingsgeneration
bekannt!
Der Grund, weswegen ich dieser Organisation beitrat, hatte
auch damit zu tun, daß ich mich von Frau Zepp-LaRouche überzeugen ließ, daß
Hunger, Kriege und Armut nur Kinderkrankheiten der Menschheit sind. Und daß
wir, so wie Masern kaum unter Erwachsenen auftreten, eine Zukunft haben können,
in der moderne Technik die Unterentwicklung überwinden kann.
2010 sollte das Jahr des moralischen Erwachsenseins
werden! Meiner Meinung nach sollen die Europäer auf jeden Fall dabei sein -
aber wenn sie nicht wollen, dann gehen wir zu den Chinesen!
Anmerkung
1. Schutzzölle zu erlassen (d. Red.)