"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Der Südsudan muß Nahrungsmittelexporteur werden

Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes muß die politische Führung des Südsudan ein Konzept für die künftige Entwicklung des Landes entwickeln.

Wenn die Menschheit überlebt, was angesichts der derzeitigen Gefahr eines neuen Weltkriegs und des völligen Zusammenbruchs der globalen Wirtschaft keineswegs sicher ist, dann können wir daran gehen, eine der wichtigsten Aufgaben zu bewältigen: die Einleitung eines wirklich planetaren Aufschwungs der Realwirtschaft, vorangetrieben durch Durchbrüche in Wissenschaft und Technik. In der neuen Republik Südsudan (RSS) müssen die Bemühungen der Regierung darauf ausgerichtet werden, endlich das landwirtschaftliche Potential des Landes zu entfalten und Nahrungsmittel nicht nur für den Bedarf des eigenen Landes, sondern auch für seine Nachbarn am Horn von Afrika und die Maghrebstaaten in Nordafrika zu erzeugen. Dazu braucht man nicht nur weit mehr Investitionen in die Infrastruktur, als derzeit geplant sind, der Südsudan und der Sudan müssen sich auch gegenseitig als ihren wichtigsten Verbündeten akzeptieren, mit dem gemeinsamen Interesse der Entwicklung ihrer Wirtschaft. „Wir brauchen den Norden genauso wie er uns“, sagte die südsudanesische Landwirtschaftsministerin Betty Achan Ogwaro am 15. Dezember in einem Interview mit EIR. Sie hat recht!

Weltweit herrscht eine zunehmende Verknappung von Nahrungsmitteln - einer der mörderischen Aspekte des Zusammenbruchs des transatlantischen Finanz- und Wirtschaftssystems. Seit Jahrzehnten sterben Afrikaner, weil sie nicht genug Nahrung haben. Aber das ist keineswegs ein natürlicher Zustand. Ab den sechziger Jahren bis in die frühen achtziger Jahre konnten sich viele Nationen Afrikas selbst mit Nahrungsmitteln versorgen oder waren auf dem Wege dorthin. Aber durch ein Vierteljahrhundert der Globalisierung und des Freihandelsdiktats der Welthandelsorganisation gegenüber Ländern, die ihre Landwirtschaft subventionierten, wurde die Fähigkeit der Nationen, ihre Menschen selbst zu ernähren, vorsätzlich zerstört.

Es gibt keinen einzigen Konflikt auf dem Kontinent, der nicht in der einen oder anderen Form dadurch ausgelöst wurde, daß Menschen um Ressourcen kämpfen, um überleben zu können. Nahrungsmittelverknappungen waren auch die Ursache der Volksaufstände des Arabischen Frühlings, und diese werden sich im neuen Jahr auch in Schwarzafrika ausbreiten, wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden, um die Menschen zu ernähren. Dazu werden sich die Länder Afrikas aus dem Griff der monetaristischen Herrschaft der Londoner City und der Wallstreet befreien müssen.

Die Regierungen der afrikanischen Nationen haben das Recht und die Verpflichtung, in die sogenannten „freien Märkte“ zu intervenieren, um sicherzustellen, daß Nahrungsmittel nicht als Waffe eingesetzt werden können, um einen Völkermord auf dem Kontinent zu verüben, insbesondere wenn objektiv gesehen alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, genug Nahrungsmittel zu produzieren, um Hunger und Massensterben zu verhindern.

Man verweigert den Nationen Afrikas vorsätzlich die notwendigen Investitionen in Infrastrukturprojekte zur Bereitstellung von Wasser, Energie und Verkehrsmitteln, durch die diese Volkswirtschaften ihre Produktion vervielfachen könnten. Die räuberischen Finanzinteressen haben durch ihre Politik gezeigt, daß sie viel mehr daran interessiert sind, die Regierungen schwach und manipulierbar zu halten, damit sie ihnen leichten Zugang zu den Ressourcen des Landes gewähren. Die Menschen auf dem Land und am Leben zu halten, daran sind sie nicht interessiert. Die Schaffung einer integrierten „Infrastruktur-Plattform“ würde als Grundlage für wirtschaftliches Wachstum dienen, insbesondere durch die Schaffung stark verbesserter Bedingungen für die Erzeugung, Lagerung und den Transport von Nahrungsmitteln.

Entwicklung: der Weg zu Frieden und Sicherheit

In ihrem Interview machte Ministerin Ogwaro deutlich, daß alle Bedingungen existieren, um genug Nahrungsmittel für die 8,2 Millionen Menschen zu schaffen, die im Südsudan leben, und sie weist zu recht darauf hin, daß nicht das Erdöl, sondern die Landwirtschaft „das Rückgrat des Südsudan ist“. Aber die Produktivität ist wegen der fehlenden Infrastruktur, der rückständigen, arbeitsintensiven Methoden der Landwirtschaft, großer Verluste durch Schädlinge, das Vorherrschen von Subsistenzlandwirtschaft, mangelnden Kredit und die Zerstörung des Landes durch jahrzehntelange Kriege stark eingeschränkt, sodaß derzeit nur 4% des Landes wirklich genutzt werden.

Wasser für die Landwirtschaft und Energieproduktion hat einen weit größeren Wert als Öl, und das Land ist gesegnet mit vielen Wassersystemen. Die Ölförderung im Südsudan erreichte 2009 ihren Höhepunkt, und „man erwartet, daß sie in den kommenden fünf Jahren um 40% sinken wird, wenn keine neuen Ölfelder entdeckt werden“, berichtet der Minister für Erdöl und Bergbau, Stephen Dhieu Dau. Deshalb wäre es tragisch, wenn man aus dem Südsudan eine gigantische „Ölraffinerie“ machte, wo man sich nur darauf konzentriert, neue Ölunternehmen aufzubauen, und Zeit und Geld daran verschwendet, neue Wege zum Export des Erdöls zu erschließen.

Nigeria ist ein hervorstechendes Beispiel für diesen zum Scheitern verurteilten Ansatz. Mehr als ein halbes Jahrhundert, seit im Delta des Niger Öl gefunden wurde, haben die 160 Millionen Nigerianer noch immer für ihre Häuser keine Stromversorgung, wenn sie keine eigenen Generatoren verwenden, und auch für die Industrie des Landes gibt es nicht genug Strom. Obwohl das Land viel größere Erdölreserven hat als der Südsudan, ist es in Nigeria nicht gelungen, der Bevölkerung anständige Lebensbedingungen zu schaffen, denn mehr als 100 Millionen Nigerianer müssen von 1-2 Dollar am Tag leben.

Der Südsudan sollte sich nicht darauf zu beschränken, den Bedarf der eigenen Bevölkerung zu decken, wozu die Nahrungsmittelerzeugung von 700.000 t auf 1 Mio. t gesteigert werden soll. Er sollte es als seine Aufgabe betrachten, Nahrungsmittelüberschüsse zu erzeugen und zu exportieren, um die Nahrungsmittelknappheit am Horn von Afrika und in den Maghrebstaaten zu beheben. Würde die Führung des Landes sich dieser Mission annehmen, so würde dies eine dramatische, befreiende Änderung des Denkens über die Zukunft des Südsudan auslösen, wofür man auch heute ganz andere politische Entscheidungen treffen müßte.

Um diese Mission zu erfüllen, bräuchte man großangelegte Infrastrukturprojekte, die das Land völlig verwandeln, und ein höheres Niveau an Technik - nicht nur, um die reale Produktion der Volkswirtschaft zu steigern, sondern vor allem, um das Qualifikationsniveau der Bevölkerung anzuheben. Für den Wohlstand des Südsudan sollte man sich nicht auf einen einzigen Rohstoff verlassen, sondern sich auf das Konzept einer Infrastrukturplattform stützen, wo auf der Grundlage der Fähigkeit der Bevölkerung, ihre Produktivkräfte immer weiter zu erhöhen, ein dauerhafter Wohlstand des Landes geschaffen werden kann. Dann wird die Volkswirtschaft und die Zukunft wirklich den Menschen gehören, weil sie selbst die Quelle des neuen Wohlstands sind, den sie für die kommenden Generationen schaffen.

Nach dem Entwicklungsplan des Südsudan für 2011-14 soll der Anteil der Ausgaben für die wirtschaftliche Entwicklung von zunächst 13% im Jahr 2011 auf 18% im Jahr 2014 gesteigert werden, und der Anteil der Ausgaben für die Infrastruktur soll im gleichen Zeitraum von 7% auf 11% zunehmen. Um die Volkswirtschaft angemessen zu transformieren, müßten die Ausgaben für die „harte“ und „weiche“ Infrastruktur jedoch so schnell wie möglich auf 50% der Gesamtausgaben des Staatshaushaltes gesteigert werden.

Der Südsudan muß die Forderung der westlichen Finanzinstitutionen nach Liberalisierung seiner Volkswirtschaft zurückweisen. Würde man den jungen Südsudan den geldhungrigen Finanzräubern öffnen - jenen Monetaristen, die die Ressourcen des Südsudan an sich reißen wollen -, dann würde das „Baby“ schon in der Wiege erstickt. Schon jetzt wird berichtet, daß ausländische Investoren seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von 2005 große Landflächen im Südsudan aufgekauft haben - nach Angaben des Oakland Institute 5,15 Mio. ha, was 8% der Fläche des Landes entspricht, wobei nur sehr wenig real vor Ort investiert wird.

Um eine Zukunft zu haben, braucht der Südsudan eine visionäre und gleichzeitig realistische Vorstellung, was möglich und notwendig ist, um die extreme Armut, den geringen Bildungsstand und die schrecklich hohe Kinder- und Müttersterblichkeit im Land zu überwinden. Die kürzlich fertiggestellte, 192 km lange Allwetterstraße von Juba nach Nimule, von wo aus Anschluß zur ugandischen Hauptstadt Kampala besteht, ist zwar nützlich, reicht aber bei weitem nicht aus, und man braucht auch nicht nur ein Straßennetz. Ein Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, das den Südsudan mit dem Nordsudan, Ägypten, Äthiopien, Somalia, Kenia und Uganda verbindet, bedeutete nicht nur für diese Länder, sondern für ganz Afrika eine volkswirtschaftliche Revolution.

Das ist die Richtung, in der dieser inzwischen sechs Monate alte Staat seine Zukunft suchen muß. Wenn man die Idee erst einmal begriffen hat, dann wird es auch möglich, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Seien wir also so mutig, so zu denken, und handeln wir danach.

Lawrence K. Freeman