Der Südsudan muß Nahrungsmittelexporteur werden
Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes muß die
politische Führung des Südsudan ein Konzept für die künftige Entwicklung des
Landes entwickeln.
Wenn die Menschheit überlebt, was angesichts der derzeitigen
Gefahr eines neuen Weltkriegs und des völligen Zusammenbruchs der globalen
Wirtschaft keineswegs sicher ist, dann können wir daran gehen, eine der
wichtigsten Aufgaben zu bewältigen: die Einleitung eines wirklich planetaren
Aufschwungs der Realwirtschaft, vorangetrieben durch Durchbrüche in
Wissenschaft und Technik. In der neuen Republik Südsudan (RSS) müssen die
Bemühungen der Regierung darauf ausgerichtet werden, endlich das
landwirtschaftliche Potential des Landes zu entfalten und Nahrungsmittel nicht
nur für den Bedarf des eigenen Landes, sondern auch für seine Nachbarn am Horn
von Afrika und die Maghrebstaaten in Nordafrika zu erzeugen. Dazu braucht man
nicht nur weit mehr Investitionen in die Infrastruktur, als derzeit geplant
sind, der Südsudan und der Sudan müssen sich auch gegenseitig als ihren
wichtigsten Verbündeten akzeptieren, mit dem gemeinsamen Interesse der
Entwicklung ihrer Wirtschaft. „Wir brauchen den Norden genauso wie er uns“,
sagte die südsudanesische Landwirtschaftsministerin Betty Achan Ogwaro am 15.
Dezember in einem Interview mit EIR. Sie hat recht!
Weltweit herrscht eine zunehmende Verknappung von
Nahrungsmitteln - einer der mörderischen Aspekte des Zusammenbruchs des
transatlantischen Finanz- und Wirtschaftssystems. Seit Jahrzehnten sterben
Afrikaner, weil sie nicht genug Nahrung haben. Aber das ist keineswegs ein
natürlicher Zustand. Ab den sechziger Jahren bis in die frühen achtziger Jahre
konnten sich viele Nationen Afrikas selbst mit Nahrungsmitteln versorgen oder
waren auf dem Wege dorthin. Aber durch ein Vierteljahrhundert der Globalisierung
und des Freihandelsdiktats der Welthandelsorganisation gegenüber Ländern, die
ihre Landwirtschaft subventionierten, wurde die Fähigkeit der Nationen, ihre
Menschen selbst zu ernähren, vorsätzlich zerstört.
Es gibt keinen einzigen Konflikt auf dem Kontinent, der
nicht in der einen oder anderen Form dadurch ausgelöst wurde, daß Menschen um
Ressourcen kämpfen, um überleben zu können. Nahrungsmittelverknappungen waren
auch die Ursache der Volksaufstände des Arabischen Frühlings, und diese werden
sich im neuen Jahr auch in Schwarzafrika ausbreiten, wenn nicht sofort
Maßnahmen ergriffen werden, um die Menschen zu ernähren. Dazu werden sich die
Länder Afrikas aus dem Griff der monetaristischen Herrschaft der Londoner City
und der Wallstreet befreien müssen.
Die Regierungen der afrikanischen Nationen haben das Recht
und die Verpflichtung, in die sogenannten „freien Märkte“ zu intervenieren, um
sicherzustellen, daß Nahrungsmittel nicht als Waffe eingesetzt werden können,
um einen Völkermord auf dem Kontinent zu verüben, insbesondere wenn objektiv
gesehen alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, genug Nahrungsmittel zu
produzieren, um Hunger und Massensterben zu verhindern.
Man verweigert den Nationen Afrikas vorsätzlich die
notwendigen Investitionen in Infrastrukturprojekte zur Bereitstellung von
Wasser, Energie und Verkehrsmitteln, durch die diese Volkswirtschaften ihre
Produktion vervielfachen könnten. Die räuberischen Finanzinteressen haben durch
ihre Politik gezeigt, daß sie viel mehr daran interessiert sind, die
Regierungen schwach und manipulierbar zu halten, damit sie ihnen leichten
Zugang zu den Ressourcen des Landes gewähren. Die Menschen auf dem Land und am
Leben zu halten, daran sind sie nicht interessiert. Die Schaffung einer
integrierten „Infrastruktur-Plattform“ würde als Grundlage für wirtschaftliches
Wachstum dienen, insbesondere durch die Schaffung stark verbesserter
Bedingungen für die Erzeugung, Lagerung und den Transport von Nahrungsmitteln.
Entwicklung: der Weg zu Frieden und Sicherheit
In ihrem Interview machte Ministerin Ogwaro deutlich, daß
alle Bedingungen existieren, um genug Nahrungsmittel für die 8,2 Millionen
Menschen zu schaffen, die im Südsudan leben, und sie weist zu recht darauf hin,
daß nicht das Erdöl, sondern die Landwirtschaft „das Rückgrat des Südsudan
ist“. Aber die Produktivität ist wegen der fehlenden Infrastruktur, der
rückständigen, arbeitsintensiven Methoden der Landwirtschaft, großer Verluste
durch Schädlinge, das Vorherrschen von Subsistenzlandwirtschaft, mangelnden
Kredit und die Zerstörung des Landes durch jahrzehntelange Kriege stark
eingeschränkt, sodaß derzeit nur 4% des Landes wirklich genutzt werden.
Wasser für die Landwirtschaft und Energieproduktion hat einen
weit größeren Wert als Öl, und das Land ist gesegnet mit vielen Wassersystemen.
Die Ölförderung im Südsudan erreichte 2009 ihren Höhepunkt, und „man erwartet,
daß sie in den kommenden fünf Jahren um 40% sinken wird, wenn keine neuen
Ölfelder entdeckt werden“, berichtet der Minister für Erdöl und Bergbau,
Stephen Dhieu Dau. Deshalb wäre es tragisch, wenn man aus dem Südsudan eine
gigantische „Ölraffinerie“ machte, wo man sich nur darauf konzentriert, neue
Ölunternehmen aufzubauen, und Zeit und Geld daran verschwendet, neue Wege zum
Export des Erdöls zu erschließen.
Nigeria ist ein hervorstechendes Beispiel für diesen zum
Scheitern verurteilten Ansatz. Mehr als ein halbes Jahrhundert, seit im Delta
des Niger Öl gefunden wurde, haben die 160 Millionen Nigerianer noch immer für
ihre Häuser keine Stromversorgung, wenn sie keine eigenen Generatoren
verwenden, und auch für die Industrie des Landes gibt es nicht genug Strom.
Obwohl das Land viel größere Erdölreserven hat als der Südsudan, ist es in
Nigeria nicht gelungen, der Bevölkerung anständige Lebensbedingungen zu
schaffen, denn mehr als 100 Millionen Nigerianer müssen von 1-2 Dollar am Tag
leben.
Der Südsudan sollte sich nicht darauf zu beschränken, den
Bedarf der eigenen Bevölkerung zu decken, wozu die Nahrungsmittelerzeugung von
700.000 t auf 1 Mio. t gesteigert werden soll. Er sollte es als seine Aufgabe
betrachten, Nahrungsmittelüberschüsse zu erzeugen und zu exportieren, um die
Nahrungsmittelknappheit am Horn von Afrika und in den Maghrebstaaten zu beheben.
Würde die Führung des Landes sich dieser Mission annehmen, so würde dies eine
dramatische, befreiende Änderung des Denkens über die Zukunft des Südsudan
auslösen, wofür man auch heute ganz andere politische Entscheidungen treffen
müßte.
Um diese Mission zu erfüllen, bräuchte man großangelegte
Infrastrukturprojekte, die das Land völlig verwandeln, und ein höheres Niveau
an Technik - nicht nur, um die reale Produktion der Volkswirtschaft zu
steigern, sondern vor allem, um das Qualifikationsniveau der Bevölkerung
anzuheben. Für den Wohlstand des Südsudan sollte man sich nicht auf einen
einzigen Rohstoff verlassen, sondern sich auf das Konzept einer
Infrastrukturplattform stützen, wo auf der Grundlage der Fähigkeit der
Bevölkerung, ihre Produktivkräfte immer weiter zu erhöhen, ein dauerhafter
Wohlstand des Landes geschaffen werden kann. Dann wird die Volkswirtschaft und
die Zukunft wirklich den Menschen gehören, weil sie selbst die Quelle des neuen
Wohlstands sind, den sie für die kommenden Generationen schaffen.
Nach dem Entwicklungsplan des Südsudan für 2011-14 soll der
Anteil der Ausgaben für die wirtschaftliche Entwicklung von zunächst 13% im
Jahr 2011 auf 18% im Jahr 2014 gesteigert werden, und der Anteil der Ausgaben
für die Infrastruktur soll im gleichen Zeitraum von 7% auf 11% zunehmen. Um die
Volkswirtschaft angemessen zu transformieren, müßten die Ausgaben für die
„harte“ und „weiche“ Infrastruktur jedoch so schnell wie möglich auf 50% der
Gesamtausgaben des Staatshaushaltes gesteigert werden.
Der Südsudan muß die Forderung der westlichen
Finanzinstitutionen nach Liberalisierung seiner Volkswirtschaft zurückweisen.
Würde man den jungen Südsudan den geldhungrigen Finanzräubern öffnen - jenen
Monetaristen, die die Ressourcen des Südsudan an sich reißen wollen -, dann
würde das „Baby“ schon in der Wiege erstickt. Schon jetzt wird berichtet, daß
ausländische Investoren seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von 2005
große Landflächen im Südsudan aufgekauft haben - nach Angaben des Oakland
Institute 5,15 Mio. ha, was 8% der Fläche des Landes entspricht, wobei nur sehr
wenig real vor Ort investiert wird.
Um eine Zukunft zu haben, braucht der Südsudan eine
visionäre und gleichzeitig realistische Vorstellung, was möglich und notwendig
ist, um die extreme Armut, den geringen Bildungsstand und die schrecklich hohe
Kinder- und Müttersterblichkeit im Land zu überwinden. Die kürzlich
fertiggestellte, 192 km lange Allwetterstraße von Juba nach Nimule, von wo aus
Anschluß zur ugandischen Hauptstadt Kampala besteht, ist zwar nützlich, reicht
aber bei weitem nicht aus, und man braucht auch nicht nur ein Straßennetz. Ein
Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, das den Südsudan mit dem Nordsudan,
Ägypten, Äthiopien, Somalia, Kenia und Uganda verbindet, bedeutete nicht nur
für diese Länder, sondern für ganz Afrika eine volkswirtschaftliche Revolution.
Das ist die Richtung, in der dieser inzwischen sechs Monate
alte Staat seine Zukunft suchen muß. Wenn man die Idee erst einmal begriffen
hat, dann wird es auch möglich, Schritte in diese Richtung zu unternehmen.
Seien wir also so mutig, so zu denken, und handeln wir danach.
Lawrence K. Freeman