Ein schockierender Bericht - aber keine Antwort auf die Probleme
Buchbesprechung. „Mein afrikanisches Tagebuch - Reise durch
einen Kontinent im Aufbruch“, erschien 2011 als Begleitbuch zur
ZDF-Dokumentation “Afrikas Schätze“.
Die Autorin Marietta Slomka ist Moderatorin beim ZDF, studierte
vorher Volkswirtschaft und Politik in Deutschland und England. Sie bereiste 8
von 50 afrikanischen Staaten: Ruanda, Äthiopien, Kenia, Sansibar (Teilstaat von
Tansania), Angola, Sierra Leone, Südafrika und Mosambik, und berichtet darüber
in ihrem „afrikanischen Tagebuch“.
Eine Bereicherung ist es allemal, dieses Buch zu lesen, aber eine Antwort,
wie viele der Probleme gelöst werden können, findet man nicht - weder eine
einfache, noch eine komplexere Antwort. Vielleicht, weil eine Lösung der
Probleme auch gar nicht aus Afrika selbst kommen kann, solange der Westen an
seiner jetzigen Politik festhält. Daß dieser Kontinent im Aufbruch ist, wie es
im Untertitel heißt, kann nur schwer nachvollzogen werden. Die furchtbare
Katastrophe dieser Tage am Horn von Afrika, die eine lange Vorlaufzeit hatte,
wird den ganzen Kontinent beeinflussen.
Nachdem in Ruanda ,,ground zero“ war, mußte dieses Land von den überlebenden
Frauen wieder aufgebaut werden, vergleichbar mit den Trümmerfrauen in
Deutschland, die ihre Ehemänner an der Front verloren hatten. Dieser
Überlebenswille drückt sich noch heute, 16 Jahre nach den Bluttaten, in dem
Begriff „die Powerfrauen von Ruanda“ aus. Eine davon gehört zu den
erfolgreichen Modeschöpferinnen, andere sind in der Tourismusbranche aktiv,
oder ausgebildete Tierpflegerinnen u.a.
Aber afrikanische Ingenieurinnen wird man dort schwerlich finden. Der größte
Teil der Bevölkerung ist außen vor, die Bildung ist dürftig und da, wo es
Schulen gibt, müssen Eltern oft von ihrem Wenigen noch Schulgeld zahlen. Die
Infrastruktur ist völlig unterentwickelt, aus Slums wie „Samba“ in Angola
werden die Bewohner vertrieben, wenn Großinvestoren kommen, die dort
Prunkgebäude hinsetzen wollen. In Luanda, der Hauptstadt Angolas, findet man
Luxusenklaven mit millionenschweren Häusern ziemlich nahe an Armenvierteln,
deren Armut jede Vorstellungskraft übersteigt. Eigentlich ist Angola durch das
sprudelnde „Gold“ reich, aber wo bleibt der Reichtum?
Das ist das Wesensmerkmal afrikanischer Länder: Reichtum durch Rohstoffe,
Edelmetalle, Diamanten oder die Afrikaner fast verhöhnender Reichtum durch
Tourismus, Massensafaris, Tauchtourismus oder Berggorillas als Sensation, die
man aufsuchen kann, wenn man Kigali, die Hauptstadt Ruandas, auf einer
asphaltierten Straße verläßt und sich ins Grenzgebiet zum Kongo begibt. Auf dem
Weg dorthin ist ein geschäftiges Treiben wie an einem verkaufsoffenen Samstag
in Deutschland zu beobachten. Man passiert Eukalyptusbäume, Bananenplantagen
und kleine Gärten, und es sind wirklich tausende von Menschen - meistens zu Fuß
- unterwegs.
Wie schon gesagt, nur die Hauptstraße, die zu den Berggorillas führt, ist
asphaltiert, und wer 500 Dollar (!) Eintritt zahlen kann, ist einer von 60
glücklichen Touristen, denen pro Tag Einlaß zu den Tieren gewährt wird. Ruanda
ist wirtschaftlich ein sehr schwaches Land, deshalb sollen die Berggorillas
Geld einbringen, aber es ist fraglich, in welchen Händen es landet.
Paul Kagame, der Präsident, möchte aus Ruanda ein Singapur Afrikas machen,
mit niedrigen Löhnen, wenig Bürokratie, Kapital statt Hilfsgeldern. In seinem
Land sind Plastiktüten verboten, und auch wegen der Berggorillas erhielt er
mehrere Umweltpreise aus dem Westen. Der Präsident ist nach den
Kriegsereignissen vor 16 Jahren dem britischen Commonwealth beigetreten, und
Tony Blair wurde sein Berater. Frau Slomkas Ausführungen über den Genozid in
Ruanda 1994 zwischen Hutus und Tutsis sind sehr aufrüttelnd - auch über die
blutige Rolle, die Paul Kagame zu der Zeit spielte. Wahrscheinlich ist die
britische Königsfamilie in jeder Hinsicht sehr zufrieden mit ihm.
Afrikaner sind stolze Menschen.Auf die Frage, was denn der größte Schatz in
Ruanda sei, antwortete der Begleiter von Frau Slomka: ,,Die Menschen, nicht die
Gorillas, bei aller Liebe. Unser Schatz sind die Menschen dieses Landes. Wir
sind diszipliniert, fleißig, tapfer…“
Wettlauf der Investoren
In Afrika findet ein Wettlauf zwischen Großinvestoren statt - Saudis,
Chinesen, Koreaner, Inder. 35 km von der Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba,
entfernt, liegt der blühende Industriepark des Rosenproduzenten Ramakrishna
Karaturi, der der größte indische Investor Äthiopens ist. Diese Rosenfarm ist
auch die größte der Welt. Ein Afrikaner bekommt einen Tageslohn von einem
Dollar, soziale Versicherungssysteme gibt es nicht. Auch in deutschen
Supermarktketten kaufen wir die Rosen von Herrn Karuturi. In den nächsten
Jahren will er auch im großen Stil Getreide, Mais, und Ölsaaten für
Biokraftstoffe anbauen.
Die Frage, die Frau Slomka zu recht aufwirft ist die, ob die afrikanischen
Länder von diesem Reichtum eines Tages selber profitieren werden, oder ob
weiterhin durch große Gewinnspannen noch mehr Milliardäre vom Schlage eines
Karuturi entstehen. Der Kreislauf ,,Brot für die Welt“ (3.Welt), angebaut durch
einen Inder (2. Welt), exportiert in die 1.Welt, und dann als Hilfsprogramme
wieder zurück nach Afrika…dieses darf nicht stattfinden.
Noch lockt die äthiopische Regierung Großinvestoren - dieses Bild sehen wir
übrigens überall in Afrika - mit langen Pachtverträgen, Steuerfreiheit in den
ersten fünf Jahren, niedrigen oder gar keinen Exportzöllen. Die ausländischen
Investitionen in den Agrarsektor Äthiopiens stiegen von 135 Millionen US-Dollar
im Jahr 2000 auf 3,5 Milliarden im Jahr 2008. Im Landwirtschaftsministerium
werden mittlerweile Angebotsmappen mit Satellitenbildern und Bodenanalysen
erstellt. Während eines Treffens mit dem Team von Frau Slomka drückte Herr
Karaturi aus, es sei doch gut, in Afrika zu investieren, anstatt zu Weihnachten
20 Dollar zu spenden.
Tourismus in Afrika hat sich zu einer schlimmen Seuche entwickelt. „Im
berühmten Amboseli-Nationalpark in Kenia ist von morgens um 6 Uhr bis
nachmittags um 16 Uhr Rushhour. Wo immer Elefanten grasen, stauen sich die
Minibusse… Östliche Massai Mara: es drängeln sich 30 Jeeps um einen Löwen.“ Ein
Begleiter von Frau Slomka erklärt, „Safari“ bedeute in Suaheli „Reise“. „Den
Touristen verkauft man heute den Traum von einer Safari. Aber so eine Safari
dauerte früher mehrere Monate. Heute hingegen kommen die Touristen ins Land
gerauscht, haben meistens nur ein paar Tage Zeit, wollen alles zack-zack sehen,
statt Afrika in afrikanischem Tempo wirklich zu erleben.“
Das andere touristische Extrem - einsamer Ökotourismus auf höchstem Niveau -
sind Luxuslodgen. Eine davon liegt am Fuße der Chyulu Hills. Die Devise der
natürlich ausländischen Investoren lautet „Klasse statt Masse“ und wird dort
konsequent umgesetzt. Ein Zimmer ist 150 Quaratmeter groß, alles verglast, was
es ermöglicht, vom Liegestuhl oder Himmelbett aus seinen Blick in die Wildnis
oder auf den Kilimandscharo schweifen zu lassen. Vom ökologisch abbaubarem
Shampoo über solarbetriebene Lampen bis zum Naturstein-Privatpool: auf jeder
Suite ist alles vorhanden. Afrikas Schönheit nur noch für Großverdiener, ganz
wie zu Zeiten des Empire?! Diese Frage stellt sich die Buchautorin zu
Recht.
Abschließend möchte ich noch auf einen anderen Abschnitt aus dem Buch
eingehen. Slomka fragt: „Als Volkswirtin interessiert mich besonders, warum
leben in Afrika so viel arme Menschen auf so reichen Böden? Denn Afrika ist
reich. Reich an Boden-und Naturschätzen, um die längst ein Wettrennen
internationaler Investoren entbrannt ist. Afrika hat nicht nur fruchtbare
Böden, sondern reiche Ölvorkommen, Diamanten, Kobalt und viele andere Schätze,
von denen wir in deutschen Landen nur träumen können. Und doch sind so viele
Afrikaner bitterarm. Warum? Fragen wie diese treiben mich um...“
Aber um sie zu beantworten, muß man den Blick über Afrika hinaus erheben und
den Mut haben, die Grundaxiome der bei uns vorherrschenden Politik auch direkt
anzugreifen.
Deutschland ist tatsächlich ein rohstoffarmes Land. Aber durch bestimmte
Ideen, die aus unserer Kultur kamen, wurden wir eine moderne Industrienation.
Produktive Arbeitsplätze, gute Sozial-und Bildungssysteme. Die sichersten
Kernkraftwerke wurden hier gebaut, die Magnetbahn vor ca. 50 Jahren hier
entwickelt. Aber heute? Umkehr, zurück zum Windrad - mit allen Implikationen,
die das für uns und auch andere Länder hat.
Die Bundeskanzlerin war kürzlich auf Staatsbesuch in Kenia, das auch von der
Dürrekatastrophe heimgesucht wird. Mit Premierminister Odinga wurden
gegenseitige Wirtschaftsvertretungen vereinbart, auch die Bitte nach
langfristigen Investitionen in Aufforstungsprogramme, in Straßen und
Eisenbahnnetze. Anders als Deutschland hält Kenia aber an seinem
Kernenergieprogramm fest. Der Premierminister erinnerte daran, wie Europa in
den sechziger, siebziger und achtziger Jahren mit Amerika zusammen
Infrastruktur in Afrika errichtet hatte, dann wurde das Feld den multilateralen
Agenturen wie Weltbank und EU geräumt. Auch Frau Slomka berichtet von Experten,
die der Überzeugung sind, Afrika habe nur eine echte Chance, wenn es seine
Infrastruktur ausbaut. Aber das muß man im großen Stile anpacken. Afrika
braucht ca. 160.000 km Eisenbahn kreuz und quer über den Kontinent und das
Transaqua-Projekt, um Millionen von Quadratkilometern wieder der Wüste zu
entringen und daraus fruchtbares Ackerland zu machen.
Vieles an Technik und Know-how könnte dazu aus Deutschland und Europa
kommen. Aber dazu brauchen wir eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung, die
der Entwicklung und den Menschen dient, eine Neuordnung der Schulden, die zum
großen Teil erlassen werden müssen, und langfristig finanzierte
Entwicklungsstrategien, also einen New Deal für alle, vor allem auch für die
Afrikaner.
Die Voraussetzung dafür ist aber zunächst eine Neuordnung des
Weltfinanzsystems durch ein globales Trennbankensystem. Der entscheidende
Anstoß zu einem neuen weltwirtschaftlichen System, muß aus den USA kommen -
auch wenn dies ohne einen Rücktritt oder eine Amtsenthebung Obamas kaum denkbar
ist.
Ulla Apel