"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Ein schockierender Bericht - aber keine Antwort auf die Probleme

Buchbesprechung. „Mein afrikanisches Tagebuch - Reise durch einen Kontinent im Aufbruch“, erschien 2011 als Begleitbuch zur ZDF-Dokumentation “Afrikas Schätze“.

Die Autorin Marietta Slomka ist Moderatorin beim ZDF, studierte vorher Volkswirtschaft und Politik in Deutschland und England. Sie bereiste 8 von 50 afrikanischen Staaten: Ruanda, Äthiopien, Kenia, Sansibar (Teilstaat von Tansania), Angola, Sierra Leone, Südafrika und Mosambik, und berichtet darüber in ihrem „afrikanischen Tagebuch“.

Eine Bereicherung ist es allemal, dieses Buch zu lesen, aber eine Antwort, wie viele der Probleme gelöst werden können, findet man nicht - weder eine einfache, noch eine komplexere Antwort. Vielleicht, weil eine Lösung der Probleme auch gar nicht aus Afrika selbst kommen kann, solange der Westen an seiner jetzigen Politik festhält. Daß dieser Kontinent im Aufbruch ist, wie es im Untertitel heißt, kann nur schwer nachvollzogen werden. Die furchtbare Katastrophe dieser Tage am Horn von Afrika, die eine lange Vorlaufzeit hatte, wird den ganzen Kontinent beeinflussen.

Nachdem in Ruanda ,,ground zero“ war, mußte dieses Land von den überlebenden Frauen wieder aufgebaut werden, vergleichbar mit den Trümmerfrauen in Deutschland, die ihre Ehemänner an der Front verloren hatten. Dieser Überlebenswille drückt sich noch heute, 16 Jahre nach den Bluttaten, in dem Begriff „die Powerfrauen von Ruanda“ aus. Eine davon gehört zu den erfolgreichen Modeschöpferinnen, andere sind in der Tourismusbranche aktiv, oder ausgebildete Tierpflegerinnen u.a.

Aber afrikanische Ingenieurinnen wird man dort schwerlich finden. Der größte Teil der Bevölkerung ist außen vor, die Bildung ist dürftig und da, wo es Schulen gibt, müssen Eltern oft von ihrem Wenigen noch Schulgeld zahlen. Die Infrastruktur ist völlig unterentwickelt, aus Slums wie „Samba“ in Angola werden die Bewohner vertrieben, wenn Großinvestoren kommen, die dort Prunkgebäude hinsetzen wollen. In Luanda, der Hauptstadt Angolas, findet man Luxusenklaven mit millionenschweren Häusern ziemlich nahe an Armenvierteln, deren Armut jede Vorstellungskraft übersteigt. Eigentlich ist Angola durch das sprudelnde „Gold“ reich, aber wo bleibt der Reichtum?

Das ist das Wesensmerkmal afrikanischer Länder: Reichtum durch Rohstoffe, Edelmetalle, Diamanten oder die Afrikaner fast verhöhnender Reichtum durch Tourismus, Massensafaris, Tauchtourismus oder Berggorillas als Sensation, die man aufsuchen kann, wenn man Kigali, die Hauptstadt Ruandas, auf einer asphaltierten Straße verläßt und sich ins Grenzgebiet zum Kongo begibt. Auf dem Weg dorthin ist ein geschäftiges Treiben wie an einem verkaufsoffenen Samstag in Deutschland zu beobachten. Man passiert Eukalyptusbäume, Bananenplantagen und kleine Gärten, und es sind wirklich tausende von Menschen - meistens zu Fuß - unterwegs.

Wie schon gesagt, nur die Hauptstraße, die zu den Berggorillas führt, ist asphaltiert, und wer 500 Dollar (!) Eintritt zahlen kann, ist einer von 60 glücklichen Touristen, denen pro Tag Einlaß zu den Tieren gewährt wird. Ruanda ist wirtschaftlich ein sehr schwaches Land, deshalb sollen die Berggorillas Geld einbringen, aber es ist fraglich, in welchen Händen es landet.

Paul Kagame, der Präsident, möchte aus Ruanda ein Singapur Afrikas machen, mit niedrigen Löhnen, wenig Bürokratie, Kapital statt Hilfsgeldern. In seinem Land sind Plastiktüten verboten, und auch wegen der Berggorillas erhielt er mehrere Umweltpreise aus dem Westen. Der Präsident ist nach den Kriegsereignissen vor 16 Jahren dem britischen Commonwealth beigetreten, und Tony Blair wurde sein Berater. Frau Slomkas Ausführungen über den Genozid in Ruanda 1994 zwischen Hutus und Tutsis sind sehr aufrüttelnd - auch über die blutige Rolle, die Paul Kagame zu der Zeit spielte. Wahrscheinlich ist die britische Königsfamilie in jeder Hinsicht sehr zufrieden mit ihm.

Afrikaner sind stolze Menschen.Auf die Frage, was denn der größte Schatz in Ruanda sei, antwortete der Begleiter von Frau Slomka: ,,Die Menschen, nicht die Gorillas, bei aller Liebe. Unser Schatz sind die Menschen dieses Landes. Wir sind diszipliniert, fleißig, tapfer…“

Wettlauf der Investoren

In Afrika findet ein Wettlauf zwischen Großinvestoren statt - Saudis, Chinesen, Koreaner, Inder. 35 km von der Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba, entfernt, liegt der blühende Industriepark des Rosenproduzenten Ramakrishna Karaturi, der der größte indische Investor Äthiopens ist. Diese Rosenfarm ist auch die größte der Welt. Ein Afrikaner bekommt einen Tageslohn von einem Dollar, soziale Versicherungssysteme gibt es nicht. Auch in deutschen Supermarktketten kaufen wir die Rosen von Herrn Karuturi. In den nächsten Jahren will er auch im großen Stil Getreide, Mais, und Ölsaaten für Biokraftstoffe anbauen.

Die Frage, die Frau Slomka zu recht aufwirft ist die, ob die afrikanischen Länder von diesem Reichtum eines Tages selber profitieren werden, oder ob weiterhin durch große Gewinnspannen noch mehr Milliardäre vom Schlage eines Karuturi entstehen. Der Kreislauf ,,Brot für die Welt“ (3.Welt), angebaut durch einen Inder (2. Welt), exportiert in die 1.Welt, und dann als Hilfsprogramme wieder zurück nach Afrika…dieses darf nicht stattfinden.

Noch lockt die äthiopische Regierung Großinvestoren - dieses Bild sehen wir übrigens überall in Afrika - mit langen Pachtverträgen, Steuerfreiheit in den ersten fünf Jahren, niedrigen oder gar keinen Exportzöllen. Die ausländischen Investitionen in den Agrarsektor Äthiopiens stiegen von 135 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 auf 3,5 Milliarden im Jahr 2008. Im Landwirtschaftsministerium werden mittlerweile Angebotsmappen mit Satellitenbildern und Bodenanalysen erstellt. Während eines Treffens mit dem Team von Frau Slomka drückte Herr Karaturi aus, es sei doch gut, in Afrika zu investieren, anstatt zu Weihnachten 20 Dollar zu spenden.

Tourismus in Afrika hat sich zu einer schlimmen Seuche entwickelt. „Im berühmten Amboseli-Nationalpark in Kenia ist von morgens um 6 Uhr bis nachmittags um 16 Uhr Rushhour. Wo immer Elefanten grasen, stauen sich die Minibusse… Östliche Massai Mara: es drängeln sich 30 Jeeps um einen Löwen.“ Ein Begleiter von Frau Slomka erklärt, „Safari“ bedeute in Suaheli „Reise“. „Den Touristen verkauft man heute den Traum von einer Safari. Aber so eine Safari dauerte früher mehrere Monate. Heute hingegen kommen die Touristen ins Land gerauscht, haben meistens nur ein paar Tage Zeit, wollen alles zack-zack sehen, statt Afrika in afrikanischem Tempo wirklich zu erleben.“

Das andere touristische Extrem - einsamer Ökotourismus auf höchstem Niveau - sind Luxuslodgen. Eine davon liegt am Fuße der Chyulu Hills. Die Devise der natürlich ausländischen Investoren lautet „Klasse statt Masse“ und wird dort konsequent umgesetzt. Ein Zimmer ist 150 Quaratmeter groß, alles verglast, was es ermöglicht, vom Liegestuhl oder Himmelbett aus seinen Blick in die Wildnis oder auf den Kilimandscharo schweifen zu lassen. Vom ökologisch abbaubarem Shampoo über solarbetriebene Lampen bis zum Naturstein-Privatpool: auf jeder Suite ist alles vorhanden. Afrikas Schönheit nur noch für Großverdiener, ganz wie zu Zeiten des Empire?! Diese Frage stellt sich die Buchautorin zu Recht.

Abschließend möchte ich noch auf einen anderen Abschnitt aus dem Buch eingehen. Slomka fragt: „Als Volkswirtin interessiert mich besonders, warum leben in Afrika so viel arme Menschen auf so reichen Böden? Denn Afrika ist reich. Reich an Boden-und Naturschätzen, um die längst ein Wettrennen internationaler Investoren entbrannt ist. Afrika hat nicht nur fruchtbare Böden, sondern reiche Ölvorkommen, Diamanten, Kobalt und viele andere Schätze, von denen wir in deutschen Landen nur träumen können. Und doch sind so viele Afrikaner bitterarm. Warum? Fragen wie diese treiben mich um...“

Aber um sie zu beantworten, muß man den Blick über Afrika hinaus erheben und den Mut haben, die Grundaxiome der bei uns vorherrschenden Politik auch direkt anzugreifen.

Deutschland ist tatsächlich ein rohstoffarmes Land. Aber durch bestimmte Ideen, die aus unserer Kultur kamen, wurden wir eine moderne Industrienation. Produktive Arbeitsplätze, gute Sozial-und Bildungssysteme. Die sichersten Kernkraftwerke wurden hier gebaut, die Magnetbahn vor ca. 50 Jahren hier entwickelt. Aber heute? Umkehr, zurück zum Windrad - mit allen Implikationen, die das für uns und auch andere Länder hat.

Die Bundeskanzlerin war kürzlich auf Staatsbesuch in Kenia, das auch von der Dürrekatastrophe heimgesucht wird. Mit Premierminister Odinga wurden gegenseitige Wirtschaftsvertretungen vereinbart, auch die Bitte nach langfristigen Investitionen in Aufforstungsprogramme, in Straßen und Eisenbahnnetze. Anders als Deutschland hält Kenia aber an seinem Kernenergieprogramm fest. Der Premierminister erinnerte daran, wie Europa in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren mit Amerika zusammen Infrastruktur in Afrika errichtet hatte, dann wurde das Feld den multilateralen Agenturen wie Weltbank und EU geräumt. Auch Frau Slomka berichtet von Experten, die der Überzeugung sind, Afrika habe nur eine echte Chance, wenn es seine Infrastruktur ausbaut. Aber das muß man im großen Stile anpacken. Afrika braucht ca. 160.000 km Eisenbahn kreuz und quer über den Kontinent und das Transaqua-Projekt, um Millionen von Quadratkilometern wieder der Wüste zu entringen und daraus fruchtbares Ackerland zu machen.

Vieles an Technik und Know-how könnte dazu aus Deutschland und Europa kommen. Aber dazu brauchen wir eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung, die der Entwicklung und den Menschen dient, eine Neuordnung der Schulden, die zum großen Teil erlassen werden müssen, und langfristig finanzierte Entwicklungsstrategien, also einen New Deal für alle, vor allem auch für die Afrikaner.

Die Voraussetzung dafür ist aber zunächst eine Neuordnung des Weltfinanzsystems durch ein globales Trennbankensystem. Der entscheidende Anstoß zu einem neuen weltwirtschaftlichen System, muß aus den USA kommen - auch wenn dies ohne einen Rücktritt oder eine Amtsenthebung Obamas kaum denkbar ist.

Ulla Apel