Dezember 2003 Dialog der Kulturen (Texte)

"Das Tor nach Asien steht in Berlin!"

Ein Bericht von den Asien-Pazifik-Wochen

Bei den Asien-Pazifik-Wochen in Berlin zeigte sich das große Potential, das sich der deutschen Wirtschaft auf dem asiatischen Kontinent bietet - aber es wurde auch deutlich, wie kurzsichtiges Profitdenken und Unkultur bisher die Verwirklichung dieses Potentials behindern. Der Beitrag des Schiller-Instituts zur Überwindung dieser Hindernisse war der Berliner Politik offenbar unangenehm.


Unterentwickelte Wirtschaftsbeziehungen
Kurzsichtiges Profitdenken

Mangel an strategischem Denken

Eurasisches Transrapid-Netz?

Eurasische Landbrücke macht Fortschritte

Vorauseilender Gehorsam?

Erfolgreiche Veranstaltung

"Herr Wowereit, Herr Schröder: machen Sie dieses Tor auf!" So könnte man in Abwandlung des berühmten Wortes von US-Präsident Reagan aus dem Jahre 1987 unsere Regierenden schütteln und anflehen! Damals handelte es sich um das Brandenburger Tor, das Symbol des "Eisernen Vorhangs", der Ost und West trennte - und Gorbatschow sollte es nach Reagans Vorstellung öffnen. "Das Tor nach Asien steht in Berlin!" Mit diesen Worten hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, am 15. September die vierten "Asien-Pazifik-Wochen" eröffnet, die für ganz Deutschland bedeutsam seien, um Asien und Europa näher zusammenzubringen! Aber das asiatische Tor in Berlin ist bisher erst einen ganz kleinen Spalt weit geöffnet. Wir wollen den Gründen dafür nachspüren und dann zeigen, wie das Tor ganz geöffnet werden kann.

Unterentwickelte Wirtschaftsbeziehungen

In den letzten zwei Wochen fanden 250 Veranstaltungen in Berlin zum Thema Asien statt, Schwerpunktland war in diesem Jahr Indien. Bundeskanzler Schröder hatte beim Eröffnungsfestakt im Schauspielhaus darauf hingewiesen, daß inzwischen Asien als Wirtschaftsraum gleichbedeutend sei mit Europa und Amerika. Der europäische Handel mit den ASEAN-Ländern übersteige mittlerweile den Handelsaustausch mit den USA. Er betonte aber auch, daß das eigentliche Potential noch nicht annähernd wirklich genutzt werde - insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen zu Indien ließen sehr zu wünschen übrig.

An den asiatischen Ländern liegt dies sicher nicht, sie forderten während der letzten zwei Wochen die deutschen Vertreter aus Wirtschaft und Politik händeringend auf, mehr in Asien zu investieren. Aber irgend etwas stimmt nicht auf der deutschen Seite. Zwei Momentaufnahmen aus der Fülle der Veranstaltungen seien hier zunächst genannt:

Auf dem Wirtschaftstag Thailand präsentierte der Leiter der deutsch-thailändischen Handelskammer in Bangkok die erschütternde Zahl, daß von allen ausländischen Direktinvestitionen in Thailand gerade einmal 0,8% auf Deutschland entfallen! In Thailand werden inzwischen eine halbe Million Kraftfahrzeuge pro Jahr produziert, davon lassen Toyota und Mitsubishi 240 000 bauen, während die Deutschen nur mit Daimler vertreten sind, die gerade mal 5000 Wagen vom Band laufen lassen.

Der Sprecher der deutsch-thailändischen Handelskammer beschwor die deutschen Firmen geradezu, ihre Zurückhaltung aufzugeben und in Thailand zu investieren. Schließlich stehen Großprojekte auf dem Programm: In Bangkok werden Hochbahn und U-Bahn gebaut und erweitert, im ganzen Land wird das Eisenbahnnetz radikal renoviert, Kraftwerke und Pipelines werden geplant und gebaut. Man wünscht sich eine deutsche Beteiligung, wobei vor allem die technische Ausbildung ganz oben auf der Wunschliste steht. Aber was können wir auf diesem Gebiet noch anbieten, wenn wir bald selbst auf technologischem Gebiet zu einem Entwicklungsland werden, das nur noch beim Bau von Windrädern die Weltspitze hält?

Auf der Indo-German Business Conference wurde auch von indischer Seite beklagt, daß die deutsche Wirtschaft nur rudimentär in Indien vertreten ist - selbst die Autoindustrie sei nur marginal präsent. Und das, obwohl Indiens Wirtschaft schon jetzt ein jährliches produktives Wachstum von über 6% ausweist und damit gleich hinter den chinesischen Wachstumsraten liegt. Die ausländischen Investitionen sollen bis 2007 um 23% jährlich auf schließlich 10 Mrd. Dollar wachsen - die Nachfrage auf dem internen Markt wird sich bis 2007 verdoppeln, und das Handelsvolumen wächst ebenfalls um jährlich 11%. Der deutsche pro-Kopf-Export nach Indien beträgt dagegen nur ein Drittel des schon mageren Exports nach China!

Kurzsichtiges Profitdenken

Woran liegt es aber nun, daß die deutsche Wirtschaft die offensichtlichen Chancen nicht aufgreift? Das Hauptmotiv der deutschen Topfirmen, nach Asien zu gehen, lautet: Kostenersparnis. Im Rahmen von Globalisierung und Liberalisierung sind nur noch solche Investitionen interessant, die schnelles Geld bringen - und damit begrenzt man von vornherein das Potential zu exponentieller Entwicklung und Ausweitung. Wenn "deutsche Wirtschaft" im wesentlichen Daimler und Siemens bedeutet, dann wissen wir auch, daß diese Firmen weder an der Entwicklung der Partnerländer in Asien noch an der Behebung der Massenarbeitslosigkeit interessiert sind. Die "global players" verfolgen ein feudalistisches Gesellschaftsmodell, ihr Gewinn soll auf Kosten des Allgemeinwohls eingespielt werden, und wenn dies in Asien besser gelingt als hier, dann geht man eben dorthin.

Eine ernsthafte Partnerschaft mit Asien aber würde den Menschen dort genauso helfen wie unseren mittelständischen Unternehmen. Die Unkultur des schnellen Geldes hat zusammen mit der bewußten Zerstörung der klassischen Kultur die Fähigkeit zu langfristigem Denken in Deutschland ganz offensichtlich zerstört.

Mangel an strategischem Denken

Dies wurde erneut auf einer Veranstaltung der Initiative "Apropos" - einer Vereinigung von Asienexperten und Asienwissenschaftlern - zum Thema "Nachdenken über Asien" bestätigt. In Deutschland herrsche ein erschreckender Mangel an strategischem Denken. Gerade jetzt, wo man zur Anknüpfung intensiverer Beziehungen eine vertiefte Kenntnis asiatischer Kultur und Geschichte bräuchte, werden die entsprechenden Institute geschlossen. Junge Asienforscher beklagten sich: "Wir haben Wissen über Asien, aber keiner braucht uns!" Berlin war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert das Zentrum für Orientalistik, Indologie und Sinologie - heute wird dieses Wissen als peripherer Luxus im allgemeinen Streichkonzert dem Rotstift geopfert. Diese ungeheure kulturelle Verflachung, das Desinteresse an einer wirklichen Kenntnis der Geschichte und Kultur anderer Völker, das uns als Quasi-Autisten in eine kahle Randzone der Weltgeschichte verdammt, schadet uns noch mehr als die fehlende Investitionsbereitschaft deutscher Firmen.

In krasser Weise zeigt sich das Problem in einem Bereich, wo Deutschland einst besonders geschätzt und hilfreich für viele Entwicklungsländer war: der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. In der indischen Botschaft fand eine Veranstaltung zur deutsch-indischen Raumfahrtkooperation statt, auf der die indische Seite erstaunt, erschüttert und amüsiert zugleich auf den dramatischen Rückgang der deutschen Investitionen in Wissenschaft und das dümmlich-arrogant zur Schau getragene Unwissen über die Leistungen anderer reagierte. Darüber werden wir in der nächsten Ausgabe der Neuen Solidarität ausführlicher berichten.

Eurasisches Transrapid-Netz?

Aber es gab eben auch andere Signale auf diesen Asien-Pazifik-Wochen. Auf einem dreitätigen Seminar des dortigen Ostasien-Kooperationszentrums der Technischen Fachhochschule Wedding gab der Student Stefan Zweigler (23) einen Erfahrungsbericht seiner kürzlichen Reise mit der Eisenbahn entlang der alten Seidenstraße.

Für seine Diplomarbeit wollte er auf dieser Erkundungstour herausfinden, ob für den Bau der neuen Seidenstraße die alten Verbindungen nur ausgebessert und Lücken geschlossen werden müßten, oder ob man nicht tatsächlich ein ganz neues System für den transkontinentalen eurasischen Verkehr bauen müsse.

Die fehlenden Teilstücke einer durchgehenden Eisenbahnverbindung z.B. zwischen Ostanatolien und dem Iran, zwischen Turkmenistan und Usbekistan etc., die verschiedenen Spurweiten zwischen russischen und europäischen sowie chinesichen Bahnen und die langen Aufenthalte an den jeweiligen Grenzen der acht Länder, die er mit der Bahn befahren hat, lassen für ihn nur eine Schlußfolgerung zu: "Wir brauchen ein komplett neues System der eurasischen Landbrücke, und das ist am besten mit dem Transrapid zu bauen." Er schlug vor, eine internationale Transrapid-Organisation mit allen eurasischen Ländern zu gründen, in der dann die Grenz- und Zollformalitäten zentral abgewickelt werden, so daß die zeitaufwendigen Wartezeiten an den Grenzen entfallen - nicht nur für Personen, sondern auch für Güter.

Auf derselben Veranstaltung sprach ein chinesischer Professor über den Drei-Schluchten-Damm sowie ein Vertreter von Transrapid International, der ebenfalls die gute Eignung des Transrapid für den Containerverkehr hervorhob und auf die chinesischen Überlegungen hinwies, Transrapid-Strecken zwischen Peking und Shanghai (1300 km) und zwischen Harbin und Guandong/Hongkong (8000 km) zu bauen.

Da fragt der ängstliche Deutsche: aber was soll denn da überhaupt transportiert werden? Kommen dann nicht alle Chinesen hierher? Oder wandert dann nicht die gesamte Industrie endgültig nach Asien aus? Prof. Jahnke vom schon genannten Ostasien-Kooperationszentrum hat eine einfache, jedoch wissenschaftlich fundierte Kalkulation entwickelt: China plant, in 20 Jahren pro Jahr 40 Millionen Kraftfahrzeuge zu produzieren. Beim besten Willen werden sie dies nur bewältigen können, wenn etwa 30% aller Teile von außen zugeliefert werden. Dies würde also umgerechnet die Lieferung von ca. 13 Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr nach China bedeuten - über eine Million pro Monat, d.h. immer noch ca. 40 000 pro Tag! Prof. Jahnke hält ein Transportsystem für nötig, mit dem alle halbe Stunde ein kompletter Güterzug mit Autoteilen China erreicht.

Man kann sich über dieses Beispiel lange streiten - aber man kann statt Autos Kraftwerke oder Nahverkehrssysteme setzen: Chinas Ziel ist es, für bald 1,5 Mrd. Menschen einen durchschnittlichen europäischen Lebensstandard der 80er Jahre anzupeilen. Ohne massiven Technologieinput von außen wird dieses nicht gelingen - und hierin liegt die einmalige Chance für unsere Wirtschaft für die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und nicht zuletzt unserer Budgetprobleme. Voraussetzung zur Realisierung dieses Modells ist tatsächlich der Bau der neuen Seidenstraße oder Eurasischen Landbrücke, wie es das Schiller-Institut seit genau elf Jahren fordert!

Eurasische Landbrücke macht Fortschritte

So war es nur folgerichtig, daß das Schiller-Institut dieses Jahr als Mitveranstalter der Asien-Pazifik-Wochen auftrat. Jonathan Tennenbaum vom Schiller-Institut berichtete auf dem erwähnten Seminar an der Technischen Fachhochschule Wedding über die Fortschritte, die in den letzten Jahren beim Bau der Eurasischen Landbrücke schon gemacht wurden. Besonders hob er die Eisenbahn-Projekte zwischen Thailand, Laos und Kambodscha hervor, aber auch den Bau der Schnellbahnstrecke durch das Hochgebirge nach Tibet, die geplante Eisenbahnbrücke nach Sachalin, die geplante Schnellbahnstrecke von St.Petersburg zum Persischen Golf usw. Wenngleich es sich hierbei zunächst um die konventionelle Rad-Schiene-Technik handele, sei diese ungebrochene Dynamik zum Bau eines eurasischen Infrastrukturnetzes politisch ein ungeheurer Fortschritt.

Dr. Tennenbaum hob hervor, diese Projekte stünden in der wirtschaftsphilosophischen Tradition von Friedrich List, Henry Carey, Sergej Witte und Franklin Roosevelt, die heute von Lyndon LaRouche fortgeführt und erneuert würden. Damit war auch bereits die leidige, immer wiederkehrende Frage nach der Finanzierung beantwortet: All diese genannten Herrschaften haben im Laufe der letzten 200 Jahre das "Finanzierungsproblem" mehrfach und mit Bravour gelöst.

Vorauseilender Gehorsam?

Man hatte diese Denktradition mehr oder weniger erfolgreich aus Universitäten und politischen Denkfabriken vollständig entfernt - und nun kommen das Schiller-Institut und der amerikanische Ökonom LaRouche (der zudem noch Präsidentschaftsbewerber bei den Demokraten und deutlichster Sprecher der Opposition gegen die US-Kriegspartei ist) auf die Idee, angesichts der schwersten Weltwirtschaftskrise seit den 30er Jahren diese List-Carey-Roosevelt-Tradition wieder aufleben zu lassen. Die Finanzinteressen und Zentralbankiers der Welt wurden von den Careys und Roosevelts immer in die Schranken verwiesen: Das Gemeinwohl steht eben höher als die Gier privater Finanziers. Liegt hier vielleicht ein Grund, warum es schließlich bei den Asien-Pazifik-Wochen einen höchst unerfreulichen Mißton gab?

Das Schiller-Institut hatte vom Berliner Senat bereits im Juni die Zusage bekommen, für eine eigene Veranstaltung im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen einen Raum im Roten Rathaus kostenlos nutzen zu dürfen. Das Thema dieser Veranstaltung lautete: "Die Eurasische Landbrücke - eine neue Seidenstraße von Berlin über Delhi nach Peking". Zwei Tage vorher wurde diese Zusage unter fadenscheinigen Begründungen zurückgezogen.

Die Veranstaltung fand trotzdem statt, der Imageschaden für die Stadt bleibt. Es habe angeblich in Kreisen des Asien-Pazifik-Forums Bedenken gegeben, aber es ist natürlich nicht auszuschließen, daß sogar von amerikanischer Seite Druck auf den Senat ausgeübt wurde bzw. dieser im sprichwörtlichen "vorauseilenden Gehorsam" gegenüber der Supermacht USA handelte. Wie dem auch sei, der Berliner Senat hat sich einmal mehr von seiner unprofessionell-tölpelhaften Art gezeigt - und das angesichts einer aus dem Ruder laufenden Schuldenlage Berlins, in der es der Stadt tatsächlich gut anstünde, sich damit zu befassen, wie das Tor nach Asien geöffnet werden könnte, um damit u.a. auch die Notlage Berlins zu beheben.

Erfolgreiche Veranstaltung

Wie gesagt, die Veranstaltung des Schiller-Instituts fand an anderem Ort dennoch statt und war ein voller Erfolg. 80 Gäste erschienen, um nach dem ausführlichen Vortrag von Dr. Tennenbaum zwei Stunden angeregt zu diskutieren. Fünf Botschaften, Vertreter verschiedener Verbände sowie großer Firmen, ausländische Nachrichtenagenturen und internationale Handelskammern, Dozenten der Universitäten und viele andere waren gekommen, um in der Tat der Öffnung der Tores nach Asien näher zu kommen.

Dabei wurde von Seiten des Schiller-Instituts nicht nur anhand reichhaltigen Bildmaterials eine "Rundreise" entlang der existierenden Bauprojekte und zukünftigen Korridore angeboten, sondern es wurde auch betont, daß der Bau der neuen Seidenstraße den Dialog der Kulturen notwendig mache, der zu einer neuen Stufe der Menschheitskultur führen müsse.

Damit kam die Debatte wieder einmal auf die Jugend: eine Besucherin beklagte den fehlenden Enthusiasmus und um sich greifenden Kulturpessimismus der Jugend in Deutschland und sah in Amerika größere Bereitschaft der jungen Leute, sich zu engagieren, wenn sie erst einmal die Bedeutung einer großen und wichtigen Idee eingesehen haben. Dr. Tennenbaum wies daraufhin noch einmal auf die Bedeutung der von LaRouche initiierten Jugendbewegung in den USA hin, die nun auch zunehmend nach Europa übergreife. An diesem Punkt kann man also sagen: Laßt uns das Tor nach Osten öffnen, dann wird auch gleichzeitig von Westen frischer Wind hereinkommen - Amerika, Europa und Asien müssen gemeinsam die schweren Probleme dieser Welt lösen, um dann auch endlich Afrika aus seiner verzweifelten Lage zu befreien!

Von Frank Hahn


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