Februar 2002 Dialog der Kulturen - Texte

Einen echten Dialog der Kulturen beginnen

Chandrajit Yadav war Bundesminister in der Regierung Indira Gandhis und ist heute Vorsitzender des Zentrums für soziale Gerechtigkeit in Indien. Die folgende Rede hielt er am 25. September 2004 auf der Jahreskonferenz des Schiller-Instituts in Deutschland.

    "In den heutigen Zeiten müssen wir verstehen, daß jede besondere Wahrheit oder Kultur, die von der universellen gänzlich abgetrennt ist, in keiner Weise wahr ist... Das Zeitalter ist gekommen, wo die künstlichen Zäune durchbrochen werden. Bestand wird nur das haben, was grundsätzlich mit dem Universellen im Einklang steht."

    - Rabindranath Tagore     

Herr Präsident, lieber Lyn [LaRouche], meine liebe Helga, liebe Brüder und Schwestern und junge Freunde der LaRouche-Bewegung! Ich bin dem Schiller-Institut und seiner Präsidentin Helga Zepp-LaRouche äußerst dankbar. Helga Zepp-LaRouche ist ein "kriegerischer Engel", sie kämpft für eine international zusammengesetzte Kultur, für religiöse und kulturelle Harmonie.

Mein Dank gilt auch der Quelle der Inspiration hinter dem Schiller-Institut, dem weltberühmten Staatsmann, Ökonomen und Philosophen Lyndon H. LaRouche. Ich danke ihm, daß er mich eingeladen hat, hier bei dieser wichtigen internationalen Konferenz über das Thema "Ein Wendepunkt in der Geschichte" zu sprechen. Es ist überaus wichtiges Thema im gegenwärtigen globalen Kontext. Mein Geist wurde davon angeregt, denn die gegenwärtig in der Welt vorherrschende Lage ist eine Herausforderung für die Zukunft und Existenz der Menschheit. Überall auf der ganzen Welt haben wir es mit schwerwiegenden wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Krisen zu tun: im entwickelten Sektor und im Entwicklungssektor, im Osten und Westen, im Norden und Süden.

Naturwissenschaft, Technik und Wissen haben in der Welt dramatische Veränderungen bewirkt, die Welt ist in gewissem Sinne zu einem globalen Dorf worden. Vor dreitausend Jahren hatten die Inder die Vision des Vasudhaiv Kutumbakam: die ganze Welt als eine Familie. Heute kann das Wirklichkeit werden. Computer, Internet, Düsenflugzeuge, mobile Kommunikation, Kernenergie haben das menschliche Leben erheblich leichter gemacht. Doch auf der anderen Seite ist es zu einer Ansammlung der destruktivsten Waffen gekommen. Mit diesen Atomwaffen könnte man die Welt 1000 Mal zerstören. Die Atomraketen können ein Ziel auf 1000 km Entfernung genau treffen. Das hat die Welt verwundbarer gemacht als jemals zuvor in der menschlichen Geschichte.

Die Geschichte birgt also heute beide Möglichkeiten in sich. Ist der Mensch mitfühlend, freundlich, rücksichtsvoll, liebevoll und friedlich, so kann er die Erde zum Himmel machen. Doch ist er selbstsüchtig, egoistisch, tyrannisch, ausbeuterisch und imperialistisch, so kann das zur völligen Vernichtung führen, vielleicht sogar zum Ende allen Lebens.

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise

Die Welt ist mit einer finanziellen und wirtschaftlichen Krise konfrontiert. Wie Lyn sagte, hat der Kollaps möglicherweise seinen schlimmsten Punkt erreicht... Die Schwere der Krise hat die gesamte westliche Welt erfaßt. Zuvor dachte man, die Entwicklungsländer, die erst kürzlich befreiten Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas seien arm, ausgebeutet und unterdrückt und deshalb sei die Krise vielleicht dort. Jetzt erleben wir eine sehr viel größere und tiefergehende Krise in der westlichen Welt.

Aus Deutschland, wo wir uns jetzt versammelt haben, hören wir, daß es dort acht Millionen Arbeitslose gibt. Und anstatt den Menschen zu helfen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen, hat die Regierung Schritte eingeleitet, um die Sozialleistungen zu kürzen. Deshalb sind die Menschen wütend und machen sich Sorgen um die Zukunft der jungen Leute. Und das ist nicht nur in Deutschland und Europa so, sondern auch in den Vereinigten Staaten. Die USA stecken heute in der schwersten Krise ihrer Geschichte.

Und dann ist da Indien. Ein großer Staatsmann sagte einmal vor langer Zeit, es gebe zwei Indien: Einmal das Indien der Reichen - 20% der Inder gehören zu den Reichen, sie leben genauso luxuriös wie die Reichen überall auf der Welt. Aber 80% der Inder sind arm, sie haben ein sehr niedriges Einkommen. Mindestens ein Drittel lebt von einem Einkommen, das unter dem liegt, was wir die Armutsgrenze nennen. Aber unsere Armutsgrenze bedeutet real unmenschliche Bedingungen. Auch wenn Indien in mancher Hinsicht schon ein entwickeltes Land ist, steht es, was das Pro-Kopf-Einkommen angeht, an 127. Stelle in der Welt.

Die Botschaft der asiatischen Kultur

Aber mein Thema heute ist der kulturelle Dialog. Es hat mich sehr beeindruckt, als gestern die jungen Leute hier, die LaRouche-Jugendbewegung, bevor wir anfingen, Die Gedanken sind frei sangen. Ich möchte ein Gedicht eines Dichters vorlesen, der international bekannt ist. Es ist von Rabindranath Tagore und stammt aus einer Sammlung religiöser Gedichte, seinem berühmten Buch Gitanjali:

"Wo meine Gedanken ohne Furcht sind und man den Kopf hoch trägt, wo das Wissen frei ist, wo die Welt nicht durch enge Ländergrenzen in Fragmente zerstückelt wurde, wo die Worte aus der Tiefe der Wahrheit kommen, wo man mit unermüdlichem Bemühen zur Vollkommenheit strebt, wo der klare Strom der Vernunft sich nicht in den trockenen Wüstensand erstarrter, toter Gewohnheiten verloren hat, wo mein Geist von Dir nach vorne gebracht wird zu einem immer umfassenderen Denken und Handeln, in den Himmel der Freiheit - dort, mein Vater, laß mein Land aufwachen."

Ich bin sicher, wäre Tagore heute am Leben, er würde sagen: "Mein Vater, laß die Menschheit aufwachen." Das sind die Ideen, die die indische Kultur hervorbrachte. Gestern sagte ein Freund, wissenschaftliche und technische Erfindungen seien meistens in den westlichen Ländern gemacht worden. Das ist richtig. Er sagte auch, daß trotz des jetzigen Entwicklungsstandes in China die Chinesen in den vergangenen fünf Jahren nicht dazu in der Lage waren, irgendwelche wichtigen Erfindungen zu machen. Das gilt nicht nur für China, sondern auch für Indien und viele andere Länder des Ostens.

Doch muß ich sagen: Laßt uns friedlich und ruhig bedenken, daß die gleichen Köpfe, die sehr wichtige Dinge erfunden haben, mit denen unser Leben heute erleichtert wird, auch fähig waren, Atombomben zu schaffen, die erste ernstliche Bedrohung für die ganze Menschheit. Die gleichen hervorragenden und brillanten Köpfe, die für die Atomwaffen verantwortlich sind, machen sich nun, weil sie noch nicht zufrieden sind, an Forschungen und Erfindungen, die Milliarden und Billionen Rupien kosten, um so weit zu kommen, daß es möglich ist, einen "Krieg der Sterne" zu führen.

Ist der menschliche Geist dafür geschaffen worden? Um Erfindungen zur Zerstörung der Menschheit zu machen, um Krieg zu führen und unsere Kinder zu vernichten, um Krieg zu führen und den Frieden und die Freiheit schwächerer Länder zunichte zu machen? Ist das die Brillanz des Geistes?

Ich möchte hier aus einer Rede Mahatma Gandhis zitieren, die er vor langer Zeit, auf der ersten Panasiatischen Konferenz in Delhi 1947 gehalten hat. Dort sagte er gewisse Dinge, die heute noch immer sehr relevant sind. Die Konferenz fand am 1. April 1947 statt, nur ein paar Monate bevor Indien am 15. August 1947 seine Unabhängigkeit erlangte...

Als man Gandhi bat, zur Konferenz zu sprechen, sagte er, er wolle dies später tun, aber er antwortete auf eine Frage. Sie lautete, ob er an die Theorie der "Einen Welt" glaube und ob sie Erfolg haben werde. Gandhi sagte: "Ich möchte nicht auf dieser Welt leben, wenn sie nicht eine Welt sein sollte. Sicherlich würde ich diesen Traum gerne noch zu meiner Lebenszeit verwirklicht sehen. Ich hoffe, daß die Repräsentanten all der verschiedenen asiatischen Länder, die hierher gekommen sind, sich nach Kräften bemühen werden, nur eine Welt zu haben. Sie müssen Wege und Mittel ersinnen, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn ihr mit unerschütterlicher Entschlossenheit daran arbeitet, gibt es keinen Zweifel, daß wir diesen Traum noch in unserer Generation verwirklichen werden."

Und als Gandhi dann am letzten Tag der Konferenz seine Rede hielt, sagte er folgendes: "Ich habe aus Büchern gelernt, die von englischen Historikern geschrieben wurden. Wir lasen Bücher, die auf englisch von englischen Historikern geschrieben wurden, aber wir schreiben nicht in unserer Mutter- oder Nationalsprache Hindustani. Wir studieren unsere Geschichte in englischen Büchern anstatt anhand der Originale. Das ist die kulturelle Eroberung, die Indien durchgemacht hat. Indien wurde nicht nur politisch, sondern auch kulturell erobert."

Wie dem auch sei, Gandhi versicherte, die Weisheit sei aus dem Osten in den Westen gekommen: "Der erste dieser weisen Männer war Zoroaster. Er gehörte zum Osten. Auf ihn folgte Buddha, der zum Osten gehörte, zu Indien. Wer folgte auf Buddha? Jesus, der aus dem Osten kam. Vor Jesus kam Moses, der zu Palästina gehörte, obwohl er in Ägypten geboren wurde. Nach Jesus kam Mohammed. Krishna und Rama und andere lasse ich aus. Ihr Licht ist nicht geringer, aber sie sind in der gelehrten Welt weniger bekannt. Auch kenne ich keinen einzigen Menschen in der Welt, der diesen Männern aus Asien gleichkäme. Und was geschah dann? Das Christentum wurde entstellt, als es in den Westen kam.

Ich möchte, daß sie die Botschaft Asiens verstehen. Das kann man nicht lernen durch Schauspiele des Westens oder dadurch, daß man die Atombombe nachbaut. Wenn man dem Westen eine Botschaft übermitteln will, so muß es die Botschaft der Liebe und der Wahrheit sein. Ich möchte nicht nur an Ihren Kopf appellieren. Ich möchte Ihre Herzen gewinnen."

Gandhi sagte dies, weil er wußte, daß der Geist auch die Heimstätte des Bösen ist. Wenn man nur mit dem Geist arbeitet, kann man diese wunderbaren Dinge schaffen, aber auch Atombomben und Atombomben und Atomraketen; doch das Herz schafft - wie Lyn und Helga sagen - nur Liebe, Liebe und Liebe.

In seiner Rede sagte Gandhi weiter: "In diesem Zeitalter der Demokratie, in diesem Zeitalter des Erwachens der Ärmsten der Armen, kann man diese Botschaft nur immer wieder übermitteln und betonen. Ich bin optimistisch, wenn Sie alle nicht nur ihre Köpfe zusammentun, sondern auch ihre Herzen, um das Geheimnis der Botschaft verstehen, die uns diese weisen Männer des Ostens hinterlassen haben. Und wenn wir dieser großartigen Botschaft wirklich würdig geworden sind, dann wird die Eroberung des Westens vollendet werden. Und der Westen wird diese Eroberung lieben."

Die heutige Krise der Zivilisation

Meine Freunde, ich sage: Dies ist die Lage, der sich die Welt heute gegenübersieht. Ich würde sagen, der Wendepunkt der Geschichte ist nicht nur die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten. Ich weiß nicht, wie das Ergebnis ausfallen wird, aber ich kann eines sagen: Wenn die eine Milliarde Menschen in Indien bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl mitwählen könnten, würden 90% für den demokratischen Kandidaten Kerry stimmen, den Lyn und seine Freunde unterstützen, und sie würden Bush gerne abwählen, weil sie wissen, daß Bush heute in der Geschichte für das Böse steht. So sehen es die Menschen heute.

Aber ich denke nicht, daß dies der einzige Wendepunkt in der Geschichte ist. Natürlich gibt es Gefahren - die Welt wird wiederholt Zerstörung erleben, wenn Bush gewinnen sollte. Aber daneben gibt es auch andere Dinge. Ich möchte, daß die Teilnehmer dieser Konferenz ernsthaft über diese Probleme nachdenken. Es ist nicht nur die Wirtschaftskrise; es gibt eine genauso ernste Krise der Zivilisation und eine genauso ernste kulturelle Krise.

Lyn hat uns gestern berichtet, daß Amerika keine Kultur hat. Ist das nicht eine ernste Angelegenheit? Daß ein Land, das Männer wie Washington, Jefferson, Abraham Lincoln, Roosevelt und Martin Luther King hervorbrachte, keine Kultur hat? Das Problem heute ist, daß dieses Land ohne Kultur versucht, die Kulturen anderer Länder zu zerstören. Es versucht, kulturelle Konflikte und Krisen zu schaffen, wobei die Religion als Waffe eingesetzt wird; es benutzt entwickelte Wissenschaft und Technik und sein Wissen, um die Kultur zu verderben. Und es trägt diesen Niedergang in andere Länder.

Wir in Indien hatten es mit einer Situation zu tun, wo die britische Imperialmacht die Religion benutzte. Sie benutzte die Religion, um zu teilen und zu herrschen. In Indien sind 80% der Gesamtbevölkerung von einer Milliarde Menschen Hindus. Es gibt aber auch Moslems, 17% der Bevölkerung sind Moslems: Indien hat die drittgrößte Anzahl von Moslems in der Welt. Aber als Indien 1947 unabhängig wurde, wurde es auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit der Bevölkerung geteilt.

Den Moslems sagte man, sie hätten in einem freien Indien keine Zukunft, in einem freien Indien wären sie nur Bürger zweiter oder dritter Klasse. - Diese Art von Waffe wurde eingesetzt, und unser Land geteilt. Obwohl die Geschichte gezeigt hat, daß dieses Argument falsch ist, wurde Pakistan auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit geschaffen, 98% der Bevölkerung sollten Moslems sein. Und dann wurde Pakistan selbst noch einmal geteilt in Pakistan und Bangladesch. Die Briten und einige Politiker, die ihre eigenen Vorteile im Auge hatten, nutzten die Lage aus und setzten die Religion als Waffe ein, um unser Land zu teilen.

Heute versuchen bösartige Köpfe, das gleiche zu tun. Der Terrorismus nimmt zu, und dann wird gesagt, daß wahrscheinlich alle Terroristen Moslems sind. Es wird gesagt, daß es nur islamische Terroristen gibt, und daß der Islam den Terrorismus hervorbringt. Und deshalb sei nicht der Terrorismus die Gefahr, sondern der Islam. Solche gefährlichen Ideen werden verbreitet. Von wo? Vom Boden der Vereinigten Staaten aus - es tut mir leid, daß ich dies sagen muß, daß diese brillanten Köpfe [in den USA auch] den bösartigsten Geist haben und versuchen, ihn zu nutzen.

Die Rolle der Jugend

Deshalb ist die Frage des kulturellen Dialogs heute sehr bedeutsam. Eine Kultur wächst und verbreitet sich mit den Menschen. Kultur ist eine umfassende Angelegenheit; Kultur ist viel größer als einfach nur Zivilisation. Zivilisation ist Teil der Kultur. Kultur ist Musik, Drama, Dichtung, Lebensart, Geschichte, Philosophie, Ideen.

Deshalb ist es wichtig, daß insbesondere unsere jüngere Generation versteht - es tut mir leid, das sagen zu müssen - , daß Schulen und Colleges manchmal zum Ort für solche gefährlichen Ideen werden; die Schulen und Colleges sind in einem schlechten Zustand. Dort mag Mathematik, Wissenschaft, moderne Technik unterrichtet werden - aber hört nicht auf das, was als menschliche Werte und Zivilisation unterrichtet wird! Unsere jungen Leute werden heute fehlgeleitet. Und oft wird eine Religion benutzt, um zum Haß gegen eine andere anzustacheln.

Es liegt nicht im Wesen der Religionen, daß sie einander hassen sollen. Wenn man die Religionen studiert - das Christentum, den Islam, den Hinduismus, den Buddhismus oder jede andere Religion - , dann erkennt man die grundlegenden Glaubens- und Lehrsätze der Religion. Sie bilden gleichzeitig einen Teil der Kultur: das Geistige.

Was sagen Religion und Kultur? Was bedeutet das Geistige? Sie alle lehren, wie man ein guter Mensch wird. Sei mitfühlend, freundlich, liebend, sorge dich um andere und glaube an die Brüderlichkeit. Sei ein friedvoller Mann, eine friedvolle Frau. Sei nicht gewalttätig, sei gewaltfrei. Das sind die grundlegenden Dinge. Ich denke, es ist höchste Zeit: Unsere jungen Leute sollten eine Bewegung in Gang setzen, damit im Rahmen der Erziehung heute nicht nur Wissenschaft und Technik unterrichtet, sondern gleichzeitig auch Humanwissenschaft, menschliche Werte und die Hauptlehrsätze der Religion und der Kultur gelehrt werden.

Wie vereinigen sich Kulturen? Wir leben in einer Welt, wo die Kultur universell sein muß. Sie kann nicht durch Mauern getrennt werden. Wenn es diese Mauern gibt, müssen sie beseitigt werden. Der Schwerpunkt muß auf einer universellen Kultur und einer universellen Spiritualität liegen. Heute ist es wichtig, daß kulturelle Bewegungen universelle Bewegungen sind. Solange nicht alle Menschen Kultur haben, mitfühlend und nicht gewalttätig sind, schwebt immer die Gefahr über unseren Köpfen, daß irgendein verrückter Mensch eine Situation heraufbeschwört, die zum Ausbruch eines Atomkrieges führt. Wir haben davon gehört, daß mindestens ein Mediziner festgestellt hat, daß Herr Bush tatsächlich geistesgestört ist. Und er ist der Präsident eines Landes, das heute über die größten nuklearen Kapazitäten verfügt.

Unsere Jugendbewegung muß die Kulturfrage zu einem Teil ihrer Bewegung machen - nicht nur die Brot-und-Butter-Themen, nicht nur Beschäftigung, höhere Löhne oder ein luxuriöseres Leben; es muß auch um ein Leben auf der Grundlage menschlicher Werte gehen, ein liebevolles Leben, das lehrt, wie man ein guter Mensch wird, wie wir uns gegenseitig gute Schwestern und Brüder sind und für unsere Zukunft Sorge tragen.

Indiens antike Kultur

Wie werden Kulturen geschaffen? Ich möchte Indien als Beispiel nehmen. Indien ist eine sehr alte Zivilisation. Buddha wurde 500 Jahre vor Jesus geboren und zum Symbol, zum Propheten des Mitgefühls, der Liebe, der Gewaltfreiheit und Freundlichkeit. Diese Ideen wurden auf indischem Boden geboren.

In der Antike gab es mehrere andere große Kulturen wie die römische, die griechische, die persische und die chinesische Kultur, aber sie waren damals alle nur auf ihr eigenes Land beschränkt. Heute tauschen sich alle Kulturen miteinander aus. Das Wissen als solches verbreitet sich und die Kultur genauso, der kulturelle Austausch ist heute wichtig geworden. Rabindranath Tagore schrieb:

"In den heutigen Zeiten müssen wir verstehen, daß jede besondere Wahrheit oder Kultur, die von der universellen gänzlich abgetrennt ist, in keiner Weise wahr ist. Wir können unsere Kultur nicht so ehrfürchtig mit goldenen Ketten gefesselt halten. Das Zeitalter ist gekommen, wo die künstlichen Zäune durchbrochen werden. Bestand wird nur das haben, was grundsätzlich mit dem Universellen im Einklang steht. Alle großen Länder haben ihre lebenswichtigen Zentren für ihr geistiges Leben, wo ein hoher Grad des Lernens aufrechterhalten wird. Davon wird natürlicherweise der Geist der Menschen anzogen. Dort finden sie die entsprechende Atmosphäre, um sich in ihrer Arbeit zu bewähren, um ihren Beitrag zur Kultur des Landes zu leisten und so auf einem gemeinsamen Altar des Landes ein großes heiliges Feuer des Geistes zu entzünden, von dem das heilige Licht in alle Richtungen hin ausstrahlen kann. Athen war ein solches Zentrum, Rom in Italien, und Paris ist heute ein solches Zentrum in Frankreich. Benares war und ist bis heute ein solches Zentrum für unsere Sanskrit-Kultur. Ich möchte klar und deutlich sagen, daß ich keinerlei Mißtrauen gegen irgendeine Kultur hege, weil sie einen fremden Charakter hat. Ganz im Gegenteil, ich glaube, daß der Schock durch solche Kräfte für die Lebenskraft unserer geistigen Natur notwendig ist."

Tagore vergleicht die Kultur mit großen Flüssen. Er sagt, der Fluß, der zu einem Land gehört, wir nicht nur von seinem eigenen Wasser gespeist. Der Rhein in Deutschland wird nicht nur von Zuflüssen in Deutschland gespeist, sondern auch von Zuflüssen aus der Schweiz und den Niederlanden. Tagore schrieb, daß der Bramaputra aus Tibet ein Nebenfluß des indischen Ganges ist. Solche "Flüsse", die Beiträge machen, haben auf ähnliche Weise ihren Weg in die ursprüngliche indische Kultur gefunden. "Das Mohammedanische z.B. kam wiederholt von außen nach Indien, beladen mit seiner Wissensfülle und seiner wundervollen religiösen Demokratie trug es bei zu unserer Musik, Architektur, Bildenden Kunst und Literatur. Von dort kamen dauerhafte und wertvolle Beiträge. Dann wurden wir von der späteren Flut westlicher Kultur überfallen. Die europäische Kultur kam nicht nur mit ihrem Wissen und ihren modernen Ideen zu uns, sondern auch mit ihrer Geschwindigkeit."

Wenn man die Geschichte der ganzen Welt betrachtet, so sieht man, daß jede Kultur in jedem Land Beiträge von vielen anderen Kulturen erhalten hat. Kulturen grenzen sich also nicht voneinander ab, sie bewirken keine Zusammenstöße; Kulturen vereinigen sich. Und wenn die Kulturen zusammengesetzter werden, so werden sie strahlender, menschlicher und reicher.

Deshalb ist der Dialog der Kulturen heute ein Muß. Dies muß eine Bewegung sein, und sie muß universal sein. Und ich hoffe, daß die jüngeren Leute all dem mehr Aufmerksamkeit schenken werden.

Was ist wirkliche Demokratie?

Ich möchte nur ein paar Worte zur gegenwärtigen Lage sagen. Meiner Meinung nach ist dies heute die Ära der sozialen Gerechtigkeit. Der gemeine Mann wacht auf und besteht auf seiner Würde und dem ihm zustehenden Platz in der Gesellschaft. Deswegen wird Demokratie keine Demokratie sein, solange nicht der gemeine Mann eine Stimme hat. Die Demokratie zu manipulieren und Wahlen durch Manipulation zu gewinnen, indem man Geld und Macht einsetzt, das ist keine wirkliche Demokratie.

Dies ist auch eine Ära des Wissens, wo Wissenschaft und Technik eine wichtige Rolle spielen. Wir leben heute im Zeitalter der Globalisierung. Das ist eine Realität, die Vorteile und Nachteile hat. Die entwickelten Länder versuchen daraus durch die Liberalisierung und über die WTO (Welthandelsorganisation) Vorteile zu ziehen, die ihren Interessen dienlich sind. Sie wollen die WTO zum Werkzeug einer neuen Ausbeutung machen. Wenn sich der Rest der Welt vereint und es schafft, eine neue internationale Sozial- und Wirtschaftsordnung zu etablieren, dann kann die Globalisierung sinnvoll sein.

Dies ist ebenso eine Ära des Materialismus, der eine ernstliche zivilisatorische Krise hervorruft. Geld wird zum Ziel des Lebens. Das Wertesystem ist zerbrochen. Das führt in der Gesellschaft zu Degradierung, Korruption und Kriminalität... Ungebremster Materialismus ist verantwortlich für kulturelle Dekadenz, Depressionen und Erniedrigung, was zu vielen Selbstmorden führt.

Eine Million Menschen auf der Welt begehen jedes Jahr Selbstmord. Eine Million Menschen - und 20-30 Millionen Menschen unternehmen einen Selbstmordversuch. Auf diese Weise sterben jedes Jahr mehr Menschen als durch Krieg und Krankheiten. Warum gibt es so viele Selbstmorde? Weil die Leute Opfer ihrer Depressionen werden. Sie laufen ihren Wünschen hinterher, und maßlose Wünsche führen zu einem Leben voller Katastrophen...

Deshalb sage ich: Die Beiträge des Westens zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik sind enorm. Aber der Westen ist auch für die Entmenschlichung der Gesellschaft und die Banalisierung der Kultur verantwortlich; seine Gier nach Macht und Reichtum, sein Wunsch, die Welt zu beherrschen, wird zur Quelle des Bösen. Die Vereinigten Staaten von Amerika müssen ihre Rolle spielen, und ich hoffe, die Menschen in den USA werden sich an die edlen Ideen in ihrer Verfassung erinnern.

Ich habe Lyn ein paar Mal mit großem Stolz - vielleicht mit großem amerikanischem Stolz - sagen hören, daß die Verfassung der USA die besten Gedanken enthält. Warum kommt aus einem Land mit einer so edlen Verfassung solche Verderbnis? Das ist etwas, worüber die jüngere Generation ernsthaft nachdenken muß. Wenn eure Regierenden daran gehen, eure edlen Ideen zu zerstören, wenn sie diesen Ideen entgegen handeln, dann müßt ihr sagen: "Nein. Wir verteidigen unsere Verfassung. Wir werden Frieden und Freiheit verteidigen, und wir werden die Zukunft unseres Volkes verteidigen." Und die Zeit dafür ist gekommen. Ich sehe, was in Deutschland passiert. Junge Leute gehen auf die Straße...

Dieser edelmütige Kampf für Rechte wird sich ausbreiten. Und mein Land, Indien, muß dabei trotz ernstlicher Probleme eine Rolle spielen.

Indien steht vor gefährlichen Problemen

Indien ist ein sehr komplexes, aber dynamisches Land mit einer Bevölkerung von über einer Milliarde Menschen und der am schnellsten wachsenden Wirtschaft der Welt... In den 90er Jahren entwickelte sich die indische Wirtschaft gut, was das Wirtschaftswachstum und damit verbundene makroökonomische Indikatoren angeht. Während sich die Weltwirtschaft relativ langsam entwickelte, stand die indische Wirtschaft im Vergleich dazu besser da. Im vergangenen Jahr betrug das Wirtschaftswachstum in Indien 8%. Der Dienstleistungssektor ist sehr viel schneller gewachsen, und Indien hat in den Bereichen der Informationstechnologie und Elektronik bemerkenswerte Fortschritte gemacht.

Aber es gibt bedeutende Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist. 57 Jahre nach der Unabhängigkeit steht Indien an 127. Stelle in der Welt, was das Pro-Kopf-Einkommen betrifft. Es beträgt nur 21 679 Rupien, das sind etwa 480 Dollar und in den ländlichen Gebieten, wo 70% der Bevölkerung leben, beträgt das Pro-Kopf-Einkommen gerade einmal 7900 Rupien, das sind 175 Dollar.

Etwa 300 Mio. Menschen liegen mit ihrem Einkommen unter der [absoluten] Armutsgrenze, sie leben unter unmenschlichen Bedingungen, haben kein Trinkwasser und noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Bei dem jetzigen Bevölkerungswachstum wird es 2020 in Indien 1,34 Mrd. Menschen geben: 137 Millionen davon werden dann im Schulalter sein, zwischen 5 und 14 Jahren; 846 Millionen werden im arbeitsfähigen Alter sein, zwischen 15 und 49 Jahren; und 132 Millionen werden über 60 sein. Jeder dritte wird Unterstützung brauchen, und 6 von 10 Indern werden einen Arbeitsplatz brauchen.

Das sind enorme Probleme, und die politische Führung, die Beamten, die Wirtschaftswissenschaftler, die Intellektuellen werden gemeinsam mit den Bauern, Handwerkern und Arbeitern die Probleme anpacken müssen - mit Vision, Entschlossenheit und einer geeigneten Strategie.

Diese offensichtlichen Ungleichheiten führen zu einem gesellschaftlichen Ungleichgewicht. Das reflektiert sich jetzt in der Politik. Die Unzufriedenheit des gemeinen Mannes wurde von lokalen und reaktionären Kräften ausgenutzt. Die unausgewogene Entwicklung ist auch der Grund für die politische Zersplitterung. Vielleicht wissen Sie, daß es in Indien seit sieben Jahren Koalitionsregierungen gibt. Keine Partei erhielt die absolute Mehrheit. Vor der jetzigen Regierung wurde Indien sechs Jahre lang von einer 24-Parteien-Koalition regiert. Sie schaffte es zumindest, eine Fünfjahresperiode zu Ende zu bringen. Heute haben wir eine Regierung, in der sieben Parteien vertreten sind und die von außen von sechs Parteien unterstützt wird.

Zu diesen Ungleichheiten gehört, daß wir einen Kampf zwischen den 85% und den 15% haben. Früher habe ich gedacht, nur mein Land hätte dieses Problem: 85% Arme versus 15% Reiche; aber Lyn hat gesagt, sogar in den Vereinigten Staaten gebe es ein solches Ungleichgewicht: 80% der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen und auf der anderen Seite die restlichen 20%, die den nationalen Reichtum der USA auf sich vereinen. Dies ist dabei, zu einem weltweiten Problem zu werden.

Dies sind die Herausforderungen, mit denen man sich ernstlich beschäftigen muß. Nicht nur, daß wir die Leute aufschrecken - Menschen, die richtig denken, müssen sich geistig austauschen und Alternativen beitragen. Jetzt ist die Zeit gekommen. Und ich gehöre zu denjenigen, die denken, daß jede Krise auch eine Chance in sich birgt. Deshalb: Diese weltweite Krise heute bietet die Gelegenheit, daß denkende Menschen sich zusammenfinden und... die Menschheit vor der Auslöschung bewahren.

Die Welt steht heute nicht nur vor einer allgemeinen Finanzkrise, sondern auch einer zivilisatorischen und kulturellen Krise. Menschliche Werte sind nicht oder wenig gefragt. Der größte Teil der Weltbevölkerung sind Menschen, die depressiv, sozial isoliert und geistig leer sind. Der Mensch ist zum Gefangenen unkontrollierter, grenzenloser Wünsche geworden.

Das führt zu wachsender Korruption, zur Entmenschlichung der Gesellschaft, zu Intoleranz verbunden mit wachsender Gewalt - alles Dinge, die Anlaß zu ernstlicher Sorge geben... Solange der einzelne im Konflikt mit sich selber steht, ist es nicht zu vermeiden, daß er Konflikte nach außen schafft, er kann nur Frieden mit sich selbst schaffen, wenn er ihn in der Welt schafft...

Ich möchte meinen Vortrag mit einem weiteren Zitat von Tagore schließen:

"Nach der wahren indischen Sichtweise ist unser Verständnis der Welt unvollkommen, wenn wir die Welt nur als Gesamtsumme aller existierenden Dinge sehen, die durch Gesetze regiert werden. Doch unser Verständnis ist vollkommen, wenn unser Bewußtsein erkennt, daß alle Dinge geistig mit ihm eins sind und sie uns deshalb Freude geben können. Für uns ist der höchste Zweck dieser Welt nicht bloß, in ihr zu leben, sie zu verstehen und zu nutzen, sondern unser eigenes Selbst in ihr zu verwirklichen. Das geschieht durch die Vergrößerung unseres Mitgefühls, und indem wir uns nicht von der Welt entfremden und sie beherrschen, sondern indem wir sie verstehen und eine vollkommene Einheit zwischen uns und ihr herstellen."

Entsprechend dieser Sichtweise sagen wir: Nur der allein sieht, der alle Wesen als sich selbst sieht. Das war das Ziel und das Ideal. Deshalb, meine lieben Freunde, möchte ich zum Schluß sagen, daß ich an die Möglichkeit der Liebe glaube. Ich bin davon überzeugt, daß es unter den Menschen gegenseitiges Verstehen geben wird. Es wird hergestellt werden, trotz allen Leids, vergossenen Blutes und viel zerbrochenen Porzellans. Weil beherzte Menschen sagen: "Wir sind das Volk." So, liebe Delegierte, laßt uns kreativ sein, laßt uns Schöpfer sein und nicht nur Zuschauer. Und was ich noch sagen möchte: Wenn um dich herum Finsternis herrscht, sei dein eigenes Licht.

Vielen Dank.


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