Februar 2002 Dialog der Kulturen - Texte

Raimundus Lullus, der Weise von Mallorca

Von Muriel Mirak-Weißbach


1. Das Wesen Gottes
2. Die Natur des Menschen

3. Der ökumenische Dialog auf der Suche nach der Wahrheit

4. Llull und die Goldene Renaissance

Kardinal Nikolaus von Kues gilt zu recht als Vordenker einer ökumenischen Verständigung zwischen den Religionen, deren Grundidee in seiner Schrift De pace fidei formuliert ist. Genauso führten seine Vermittlungsbemühungen zwischen der griechisch-orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche zur Einigung auf dem Konzil von Florenz 1439. Während das Werk des Cusaners einen historischen Durchbruch darstellt und die Grundlage für die fortgesetzten Bemühungen der Römischen Kirche um den religiösen Dialog legte - Ausdruck dafür sind das 2. Vatikanische Konzil und die jüngsten Bemühungen von Papst Johannes Paul II. - , geht die Suche nach einem interreligiösen Verständnis bereits auf Raimundus Lullus (katalanisch Ramon Llull) zurück, einen Denker aus dem 13. Jahrhundert, dessen Werk Nikolaus von Kues stark beeinflußte. So befindet sich die größte Privatsammlung von Llulls Handschriften in der Kues-Bibliothek in Bernkastel-Kues. Abgesehen vom historischen Wert von Llulls Beitrag zum Denken des Cusaners, macht ihn seine einzigartige Herangehensweise an den christlich-islamischen Dialog so wichtig für heute.

Ramon Llull wurde wahrscheinlich 1232 auf Mallorca geboren, nur wenige Jahre, nachdem christliche katalanische Soldaten die Insel von den Sarazenen zurückerobert hatten. Obwohl von Geburt katalanischer Christ, wuchs er am Hofe Jakobs II. von Aragon und Katalonien in einer von der Kultur der Araber geprägten Umgebung auf, die sich 711 n.Chr. in Andalusien (Spanien) niedergelassen hatten.

Andalusien schreibt ein bemerkenswertes Kapitel in der europäischen Geschichte. Unter der Regierung der Araber in Andalusien erlebten auch die dortigen Juden ein Goldenes Zeitalter - ein Präzedenzfall für die friedliche Koexistenz der beiden Religionen. Aber auch für die Araber war diese Phase ein Goldenes Zeitalter, das in der Regierungszeit von Al Rahman III. (929-961 n.Chr.) seinen Höhepunkt erlebte. In dieser Zeit entwickelte sich eine städtische Kultur mit hoher Bildung. Andalusien mit seinen 30 Millionen Einwohnern (verglichen mit Spaniens 38,8 Millionen Einwohnern heute) bestand aus Hunderten von Städten, allesamt Zentren der Manufaktur, besonders des Textilhandwerks, des Handels und der Bildung. Übersetzungsinstitutionen wie die berühmte in Sevilla entstanden nach dem Vorbild von Bagdad unter Harun Al Raschid und Al Mamun, der ein "Haus der Weisheit" gegründet hatte. Alle bekannten Werke der Wissenschaft wurden ins Arabische übersetzt, wobei die Fähigkeiten der Christen, Juden und Araber gleichermaßen genutzt wurden. Bildung war nicht nur ein Privileg der Eliten; es gab öffentliche Schulen für jedermann. Mit Hilfe von Stipendien konnte viele an den Universitäten studieren, die den Moscheen angeschlossen waren. Auch die Künste blühten. Dies galt besonders für die Architektur, die durch die ehrgeizigen Städtebauprojekte und öffentliche Bauten der Rahmans gefördert wurde, doch Musik und Poesie waren ebenfalls hoch entwickelt. Ishaq, der bekannteste Musiker von Bagdad, wanderte nach Andalusien aus und gründete dort eine Schule, die der Kunst der Troubadoure und Minnesänger in den neuen Volkssprachen entscheidende Impulse gab.

Llull wuchs damit in der wohl am höchsten entwickelten Kultur Europas dieser Zeit auf, was die Entwicklung seiner Weltanschauung grundlegend beeinflußte. Obwohl er ebenso wie sein Vater für ein öffentliches Amt bestimmt war, geriet er um sein 30. Lebensjahr in eine persönliche Krise, die in seiner "Bekehrung" mündete. Sie führte ihn dazu, seine Familie zu verlassen, sein Eigentum aufzugeben und ein Leben als Missionar zu führen.

Nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, sein Leben der Bekehrung der Moslems zum Christentum zu weihen, wandte sich Llull 1265 an den Dominikaner Raymond Penyfort in Barcelona. Er nahm an, dieser werde ihm vorschlagen, sich zu theologischen Studien nach Paris an die Sorbonne (1253 gegründet) zu begeben. Statt dessen riet Penyfort ihm mit der Begründung, Paris könne ihm nicht das für seine Aufgabe notwendige Wissen vermitteln, von diesem Vorhaben ab. Llull ging zwar später dennoch nach Paris und studierte ebenso in Montpellier und Pisa, jedoch erst, nachdem er seine "Ars" (Kunst), seine philosophische Methode, entwickelt hatte.

Penyforts Rat traf genau den Punkt und sollte sich später als entscheidend herausstellen. Paris war damals das Zentrum der Scholastik und des Aristotelismus, wobei sich die scheinbar widerstreitenden philosophischen "Schulen" im wesentlichen nur in ihrer besonderen Deutung des Aristoteles voneinander unterschieden. Unter den arabischen muslimischen Philosophen nahm Averroes den höchsten Rang ein. Averroes (Ibn Ruschd) rühmte sich selbst als derjenige, der die Philosophie von den Verwüstungen des Al Ghazali befreit habe. Dieser hatte die "Zerstörung der Philosophie" behauptet und sich mit seinem ultra-orthodoxen Standpunkt nur auf die Autorität der Offenbarung (Koran) gestützt. Aber Averroes verdammte in seiner Entgegnung auf Al Ghazali ebenso "bestimmte Philosophen", die er für verderblich hielt; das waren insbesondere die Neoplatoniker Al Farabi und Ibn Sina, gegen die er in seinen Hauptschriften namentlich argumentierte. Auf diese Weise entwickelte sich Averroes für die islamische Tradition zum offiziellen Repräsentanten des Aristotelismus, daher sein kometenhafter Aufstieg in Paris.

Auf Penyforts Rat hin begann Llull seine Studien auf Mallorca, wo er sich von einem freigelassenen früheren arabischen Sklaven unterweisen ließ. Zehn Jahre lang lebte er zurückgezogen mit seinem Lehrer und studierte alles, wozu er mit der arabischen Sprache, die er früher erlernt hatte, Zugang finden konnte. Was Llull studierte, läßt sich aus seinen späteren Beiträgen direkt erkennen oder ableiten. Zusätzlich zu den griechischen Philosophen, insbesondere den Werken Platons, beschäftigte er sich mit den Neoplatonikern der christlichen, aber auch der muslimischen Tradition. Besonders wichtig unter den letzteren waren Al Farabi und Ibn Sina (Avicenna), aber er las ebenso die Werke der andalusischen Mystiker wie Ibn Hazm von Cordoba (gest. 1064), Ibn 'Arabi (gest. 1240) und Ibn Sa'bin von Murcia (gest. 1269/71).1

Neben dem gründlichen Studium der Kirchenväter legte Llull besonderen Wert darauf, sich die islamischen Wissenschaften anzueignen. Er hielt dies für die wichtigste Voraussetzung, um die Aufgabe erfüllen zu können, die er sich gesetzt hatte: die Bekehrung der Moslems. In einer Anekdote erzählt er die Geschichte des Sultans von Tunis, den man zum Christentum bekehren wollte. Der Sultan fragte den christlichen Gelehrten, der ihn in den Glauben eingeführt hatte, warum er denn eher an das Christentum als an den Islam glauben solle. Als der Christ antwortete, dies sei eine Frage des "Glaubens", erwiderte der Sultan: "Warum sollte ich aus Glaubensgründen meinen Glauben für einen anderen aufgeben - credere pro credere? Nein, ich will nur das glauben, was meine Vernunft mir sagt - credere pro vero intelligere."

Llull bezieht sich auf diese Anekdote immer wieder, weil sie seine eigene Denkweise verkörpert. Er lehnt jede Form von erzwungener Bekehrung grundsätzlich ab und geht von der Annahme aus, daß der individuelle vernunftbegabte menschliche Geist fähig sei, freiwillig die Entscheidung zu treffen, den christlichen Glauben anzunehmen, wenn man ihm die Überlegenheit der christlichen Lehre in einer verständlichen Form liebevoll darstellt. Daher wählte er die gelehrtesten Muslime als seine Gesprächspartner aus. Seine Methode, ihnen die christliche Botschaft zu vermitteln, war anders als die der Scholastiker: Er argumentierte philosophisch ohne Bezug auf "Autoritäten", nur mit der "notwendigen" oder "richtigen Vernunft", die er in den Begriffen der Kultur seiner Zuhörer entwickelte. Die Beschäftigung mit den arabischen und muslimischen Philosophen war für ihn deshalb so entscheidend, weil er glaubte, ihnen nur dann seinen Gott verständlich machen zu können, wenn er sich einer philosophischen Methode bediente, die diese selbst als das Mittel der Wahrheitssuche anerkannten. Nur so würde ein Konvertierter ein wahrer Gläubiger.

Daß Llull die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, nicht erfüllen konnte, daß er trotz wiederholter Missionen in islamische Länder nicht die Massen zum Christentum bekehrte,2 vermindert die Größe seiner Leistungen keineswegs. Denn indem er versuchte, das islamische Denken von einem christlich-platonischen Standpunkt her zu überwinden, sozusagen vom Standpunkt der höchsten arabischen Errungenschaften "von innen heraus", entwickelte er eine neue philosophische Methode, die später dann bei Nikolaus von Kues und Leibniz Früchte tragen sollte.3 Ein Dialog war seiner Erfahrung nach kein Austausch von Positionen oder die Feststellung von Ähnlichkeiten oder Differenzen; es war der Prozeß einer erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung, durch den bahnbrechende Fortschritte des Wissens gemacht werden. So wurde noch im 18. Jahrhundert, als Leibniz' fruchtbarer Einfluß noch allgemein wirksam war, in Philosophiegeschichten wie Bruckers Historia critica philosophiae darauf hingewiesen, daß Llulls Werk eine neue Epoche eingeleitet habe, die zu Leibniz hinführte.

1. Das Wesen Gottes

Die zentralen Fragen, mit denen sich Llull in seinen missionarischen Schriften immer wieder auseinandersetzte, betrafen die Trinität und, eng damit verbunden, die Frage der Menschwerdung Christi. Wie konnte man dieses grundlegende Konzept Muslimen vermitteln, die dies als eine Entweihung der Einheit Gottes betrachteten?

Unter den arabischen Philosophen, deren Schriften er studiert hatte, war Al Farabi (gest. 950 n.Chr.) derjenige, der diese Frage am genauesten untersucht hat. Seine Schriften waren durchdrungen von den Ideen Platons und der Neoplatoniker, insbesonders des Augustinus. Dabei teilte er mit der frühesten islamischen philosophischen Schule aus der Zeit des 9. Jahrhunderts, den Mu'taziliten aus dem Bagdader Kalifat, die Auffassung, daß alles, was im Koran geoffenbart werde, der menschlichen Vernunft zugänglich sei. Mit seiner Idee des notwendig Seienden (Gott) will er beweisen, daß die Vernunft des Menschen mit den göttlichen Gesetzen übereinstimmt und daher diese Gesetze erfassen kann.

In seinem Werk Hauptfragen4 unterscheidet Al Farabi zwei Kategorien von Existenzen, die der möglichen Existenz und die der notwendigen Existenz.

    "Setzen wir das, was von möglicher Existenz ist, als nicht vorhanden, so sagen wir damit nicht notwendigerweise etwas Absurdes, denn dasselbe kann ja zu seiner Existenz einer Ursache nicht entbehren; wird es aber zum notwendig Seienden, so gelangt es durch etwas anderes, als es selbst ist, zur notwendigen Existenz."

Und weiter:
    "Setzt man aber das notwendig Seiende als nicht vorhanden, so ist dies notwendig absurd. Denn das Sein desselben hat keine Ursache, auch kann dasselbe sein Sein nicht durch etwas Anderes haben. Es ist vielmehr die erste Ursache für das Sein der Dinge und [so] muß sein Sein notwendig das erste Sein sein. Man muß sich dasselbe als in jeder Weise frei von Mangel denken. Sein Sein ist somit ein Vollständiges. Auch muß notwendig sein Sein das Vollkommenste und ein von den Ursachen freies sein, nämlich von der Materie, der Form, dem Schaffen und dem Endziel. Es ist ferner Eins in dem Sinne, daß sein Wesen nimmer von Dingen außer ihm herrührt, da dann von diesen seine Existenz herrühren würde."
Das notwendig Seiende ist
    "das rein Gute, das reine Denken, rein Gedachtes und rein denkend. Alle diese Drei sind in ihm Eins. Er ist weise und wissend, lebend, allmächtig und wollend. Er hat die höchst vollendete Schönheit, Vollkommenheit und Anmut. Er hat die größte Freude an seinem eignen Wesen und ist er somit der erste Liebende und der Geliebte. Die Existenz aller Dinge geht von ihm aus, und zwar in der Weise, daß er den Eindruck seines Seins den Dingen so zukommen läßt, daß sie dadurch zu Vorhandenen werden."
Llull greift Al Farabis Konzept des notwendig Seienden auf, um seinen Beweis der Trinität zu darzulegen, und beginnt wie immer mit der Feststellung der gemeinsamen Prinzipien: "Laßt uns in einem Punkt übereinstimmen." Die Grundlage der Übereinstimmung waren die Eigenschaften oder erhabenen Namen Gottes. Hierbei benutzt er ein Charakteristikum der arabischen Sprache, die wie Sanskrit auf dreikonsonantigen Verbwurzeln aufgebaut ist. Jede verbale Aktion wie "denken" oder "Gutes tun" wird durch eine Gruppe von drei Konsonanten ausgedrückt, die durch Vokale moduliert werden und sofort übereinstimmende Formen der Sprache ergeben. Llull benutzt die 100 Namen Gottes, wie sie von den islamischen Philosophen aufgezählt werden, und entwickelt daraus den erkenntnistheoretischen tieferen Sinn, der in der Sprache und damit auch im Geist enthalten ist. Das bedeutet, daß die Namen selbst, Adjektive oder Substantive aus ihren Verbwurzeln, den Aktionen, erzeugt werden. In seiner Autobiographie schreibt er:
    "Ihr versteht nicht, Ihr Sarazenen, die Ihr an den Glauben Mohammeds glaubt, daß die Handlungen, die den göttlichen Tugenden oder Namen angemessen sind, ...zum Wesen Gottes gehören und ewig sind. Ohne diese Aktionen wären die Namen für alle Ewigkeit überflüssig. Die Tätigkeiten des Guten (bonté), sage ich, können Gutes hervorbringen (le bonificatif), können gut werden (le bonifiable) und Gutes vergelten (le bonifier); genauso können die Handlungen der Bedeutsamkeit Bedeutsamkeit hervorbringen (le magnificatif), können bedeutend werden (le magnifiable) und Bedeutendes vergelten (le magnifier). Dies gilt für alle göttlichen Eigenschaften... Wenn wir als angemessen akzeptieren, daß die wesentlichen Handlungen der göttlichen Namen oder Attribute in ihrer Gleichheit und Übereinstimmung wesensgemäß und ewig sind, beweisen die Christen damit offenkundig, daß eine Trinität der Personen - Vater, Sohn und Heiliger Geist in einem einzigen Wesen und einer göttlichen Natur existiert." (Vita coaetana, 26)
Llull mußte neue Worte in seiner Muttersprache Katalanisch und aus dem Lateinischen schöpfen, um sein Konzept ausdrücken zu können. Dante unternahm später in bezug auf das Italienische das gleiche. Was Llull als das Besondere der menschlichen Sprache erkannte, war ihr Bezug zu den charakteristischen Merkmalen einer Universalsprache, die universellen Gesetze, die Gesetze Gottes widerspiegelte. Später entwickelte Leibniz dieses Konzept in seiner Theorie einer Universalsprache - der "characteristica universalis" weiter.

In seinem Dialog "Vom Heiden und den drei Weisen" (1274-76), einem seiner schönsten ökumenischen Werke,5 entwickelt Llull seinen Beweis der Trinität. Indem er abermals die Eigenschaften oder göttlichen Tugenden aufgreift, diesmal metaphorisch als Blüten auf einem Baum dargestellt, argumentiert der christliche Weise wie folgt:

    "Um die Dreifaltigkeit in Gott zu beweisen, pflücken wir zunächst die Blüte ,Güte Größe' vom ersten Baum, anhand derer wir entsprechend der Zustände der fünf Bäume beweisen werden, daß in Gott notwendigerweise eine Dreiheit der Personen existiert. Im Beweis der Dreifaltigkeit ist der Beweis der drei Glaubensartikel enthalten: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Schließlich werden wir zeigen, wie diese drei Artikel in einer einzigen Wesenheit ein Gott allein sind.

    Güte und Größe Gottes sind entweder endlich oder unendlich an Ewigkeit, Macht, Weisheit und Liebe. Wenn sie nun endlich sind, sind sie der Vollkommenheit entgegengesetzt; sind sie aber unendlich, stehen sie mit der Vollkommenheit in Einklang. Da es jedoch den Zuständen der Bäume zufolge unmöglich ist, daß Güte und Größe Gottes der Vollkommenheit in Ewigkeit, Macht, Weisheit und Liebe entgegengesetzt sind, ist offensichtlich, daß Güte und Größe Gottes zugleich unendliche Ewigkeit, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit bedeuten.

    Es ist klar, daß das Gute, je größer es ist, um so mehr mit der Vollkommenheit in Ewigkeit, Macht, Weisheit und Liebe in Einklang steht; und je geringer das Gute ist, um so mehr nähert es sich der Unvollkommenheit, die in Gegensatz zur Vollkommenheit steht. Wenn es nun in Gott ein erzeugendes Gutes gibt, unendlich an Güte, Größe, Ewigkeit, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit, und dieses Gute ein Gut zeugt, welches ebenso an Güte, Größe, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit unendlich ist, wenn weiter aus dem zeugenden und dem gezeugten Guten ein Gutes hervorgeht, das an Güte, Größe, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit unendlich ist, dann ist auch die Blüte ,Güte-Größe' in Gott größer, als wenn sich die geschilderten Vorgänge nicht in Gott fänden. Jedes einzelne der drei genannten Guten ist wegen all der Blüten des Baumes genauso gut und groß, wie es die Einheit Gottes wäre, wenn sich in ihr keine Dreiheit der Personen fände. Da zudem den Bedingungen des Baumes zufolge Gott die größte Güte zugeschrieben werden muß, ist die Dreifaltigkeit dem eben gesagten entsprechend beweisbar."

Wenn in Gott ein "erzeugendes Gutes" existiert, das "Gutes zeugt" und von beiden "weiter ein Gutes hervorgeht" usw., dann entwickelt sich das nicht aus einer logischen oder formalen Annahme, sondern aus der allgemeinen Charakteristik, dem Guten, welches wesentlich und ewig in Gott ist, und diese Tatsache ist bewiesen durch die universale (allumfassende) Charakteristik der Sprache. Gott, um gut zu sein, muß notwendigerweise der Schöpfer der Güte sein.

2. Die Natur des Menschen

Was ist dann der Mensch? Wie LaRouche in seiner Abhandlung über die Trinität entwickelt, "existiert Gott als ein absolut Gutes", und "der Mensch befindet sich als Sterblicher innerhalb des Werdens. Nun befindet sich Gott als menschgewordener Christus als Offenbarung Gottes innerhalb des Werdens im Gegensatz zum Absoluten. Gott als das Prinzip, das sowohl das Absolute als auch das Werdende umfaßt, ist die agapische schöpferische Vernunft, die man manchmal auch als Heiligen Geist bezeichnet."

Al Farabis notwendig Seiendes ist der Schöpfergott, der wie bei Plotin das Universum aus einem Prozeß der Selbstreflexion erschafft. (Avicenna wird die gleiche Emanationstheorie entwickeln.) Der erste Intellekt, oder der Himmel, wird damit erschaffen, auf diese Weise die Vielfältigkeit eingeführt und dadurch die zweite und so weiter durch alle Himmelssphären, die sich in Kreisform bewegen. Durch diesen Prozeß wird die höchste Form der Existenz, der Mensch, erschaffen. Er unterscheidet sich von allen anderen Arten durch den Vorzug, daß "er eine Seele hat, von der aus Kräfte hervorgehen. Durch dieselben schafft die Seele ihr Werk mit körperlichen Organen. Dazu hat er noch eine Kraft, nämlich die, daß er auch ohne körperliche Organe schaffen kann. Diese Kraft ist die Vernunft." (S. 104-105)

Al Farabi unterscheidet vier Ebenen der menschlichen Vernunft oder des Verstandes in seinem Buch, das den Titel "Vernunft" oder "Intellekt" trägt, worin er Platons Konzept der Hypothese, der höheren Hypothese und der Hypothese der höheren Hypothese aufgreift.

    "Der potentielle Intellekt ist irgendeine Seele..., dessen Wesen die Fähigkeit oder die Bereitschaft besitzt, das Was (Wesen) und die Formen von allem, was vorhanden ist, von den Stoffen zu abstrahieren, so daß es diese Formen allesamt ohne die Stoffe zu seiner Form für sich macht... Diese Formen...sind die Vernunfterkenntnisse oder das Gedachte.

    Es wird aber, wenn es abstrahiert wird, dadurch zum aktuellen Intelligiblen, daß es zu Formen für dieses Wesen (den Intellekt) wurde. Dieses Wesen ward somit nur durch das aktuell Gedachte zum aktuellen Intellekt. Denn dieses aktuell Intelligible und der aktuelle Intellekt ist an sich ein und dasselbe."

Daraus folgt: "Dieses Wesen ist denkend nichts anderes, als daß das Intelligible zu Formen für dasselbe ward, indem es selbst zu diesen Formen wurde und ist somit der Sinn von den Aussprüchen: Dieses Wesen ist aktuell denkend, aktuelles Denken und aktuell Gedachtes, ein und derselbe" (S.68), wie es beim Notwendig Seienden der Fall ist.

Nun kann umgekehrt dieses aktuell Intelligible (Gedachte) zu einem Gedankenobjekt werden, was bedeutet, daß der aktuelle Intellekt in einem Prozeß der Selbstreflexion ebenfalls zu einem Gedankenobjekt wird:

    "Es ist nun klar daß, wenn er sein Wesen, in sofern dasselbe aktueller Intellekt ist, denkt, ihm durch das, was er von seinem Wesen denkt, nichts von dem Vorhandenen zukomme, dessen Existenz in seinem Wesen etwas andres als sein Sein, und zwar sein aktuell gedachtes Sein, wäre. Besser gesagt: Er denkt von seinem Wesen aus etwas Vorhandenes, dessen Existenz, als Gedachtes, schon als Existenz in seinem Wesen liegt." (S. 70)
Durch diesen Prozeß nimmt der erworbene Intellekt erst Gestalt an:
    "Wenn der aktuelle Intellekt das Intelligible... denkt, so wird der Intellekt, den wir früher als aktuell bezeichneten, jetzt zum erworbenen Intellekt."
Das ist der Intellekt, der neue Ideen entstehen läßt:
    "Wenn es nun hier Vorhandenes gibt, welches in Formen, die weder an Stoffen sind, noch je an ihnen waren, besteht, so werden dieselben, wenn sie gedacht werden, zu etwas Vorhandenem, d.h. sie sind von gedachter Existenz." (S. 71)
Und schließlich gibt es eine höhere Ordnung des aktiven oder kreativen Intellekts:
    "Er ist's, der dieses Wesen, welches potentieller Intellekt war, zum aktuellen, und das potentiell Intelligible zum aktuell Intelligiblen machte". (S. 73)
Daher ist der mit diesem Prinzip des kreativen Denkens begabte Mensch das Werdende, das durch das absolute Gute, Gott, begrenzt wird, welches er von Natur aus erstrebt. Charakteristisch für diesen aktiven oder kreativen Intellekt ist für Al Farabi, daß er "immer zuerst die vollkommenste der Existenzen denkt." Al Farabi betont, "daß der Mensch in allem, was seine Natur hervorbringt, dem aktiven Intellekt so nah wie möglich ist", und daß "das Denken selbst sich ständig mit dem beschäftigt, was wie himmlisches Leben die höchste Vollkommenheit erzielen kann." Aber nicht alle Menschen streben nach dem himmlischen Leben:
    "Der niedrigste Zustand des Intellekts ist derjenige, in dem der Intellekt für seine Existenz eines Körpers als Material bedarf und nichts ist als die Form eines Körpers oder ein Körper."
In seinen Vorstudien der Philosophie bezeichnet Al Farabi den Zweck der Philosophie als "die Erkenntnis vom erhabenen Schöpfer. Die Tätigkeit aber, welche der Philosoph ausübt, ist die Verähnlichung mit dem Schöpfer, soweit dies die menschlichen Fähigkeiten gestatten" (S. 88-89). Und das liegt in der Fähigkeit des Menschen, weil der Mensch, wie die Natur seines Intellekts beweist, nach dem Ebenbild Gottes erschaffen ist, was Al Farabi als Muslim ausdrücklich feststellt: "Denn dein Geist stammt aus dem Wesen deines Herrn, dein Körper aber aus der Schöpfung desselben." (S. 118)

Al Farabis Konzept des notwendig Seienden, durch Ibn Sina bereichert, und seine Behandlung der kreativen Vernunft lieferten von islamischer Seite den philosophischen Beweis der Existenz Gottes und der Natur des Menschen als Ebenbild Gottes (Imago viva Dei). Dies gab Llull die Gelegenheit, die Trinität und die Menschwerdung verständlich zu machen.

3. Der ökumenische Dialog auf der Suche nach der Wahrheit

Llull beginnt sein Meisterwerk Der Heide und die drei Weisen mit dem Drama eines Heiden, der durch den Gedanken an den Tod in existentielle Verzweiflung gerät. Er verläßt seine Heimat, um in der Fremde Trost zu suchen, und gerät schließlich in einen paradiesischen Wald, dessen Schönheiten ihn in Staunen versetzen, doch da er nicht an eine Existenz Gottes glauben kann, stürzen diese ihn gleichzeitig auch in Verzweiflung. Währenddessen treffen vor der Stadt, in der sie alle lehren, drei Weise - ein Jude, ein Christ und ein Moslem - zusammen. Als sie in den herrlichen Wald gelangen, treffen sie auf eine schöne Dame auf einem prächtigen Pferd. Sie stellt sich als "Intelligenz" vor und unterweist die drei Weisen in der wissenschaftlichen Untersuchungsmethode, wobei sie sich metaphorisch des Bildes der "fünf Bäume" bedient (siehe Kasten). Von der "Intelligenz" angeregt, sind die Weisen nun von dem gemeinsamen Wunsch beseelt, die Grundlage für eine universelle Religion zu finden, denn sie sind davon überzeugt, daß die Gestaltung des Gemeinwesens und die Beziehungen zwischen Staaten nur harmonisch sein kann, wenn eine solche gemeinsame Grundlage gefunden wird.

Nach ihrer Unterweisung stoßen sie auf den alten Mann, den Heiden, der in heftigster Erregung weint. Alle drei eilen, ihm ihren Beistand anzubieten, erkundigen sich nach dem Grund seines Grams und bieten ihm Trost im religiösen Glauben an. Der Heide, begierig, Linderung seines Leids zu finden, reagiert mit Dankbarkeit auf ihre Sorge, und es entwickelt sich ein ergreifendes Schauspiel. Jeder der drei Weisen soll der Reihe nach dem Heiden seine Glaubensartikel darlegen, doch beziehen sie sich dabei nicht auf die Autorität der Schrift, sondern folgen der Metapher der "fünf Bäume", in die die "Intelligenz" sie eingeführt hatte. Nach längerem höflichen Austausch, wer zuerst mit seiner Darstellung beginnen solle, beschließen sie, entsprechend der historischen Entwicklung vorzugehen, so daß der Jude beginnt, gefolgt von dem Christen und schließlich dem Muslim.

Der Jude beginnt mit seinem Beweis der Existenz eines einzigen Gottes, indem er auf der Grundlage der erforderlichen Übereinstimmung der Baumblüten aufzeigt, daß Gott nicht unendlich an Güte, Ewigkeit, Macht etc. sein könne, wenn es mehr als einen Gott gäbe. Nach der Darstellung einiger anderer jüdischer Glaubenslehren ist dann der Christ an der Reihe. Dieser stellt zunächst fest, daß der Jude bereits einen ausreichenden Beweis der Existenz des einzigen Gottes geliefert habe, so daß seinerseits keine Notwendigkeit bestehe, dies nochmals zu wiederholen. Statt dessen fährt er fort, diejenigen Glaubensartikel einzuführen, die der jüdische Glaube nicht enthält, vor allem das Konzept der Trinität.

Daraufhin fragt ihn der Heide: "Deinen Worten zufolge wäre die Einheit Gottes von noch größerer Güte, wenn es vier, fünf oder unendlich viele jener Güter gäbe, von denen Du sprichst, als wenn in ihr nur drei vorhanden sind." Darauf antwortet der Christ:

    "Wenn es in Gott mehr als einen Zeugenden, einen Gezeugten und einen Hervorgebrachten gäbe, wäre der Zeugende nicht unendlich an Güte, Größe, Ewigkeit, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit. Denn er genügte sich als Zeugender nicht selbst, um ein Gut zu zeugen, das ausreichen würde, um eine unendliche Güte, Größe, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit zu zeugen; noch genügten sich der Zeugende und der Gezeugte selbst, um dem von beiden Hervorgebrachten unendliche Güte, Größe usw. zu geben; noch genügten alle die der Zahl nach unendlich Zeugenden, Gezeugten und Hervorgebrachten, um an Güte, Größe, Ewigkeit, Macht usw. vollkommen zu sein. Denn in der unendlichen Zahl kann es keine Vollkommenheit geben, weil die unendliche Vervielfachung einer Zahl mit der Vollkommenheit nicht in Einklang zu bringen ist. Wenn dies so wäre, würde sich - entsprechend der Vollkommenheit der Blüten - eine Unvollkommenheit in Gott befinden, und die Blüten stünden im Gegensatz zueinander, wenn in Gott unendlich viele Zeugende, Gezeugte und Hervorgebrachte existierten."
Der Heide, immer noch nicht überzeugt, besteht darauf, daß "wenn sich also vier, fünf oder tausend Güter in Gott finden, wird die Güte Gottes entsprechend größer sein, als wenn es sich nur um drei handelt." Worauf der Christ antwortet:
    "...Wenn es mehr als drei wären, käme keinem der drei Vollkommenheit zu, geschweige denn vollkommende Güte, Größe, Ewigkeit usw. Denn so wie es nicht mehrere Götter geben kann und ein Gott genügt, um über die gesamte Güte, Größe usw. zu verfügen, die sie sonst alle zusammen hätten - wobei er sogar über noch viel mehr verfügen kann, als sie zusammen hätten - , genügt auch ein einziger Zeugender, um über all die Güte, Größe usw. zu verfügen, die zwei oder drei Zeugende besäßen, ja über viel mehr noch als diese je verfügen könnten. Denn gäbe es zwei oder drei Zeugende, so könnten sie nicht alle zusammen die unendliche Güte, Größe, Ewigkeit, Macht usw. besitzen; dies kommt allein einem Einzigen zu. Dasselbe gilt für zwei oder mehr Gezeugte und für zwei oder mehr Hervorgebrachte."
Der Heide, endlich zufriedengestellt, erlaubt dem Christen, in der Darstellung der verbleibenden Glaubensartikel fortzufahren, einschließlich der Menschwerdung Christi. Wieder mit Bezug auf die Paare der göttlichen Tugenden oder Eigenschaften, die die Blüten der Bäume darstellen, führt der christliche Weise das Konzept der Menschwerdung ein:
    "Um eine so große Güte, wie die göttliche Güte zu zeigen, mußte sich durch die Tätigkeit des Heiligen Geistes der Sohn Gottes mit der menschlichen Natur im Mutterleib unserer Herrin, der heiligen Maria, vereinen. Denn ein solch erhabenes Gut, wie es das Menschsein Christi ist, vom Menschengeschlecht zu nehmen, das durch die Sünde vergänglich wurde, ist ein größeres Gut als die Summe alles geschaffenen Guten."
Er fährt fort in seiner Beweisführung mit den Blüten(paaren) Liebe-Gerechtigkeit, Macht-Klugheit, Vollkommenheit-Trägkeit, Glaube-Hoffnung und Tapferkeit-Unersättlichkeit, wonach der Heide fragt: "Warum sind nicht alle drei göttlichen Personen Mensch geworden, warum nur die Person des Sohnes?" Der Christ antwortet:
    "Um besser zu zeigen, wie sich jede der drei göttlichen Personen von der anderen unterscheidet, hat es die große Weisheit Gottes so eingerichtet, daß nur eine einzige Person Fleisch werde, und um zu zeigen, daß eine einzige Vaterschaft, eine einzige Sohnschaft und eine einzige Person des Heiligen Geistes in der Dreiheit Gottes ausreichen, wollte nur der Sohn Gottes Fleisch werden. Denn wenn die Fleischwerdung mehrerer Personen bedürfte als nur einer, würden sich in Gott weder Größe noch Vollkommenheit zeigen."
An diesem Punkt fragt der Heide, warum aber dann der Sohn und nicht der Heilige Geist? Der Christ antwortet:
    "Gott wollte Größe und Vollkommenheit in seinem Werk zeigen, damit der menschliche Geist die Bedingungen und die Eintracht der Blüten besser zu verstehen vermag. Weil der Sohn Gottes vom Vater und, insofern er menschliches Fleisch annahm, vom Menschen gezeugt wurde, kommt im Hinblick auf das Geschöpf die Einheit der Person zwischen dem Sohn Gottes und dem Sohn des Menschen besser zum Ausdruck als zwischen Vater und Mensch bzw. zwischen Heiligem Geist und Mensch; denn die Zeugung bezieht sich auf den Sohn Gottes und den Sohn des Menschen."
Der Heide, sichtlich zufriedengestellt, stellt nun die schwerwiegende Frage: "Bitte erkläre mir, was die Juden und die Sarazenen zu dem Artikel über die Empfängnis sagen." Der Christ antwortet mit erstaunlicher Offenheit:
    "Zu unserer großen Schande sind wir Christen zu nachlässig, den Ungläubigen unseren Glauben schlüssig zu erläutern. Zum anderen stehen sie unserer Religion hartherzig und verständnislos gegenüber. Wir lehnen ihr Verständnis der Fleischwerdung ab, das sie uns unterstellen, denn unsere Auffassung von der Fleischwerdung des Sohnes Gottes ist anders als sie glauben, uns unterstellen zu dürfen. Schließlich sind wir untereinander aufgrund verschiedener Meinungen nicht einig."
An dieser Stelle berührt Llull einen wunden Punkt. Demnach hatten die christlichen Philosophen das universelle Konzept, das der Menschwerdung unterliegt, nicht ausreichend vermittelt, so daß die "Ungläubigen" etwas darunter verstanden, was so nicht gemeint war, sie aber auf dieser Basis ablehnten. Nikolaus von Kues wird später eine ähnliche Polemik bezüglich der Trinität und der Person Marias vorbringen.

Als die Reihe an den muslimischen Weisen kommt, verzichtet er ebenfalls auf den Beweis der Existenz eines einzigen Gottes, da der Jude dies schon ausreichend entwickelt habe und vom Christen anerkannt worden wäre. Der Moslem will nun gerne seine Abweichung von der christlichen Betrachtung der Trinität darstellen, indem er sagt, wenn es eine Trinität gäbe, "müßte Gott zusammengesetzt sein, und seine Güte, Größe, Ewigkeit, Macht, Weisheit und Liebe wären der Vollkommenheit entgegengesetzt..."

Bezeichnenderweise ist es der Heide, der ihn unterbricht. Obwohl der Christ versucht, seine eigene Erwiderung vorzubringen, gibt ihm der Heide zu verstehen, "daß er nicht an der Reihe sei, und daß nur ihm selber erlaubt sei, Einwände vorzubringen." Seine Entgegnung ist unzweideutig:

    "Du kannst Dich sicherlich daran erinnern, daß ich Deine Frage bereits dem Christen gestellt habe. Aus dem, was Du sagst, und aus dem, was ich vom Christen gehört habe, entnehme ich, daß der Christ auf eine bestimmte Art an die göttliche Dreifaltigkeit glaubt und daß Du der Meinung bist, er glaube auf eine andere Art. Deswegen scheint es mir, daß ihr mit den Christen hinsichtlich eines einzigen Glaubens und einer einzigen Religion keine Übereinstimmung erzielen könnt. Doch lassen wir jetzt diesen Punkt beiseite; fahre fort im Beweis Deiner Artikel, denn es ist nicht notwendig, über diesen ersten Artikel noch mehr zu sagen."
Mit anderen Worten, der Heide erkennt, daß über bestimmte dogmatische Fragen, wie die der Trinität, keine Übereinstimmung gefunden werden kann, nicht weil es keine gemeinsame Grundlage für eine Übereinstimmung gibt, sondern weil es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was eigentlich ein Konzept ausmacht. Daher solle man nicht eine Argumentationslinie verfolgen, die auf Mißverständnissen beruht und nur die offensichtlichen Differenzen betont, sondern man solle vielmehr die gemeinsame Grundlage des Glaubens suchen.

Nach der Vollendung der Darlegungen des Moslems wiederholt der Heide noch einmal zum Erstaunen und zur Bewunderung aller die gesamte Entwicklung des Dialoges. Schließlich erhebt er sich und preist in einem Gebet Gott, den er als Ergebnis des Dialogs mit den Weisen entdeckt hat. In bewegenden Worten überhäuft er die drei mit Dank, ihm Glaube und Hoffnung gegeben zu haben, kniet nieder zum Gebet und küßt die Erde. Er steht auf, um wieder niederzuknien und den dreien zu bekunden, welche Religion er erwählt hat, da sieht er in der Ferne zwei ihm bekannte Menschen auf sie zukommen; es sind Heiden wie er. Obwohl er die drei Weisen bittet zu bleiben, so daß er seine Religion in Anwesenheit der beiden Heiden kundtun könne, entscheiden alle drei Weisen, ihn zu verlassen. Mit gegenseitigen Segenswünschen und liebenswürdigen Grüßen bereiten sie sich auf den Abschied vor. Als der Heide sie fragt, warum sie nicht noch verweilen, um zu hören, welche Religion er erwählt habe, antworten die drei Weisen, "sie wollten es nicht wissen, damit ein jeder von ihnen glauben könne, er habe seine Religion gewählt".

Doch was noch wesentlicher ist, "zudem gibt es nun für uns ein Thema, über das wir diskutieren können, um kraft unserer Vernunft und unserer Geistesgaben herauszufinden, welcher Religion Du den Vorzug geben wirst. Denn wenn Du hier vor uns die Religion, die du vorziehst, bekunden würdest, hätten wir kein so gutes Diskussionsthema und auch keinen so guten Anlaß für die Wahrheitsfindung."

Welche Religion wählte nun der Heide? Diese Frage bleibt dem Leser überlassen, der selbst entscheiden muß. Was die drei Weisen betrifft, kehren sie in ihre Stadt zurück und sind mehr denn je entschlossen, nach der Wahrheit zu suchen. Obwohl sie sich bemühen, sich auf eine Religion zu einigen, um auch die Ursachen gesellschaftlicher Zwietracht und Konflikte auszuschließen, so ist ihre Mission dennoch nicht doktrinär, sondern ökumenisch angelegt.

Llull erklärt in seinem Schlußwort, es sei sein Ziel gewesen, eine Methode zu entwickeln, "getrübte Geister zu erhellen und schlafende Große aufzuwecken, sowie Fremde und Freunde im gegenseitigen Kennenlernen miteinander zu verbinden, wenn sie die Frage diskutieren, für welche Religion der Heide sich wohl entschieden haben mag, um Gottes Wohlgefallen zu finden".

Obwohl Llull als Missionar sich verpflichtet hatte, die Sarazenen zu bekehren, durchdringt sein ganzes Werk die Botschaft der Ökumene, die, um ihr Ziel, einen universellen einheitlichen Glauben zu erreichen, eine höher geordnete Konzeption voraussetzt, unter der sich die drei Religionen, Judentum als Judentum, Christentum als Christentum und Islam als Islam begegnen.

4. Llull und die Goldene Renaissance

Llulls Einfluß auf die ökumenische Bewegung reicht weit. Das erste Ergebnis seiner Bemühungen war die Gründung einer Schule zur Ausbildung von Missionaren nach Llulls Konzept, die König Jaime II. von Mallorca in Miramar, an der Ostküste Mallorcas, veranlaßte. Geleitet von Franziskanern und 1276 von Papst Johannes XXI. (der auch die Widerlegung des Averroes in Paris anordnete) unterstützt, war sie die erste Schule, die den Missionaren das Studium in den Sprachen der anderen Religionen ermöglichte, die so "Fremde und Freunde kennenlernen und eine Einheit mit ihnen bilden" sollten. Llull setzte sich mit Petitionen an den Papst und an das Konzil in Vienne 1311 für die Gründung weiterer solcher Schulen ein; in den Beschlüssen des Konzils wurde sein Vorschlag gutgeheißen, fünf solcher Schulen in Rom, Bologna, Paris, Oxford und Salamanca zu errichten (was aber erst Jahrhunderte später geschah). Diese Schulen sollten Arabisch, Hebräisch, Syrisch und Griechisch unterrichten. Aufgrund dieser Bemühungen wurden nicht nur die philosophischen Werke der Araber, sondern auch der Koran selbst gelesen und übersetzt, so daß Christen und Juden herausfinden konnten, was es mit dem Koran auf sich hatte.

Ebenso weitreichend, obwohl weitgehend unbekannt, war Llulls Einfluß auf die Entwicklung des modernen Nationalstaats in Europa durch die Entwicklung einer literarischen Volkssprache. Die Sprache ist eine der faszinierendsten Aspekte in Llulls Werk. Da er sich zehn Jahre lang in das Studium des Arabischen vertieft hatte, um die muslimische Intelligenz ansprechen zu können, schrieb er die meisten seiner Hauptwerke in Arabisch, einige in Katalanisch und nur sehr wenige in Latein (hauptsächlich aus dem Arabischen übersetzt). Er war der Erste, der in Katalanisch schrieb und legte damit die Grundlage für Spanisch als Nationalsprache.

Llull erkannte sicherlich, daß die rasche Ausbreitung des Islam über Arabien, Nordafrika und den südlichen Mittelmeerraum durch die Tatsache erleichtert worden war, daß der Koran, die Offenbarung des Wort Gottes für die Muslime, in poetischem Arabisch geschrieben war, und da es keine Priester im Islam gibt, erwartet man von jedem Gläubigen, die Heiligen Texte direkt zu kennen. Jeder nichtarabische Gläubige muß sich die Sprache aneignen und lernt durch sie die Sprachkultur kennen. Das bedeutete, daß Bildungsinitiativen ein integraler Bestandteil der maurischen Sozialpolitik waren und damit Millionen von Analphabeten der Zugang zu Wissenschaft und Kultur ermöglicht wurde. Das erklärt zu einem großen Teil, weshalb die Bevölkerung Andalusiens im Vergleich zum nördlichen Europa eine Alphabetisierungsrate von über 90 Prozent erreichte, während Lesen und Schreiben in Nordeuropa im gleichen Zeitraum noch ein Privileg des Klerus war.

Als katalanischer Christ erkannte Llull die Notwendigkeit, eine dem Arabischen ebenbürtige katalanische Sprache schaffen zu müssen. Dabei benutzte er Syntax und Morphologie des Arabischen, um die neue Landessprache als literarisches Werkzeug zu formen. Aufgeklärte christliche Herrscher wie Alfons der Weise in Spanien und Llulls Zeitgenosse Friedrich II. von Hohenstaufen in Sizilien führten den Prozeß fort, indem sie Bemühungen von Philosophen, Wissenschaftlern, Poeten und Musikern unterstützten, die daran arbeiteten, arabische Errungenschaften in die Landessprache zu übersetzen. Sowohl bei Alfons als auch bei Friedrich war Arabisch eine der Sprachen, wenn nicht die Hauptsprache des Hofes. Und beide waren bestrebt, nach dem Modell des Arabischen ihre Volksdialekte zu einer Nationalsprache zu entwickeln.


Anmerkungen

1. Llull übersetzte verschiedene Begriffe direkt von Ibn Hazm, darunter den "Notwendigen Beweis", der sich auf die Idee des islamischen Theologen bezieht, daß Wahrheit, wie sie im Koran geoffenbart wird, auch unabhängig von der Autorität des Korans durch die spekulative Vernunft bewiesen werden kann. Die beiden Wege zur Wahrheit, der eine durch Tradition, der andere durch Vernunft waren unter den Arabern zu Llulls Zeit als "positive Wissenschaft" bekannt (was Llull in "positive Theologie" oder "positive Wissenschaft durch den Glauben" und "Wissenschaft der Philosophie durch Vernunft" übersetzt), auf die er sich als "notwendige Vernunft" oder "demonstrative Wissenschaft des Intellekts" bezieht. Ibn Hazm und Ibn Sab'in inspirierten Llulls "Ars" oder Methode der Wahrheitsfindung.

2. Llull reiste nach Tunis (1293 und 1315) und Bougie (1307), wo er inhaftiert wurde.

3. Die Werke, in denen er seine Methode entwickelt sind die Ars compendiosa inveniendi veritatem (1273-75), Ars demonstrativa (1275-81), Ars inventiva (1289-1290), Tabula generalis (1293) und Ars brevis, Ars generalis ultima (1308).

4. Alle Zitate zu Al Farabi sind aus "Al Farabis Philosophische Abhandlungen" aus dem Arabischen übersetzt von Dr. Fr. Dieterici, Professor a.D. Univ. Berlin, Leiden 1892, wiederaufgelegt von Minerva GmbH, Frankfurt/Main 1976. Die hier zitierten Werke sind Der Intellekt, Die Vorstudien der Philosophie und Die Hauptfragen.

5. Er schrieb ebenso Liber de Sancto Spiritu 1273/5, das die Diskussion eines lateinischen und eines griechischen Gelehrten in Anwesenheit eines Moslems darstellt; Liber Tartari et Christiani von 1282/85; die Disputatio fidelis et infidelis von 1287/89; die Liber de quinque sapientibus von 1294, ein Dialog zwischen einem Lateiner, einem Griechen, einem Nestorianer, einem Juden und einem Sarazenen; und die Disputatio Raimundi et Homeni Saraceni von 1308.

Die Zitate aus Dem Buch vom Heiden und den drei Weisen stammen aus der Übersetzung von Theodor Pindl, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998.


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