Juni 2003 Friedrich Schiller


Friedrich Schiller

    "Denn nur der große Gegenstand vermag
    Den tiefern Grund der Menschlichkeit aufzuregen,
    Im engem Kreis verengen sich sein Sinn.
    Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.
    Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende,
    Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird,
    Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen
    Und ein bedeutend Ziel vor Augen sehn,
    Und um der Menschheit große Gegenstände
    Um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen.
    Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne
    Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß,
    Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen."

Friedrich Schiller wurde am 10. November 1759 in Marbach am Neckar geboren. Er verlebte dort mit seinen Eltern Johann Kaspar und Elisabeth eine äußerst glückliche Kindheit, erst in Lorch, dann auf der Lateinschule in Ludwigsburg. Seine Kindheit wurde erst jäh unterbrochen, als ihn Carl Eugen, der Herzog von Württemberg, auf die Karlsschule, die "Herzogliche Militärakademie", einzog.

Obwohl Schiller auf dieser Schule, auf der er von seinem 13. bis zu seinem 21. Lebensjahr bleiben mußte, nach eigenen Aussagen unsäglich litt, waren doch die auf ihn einstürmenden Einflüsse ein Fundus, der sein dichterisches Genie explodieren lassen sollte. Hier entwickelte sich sein Geist an dem im 18. Jahrhundert noch allenthalben spürbaren Einfluß von Leibniz, an Shakespeare und Lessing, und unter seinen Lehrern stach der Philosophieprofessor Friedrich Abel hervor, der seine Schüler polemisch aufforderte, sich zu Genien zu entwickeln.

Andererseits entwickelte Schiller eine leidenschaftliche Abneigung gegen die oligarchische Willkür des absolutistischen Adels, der grausam und gedankenlos das Glück der Untertanen zertrat, der die ganze Jahresarbeit der Bauern achtlos zerstörte, wenn es ihm einfiel, eine Jagd mit 300 Pferden zu veranstalten. In diesen Jugendjahren entwickelte Schiller eine kompromißlose Haltung gegen jede Art von Philistertum und Mittelmäßigkeit, ohne die er seine eigene Größe niemals hätte erreichen können, aber auch einen erstaunlichen politischen Scharfblick, mit Hilfe dessen er die differenziertesten und verdecktesten Operationen der oligarchischen Fraktion seiner Zeit aufdeckte und sie in seinen verschiedenen Werken immer wieder neu beleuchtete, wie z. B. im "Geisterseher" oder in der Schrift "Die Jesuiten-Regierung in Paraquay" oder in dem Gedicht "Die bösen Monarchen", eine Liste, die noch lange fortzusetzen wäre. Mit der einmaligen Klarsicht, zu der nur Geistesriesen fähig sind, deckte er alle Methoden der psychologischen Kriegführung und Aktivitäten auf, die gegen die Idee der republikanischen Freiheit gerichtet waren. Und wer seine Werke heute liest, wird zu seiner großen Verwunderung entdecken, daß diese Kräfte noch heute genau die gleichen sind.

Schon in seinem ersten Schauspiel "Die Räuber", das der damals 20jährige heimlich auf der Karlsschule schrieb, brach ein dramatisches Talent aus ihm heraus, das seinesgleichen in der deutschen Sprache sucht. Schillers Mitschüler jedenfalls, die heimlich die Uraufführung besucht hatten, spielten nachts im Walde mit erhitzten Köpfen ganze Szenen nach. "Die Räuber" etablierten Schillers Ruhm in ganz Deutschland auf einen Schlag und bald in ganz Europa.

Auch wenn größere Dramen als "Die Räuber" folgen sollten, zeigte sich schon in diesem Stück, was Schiller vor allen anderen Dramatikern auszeichnet: daß er so spannend zu dichten vermochte, daß bei ihm jede Zeile notwendig aus der anderen folgt, so daß niemand ein solches Stück aus der Hand legen kann, sollte er es auch schon viele Male gelesen haben, ganz zu schweigen von der überwältigenden Bühnenwirkung, der sich wohl nur ein Holzkopf entziehen könnte.

Als Schiller von Carl Eugen ein Schreibverbot erhielt, ihm ferner jeglicher Kontakt mit dem "Ausland" verboten wurde, man ihn sogar verhaftete und er das schreckliche Schicksal des Dichters Schubart vor Augen haben mußte, entschloß er sich zur Flucht, bei der ihm sein guter Freund, der Komponist und spätere Mitarbeiter Beethovens, Andreas Streicher, aufopferungsvoll half.

Es waren zweifellos diese Erlebnisse, die Schiller in seinem dritten Schauspiel "Kabale und Liebe" verarbeitete; es ist das erste Stück, in dem Schiller einen direkten Bezug auf die Amerikanische Revolution nahm. Nicht nur, daß er die ganze Verlogenheit und Falschheit des zeitgenössischen Hoflebens mitleidlos auf die Bühne stellte, er attackierte hier den Verkauf von hessischen Soldaten an England, das diese als Kanonenfutter im Krieg gegen die Amerikanische Revolution verheizte. England konnte im übrigen nicht verhindern, daß sich einige dieser Soldaten auf die Seite der jungen amerikanischen Republik schlugen.

"Kabale und Liebe" sollte Schillers letztes Stück bleiben, das so direkt zur Gegenwart Stellung bezog. Sofort nach seiner Uraufführung wurde es verboten, und umfangreiche Schreiben gegen den Dichter wurden zwischen den Behörden hin und her geschickt. Man müsse dieses gefährliche Subjekt neutralisieren und jede Anstellung verhindern, hieß es da vom preußischen bis zum bayerischen Hofe.

Um der Zensur zu entgehen, schrieb Schiller fortan keine Dramen mehr, die direkt in der Gegenwart spielten, vielmehr bediente er sich des Kunstgriffs, große Gegenstände der Gegenwart auf frühere historische Schauplätze zu verlegen. Was immer er von jetzt an schrieb, ob Dramen, Gedichte, historische oder theoretische Schriften, sie alle waren vom großen Gedanken der politischen Freiheit getragen, sie alle spiegeln die Ideale wieder, die die Amerikanische Revolution erfolgreich verwirklichte und alle glühenden Patrioten Europas vereinte.

Als Schiller durch die hilfreiche Hand Christian Gottfried Körners in Leipzig, dessen Haus auf lange Zeit ein Mittelpunkt der republikanischen Netzwerke war, seiner persönlichen Not zunächst entkommen war, war er von einem ungeheuren Optimismus über die Aussichten der Menschheit erfüllt. In Körners Haus dichtete Schiller die weltberühmten Zeilen:

    Freude, schöner Gotterfunken,
    Tochter aus Elysium,
    Wir betreten feuertrunken,
    Himmlische, dein Heiligtum.
    Deine Zauber binden wieder,
    Was die Mode streng geteilt,
    Alle Menschen werden Brüder,
    Wo dein sanfter Flügel weilt.

Beethoven beschäftigte sich 30 Jahre lang mit dem Gedanken, für dieses Gedicht eine Komposition zu schaffen. Endlich schrieb er die Chorfantasie, die durchaus als eine Homage an Schiller gedacht werden kann. Und schließlich schuf er mit der 9. Sinfonie eine der gewaltigsten Kompositionen überhaupt.

Dieses Gedicht erschien 1786, also in dem Jahrzehnt, als alle Republikaner Europas voller Enthusiasmus auf die gelungene Amerikanische Revolution blickten, an der sie durch die Netzwerke Lafayettes, Steubens und der Liga der Bewaffneten Neutralität einen großen Anteil gehabt hatten, ja, die ihr gemeinsames Projekt gewesen war, denn es galt in der "Neuen Welt" zum ersten Mal eine freiheitliche Republik zu errichten.

Sie teilten anfangs die Hoffnung daß die Französische Revolution einen ähnlich glücklichen Verlauf nehmen könnte und von ihr eine Hebelwirkung für ganz Europa ausginge. Auch in Deutschland sollte sich diese Entwicklung nachvollziehen, das immer noch in dreihundert kleine Ländereien zersplittert war, und damit endlich eine Nation werden könnte.

Schiller beschrieb die Diskussion über diese Perspektive in den "Briefen über Don Carlos" als das Lieblingsthema der Achtziger Jahre: die Errichtung einer Nation, bei der des Staates größte Blüte zusammenträfe mit der maximalen Entwicklung des Individuums.

"Don Carlos" ist vielleicht zusammen mit "Wilhelm Tell" das Drama, in dem am direktesten die Amerikanische Revolution gefeiert wird. Der Ort der Handlung ist zwar an den Hof Philipp II. von Spanien verlegt, aber als der Marquis von Posa, dieser "Abgesandte der Menschheit", der sich für Gerechtigkeit in der Provinz Flandern einsetzt, auf die Bühne tritt, spricht er die Worte aus, die auch die Gründerväter bewegt haben. Als Philipp den Marquis, der es ablehnt, Fürstendiener zu sein, doch in seine Dienste zwingen will, nutzt dieser die Gelegenheit, dem mächtigsten Herrscher seiner Zeit die Wahrheit entgegenzuschleudern, die ihm zu sagen sich noch niemand getraut hat:

    Ja, Beim Allmächtigen!
    Ja - Ja - Ich wiederhol es. Geben Sie,
    Was Sie uns nahmen, wieder. Lassen Sie,
    Großmütig, wie der Starke, Menschenglück
    Aus Ihrem Füllhorn strömen - Geister reifen
    In Ihrem Weltgebäude. Geben Sie,
    Was Sie uns nahmen, wieder. Werden Sie
    Von Millionen Königen ein König.
    0 könnte die Beredsamkeit von allen
    Den Thausenden, die dieser großen Stunde
    Teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,
    Den Strahl, den ich in diesen Augen merke,
    Zur Flamme zu erheben! - Geben Sie
    Die unnatürliche Vergöttrung auf,
    Die uns vernichtet. Werden Sie uns Muster
    Des Ewigen und Wahren. Niemals - niemals
    Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich,
    Es zu gebrauchen. Alle Könige
    Europens huldigen dem span'schen Namen.
    Gehn Sie Europens Königen voran.
    Ein Federzug von dieser Hand, und neu
    Erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit.

Immer wieder stellt Schiller dramatisch dar, daß der Mensch höhere Pflichten hat als seine persönliche Neigung, daß er Patriot sein muß und Weltbürger, was niemals einen Widerspruch bedeuten kann, denn niemals darf das Interesse einer Nation gegen das Interesse der Welt verstoßen.

Schillers dramatische Methode ist zugleich auch eine Methode der Erziehung zur Vernunft, nicht didaktisch, mit moralisch erhobenem Zeigefinger, sondern indem sie den Menschen auf der Bühne gewaltsam an den großen Gegenstand der Menschheit heranführt, "der den Menschen erhebt, wenn er den Menschen zermalmt".

Schiller schreibt dazu in der Vorrede zur "Braut von Messina":

    "Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen, es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen 7'raum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich frei zu machen und dies dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unseres Geistes zu verwandeln und das Materiellee durch Ideen zu beherrschen."

An anderer Stelle sagt Schiller:

    "Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchem von dem denkenden, besseren Teil des Volkes das Licht der Weisheit herunterströmt, und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe geläuterte Grundsätze, reinere Gefuhle, fließen von hier durch alle Adern des Volkes, der Nebel der Barbarei, des finsteren Aberglaubens schwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht."

Schiller war nicht nur der größte deutsche Dramatiker, sondern er entwickelte auch eine Geschichtsphilosophie, die bis heute durch nichts in ihren hohen Prinzipien und der Richtigkeit ihres Ansatzes übertroffen ist.

In seiner Antrittsrede als Geschichtsprofessor in Jena "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" sagt er:

    Unser menschliches Jahrhundert herbeizuführen haben sich - ohne es zu wissen oder zu erzielen - alle vorhergehenden Zeitalter angestrengt. Unser sind alle Schätze, welche Fleiß und Genie, Vernunft und Erfahrung im langen Alter der Welt endlich heimgebracht haben. Aus der Geschichte erst werden Sie lernen, einen Wert auf die Güter zu legen, denen Gewohnheit und unangefochtener Besitz so gern unsre Dankbarkeit rauben: kostbare, teure Güter, an denen das Blut der Besten und Edelsten klebt, die durch die schwere Arbeit so vieler Generationen haben errungen werden müssen! Und welcher unter Ihnen, bei dem sich ein heller Geist mit einem empfindenden Herzen gattet, könnte dieser hohen Verpflichtung eingedenk sein, ohne daß sich ein stiller Wunsch in ihm regte, an das kommende Geschlecht die Schuld zu entrichten, die er dem vergangenen nicht mehr abtragen kann? Ein edles Verlangen muß in uns entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unsern Mitteln einen Beitrag zu legen, und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen. Wie verschieden auch die Bestimmung sei, die in der bürgerlichen Gesellschaft Sie erwartet - etwas dazusteuern können Sie alle! Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zu der wahren Unsterblichkeit meine ich, wo die Tat lebt und weitereilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.

Im gleichen Jahr, 1789, als Schiller diese Antrittsrede hielt, verfaßt er das Gedicht "Die Künstler" eine Hymne auf die Vernunft des Menschen, in der es heißt:

    "Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige
    Stehst du an des Jahrhunderts Neige
    In edler stolzer Männlichkeit,
    Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesfülle,
    Voll milden Ernsts, - in tatenreicher Stille,
    Der reifste Sohn der Zeit,
    Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,
    Durch Sanftmut groß und reich durch Schätze,
    Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg,
    Herr der Natur, die deine Fesseln liebet,
    Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet
    Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg!"

1789 war Schiller noch fest davon überzeugt, daß sich die Menschheit am Vorabend des Zeitalters der Vernunft befände. Aber je mehr der Jakobinerterror die Hoffnungen der Französischen Revolution zunichte machte, umso mehr gab er seinem Entsetzen über diese Barbarei Ausdruck. Und er, der noch vor kurzem dichten konnte "Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige, stehst du an des Jahrhunderts Neige", reflektiert später die Pariser Massaker in der "Glocke" mit den Worten: "Jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn".

Der Verlauf der Französischen Revolution veranlaßte Schüler zu dem berühmten Ausspruch: "Ein großer Augenblick hat ein kleines Geschlecht gefunden".Da für Europa nun zunächst die Hoffnung verloren war, eine auf Vernunft und Freheit gebaute politische Ordnung zu verwirklichen, konzentrierte sich Schiller nun darauf, wie dieses "kleine Geschlecht" zu erziehen sei. Die "Ästhetischen Briefe" haben diese Frage zum Thema, ausgehend von der These, daß jede Verbesserung im Politischen nur noch von einer Verbesserung des Charakters der einzelnen Menschen ausgehen könne. Auch Schriften wie "Über Anmut und Würde" handeln von dem gleichen Gegenstand.

Dabei mißt Schiller der Kunst die entscheidende Rolle zu. Aber Kunst darf nicht nur eine Arabesque, eine Laune sein, sie muß eine höhere Gesetzmäßigkeit und Freiheit zugleich ausdrücken. Wie aber ist eine vorausberechenbare Wirkung möglich, die das Kunstwerk auf das Publikum haben soll, ohne zugleich das Prinzip der Freiheit zu verletzen?

Schülers Anforderung an den Künstler ist die denkbar höchste. Er fordert, daß der Dichter "das Individuum in sich selbst ausgelöscht und zur Gattung gesteigert haben muß." Nur so ist der Künstler in der Lage, eine universelle Wahrheit zu formulieren, die den Leser für den Gedanken einer höheren Ordnung gewinnen kann.

In diese Zeit der frühen neunziger Jahre fällt auch Schillers Auseinandersetzung mit dem Werk Kants, der mit seinem Kategorischen Imperativ fordert, der Mensch müsse seine Pflicht tun, wenn es zu einem Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Neigung kommen sollte. Eine solche "Kantsche" Herangehensweise mußte unseren freiheitsliebenden Dichter empören, und so schrieb er:

    "Womit aber hatten es die Kinder des Hauses verschuldet, daß es nur für die Knechte sorgte?"

Schiller setzte der Kantschen Pflichterfüllung den Begriff der "schönen Seele" entgegen, den Zustand des Gemütes, wo "Vernunft und Sinnlichkeit, Pflicht und Neigung zusammenstimmen." In der theoretischen Schrift "Über Anmut und Würde" schreibt er:

    "Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung seines Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen. Daher sind bei einer schonen Seele die einzelnen Handlungen nicht sittlich, sondern der ganze Chamkter ist es. Man kann ihr auch keine einzige darunter zum Verdienst anrechnen, weil eine Befriedigung des Triebes nie verdienstlich heißen kann. Die schöne Seele hat kein andres Verdienst, als daß sie ist. Mit einer Leichtigkeit, als wenn der bloße Instinkt aus ihr handelte, übt sie der Menschheit peinlichste Pflichten aus; und das heldenmütigste Opfer, das sie dem Naturtriebe abgewinnt, fällt wie eine freiwillige Wirkung eben dieses Triebes in die Augen. Daher weiß sie auch niemals um die Schönheit ihres Handelns und es fällt ihr nicht mehr ein, daß man anders handeln und empfinden könnte."

Es ist noch unendlich viel von Schiller zu zitieren, viel über ihn zu sagen, doch soll diese kleine Betrachtung ja nur als Anregung dienen, selbst die Werke Schillers zu lesen und zu studieren.

So wie Schiller gegen die gefährdete und zerstörte Menschheit seiner Zeit das Programm der klassischen Kunst setzte, und dabei am Griechentum anknüpfte, so müssen wir heute am Menschheitsideal der Weimarer Klassik anknüpfen, um mit der Methode Schillers erneut die Ganzheit der Menschennatur entfalten zu können.

Wenn wir heute all die Verwirrungen der späteren Geschichte beiseite sclieben, uns als die "ehrlichen Finder" erweisen, die sich Schiller einmal für die Zukunft erhofft hat, und uns unbefangen dem Werke Schillers aufs neue zuwenden, haben wir damit den Schlüssel gefunden, um nicht nur die innere Spaltung des modernen Menschen zu überwinden, sondern, wenn wir so groß wie Schiller zu denken lernen, haben wir auch die Kraft gefunden, heute die großen Gegenstände der Menschheit zu meistern.

Groß ist, wer das Furchtbare überwindet.
Der Mensch ist größer als sein Schicksal.


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