Die Ursprünge des Beringstraßen-Projektes: eine Chronologie seit 1869
Der Plan für eine Eisenbahn über bzw. unter der Beringstraße geht
schon auf die große Pionierzeit der Eisenbahn unter US-Präsident Abraham Lincoln
zurück.
Der Gedanke, eine Bahnverbindung über die Beringstraße zu bauen, geht auf die
60er Jahre des 19. Jh. zurück, als der amerikanische Präsident Abraham Lincoln
und sein Wirtschaftsberater Henry Carey den Bau eines Eisenbahnnetzes quer über
den ganzen Kontinent betrieben. Lincolns große Vision einer transkontinentalen
Bahnverbindung vom Atlantik bis zum Pazifik wurde Wirklichkeit, als 1869 in
Promontory Point im Staat Utah die Streckennetze der Union Pacific und der
Central Pacific miteinander verbunden wurden. Bei der Weltausstellung 1876 zur
Hundertjahrfeier der Gründung der Vereinigten Staaten gab es zahlreiche
Ausstellungen und Gespräche über den Ausbau der Eisenbahn, an denen sich
auch wichtige ausländische Persönlichkeiten wie der große russische
Wissenschaftler und Eisenbahnbauer Dimitrij Mendelejew beteiligten. Am Ende des
Jahrhunderts halfen amerikanische Patrioten beim Bau der Transsibirischen
Eisenbahn in Rußland.
- William Gilpin (1813-1891), ein Anhänger des Amerikanischen Systems und
Verbündeter Lincolns, war davon überzeugt, daß man alle Großstädte der Welt
durch Eisenbahnen miteinander verbinden sollte, und schlug in dem Zusammenhang
den Bau einer Bahn über die Beringstraße vor. Lincoln ernannte Gilpin 1861 zum
ersten Gouverneur des Colorado-Territoriums.
- Gegen Ende des Jahrhunderts gab es in Rußland erste Pläne für eine
Bahnlinie von Jakutsk zur Beringstraße. Man untersuchte mehrere
Streckenführungen für die Verbindung von Jakutsk nach Südosten zum
Ochotskischen Meer und von dort weiter entlang der Küste über Magadan zur
Beringstraße.
- Anfang des 20. Jh. wurde Kapital für eine
Transalaska-Sibirien-Gesellschaft gesammelt. Ihr Ziel war der Bau einer
Eisenbahn von Nord-Dakota (das bereits ans amerikanische Eisenbahnnetz
angeschlossen war) über Kanada bis Nome in Alaska, nur noch 100 km von der
Beringstraße entfernt. Gleichzeitig plante man eine Verbindung von der
russischen Region Tschukotka an der Beringstraße nach Südosten zur
Transsibirischen Eisenbahn.
Man brachte zunächst Geld für eine Vorstudie für dieses 9000 km lange
Bahnnetz auf. Hinter dem ganzen Plan stand die Idee, New York, Moskau und
Paris zum Wohle des Weltfriedens mit der Bahn zu verbinden. Bis 1907 wollte
man 300 Mio. Dollar für die russischen und amerikanischen Landstrecken
aufbringen und machte dabei gute Fortschritte, aber dann hielten britische
Interessen das Projekt auf. Mit dem Ersten Weltkrieg mußte das Vorhaben
endgültig eingestellt werden.
- 1902 bot der französische Forscher Loicq de Lobel der Russischen
Kaiserlichen Technischen Gesellschaft an, eine Bahnverbindung von Jakutsk zur
Beringstraße und weiter nach Alaska bis zu der dort bestehenden Bahnlinie zu
planen. Nachdem die Regierungen Rußlands und Frankreichs zugestimmt hatten,
bildete Lobel ein Komitee, um für das Projekt zu werben, ein zweites, das mit
der Amerikanischen Eisenbahnverwaltung zusammenhing, wurde in New York
gegründet. Lobel legte im folgenden der Pariser Geographischen Gesellschaft an
der Sorbonne mehrere Berichte vor.
- 1905 befürwortete Zar Nikolaus II. den Bau einer Eisenbahnverbindung über
die Beringstraße.
- Im Oktober 1906 veranstaltete eine Kommission der russischen Regierung für
die „Große Nordroute“ Gespräche mit vier amerikanischen, einem französischen
und einem kanadischen Vertreter. Man beschloß, die Arbeit an dem Projekt zu
beschleunigen und übertrug Lobel und dem amerikanischen Ingenieur James
Waddell die Leitung. Es wurden vorläufige technische Parameter für die Strecke
festgelegt. Die New Jersey Construction Company sollte den Bau durchführen und
dafür in einem Vertrag für 90 Jahre einen 24 km breiten Gebietsstreifen
erhalten. Die Flächen entlang der Strecke sollten schachbrettartig zwischen
Rußland und dem Konzessionär aufgeteilt werden. Die russische Regierung
kündigte jedoch im März 1907 das Abkommen, weil ihr die Bedingungen zu
ungünstig erschienen.
- Im April 1918 forderte der russische Revolutionsführer Wladimir Lenin vor
dem Allrussischen Exekutivkomitee, die Eisenbahn vor allem im Norden,
einschließlich der Verbindung zur Beringstraße, beschleunigt auszubauen, um
die dort lagernden Bodenschätze zu nutzen. Der Bau von Bahnlinien von Jakutsk
zu den Häfen Ajan und Eikan und nach Nikolajewsk am Amur und weiter zur
Beringstraße stand wieder auf der Tagesordnung.
- In der Mitte des Jahrhunderts machte Josef Stalin den Bau der
„Polarstrecke“, der nordsibirischen Bahn von Workuta nach Anadyr, zur
Chefsache.
- 1942, im Zweiten Weltkrieg, begann die Abteilung des Pionierkorps der
US-Armee in Seattle mit Studien zum Bau einer Bahnlinie von Prince George in
British Columbia, Kanada, nach Fairbanks und weiter nach Teller im Nordwesten
Alaskas. Man schätzte die Baukosten für die knapp 2300 km lange Strecke auf 87
Mio.$ und die Kosten für Lokomotiven und Waggons auf weitere 24 Mio.$.
Ursprünglich war vorgesehen, im Krieg Nachschub für Rußland von Teller aus mit
Fähren zum tschuktschischen Hafen Uelen zu schaffen, bis ein Tunnel unter der
Beringstraße errichtet sei. Weitere Strecken plante man von Uelen westlich
nach Egwekinot und weiter zu einem Knotenpunkt, von dem aus der Anschluß zu
einer oder beiden transrussischen Bahnen - der Transsibirischen Eisenbahn und
der Baikal-Amur-Magistrale - erfolgen sollte. Ein Eisenbahnkorridor sollte an
der Küste des Nordmeers entlang nach Workuta führen und dort an die gerade
vollendete 1800 km lange Bahn nach Moskau anschließen.
Präsident Roosevelts Abgesandter Harry Hopkins hatte dieses Projekt nach
einer Reise nach Moskau vorgeschlagen und Roosevelt, Außenminister Cordell
Hull sowie Roosevelts Onkel Frederic Delano darüber informiert. Delano und
andere rieten zur Finanzierung einer Machbarkeitsstudie des Pionierkorps. Nach
dem Sieg der USA über Japan bei den Midway-Inseln im Juni 1942 wurde das
Projekt vertagt.
Nach dem Krieg bot Stalin Präsident Truman an, die Verhandlungen über eine
Verknüpfung der Eisenbahnnetze Rußlands und Nordamerikas durch einen Tunnel
unter der Beringstraße fortzusetzen. Truman lehnte ab. Der Kalte Krieg
verhinderte dann lange Zeit weitere Fortschritte.
- 1991 wurde die sog. „Transkontinentale“, mit vollem Namen die
Interhemisphärische Beringstraßen-Tunnel- und Eisenbahngruppe (IBSTRG), in
Washington als gemeinnützige Organisation angemeldet. Gründungsmitglieder auf
US-Seite waren der Bundesstaat Alaska, der Amerikanische Eisenbahnverband
sowie mehrere große Eisenbahn-, Bau-, Beratungs- und Rohstoffunternehmen. In
Rußland entstanden eine Abteilung der IBSTRG unter dem IBSTRG-Vizepräsidenten
W.N. Rasbegin sowie ein Koordinationsausschuß für Forschung und Entwicklung
unter dem Vorsitz von Akademiemitglied P.A. Melnikow. Zu den Teilnehmern auf
russischer Seite gehörten das Eisenbahnministerium, das Ministerium für
Energie und Treibstoffe, das Komitee für den Norden, das Wirtschafts- und
Finanzministerium, das Bauministerium, die Vereinigten Energiesysteme und die
Transstroi-Gesellschaft sowie die Russische Akademie der Wissenschaften.
Insgesamt waren 40 Organisationen beteiligt.
- Ab 1992 warben Lyndon LaRouche und Helga Zepp-LaRouche für die „Eurasische
Landbrücke“, die über Hochgeschwindigkeits- und Magnetbahnen sowie
entsprechende Entwicklungskorridore Europa mit Asien und letztendlich der
ganzen Welt verbinden sollte, um die angeschlagene Weltwirtschaft wieder
aufzubauen. Ein Teil dieses Vorschlages war, das eurasische und das
amerikanische Bahnnetz durch eine Brücke oder einen Tunnel an der Beringstraße
miteinander zu verbinden.
- 1994 veranstaltete der Amerikanische Ingenieursverband in Fairbanks,
Alaska, eine Konferenz zum Thema „Der Beringstraßen-Tunnel“. Zu den
Teilnehmern gehörten IBSTRG-Vizepräsident Rasbegin und Hal Cooper, ein
beratender Ingenieur der Firma Cooper Engineering. Am 16. April
veröffentlichte LaRouches Nachrichtenmagazin EIR einen Artikel von
Cooper, „Das Beringstraßen-Tunnel- und Eisenbahnprojekt wird die Entwicklung
am Pazifik vorantreiben“.
- Im Mai 1994 fand in Beijing ein „Internationales Symposium über die
wirtschaftliche Entwicklung der Regionen an der Eurasischen Kontinentalbrücke“
statt, wo Helga Zepp-LaRouche eine Rede zum Thema „Der Bau der Landbrücke über
die Seidenstraße“ hielt. Nach der Konferenz erschien die EIRNA-Studie
„Die Eurasische Landbrücke: Die neue Seidenstraße - Lokomotive weltweiter
wirtschaftlicher Entwicklung“. Sie enthielt einen Überblick über
Entwicklungspläne mit Infrastrukturkorridoren in aller Welt und eine
Darstellung der wirtschaftswissenschaftlichen Prinzipien hinter diesen Plänen.
- Im März 1998 diskutierte die russische Regierung über eine Resolution für
ausführliche Studien über Möglichkeiten einer Schienenverbindung für
unterschiedliche Spurweiten („Polytrack“). Beteiligt waren das Eisenbahn- und
das Bauministerium, das Komitee für den Norden, die Verwaltung der Autonomen
Region Tschukotka und die Präsidenten der Unternehmen UES (Vereinigte
Energiesysteme) und Transstroj.
- Ende 2000 veröffentlichte Viktor Rasbegin vom Moskauer Institut für
Regionalverkehr eine Machbarkeitsstudie für eine Bahnverbindung über die
Beringstraße, die ergab, daß eine solche Strecke wirtschaftlich sehr sinnvoll
wäre und den Frachtverkehr zwischen dem Inneren Asiens und dem Inneren der USA
fördern würde.
- Im November 2002 fand anläßlich des 70jährigen Bestehens der Staatlichen
Sibirischen Verkehrshochschule in Nowosibirsk eine Konferenz über die
Entwicklung des Eisenbahnverkehrs in Sibirien statt, bei der auch über das
Beringstraßen-Projekt gesprochen wurde.
- Im Juli 2006 sprach IBSTRG-Präsident George Koumal mit US-Präsident George
W. Bush über das Projekt.
Am 28. September 2006 wurde bei einer Konferenz der russischen
Bundesbehörde für den Eisenbahnverkehr (Rosheldor) die Entscheidung getroffen,
die Bahnlinie Jakutsk-Magadan mit ihrer Verlängerung zur Beringstraße zu
bauen.
Richard Freeman
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