Zurück zum Journal

  März 2004 Journal (Texte)

Ruandas Präsident im Zwielicht

Französische Ermittlungen weisen dem heutigen Präsidenten Ruandas Paul Kagame die Verantwortung für den Abschuß der ruandischen Präsidentenmaschine im April 1994 zu, der nach blutigen Auseinandersetzungen zur Machtergreifung der RPF führte.

Knapp einen Monat, bevor sich der Beginn der Endphase des Völkermordes im ostafrikanischen Ruanda zum zehnten Mal jährt, veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde das wichtigste Ergebnis des lange erwarteten Untersuchungsberichtes des französischen Richters Jean Louis Bruguiere. Demnach wurde der Abschuß des ruandischen Präsidentenflugzeuges mit dem ruandischen Präsidenten Habyarimana und seinem burundischen Amtskollegen Ntaryamira an Bord beim Anflug auf den Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali am 6. April 1994 vom jetzigen Präsidenten und damaligen Chef der Rebellenorganisation Ruandische Patriotische Front (RPF) Paul Kagame veranlaßt.

Damit wird die Diskussion um die wirklichen Hintergründe des bereits im Oktober 1990 von der RPF begonnenen Krieges, der mit ca. 800 000 Toten und der Machtergreifung der RPF im Juli 1994 endete, neu aufgerollt. Der französische Untersuchungsrichter hatte auf Antrag der Familien der französischen Flugzeugbesatzung, die bei dem Abschuß ebenfalls ums Leben kam, sechs Jahre lang ermittelt. Der Bericht fußt auf zahlreichen Zeugenvernehmungen, u.a. von ehemaligen hochrangigen Angehörigen der RPF-Streitkräfte. Jetzt muß die französische Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie gegen führende Mitglieder der RPF, die heute der Regierung in Kigali angehören, Anklage erhebt. Kagame genießt gegenwärtig präsidielle Immunität. Bruguiere greift außerdem die Vereinten Nationen scharf an und wirft ihnen vor, auf amerikanischen Druck hin zehn Jahre lang eine Untersuchung des Flugzeugabschusses sabotiert zu haben.

Interessant wird sein, ob der Bericht auch Hinweise darauf enthält, welche außerruandischen Akteure in den Abschuß verwickelt waren. Denn der Einsatz von Bodenluftraketen in Afrika war kaum möglich, ohne daß diese Waffen durch Vermittlung oder zumindest mit Wissen westlicher Geheimdienste bereitgestellt wurden.

Der Abschuß des Flugzeuges zur Ermordung der beiden Hutu-Präsidenten von Ruanda und Burundi wirkte im April 1994 in Ruanda, als werfe man eine Handgranate in ein Munitionsdepot, so aufgeheizt waren die Spannungen zwischen den Kontrahenten des Krieges, der seit Oktober 1990 schon Tausende Opfer gefordert hatte. Diejenigen, die den Abschuß planten, mußten wissen, was die Folgen davon sein würden.

Der "Wille zur Macht"

Der französische Untersuchungsbericht entzieht der These, hinter dem Abschuß steckten radikale Hutu, die mit Habyarimanas Politik nicht einverstanden gewesen seien, alle Glaubwürdigkeit.

Diese These hatten Kagames RPF und ihre internationale Lobby ohne schlüssige Beweise immer wieder aufgebracht, um die Theorie zu untermauern, der Völkermord in Ruanda beschränke sich auf einen ethnischen Konflikt, in dem "die Hutu die Tutsi" ausrotten wollten und folglich die Hutu die Völkermörder und die Tutsi die Opfer gewesen seien. Ohne jeden Zweifel gab es zwischen April und Juli 1994 die systematische Verfolgung und Ermordung von Tutsi. Das ist in vielen erschütternden Berichten dokumentiert. Allerdings sind die zahlreichen Opfer unter den Hutu genauso dokumentiert.

Bruguieres Bericht bestätigt den absolut skrupellosen Charakter der Führung der RPF-Rebellen, der jedes Mittel Recht war, an die Macht in Kigali zu gelangen. Sie begann deshalb nicht nur im Oktober 1990 einen völkerrechtswidrigen Feldzug gegen die ruandische Regierung, sondern nahm im Verlauf des Krieges auch bewußt die massenhafte Vernichtung von Zivilisten in Kauf, die als Folge von Massakern beider Konfliktparteien umkamen. Es ist zu hoffen, daß der Bericht nun dazu beiträgt, daß endlich auch die Verbrechen der RPF im ruandischen Völkermord angeklagt werden. Dazu ist es bisher vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda im tansanischen Arusha nicht gekommen, weil die Chefanklägerin Carla Del Ponte im letzten Jahr auf ruandischen und amerikanischen Druck hin von UN-Generalsekretär Annan abgelöst wurde, nachdem sie ihre Absicht bekundet hatte, RPF-Vertreter anzuklagen.

Solche Anklagen sind auch deshalb für die Aufarbeitung der Wahrheit über den ruandischen Völkermord wichtig, weil sie zutage fördern können, wie die ugandische, britische und amerikanische Regierung als Unterstützer der RPF in dem Krieg verstrickt waren. Paul Kagames Machtergreifung in Kigali war lediglich der erste Schritt einer umfassenden Reorganisation der Machtstrukturen in den Ländern an den Großen Seen in Afrika zugunsten anglo-amerikanischer Rohstoffinteressen. Der zweite war der Umsturz im damaligen Zaire und heutigen Kongo, der 1996 von Uganda und Ruanda aus wieder mit einer sogenannten Rebellenarmee, die in Wirklichkeit von außen gesteuert war, organisiert wurde. Auch wenn es mittlerweile zu Zerwürfnissen zwischen dem ruandischen (Kagame) und ugandischen (Museveni) Diktator gekommen ist, sind sie doch nach wie vor die zuverlässigsten Diener Washingtons und Londons.

Als Folge der Kriege in Uganda, Ruanda, Burundi und Kongo sind in den letzten 15 Jahren vermutlich mehr als sechs Millionen Menschen umgekommen. Das ist die wirkliche Dimension des beispiellosen Völkermords in Afrika. Es ist zu hoffen, daß der französische Untersuchungsbericht nicht nur dazu beiträgt, die Verantwortlichen beider Seiten in Ruanda, Burundi, Uganda und im Kongo zur Rechenschaft zu ziehen, sondern vor allem auch diejenigen in Washington, London, Brüssel und anderen Zentren der westlichen Macht, die letztendlich die geopolitischen Veränderungen in Afrika organisiert haben, wohlwissend, welchen Preis an Menschenleben das kosten würde.

Uwe Friesecke

Zurück zum Anfang Zurück zum Journal