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  Mai 2007 Journal (Texte)

Megaprojekte sind Alternative zu Krieg

Von Walter J. Hickel

Das folgende Papier wurde von dem früheren Gouverneur von Alaska, Walter Hickel, auf der Konferenz über „Eine transkontinentale Verkehrsanbindung zwischen Eurasien und Amerika über die Beringstraße“ am 24. April in Moskau vorgelegt. Der gesamte Titel seines Papiers lautete „Der Preis des Fortschritts muß nicht Blut sein, er kann auch Schweiß sein. Megaprojekte mit friedlichen Zielen als Alternativen zum Krieg.“ Hickel war von 1966-68 und 1990-94 Gouverneur von Alaska und 1969-70 Innenminister in der Regierung Nixon.

Die Welt teilt die Trauer Rußlands über den gestrigen Tod von Boris Jelzin. Sein Mut hat eine Nation verändert.

Rußland und Amerika zusammen werden die Welt verändern

Ich beglückwünsche das Akademiemitglied Granberg, den Rat zum Studium der Produktivkräfte und unsere anderen Gastgeber dieser bedeutenden Versammlung. Mit der Anbahnung dieser internationalen Konferenzreihe über Verkehrsmegaprojekte des 21. Jahrhunderts erweisen Sie allen Völkern einen Dienst. Und Alaska will mithelfen.

Diese Konferenzen könnten sich als eine der bedeutendsten Initiativen dieses Jahrhunderts erweisen. Und ich teile Ihre Vision.

Eine Alternative zum Krieg

Der Zusammenstoß der Kulturen in vielen Teilen der Welt hat sich in den letzten Jahren von Mißverständnis und Argwohn zu Feindseligkeit und Gewalt gesteigert. Länder, die danach streben, Kulturen der Freiheit zu werden, sind zu Kulturen der Angst geworden. Ich habe die Konflikte der Welt mein ganzes Leben lang verfolgt, und seit langem bin ich davon überzeugt, daß Krieg selten Probleme löst. In der Geschichte haben ihn die zynischsten Politiker und Geschäftsleute immer als Wirtschaftsstrategie benutzt. Kriege können ein Volk vereinen und mobilisieren. Kriege geben Menschen Arbeit und ein Ziel. Aber meine Frage lautet: Warum Krieg? Warum nicht Großprojekte? Krieg ist doch eigentlich nur ein Großprojekt.

Der Preis des Fortschritts muß nicht Blut sein, er kann auch aus Schweiß bestehen. Großprojekte sind die Alternative zum Krieg. Diese Idee ist so alt wie die ägyptischen Pyramiden, die römischen Aquädukte und die europäischen Kathedralen. In dieser Tradition sollten wir das Thema dieser Konferenzen umsetzen: Schaffen wir eine weltweite Verkehrsinfrastruktur für das 21. Jahrhundert.

Warum nicht Wasser dorthin leiten, wo es trocken ist? Warum nicht Kohle und Dieseltreibstoffe durch Erdgas und elektrischen Strom ersetzen, um den Smog aus unseren Städten zu vertreiben? Warum nicht Rußlands ehrgeizige Nordmeerroute für die Welt öffnen?

Warum nicht den Weltraum erkunden, um für den Menschen wichtige Ressourcen zu erschließen?

All das ist möglich und noch viel mehr. Als ich Ende der 60er Jahre zum Gouverneur von Alaska gewählt wurde, habe ich eine Eisenbahn um die ganze Welt vorgeschlagen - eine Bahnstrecke vom amerikanischen Kontinent nach Alaska, über die Beringstraße bis in den Fernen Osten Rußlands mit Anschluß an die Transsibirische Eisenbahn und weiter bis nach Europa.

Das Magazin Time hatte Spaß an dieser Idee. Sie gaben ihr den Titel „Wladiwostok, Nome und Santa Fe“. Aber sie dachten nicht groß genug. Man stelle sich vor, man besteigt diesen Zug in London oder Paris, fährt mit ihm nach Moskau, dann durch Sibirien bis Alaska und weiter bis zu den großen Seen und New York City. Eine solche Bahnverbindung wäre eine reiche Quelle von Ideen, Sehenswürdigkeiten und Handelsmöglichkeiten. Sie wäre eines der großen Weltwunder.

„Arbeiter, vereinigt die Welt“

Seit Jahren träumen die Philosophen davon, eine neue Welt aufzubauen. Ich bin der Meinung, daß man eine neue Welt nur aufbauen kann, wenn man sie tatsächlich baut. Alles beginnt mit den Optimisten und Visionären, wie sie hier versammelt sind. Dann brauchen wir Führer, die Entscheidungen fällen können. Dann können die Ingenieure ans Werk gehen, und dann die Facharbeiter. Zehntausende oder gar Millionen könnten daran beteiligt sein. Es ist Zeit, den alten Wahlspruch: „Arbeiter der Welt, vereinigt euch!“ umzuschreiben. Wir sollten ausrufen: „Arbeiter, vereinigt die Welt!“

Wir haben uns heute hier versammelt, um die Aussichten für den Bau eines vielseitig nutzbaren Verkehrskorridors über die Beringstraße zu diskutieren. Auf unserer Seite ist das noch eine Vision. In Alaska konzentriert sich unser Augenmerk auf ein anderes Großprojekt, eine Erdgaspipeline von der Nordküste Alaskas bis zum Tidewater [am Golf von Alaska] oder durch Kanada hindurch. Wir gehen davon aus, daß der Bau der Alaska-Gasleitung bereits 2010 beginnen wird.

Ein Verkehrskorridor, der Europa, Asien und Nordamerika miteinander verbindet, erfordert Führung nicht nur von Alaska, sondern von unserem Präsidenten und dem Kongreß, damit der Zugang zu den von Bund und Land kontrollierten Landgebieten und Gewässern Alaskas ermöglicht werden kann. Dazu ist die Unterstützung Alaskas und des amerikanischen Volkes erforderlich. Um diese Unterstützung zu erhalten, muß die Vision einleuchtend sein. Und für mich ist sie einleuchtend.

Wenn man sich Ziele für das 21. Jahrhundert betrachtet, paßt es gut ins Bild, Rußland und Amerika zusammenzubringen. Es könnte kein wichtigeres Symbol geben. Ich glaube seit vielen Jahren, daß es gelingen wird. Und von der Beringstraße wird alles seinen Ausgang nehmen. Bauen wir ein Bindeglied zwischen unseren beiden großen Nationen - einen Tunnel, um Menschen, Rohstoffe und Güter von Ost nach West und von West nach Ost zu bewegen.

Die größten Reserven an Bodenschätzen der Welt warten in Sibirien, Alaska und Nordkanada auf uns. Bauen wir eine Bahnverbindung, um diese Reichtümer der Welt zu erschließen. Bauen wir ein Glasfaserkabel, um die weltweite Telekommunikation zu verbessern. Bauen wir lange Überlandleitungen, um die 1,6 Mrd. Menschen auf der Erde, die keinen Strom haben, mit Elektrizität zu versorgen.

Zeigen Sie mir einen Ort auf der Erde, an dem es an Energie mangelt, und ich kann Ihnen zeigen, wo Armut herrscht. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen Energie und Armut, Energie und Krieg, Energie und Frieden. In den 70er Jahren brachte der Erfinder Buckminster Fuller die Idee einer globalen Energievernetzung auf. Stromgeneratoren, die im Norden des Nachts nicht genutzt werden, könnten mit Lichtgeschwindigkeit angezapft, und der Strom zur Bekämfpung der Armut in den Süden gebracht werden. 

Die Technologie zum Transport von Elektrizität über große Entfernungen muß weiter verbessert werden. Lassen wir einige der größten Denker der Welt diese Aufgabe lösen. Dies kann ein großes und visionäres Unternehmen unserer Generation und der nächsten sein. Und eines der wenigen fehlenden Bindeglieder verläuft über die Beringstraße.

Einige fragen: „Woher soll das Geld dafür kommen?“ Meiner Erfahrung nach ist Geld nie das Problem. Ich erinnere mich an die schweren Tage der großen Depression in den 30er Jahren. Wir kämpften darum, unsere Farmen zu retten und unsere Familien zu ernähren. Als wir die Politiker um Hilfe baten, sagten sie uns, es sei kein Geld da. Dann überfiel Japan Pearl Harbor, und plötzlich hatten wir alles Geld der Welt!

Heute gibt es Kritiker, die bezweifeln, daß man einen Tunnel unter der Beringsee bauen könnte. Sie sagen: „Das geht nicht!“ Als ich als junger Mann nach Alaska kam, setzte ich mich für eine Autobahn von den 48 südlichen Bundesstaaten nach Alaska ein. Es hieß, es sei unmöglich, eine 2000 km lange Autobahn durch Alaska und die entlegenste Wildnis Kanadas zu bauen. Doch als der Zweite Weltkrieg begann, baute die US-Armee die Alaska-Autobahn in neun Monaten! Andere Kritiker des Bering-Korridors meinen, „small is beautiful“, und „die Welt ist eine Wildnis“. Sie behaupten, die Bahnverbindung sei zu teuer oder würde die Umwelt zerstören. Sie sind gegen alle Großprojekte. Aber wir im Norden verstehen, wie man durch die Kraft von Großprojekten die Gesellschaft zum Besseren verändern kann. Rußland hat das mit der 10.000 km langen Transsibirischen Eisenbahn bewiesen. Alaska hat dies mit der großen Transalaska-Ölpipeline bewiesen. Diese modernen Wunderwerke mobilisierten unser Volk, gaben ihm eine Herausforderung und ein Ziel.

Das gleiche gilt für den Verkehrskorridor zwischen Eurasien und Nordamerika. Ich glaube zudem, daß er für die Umwelt ein Segen sein wird, denn es wird keine Lösung für die Umweltverschmutzung geben, wenn wir keine Lösung für die Armut finden. Das ist so wahr wie die Zehn Gebote.

Gewinn ist nicht alles

Ich möchte heute Rußland beglückwünschen, daß es sich an die Spitze der Debatte um große Projekte gestellt hat. Der Umstand, daß diese Konferenz in Rußland stattfindet, ist ein Zeichen für die neue Rolle, die Rußland in der Welt spielt. Ich sah das bereits voraus, als ich 1992 als Gouverneur von Alaska hier zu Besuch war. „Es wird ein neues und blühendes Rußland geben,“ sagte ich. „Nicht über Nacht, aber in einer Generation.“ Heute ist selbst mein Optimismus noch übertroffen worden. Sie sind der größte Energieexporteur der Welt. Ihre Großstädte florieren. Und Sie sind jetzt soweit, Ihren Reichtum vom Zentrum in die entlegenen Regionen zu tragen.

Hier könnte Alaska helfen. Alaska ist eine abgeschiedene Gegend, historisch arm, vergessen und ausgebeutet, die ihren eigenen Weg zum Wohlstand gefunden hat. Unsere Lösung begann mit einem Verständnis des Gemeinwohls. In Alaska gibt es riesige Landflächen in Gemeinschaftsbesitz. Die Regierung, nicht der private Sektor kontrolliert diesen Besitz. Neben Alaskas angestammten, heimischen Unternehmen, denen 12% unseres Landes gehört, besitzt die Regierung 99% des Restes. Privatpersonen besitzen weniger als 1%.

Die Vereinigten Staaten und Westeuropa haben eine Tradition des Privatbesitzes, nicht so Alaska. Und auch in der Welt insgesamt ist das so. 84 Prozent der Welt, die Meere eingeschlossen, befinden sich in gemeinschaftlichem Besitz.

Die Vereinten Nationen nennen dieses allgemeine Eigentum an Land, Gewässern und Ressourcen das „globale Gemeingut“. Damit wir uns um dieses Gemeingut kümmern und es zum Nutzen der Menschheit verwenden können, müssen wir lernen, zusammenzuarbeiten. Wie können wir das? Ungezügelter Kapitalismus mag nicht die Antwort sein. Für das Gemeingut ist der Gewinn zwar wichtig, aber nicht das einzige. Wenn man auf andere Menschen, auf ihre Vorlieben und Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt, wenn Aktivitäten nur auf den privaten Gewinn gerichtet sind, werden sie destruktiv - nicht nur für andere, sondern letztlich für einen selbst.

Die Eingeborenen des Nordens haben immer auf gemeinsamem Besitz gelebt. Sie haben schon vor langer Zeit gelernt, daß man sich in einer kalten, rauhen Umwelt um den anderen kümmern muß. Man verschwendet nichts. Man kümmert sich um das Ganze. Man teilt, um zu überleben. Jeder Jäger teilt seinen Wal, sein Walroß oder Karibu mit anderen, besonders den sehr Alten und den ganz Jungen.

Die gleichen Grundsätze sind in Alaskas Verfassung bewahrt. Was wir in Alaska gemeinsam besitzen, darf nicht im Interesse einiger weniger, sondern muß zum „größtmöglichen Nutzen“ aller verwaltet werden. Die Regierung hat die Verpflichtung, sich um das Land zu kümmern und es produktiv zu machen. Deswegen nenne ich Alaska auch den „Staat der Eigentümer“.

Ich glaube, daß sich die Welt ändern wird, wenn wir Rußland und Amerika zusammenbringen. Erstens können wir eine neue Generation der Hoffnung heranziehen und die Spannungen abbauen. Zweitens wird ein Verkehrskorridor Kommunikation und Handel erheblich verbessern. Und drittens können Rußland und Alaska anderen Nationen auf der Welt, die auf gemeinsamen Besitz beruhen, ein Modell für Naturschutz und Entwicklung sein.

Das Ergebnis kann eine wahrhaft bessere Welt sein. Packen wir es an!

Zum Abschluß möchte ich frei heraus sagen, daß unsere Herzen auch bei den Russen sind.

Ich danke Ihnen.


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