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  Dezember 2003 Journal (Texte)

Gute Wirtschaftspolitik:
Eine Frage des Menschenbildes

Bei der 2. Mittelstandstagung des Schiller-Instituts in Nordrhein-Westfalen am 13. November in Duisburg wurde über das Menschenbild diskutiert, das den verschiedenen Wirtschaftstheorien zugrundeliegt.


"Wirtschaftswunder" vs. "Shareholder Value"

"Der Geschäftsgeist, in einen einförmigen Kreis von Objekten eingeschlossen und in diesem noch mehr durch Formeln eingeengt, mußte das freie Ganze sich aus den Augen gerückt sehen und zugleich mit seiner Sphäre verarmen ... Der abstrakte Denker hat gar oft ein kaltes Herz, weil er die Eindrücke zergliedert, die doch nur als ein ganzes die Seele rühren; der Geschäftsmann hat gar oft ein enges Herz, weil seine Einbildungskraft, in den einförmigen Kreis seines Berufes eingeschlossen, sich zu fremder Vorstellungskraft nicht erweitern kann."

Mit diesen herausfordernden Worten aus dem Sechsten Brief zur Ästhetischen Erziehung von Friedrich Schiller eröffnete Stephan Marienfeld am 13. November in Duisburg die zweite Mittelstandstagung des Schiller-Instituts in Nordrhein-Westfalen. Die Ergebnisse des ersten Treffens, die in der Dortmunder Erklärung zusammengefaßt worden waren, hatten einige der Teilnehmer genutzt, um mit ihren Abgeordneten oder Verbandsvertretern ins Gespräch zu kommen. Systematisch wurden Bürgermeister und Landräte über die Tagungsergebnisse vom Juni diesen Jahres informiert. Ein Mitglied der Runde hatte Vorschläge für den Deutschen Städtetag und die Kreditanstalt für Wiederaufbau bezüglich der kommunalen Notlage entworfen und systematisch auch an politische Repräsentanten geschickt. Nun waren erneut mittelständische Vertreter zusammengekommen, um die Diskussion, wie man mit den Ideen der produktiven Kreditschöpfung, der Eurasischen Landbrücke das Ende der neoliberalen Deregulierungspolitik bewirken könne, zu vertiefen.

Wie im Schillerschen Zitat angedeutet, leidet die Debatte in der Mittelstandspolitik und der Wirtschaftspolitik im allgemeinen unter der Enge der Betrachtung, die angesichts des systemischen Charakters der Krise nicht zur Lösung führt. Frau Zepp-LaRouche, die Vorsitzende des Schiller-Instituts, präsentierte deshalb in ihrem Vortrag über die "Bedeutung der Eurasischen Landbrücke für Deutschland" zunächst einmal ihre Vision, wie die Welt im Jahre 2050 aussehen könne, um sich dann auf die Darstellung des aktuellen Stands dieser Entwicklung zu konzentrieren. Nicht nur große Staaten wie Indien, China oder Rußland sehen in dieser Politik die einzige Alternative zu strategischer und wirtschaftlicher Instabilität.

Sehr detailliert beschrieb Frau Zepp-LaRouche die verschiedenen Großprojekte, die das stark gekürzte Investitionsvolumen des Tremonti- und Van-Miert-Plans um ein Vielfaches übersteigen. Um in Deutschland wieder mehr Optimismus und Selbstvertrauen hervorzurufen, schlug sie vor, Schröders Chinabesuch Anfang Dezember mit einer verstärkten Kampagne für die Eurasische Landbrücke zu verbinden.

"Wirtschaftswunder" vs. "Shareholder Value"

Lothar Komp, Wirtschaftsjournalist bei der Nachrichtenagentur EIR und der Neuen Solidarität, forderte in seinem Vortrag über "Energie für das 21. Jahrhundert" die sofortige Rücknahme der Deregulierungsmaßnahmen im Energiesektor. Komp machte den Erfolg der Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg an drei Punkten fest: einer hohen Investitionsrate, einem funktionierenden Mittelstand und entsprechenden Investitionen in die Bildung, verknüpft mit einer sehr motivierten Arbeitskraft. Das langfristige Überleben von Unternehmen und Wirtschaft sowie die Produktion von Qualitätsprodukten standen im Mittelpunkt des Interesses.

Heute seien diese Werte aus der wirtschaftspolitischen Überlegung verschwunden. Es gelte, möglichst billig zu produzieren, egal wo. Es gelte, hohe Ausschüttungen für die Aktionäre zu erreichen, egal wie. Und unter Investitionspolitik verstehe man nicht mehr die Verbesserung der Produktionsfähigkeit, sondern die Übernahmen anderer Firmen, gekoppelt an eine radikale Privatisierungspolitik.

Im Energiesektor hatte dies mehrfache "Blackouts" in Amerika, Kanada, England und Italien zur Folge. Das Prinzip der Versorgungssicherheit wich dem Prinzip der Gewinnmaximierung. So wurden in den letzten Jahren 50 Prozent weniger in die Energieinfrastruktur investiert. Um bis zum Jahr 2030 die Energieversorgung in den jetzigen 15 Mitgliedsstaaten der EU sicherzustellen, müßten insgesamt 600 GW Kraftwerkskapazität neu geschaffen werden. Komp diskutierte die technologischen Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, und kam zu dem Schluß: Ohne Kernenergie geht es nicht.

Der letzte Vortrag von Daniel Buchmann, Vertreter der LaRouche-Jugendbewegung aus Berlin, lenkte die Diskussion auf die Frage nach dem Menschenbild in der Wirtschaftspolitik. Er stellte zunächst an die anwesenden Mittelständler die Frage, was denn heute die Identität eines Unternehmers sei? In der Antwort wurde von den Zuhörern unterschieden zwischen Managern, die in großen Firmen eingesetzt werden, und ihrem eigenen Selbstverständnis.

Buchmann berichtete dann, daß der Bundesverband deutscher Banken kostenlos ein Ökonomiebuch an Berliner Schulen verteilen lasse, in dem ausschließlich die liberale britische Schule der Ökonomie dargestellt werde: David Ricardo, Adam Smith, Quesnay sowie Karl Marx als die andere Seite derselben Medaille. Niemand spreche heute in den Schulen und Hochschulen über die amerikanische Tradition der Ökonomie von Leibniz, Friedrich List, Hamilton, Carey und LaRouche.

Dann kontrastierte er das Menschenbild der beiden Schulen anhand von Zitaten, die für die "Praktiker" in Sachen Wirtschaft von großem Interesse waren. Man konnte einige Groschen (Cent) fallen hören. Ein Beispiel: Smith sei der Ansicht, daß der Unterschied zwischen Mensch und Tier darin bestehe, daß der Mensch den Drang habe, Güter auszutauschen, handeln zu wollen, ansonsten aber auch von seinen Trieben bestimmt sei.

Daniel berichtete, wie empört er über seinen Professor an der Uni war, als dieser meinte, es gebe keinen Unterschied zwischen den Bedürfnissen der Menschen. Wenn ein verhungernder Afrikaner nach Brot suche, sei dies auf die gleiche Stufe zu stellen, wie wenn ein Neureicher in Europa sich einen Ferrari kaufen wolle. Diese moralische Indifferenz wirkte wie ein Schock auf das Publikum. Es wurde beschlossen, sich beim nächsten Treffen intensiver mit den theoretischen Grundlagen der Wirtschaftspolitik auseinanderzusetzen und den jungen Mann aus Berlin erneut einzuladen.

Birgit Vitt


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