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  Dezember 2003 Journal (Texte)

Junge Leute entdecken Schiller

Berlin. Die Schillerfeste haben im Schiller-Institut eine 20jährige Tradition.

Schon 1984 wurde Schillers 225. Geburtstag in zahlreichen deutschen (und einigen amerikanischen) Städten mit großen Umzügen gefeiert. Lange Züge festlich geschmückter Wagen, Musikkapellen, Abgeordnete von Vereinen und Innungen, sogar Schulklassen zogen durch die Straßen. Die Attraktion in Berlin stellte eine mehrstöckige Torte von fast 1,5 m Durchmesser dar, gespendet von einem der ersten Cafés der Stadt, die auf einem der Wagen mitfuhr und anschließend mit großem Genuß von der Geburtstagsgesellschaft verzehrt wurde.

Die Schillerfeste in diesem Jahr markieren eine Zäsur, denn diesmal wurde das Programm zum überwiegenden Teil von Jugendlichen bestritten. So auch in Berlin, das in der Zwischenzeit zur deutschen Hauptstadt und zu einem Zentrum der europäischen LaRouche-Jugendbewegung (LYM) aufstieg.

Der Ernst und die Begeisterung, mit dem sich die Jugendlichen Schillers großen Ideen von Universalgeschichte, von Freiheit und Menschenliebe widmen, setzten viele in Erstaunen. "Wie schaffen Sie es, daß Jugendliche sich mit Schiller befassen?" lautete die Frage, die am häufigsten von den Zuschauern gestellt wurde. Dabei braucht man die Jugendlichen nur mit Schiller bekannt zu machen, das übrige erledigt sich fast von selbst. Schon allein Schillers leidenschaftliche, bildreiche Sprache reißt junge Leute hin, viel mehr noch seine großen Ideen von Freiheit, Menschenglück und Selbstvervollkommnung - Ideen, die jungen Menschen ohnehin im Kopf herumgehen und gewissermaßen auf vorbereiteten Boden fallen.

In diesem Alter möchte jeder noch ein Genie werden, möchte große Taten vollbringen, und die Frage "Wie wird man ein Genie?" bewegt jedes junge Gemüt. Schiller beschäftigte sich sein ganzes Leben hindurch mit dieser Frage, angefangen bei seiner Dissertation an der Karlsschule in Stuttgart, als er gerade mal 20 Jahre zählte. Ein Genie, so sagt er uns, wird sich immer in erster Linie als geistiges Wesen begreifen, wird das Materielle durch Ideen beherrschen.

In seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen, welche die Jugendlichen der LYM mit großer Hingabe studieren, behandelt der Dichter ausführlich, wie man darüber hinaus seine Gefühle veredeln und gleichzeitig vertiefen kann. Denn eigentlich will man nicht "cool", nicht gleichgültig gegenüber der Gesellschaft sein, doch in der Jugendkultur liegen Leidenschaft und Irrsinn zu nahe beisammen, wird man brutal auf seine sinnlichen Bedürfnisse beschränkt.

Die klassische Kultur hingegen hilft, unsere Gefühle auf die Ebene der Vernunft zu erziehen, sie hebt die innere Trennung des Menschen in Sinnes- und Geisteswesen auf und macht uns im wirklichen Sinne frei - frei von äußeren und inneren Zwängen. Dann können wir unseren Gefühlen blind vertrauen, denn schöne Taten werden uns zum Instinkt.

In den Philosophischen Briefen behandelt Schiller Wahrheit, Liebe und Egoismus. Durch Gleichgültigkeit bestehle ich mich selbst, durch Haß begehe ich Selbstmord auf Raten. Liebe hingegen, Nächstenliebe ist letztendlich ein Geschenk an mich selbst. Zeilen wie diese wirken auf jeden, ob jung oder alt, wie eine Offenbarung:

"Wenn ich hasse, so nehme ich mir etwas; wenn ich liebe, so werde ich um das reicher, was ich liebe. Verzeihung ist das Wiederfinden eines veräußerten Eigentums - Menschenhaß ein verlängerter Selbstmord; Egoismus die höchste Armut eines erschaffenen Wesens."

Und wie verhält es sich mit der Wahrheit? Wahrheit, so heißt es in den Philosophischen Briefen, ist etwas, das "dem ganzen Menschengeschlecht auf entfernte Jahrhunderte wohltut". Meinungen kann man viele haben und jeder eine andere, wahr ist aber nur etwas, das sich in jedem individuellen Kopf als richtig und wahr darstellt. Das ist noch keine Antwort, aber eine Richtschnur.

Diese und ähnliche Fragen beschäftigten das Publikum bei dem Glas Wein, zu dem das Schiller-Institut die Geburtstagsgesellschaft in Berlin anschließend einlud. Was ist die Seele? Was ist Schönheit? Was unterscheidet die klassische Kultur von der zeitgenössischen? Solche Fragen wurden noch fast drei Stunden lang erörtert. Die jugendlichen Gäste waren besonders aufgewühlt. "Schiller? Nie gehört, aber das sind Gedanken, mit denen man sich offenbar beschäftigen muß!" Andere kannten den Dichter aus der Schule und grübelten, warum sie damals so langweilig fanden, was sie jetzt so aufregte. Und bei der LaRouche-Jugendbewegung wird man künftig mehr und noch ganz andere Dinge zu hören bekommen.

Rosa Tennenbaum


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