August 2003 Heureka

Europa auf dem Weg zum Mars

Von Lothar Komp

Manche reden ja vom "Ende der Geschichte"; für die eurasische Raumfahrt gilt das nicht: Im Juni dieses Jahres soll mit der Sonde "Mars Expreß" erstmals eine europäische Sonde zum "roten Planenten" geschickt werden.


Wasser zum Leben

Gegen Ende des nächsten Jahrzehnts könnte die erste bemannte Mission zum Mars Wirklichkeit werden. In Vorbereitung auf dieses Ziel haben die Bemühungen zur Erkundung unseres roten Nachbarplaneten in den vergangenen Jahren rapide zugenommen. Bislang hatte es sich hierbei im wesentlichen um eine amerikanische Angelegenheit gehandelt. So schwenkte im September 1997 der Mars Global Surveyor der NASA in eine Marsumlaufbahn ein, nachdem bereits im Juli 1997 ein Roboter des Mars Pathfinder auf der Marsoberfläche landete. Bis heute liefern diese Sonden wichtiges Material zur Erforschung von Geologie, Atmosphäre und Ionosphäre des Mars. Jetzt greifen die Europäer ins Geschehen ein. Wenn nicht in letzter Minute noch etwas dazwischen kommt, dann wird Anfang Juni 2003 mit dem Mars Express erstmals eine europäische Sonde zu einem anderen Planeten geschickt werden.

Daß die westeuropäischen Raumfahrtnationen ihren Rückstand bei Planetenmissionen gegenüber den Amerikanern aufholen konnten, verdanken sie nicht zuletzt einer Verschmelzung ihrer Marsaktivitäten mit denjenigen der Russen. Vorläufer einiger Instrumente, die jetzt beim Mars Express eingesetzt werden, befanden sich bereits an Bord der russischen Sonde Mars-96, die im Jahre 1996 wegen Problemen mit der russischen Trägerrakete Proton ihr Ziel nicht erreichte. Nachdem die NASA keinerlei Interesse am Einsatz europäischer Kamerasysteme bei ihren Marsmissionen erkennen ließ, entschied daraufhin die europäische Raumfahrtbehörde ESA, im Verein mit Rußland die eigenen Anstrengungen zur Erkundung des Mars drastisch auszuweiten. Die Federführung des Projekts Mars Express liegt bei der ESA; Hauptauftragnehmer für den Bau der Sonde ist das Raumfahrtunternehmen Astrium/EADS; die Bodenkontrolle besitzt, wie bei europäischen Missionen üblich, das ESOC-Raumfahrtzentrum in Darmstadt. Den Start vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur übernimmt das Unternehmen Starsem, eine gemeinsame Tochter von Arianespace, Aerospatiale, der Russischen Luft- und Raumfahrtbehörde und dem Produzenten von Sojus-Raketen TsSKB Samara. Als Trägerrakete wird diesmal eine vierstufige Sojus-Rakete eingesetzt - dank 40-jähriger Erfahrung und 98% Start-Erfolgsrate so ziemlich das solideste, was die Welt heute an Trägersystemen zu bieten hat. Die mehrfach zündbare Oberstufe Fregat ist allerdings eine Neuentwicklung.

Das optimale Startfenster für den Mars Express liegt in den ersten elf Tagen des Juni 2003. Nach dem Einschuß in eine ellipsenförmige Sonnenumlaufbahn, welche sowohl die Erd- wie die Marsbahn schneidet, sollte die Sonde nach einer 400 Millionen km langen Reise pünktlich zu Weihnachten am 24.Dezember2003 am Mars ankommen und dort in eine Planetenumlaufbahn einschwenken. Schon einen Monat vorher wird es spannend. Um dem ohne Antrieb ausgestatteten Lander Beagle-2 das Erreichen der Marsoberfläche zu ermöglichen, muß die Sonde vorübergehend auf Kollisionskurs mit dem Mars gelenkt werden. Erst sechs Tage vor der Ankunft am Mars, unmittelbar nachdem Beagle-2 abgetrennt wurde, kann die Kurskorrektur für einen exzentrischen Marsorbit erfolgen. In einer Höhe von 250 bis 11500 km über der Marsoberfläche wird die Sonde daraufhin über mehrere Jahre hinweg mit seinen Instrumenten den Mars erforschen und zugleich die ermittelten Daten zur Erde funken. Die Gesamtkosten des Projekts, 150 Millionen Euro einschließlich Start, sind ungewöhnlich niedrig, weil 80% der Instrumente und Technologie an Bord des Mars Express schon für frühere Missionen entwickelt wurden, insbesondere für Mars-96 und die europäische Raumsonde Rosetta:

  • Der High/Super Resolution Stereo Colour Imager (HRSC) wurde am Institut für Planetenerkundung des DLR in Berlin-Adlershof entwickelt und unter Führung von Dornier-Satellitensysteme in Friedrichshafen, heute Teil von Astrium, gebaut. Mit dem HRSC soll die gesamte Marsoberfläche multispektral, dreidimensional und bei hoher räumlicher Auflösung kartiert werden. Bei minimalem Marsabstand erfaßt die Kamera einen 62 km breiten Streifen der Oberfläche bei einer Auflösung von 12 Metern. Für spezielle Schnappschüsse kann die Kamera sogar kurzfristig eine Auflösung unterhalb von 3 Metern schaffen. Es handelt sich um den leicht umgebauten Zwilling der bei Mars-96 eingesetzten Kamera. Im Vordergrund steht hier die geologische und mineralogische Erkundung des Mars.
  • Das Planetare Fourier Spektrometer (PFS) wurde am Institut für Interplanetare Raumfahrt in Rom entwickelt und wird sich mit der Zusammensetzung der Marsatmosphäre beschäftigen. Diese besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid und Stickstoff, enthält aber auch Spuren von Wasserdampf und hochkomplexen Molekülen. Die planetenweite Zirkulation von Wasserdampf, anderen Bestandteilen der Marsatmosphäre sowie von Staub kann mit dem PFS in bislang ungekannter Genauigkeit beobachtet werden. Der Mars Express soll über mindestens acht marsianische Jahreszeiten hinweg im Einsatz sein. Für jede einzelne dieser Jahreszeiten wird das PFS eine vollständige, dreidimensionale Karte der Atmosphäre erstellen.
  • Auch das Infrarotspektrometer OMEGA (Observatoire pour la Mineralogie, l'Eau, les Glaces et l'Activité) war bereits für Mars-96 konstruiert worden. Mit ihm kann von der gesamten Marsoberfläche, jeweils in Zonen von 1 bis 4 km Länge, ein vollständiges Spektrum vom sichtbaren Licht bis zum Infrarot erstellt werden. Dies liefert dann Rückschlüsse auf die genaue mineralogische Zusammensetzung des Bodens, einschließlich des Anteils des in Mineralien gebundenen Wassers. Einzelne Gebiete können mit einer Auflösung von 300 Metern analysiert werden. Nie zuvor wurde im Weltraum ein Spektrometer mit derart hoher räumlichen Auflösung eingesetzt. Davon verspricht man sich neue Erkenntnisse etwa über die tektonische Geschichte des Planeten oder die heute vorherrschenden Windströmungen. OMEGA könnte die Frage entscheiden, ob ein Großteil der in der Frühzeit des Mars viel dichteren Atmosphäre, insbesondere Kohlendioxid, inzwischen in Form von Karbonaten im Marsgestein gebunden ist. Karbonate werden aus Kohlendioxid gebildet, das in Wasser aufgelöst ist. Man hätte dann also einen Hinweis auf ehemals riesige Mengen flüssigen Wassers auf dem Mars. Das Instrument ist ein Beitrag des Institut d'Astrophysique Spatiale im französischen Orsay.
  • Das Atmosphären-Spektrometer SPICAM (Spectroscopic Investigation of the Characteristics of the Atmosphere of Mars) arbeitet im ultravioletten und im infraroten Spektralbereich. Wenn es senkrecht nach unten auf den Marsboden ausgerichtet ist, erfaßt es das zweimal durch die Atmosphäre geströmte am Boden reflektierte Sonnenlicht und kann daraus den atmosphärischen Wasser- und Ozongehalt bestimmen. Auch die gesamte Dichte der Marsatmosphäre wird vermessen. Dies könnte für spätere Missionen sehr wichtig werden, die eine Landung mittels atmosphärischer Bremsung vorsehen. SPICAM kann auch auf den Planetenrand ausgerichtet werden und dabei das Nachglühen der Atmosphäre infolge der Sonneneinstrahlung untersuchen. Im Lichte der gerade unterhalb des Planetenrands aufgehenden Sonne kann SPICAM darüber hinaus ein vertikales Profil der Atmosphäre erstellen. SPICAM wurde vom französischen Service d'Aeronomie in Verrieres-le-Buisson hergestellt.
  • Das Instrument ASPERA (Analyser of Space Plasmas and Energetic Atoms) untersucht energiereiche Atome und Plasmen, die beim Aufprall des Sonnenwindes auf die Marsatmosphäre entstehen. Es wurde am Schwedischen Institut für Weltraumforschung in Kiruna entwickelt und könnte Hinweise darauf liefern, wie und in welchem Umfang Wasserdampf und andere Gase durch Einwirkung des Sonnenwindes aus der Atmosphäre herauskatapultiert werden. Vielleicht erklärt das, warum die Dichte der heutigen Marsatmosphäre hundertmal geringer ist als die der Erde. Nur wenige Wochen nach dem Mars Express wird auch die japanische Sonde Nozomi am Mars ankommen, die sich schwerpunktmäßig mit ionosphärischen Prozessen beschäftigen wird. Das schwedische ASPERA-Team ist auch bei der Nozomi-Mission mit einem Instrument vertreten.
  • Die langwelligen Radiostrahlen des mit 20 Meter langen Sendeantennen ausgerüsteten Instruments MARSIS (Mars Advanced Radar for Subsurface and Ionospheric Sounding) können mehrere Kilometer tief in den Marsboden eindringen und dadurch Aufschlüsse über die obere Marskruste liefern, insbesondere über etwaige Vorkommen von Wasser. Es kann zwischen trockenem, gefrorenem und feuchtem Gestein unterscheiden. Ähnliche Geräte werden auf der Erde, meist in geringer Höhe, zur Exploration von Ölfeldern verwendet. Aber niemals zuvor wurde bisher mit Radiowellen versucht, aus einer Planetenumlaufbahn heraus Wasservorkommen kilometertief unter dem Boden aufzuspüren. MARSIS stammt von der Università di Roma "La Sapienza".
  • Mithilfe von Radiosendern im Gigahertzbereich werden die Daten des Mars Express zur irdischen Bodenstation übertragen. Das Mars Radio Science Experiment (MARS) wird dabei zugleich die Frequenzverschiebungen der Radiosignale infolge des Doppler-Effekts,je nach Relativgeschwindigkeit zwischen Raumsonde und Erde, zu untersuchen. Man hofft auf diese Weise, kleine Störungen im Schwerkraftfeld des Mars festzustellen, die dann wiederum auf Unregelmäßigkeiten tief im Inneren des Planeten hindeuten. Sofern der Mars zwischen Erde und Sonde steht, werden auch die Einflüsse von Atmosphäre und Ionosphäre des Mars auf die Radiosignale beobachtet. Damit ließen sich beispielsweise vertikale Profile der Atmosphäre erstellen. Verantwortlich für das Experiment ist eine Forschergruppe an der Universität Köln.
Schließlich gibt es da noch den Lander Beagle-2. Er ist benannt nach dem britischen Forschungsschiff Beagle, das im Jahre 1830 mit Charles Darwin an Bord die Welt umsegelte. Daraus wird schon deutlich, daß dieser Teil der Sonde von einem britischen Forscherteam, und zwar von der "Open University", gebaut wurde. Am 23.Dezember soll der nur 60 kg schwere und knapp einen Meter große Robot mit einer Geschwindigkeit von 31000 km/h in die Marsatmosphäre eindringen und mit Hilfe eines kegelförmigen Hitzeschildes und eines Systems von Fallschirmen und Airbags hoffentlich unversehrt den Boden erreichen. Als Landestelle wurde die Flachlandschaft Isidis Planitia in 11 Grad nördlicher Breite ausgesucht. Die Hauptaufgabe von Beagle-2: Die Suche nach Spuren möglicher Lebensformen auf dem Mars.

Vor ein paar Jahren machte der Meteorit ALH84001 Schlagzeilen, der im Eis der Antarktis gefunden worden war und nachweislich vom Mars stammt. Dies allein ist nicht völlig ungewöhnlich, da bei jedem Einschlag von Kometen oder Asteroiden auf einem Planeten Material in den Weltraum geschleudert wird, das dann früher oder später vom Schwerkraftfeld eines anderen, oder auch des gleichen, Planeten aufgefangen wird. In Hohlräumen des Meteoriten vom Mars fand man aber nun Ablagerungen, die den Eindruck erweckten, als seien sie Fossilien einfacher Organismen. Eine zweifelsfreie Entscheidung über das "Leben auf dem Mars" war jedoch nicht möglich, unter anderem weil eine spätere "Kontamination" der Meteorite auf der Erde nicht auszuschließen war. Nun soll ähnliches Marsgestein wie dasjenige, welches der Zufall vor rund 13000 Jahren in die irdische Antarktis stürzen ließ, direkt vor Ort untersucht werden. Beagle-2 ist mit einer Kamera, einem Mikroskop und diversen Analysegeräten ausgerüstet. Nicht zuletzt besitzt Beagle-2 einen Arm, mit dem man Löcher in den Marsboden graben kann, um dort Proben zu entnehmen.

Wasser zum Leben

Die Beschreibung der Instrumente offenbart bereits die entscheidende wissenschaftliche Fragestellung nicht nur dieser Mars-Expedition: War der Mars in früheren Zeiten einmal von Seen oder gar Ozeanen bedeckt? Und falls ja, wohin ist diese kostbarste Ressource für künftige Marsbesiedlungen verschwunden? Verflüchtigte sich all das Wasser unwiederbringlich in den Weltraum. Oder haben sich möglicherweise dicht unter der Oberfläche noch gewaltige Reservoire an gefrorenem, mitunter gar flüssigem, Wasser erhalten? Noch vor wenigen Jahren glaubte die Mehrheit der Marsforscher, daß der Mars zwar vor drei bis vier Milliarden Jahren mit erheblichem Wasserreichtum gesegnet war, daß der heutige Mars aber, von den Polkappen einmal abgesehen, einer staubtrockenen Wüste gleiche.

Diese Ansicht wurde seit den Entdeckungen des Mars Global Surveyor, zur Zeit die einzige Sonde im Marsorbit, einer radikalen Neubewertung unterzogen. Zahlreiche Bilder der NASA-Sonde, ausgewertet seit Juni 2000, zeigen Systeme von Abflußkanälen, die mit großer Wahrscheinlichkeit in geologisch gesehen allerjüngster Vergangenheit fließendes Wasser geführt haben. Vermutlich handelt es sich um Grundwasservorkommen relativ dicht unter der Marsoberfläche, die etwa beim Einschlag von Meteoriten freigelegt wurden und sich dann in Sturzbächen, eventuell in Verbindung mit Geröll- und Schlammlawinen, taleinwärts ergossen. In anderen Gebieten entdeckte der Mars Global Surveyor Ansammlungen von tropfenförmigen "Dünen", deren spitzes Ende jeweils in die gleiche Richtung weist. Man vermutet hier das Ergebnis einer katastrophalen Sintflut, die allerdings schon Millionen von Jahren zurückliegt.

Berechnungen zufolge sollten sämtliche Wasservorkommen im Marsboden bis zu einer Tiefe von mehreren Kilometern permanent gefroren sein. Wenn es dennoch oberflächennahes, flüssiges Wasser gibt, so spricht dies für das Vorhandensein einer bislang offenbar unterschätzten inneren Wärmequelle auf dem Mars. Angesichts der Tatsache, daß der Mars die größten Vulkane des gesamten Sonnensystems hervorgebracht hat, liegt es nahe, eine auch heute noch anhaltende geologische Aktivität als Ursache der Überschußwärme zu vermuten. Die Vorstellung fließenden Wassers, oben durch ein paar Meter Marsboden von der viel zu dünnen und kalten Atmosphäre geschützt und von unten nach Art isländischer Geysire aufgeheizt, hat natürlich sämtliche mit dem Mars befaßten Biologen elektrisiert. Unter ähnlichen Bedingungen hat man auf der Erde bislang noch in allen Fällen, gelegentlich wenn auch sehr exotische, Lebensformen nachweisen können. Vielleicht aber wollte der Mars mit seinen mühsam über Jahrmilliarden hinweggeretteten Wassermassen nur eine unmißverständliche Einladung an zögerliche Erdlinge aussprechen.